Urteil vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (4. Senat) - 4 L 24/14

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle - 2. Kammer - vom 6. Dezember 2013 geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen die Erhebung eines einmaligen Straßenausbaubeitrags.

2

Sie sind Eigentümer des 1.379 m² großen, mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks B-Straße (Flurstück 85/10, Flur A, Gemarkung B.).

3

In den Jahren 1995 bis 1998 ließ die Gemeinde B. in der B-Straße die Straßenbeleuchtung erneuern. Die zuvor an Freileitungsmasten der Energieversorgung vorhandenen Mastansatzleuchten wurden demontiert. Die Beleuchtungsanlage wurde mit Beleuchtungskörpern an freistehenden Masten und erdverlegten Kabeln neu errichtet. Weitere abrechenbare Maßnahmen wurden bisher nicht vorgenommen.

4

Die letzte Unternehmerrechnung ging am 14. August 1998 bei der Gemeinde B. ein.

5

Am 6. März 2003 beschloss der Gemeinderat der Gemeinde B. die Satzung über die Erhebung von einmaligen Straßenausbaubeiträgen im Gebiet der Gemeinde B., die im Amtsblatt der Verwaltungsgemeinschaft westlicher Saalkreis 6/2003 veröffentlicht wurde. Die 1. Änderungssatzung wurde am 21. Oktober 2004 beschlossen und im Amtsblatt der Verwaltungsgemeinschaft westlicher Saalkreis vom 14. Januar 2005 bekannt gemacht.

6

Zum 1. Januar 2010 wurde die Gemeinde B. aufgelöst und mit den Gemeinden Bennstedt, Fienstedt, Höhnstedt, Kloschwitz, Lieskau, Salzmünde, Schochwitz und Zappendorf zur Beklagten zusammengeschlossen.

7

Am 16. Juni 2011 beschloss der Gemeinderat der Beklagten eine Aufwandspaltung des Inhalts, dass die Teileinrichtung Beleuchtung in der Verkehrsanlage "E-Straße/B-Straße" selbständig abzurechnen sei.

8

Mit Bescheiden vom 28. September 2012 zog die Beklagte die Kläger für den Ausbau der Straßenbeleuchtung zu Ausbaubeiträgen in Höhe von je 121,59 €, insgesamt 243,92 € heran.

9

Auf den hiergegen eingelegten Widerspruch der Kläger änderte die Beklagte den Straßenausbaubeitrag auf je 121,96 € und wies den Widerspruch im Übrigen mit Widerspruchsbescheiden vom 4. Dezember 2012 zurück. Die Überprüfung habe ergeben, dass die Grundstücke zum Teil mit einer veränderten Maßstabsfläche heranzuziehen seien, sodass sich eine geringfügige Erhöhung ergebe.

10

Zur Begründung ihrer am 6. Januar 2013 erhobenen Klage machen die Kläger geltend, dass die Bescheide den Grundsatz der Rechtssicherheit nach Art. 20 Abs. 3 GG missachteten, weil die Baumaßnahme zum Zeitpunkt der Abrechnung 14 Jahre zurückgelegen habe und die Gemeinde zum Zeitpunkt der Ausführung der Baumaßnahme noch keine Beitragssatzung beschlossen habe. Da die Verjährung nach Auffassung der Beklagten erst mit dem Kostenspaltungsbeschluss zu Laufen beginne, seien die geltenden Verjährungsregelungen im Fall nicht vollständig abgeschlossener Maßnahmen nicht geeignet, Rechtsfrieden herzustellen und Rechtssicherheit zu bieten. Im Übrigen habe es im gesamten Verfahren keine Aussagen zum vorherigen Ausbauzustand der Straßenbeleuchtung gegeben. Es sei daher noch offen, ob es sich um eine Erneuerung bzw. Verbesserung oder lediglich einer Reparatur handele. Auch die Frage, ob die Kosten sachgerecht seien, habe bisher nicht geklärt werden können.

11

Die Kläger haben beantragt,

12

die Bescheide der Beklagten vom 28. September 2012 und deren Widerspruchsbescheide vom 4. Dezember 2012 aufzuheben.

13

Die Beklagte hat beantragt,

14

die Klage abzuweisen.

15

Das Verwaltungsgericht hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Dezember 2013 die Beitragsbescheide vom 28. September 2012 und die Widerspruchsbescheide vom 4. Dezember 2012 aufgehoben. Der für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht hier anzuwendende § 6 Abs. 6 KAG LSA in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Dezember 1996 sei im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 (- 1 BvR 2457/08 -) verfassungskonform dahin auszulegen, dass Beiträge nicht verlangt werden könnten, wenn die Maßnahme vor Inkrafttreten einer insbesondere in ihrer Verteilungsregelung wirksamen Beitragssatzung endgültig abgeschlossen worden sei. Gleiches gelte nach Überzeugung der Kammer aufgrund der gleichen Interessenlage auch für den hier vorliegenden Fall, dass eine im Wege der Kostenspaltung grundsätzlich abrechenbare Teilmaßnahme vor Inkrafttreten einer wirksamen Beitragssatzung bauprogrammmäßig fertig gestellt worden sei. Die Ausbaumaßnahme der Beklagten bleibe danach beitragsfrei, weil zum Zeitpunkt ihrer Beendigung im Jahr 1998 noch keine Beitragssatzung vorhanden gewesen sei. Denn die Gemeinde B. habe erstmals mit ihrer Straßenausbaubeitragssatzung vom 6. März 2003 über eine wirksame Beitragssatzung verfügt. Jedenfalls im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 sei die Erhebung eines Straßenausbaubeitrags vorliegend nicht mit Treu und Glauben zu vereinbaren, denn die Interessenlage bei der hier vorliegenden Teilmaßnahme sei mit den Fällen der vollständigen Beendigung rechtlich vergleichbar, insbesondere sei die Vorteilslage in Bezug auf die allein abgerechnete Teileinrichtung Straßenbeleuchtung bereits im Jahr 1998 entstanden.

16

Die Beklagte hat fristgerecht die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung erhoben und trägt vor, dass das Gericht daran gehindert sei, eine verfassungskonforme Auslegung vorzunehmen, weil es allein dem Gesetzgeber obliege, das Kommunalabgabengesetz entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzupassen.

17

Die Beklagte beantragt,

18

das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle - 2. Kammer - vom 6. Dezember 2013 zu ändern und die Klage abzuweisen.

19

Die Kläger beantragen,

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die Berufung zurückzuweisen.

21

Sie machen geltend, dass sie ohne gültige Satzung nicht zu Beiträgen hätten herangezogen werden dürfen. Jedenfalls sei im Zeitpunkt der Erhebung der Beiträge keine Rechtssicherheit vorhanden gewesen. Dieser Vorstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG könne nicht nachträglich geheilt werden. § 18 KAG LSA sei zudem insoweit verfassungswidrig, als es eine zehnjährige Verjährungsfrist mit der Einschränkung vorsehe, dass die Verjährungsfrist nicht vor Ablauf des Jahres 2015 ende. Denn hierdurch verlängere sich vorliegend die Verjährungsfrist auf 17 Jahre. Dies sei unzumutbar in einem Verfahren, in dem es u. a. auf die örtlichen Gegebenheiten ankomme, die steten Veränderungen unterlägen, und zudem die Aktenaufbewahrungsfristen längst abgelaufen seien.

22

Zudem werde bestritten, dass die dem hier streitbefangenen Bescheid zugrunde liegenden Kosten überhaupt für die Straßenbeleuchtung angefallen seien, denn insgesamt erschienen sämtliche Kosten "übersetzt". Auch sei es wegen anderweitiger Beschäftigung der beteiligten Firmen im Gemeindebereich durchaus denkbar und wahrscheinlich, dass hier Kosten abgerechnet worden seien, die nicht über die Straßenbeleuchtungsabgaben abzurechnen seien.

23

Durch die Übergangsregelung des § 18 Abs. 2 KAG LSA habe der Landesgesetzgeber den nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geforderten Ausgleich zwischen der Erwartung der Beitragspflichtigen auch den Eintritt der Festsetzungsverjährung und dem berechtigten öffentlichen Interesse an einem finanziellen Beitrag für die Erlangung individueller Vorteile aus dem Abschluss der Baumaßnahme verfehlt und in verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbarer Weise einseitig zu Lasten der Beitragsschuldner entschieden.

24

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

25

Die zulässige Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet.

26

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sind die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 28. September 2012 in der Gestalt ihrer Widerspruchsbescheide vom 4. Dezember 2012 rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz VwGO).

27

Rechtsgrundlage der Beitragserhebung ist § 6 Abs. 1 KAG LSA i.V.m. der Straßenausbaubeitragssatzung der Gemeinde B. vom 6. März 2003 i.d.F. der 1. Änderungssatzung vom 21. Oktober 2004 - SBS -. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA erheben die Landkreise und Gemeinden zur Deckung ihres Aufwandes für die erforderliche Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Verbesserung und Erneuerung ihrer Verkehrsanlagen von den Beitragspflichtigen, denen durch die Inanspruchnahme dieser Leistungen ein Vorteil entsteht, Beiträge, soweit der Aufwand nicht durch Gebühren gedeckt ist.

28

1. Durch die vorliegend streitgegenständlichen Baumaßnahmen, mit der die Beleuchtungsanlage mit Beleuchtungskörpern an freistehenden Masten und erdverlegten Kabeln neu errichtet worden ist, ist die Teileinrichtung Straßenbeleuchtung unstreitig im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 SBS erneuert worden.

29

Zweifel an der Beitragsfähigkeit des von der Beklagten berechneten Aufwands für die Durchführung der Baumaßnahme in der streitgegenständlichen Verkehrsanlage in Höhe von 51.258,46 € bestehen entgegen der Auffassung der Kläger nicht. Nach den Angaben der Beklagten sind die Anteile der auf die streitgegenständliche Verkehrsanlage entfallenden Kosten der - auch für Baumaßnahmen an den Beleuchtungsanlagen anderer Verkehrsanlagen - entstandenen Kosten anhand der jeweiligen Lampenstandorte ermittelt und auf die Lampenanzahl der streitgegenständlichen Verkehrsanlage verteilt worden. Soweit die Kläger gegen die von der Beklagten vorgenommene Zuordnung der jeweiligen Rechnungsanteile auf die zu veranlagende Verkehrsanlage lediglich einwenden, dass sämtliche Kosten "übersetzt" schienen, und bezweifeln, dass die dem Bescheid zugrunde liegenden Kosten überhaupt für die Straßenbeleuchtung angefallen seien, ist ihr Vorbringen von vornherein nicht geeignet, die detaillierte Ermittlung der Beklagten in Zweifel zu ziehen.

30

2. Der Beitragsanspruch ist auch nicht (festsetzungs-)verjährt. Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG LSA i.V.m. den §§ 169 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 170 Abs. 1 AO ist eine Abgabenfestsetzung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist von 4 Jahren abgelaufen ist, die mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Abgabe entstanden ist. Die Beitragspflicht für Verkehrsanlagen entsteht gemäß § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA in der vom 9. Oktober 1997 bis 21. April 1999 geltenden Fassung - KAG LSA 1997 - mit der Beendigung der beitragsfähigen Maßnahme, in den Fällen des Abs. 2 mit der Beendigung der Teilmaßnahme und in den Fällen des Abs. 4 mit der Beendigung des Abschnitts.

31

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichtes für das Land Sachsen-Anhalt, dass im Straßenausbaubeitragsrecht ein Beitragsanspruch bei - wie vorliegend - vor dem 22. April 1999 begonnenen Maßnahmen entsteht, wenn eine beitragsfähige Maßnahme tatsächlich beendet ist, der Aufwand festgestellt werden kann und eine wirksame Beitragssatzung vorliegt. Es ist dabei lediglich erforderlich, dass zu irgendeinem Zeitpunkt eine wirksame Satzung vorliegt. Dies kann der Zeitpunkt der Maßnahme, des Bescheiderlasses oder auch ein späterer Zeitpunkt sein (OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 04.12.2014 - 4 L 220/13 -, zit. nach JURIS, m.w.N.). Das in § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA i.d.F. des Änderungsgesetztes vom 16. April 1999 normierte Erfordernis, wonach eine Satzung vor der Entscheidung über die beitragsauslösende Maßnahme vorliegen muss, gilt aufgrund einer insoweit gebotenen verfassungskonformen Auslegung nur für die Fälle, in denen die beitragsauslösende Maßnahme nach dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes am 22. April 1999 begonnen wurde (OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 04.12.2014, a.a.O., m.w.N.).

32

Danach ist der Beitragsanspruch am 16. Juni 2011 mit dem Beschluss der Beklagten über die Aufwandspaltung (§ 6 Abs. 2 KAG LSA) entstanden. Die vierjährige Festsetzungsfrist war daher bei Erlass der Bescheide vom 28. September 2012 noch nicht abgelaufen.

33

3. Zwar ist § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA 1997 in der bisher vorgenommenen Auslegung auf Grund der neuesten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit im Anschlussbeitragsrecht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 04.12.2014, a.a.O.). Dieses Gebot schütze davor, dass lange zurück liegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden könnten. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicher zu stellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden könnten. Die Legitimation von Beiträgen liege - unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens - in der Abgeltung eines Vorteils, der den betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen sei. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebiete, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen könne, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen müsse. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei stehe ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfG, Beschl. v. 05.03.2013 - 1 BvR 2457/08 -, zit. nach JURIS).

34

Danach ist eine zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit von vorteilsausgleichenden kommunalen Abgaben mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar (so BVerwG, Beschl. v. 26.08.2013 - 9 B 13.13 -; vgl. auch Urt. v. 20.03.2014 - 4 C 11.13 - zu Sanierungsbeiträgen nach § 154 BauGB, jeweils zit. nach JURIS). Das rechtsstaatliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit gilt für alle Fallkonstellationen, in denen eine abzugeltende Vorteilslage eintritt, die daran anknüpfenden Abgaben aber wegen des Fehlens sonstiger Voraussetzungen nicht entstehen und deshalb auch nicht verjähren können (so BVerwG, Urt. v. 20.03.2014, a.a.O.). Die dargestellte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts betrifft damit auch einmalige Beiträge im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA, die zur Finanzierung von Aufwendungen für Verkehrsanlagen erhoben werden. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, durch gesetzliche Regelungen sicher zu stellen, dass eine bestimmbare zeitlich Obergrenze für die Inanspruchnahme von Beitragsschuldner besteht, die der Rechtssicherheit genügt.

35

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist die vom Verwaltungsgericht vorgenommene verfassungskonforme Auslegung des § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA 1997 dahingehend, dass die sachliche Beitragspflicht für vor dem 22. April 1999 begonnene Straßenausbaumaßnahmen nur dann entsteht, wenn vor dem endgültigen Abschluss der Maßnahme eine wirksame Beitragssatzung vorliegt, jedoch nicht zulässig. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist insoweit unerheblich, dass erstmals mit der Veröffentlichung der SBS der Gemeinde B. vom 6. März 2003 eine (wirksame) Straßenausbaubeitragssatzung in Kraft getreten ist.

36

Der Senat hat durch das Urteil vom 4. Dezember 2014 (a.a.O.) in einem parallel liegenden Sachverhalt bereits entschieden:

37

"Das Gebot verfassungskonformer Gesetzesauslegung verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz in Einklang steht. Eine Norm ist daher nur dann verfassungswidrig, wenn keine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist. Auch im Wege der verfassungskonformen Interpretation darf aber der normative Gehalt einer Regelung nicht neu bestimmt werden. Die zur Vermeidung eines Verfassungsverstoßes gefundene Interpretation muss daher eine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige Auslegung sein. Die Grenzen verfassungskonformer Auslegung ergeben sich damit grundsätzlich aus dem ordnungsgemäßen Gebrauch der anerkannten Auslegungsmethoden. Der Respekt vor der gesetzgebenden Gewalt (Art. 20 Abs. 2 GG) gebietet es dabei, in den Grenzen der Verfassung das Maximum dessen aufrechtzuerhalten, was der Gesetzgeber gewollt hat. Er fordert eine verfassungskonforme Auslegung der Norm, die durch den Wortlaut des Gesetzes gedeckt ist und die prinzipielle Zielsetzung des Gesetzgebers wahrt. Die Deutung darf nicht dazu führen, dass das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht wird. Die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenzen mithin dort, wo sie zum Wortlaut der Norm und zum klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde (so BVerwG, Urt. v. 20. März 2014, a.a.O., m.w.N. aus der Rechtsprechung des BVerfG).

38

§ 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA 1997 erfüllt zwar in der Auslegung des Verwaltungsgerichts hinsichtlich des für eine Beitragserhebung erforderlichen Erlasses einer Beitragssatzung die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts an eine dem Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit entsprechende gesetzliche Regelung. Durch die Verknüpfung des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht mit dem Vorliegen einer wirksamen Satzung vor dem endgültigen Abschluss der Maßnahme ist sichergestellt, dass innerhalb eines bestimmbaren Zeitraum die satzungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Beitragserhebung gegeben sein müssen, die wiederum Voraussetzung für den Beginn der Festsetzungsverjährung sind. Allerdings gibt es - wie oben dargelegt - neben dem Fehlen einer wirksamen Beitragssatzung noch weitere Konstellationen, die im einmaligen Straßenausbaubeitragsrecht zu einer zeitlich unbestimmten Verschiebung der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht - und damit des Beginns der Festsetzungsverjährungsfrist - führen können. Eine verfassungskonforme Auslegung des nach seinem Wortlaut allein auf die Beendigung der (Teil)Maßnahme bzw. des Abschnitts abstellenden § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA 1997, die auch hinsichtlich dieser Fallkonstellationen sowohl die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfüllt als auch die Beitragserhebungspflicht des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA nicht verletzt, ist ausgeschlossen. Da § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA 1997 als einheitliche Regelung anzusehen ist, reicht es nicht aus, dass durch die Auslegung des Verwaltungsgerichts eine zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit von Straßenausbaubeiträgen, die nach der bisherigen Rechtsprechung durch Anknüpfung des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht an das Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung gegeben war, verhindert wird."

39

4. Dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit tragen aber die §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA, die durch Art. 1 Nr. 9 und 12 des Gesetzes zur Änderung kommunalabgabenrechtlicher Vorschriften vom 17. Dezember 2014 (GVBl. LSA S. 522) eingefügt worden und am 24. Dezember 2014 in Kraft getreten sind, hinreichend Rechnung. Danach ist eine Abgabenfestsetzung unabhängig vom Entstehen einer Abgabenpflicht zum Vorteilsausgleich mit dem Ablauf des 10. Kalenderjahres, das auf den Eintritt der Vorteilslage folgt, ausgeschlossen (§ 13b Satz 1 KAG LSA). Die nach Maßgabe des § 13b zu bestimmende Ausschlussfrist endet nicht vor dem Ablauf des Jahres 2015 (§ 18 Abs. 2 KAG LSA). Damit hat der Gesetzgeber eine zeitliche Obergrenze für die Festsetzung von vorteilsausgleichenden kommunalen Abgaben eingeführt.

40

Diese Regelungen berücksichtigen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich einerseits und die Interessen des Einzelnen an Rechtssicherheit. Die gewählte Ausschlussfrist von grundsätzlich 10 Jahren ab Eintritt der Vorteilslage, die jedoch nicht vor dem Ende des Jahres 2015 abläuft und daher im Einzelfall auf Grund des erstmaligen Inkrafttretens des KAG LSA im Jahre 1991 bis zu 24,5 Jahre betragen kann, hält sich im Rahmen des dem Gesetzgeber insoweit nach der Entscheidung des BVerfG (vgl. Beschl. v. 05.03.2013, a.a.O., Rdnr. 46) zustehenden weiten Gestaltungsspielraums und belastet die Abgabenpflichtigen nicht unzumutbar (vgl. VG Halle, Urt. v. 13.03.2015 - 4 A 13/15 HAL -; VG Magdeburg, Urt. vom 26.03.2015 - 9 A 253/14 MD -; Bücken-Thielmeyer/Fenzel, LKV 2014, 241, 244f, 248; Driehaus, KStZ 2014, 181, 184f.; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16.07.2014 - OVG 9 N 69.14 - zu § 19 Abs. 1 Satz 1 und 3 KAG BB, zit. nach JURIS; vgl. weiter § 3a Abs. 3 Satz 2 SächsKAG). Zum einen unterschreitet sie die auch dem öffentlichen Recht nicht fremde dreißigjährige Verjährungsfrist (vgl. etwa § 53 Abs. 2 VwVfG), gegen deren grundsätzliche Anwendbarkeit im öffentlichen Recht aus Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens keine Bedenken bestehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.12.2008 -, BVerwG 3 C 37.07 -, zit. nach JURIS, m.w.N.; vgl. auch Urt. v. 20.3.2014 - 4 C 11.13 -, zit. nach JURIS) und die einen Maßstab für die Bestimmung einer Ausschlussfrist darstellt (vgl. Driehaus, a.a.O. S. 184f.; vgl. auch Bücken-Thielmeyer/Fenzel, a.a.O., S. 244: äußerste Grenze). Zudem wirkt der Vorteil, der durch die Inanspruchnahmemöglichkeit einer Einrichtung vermittelt wird, lange in die Zukunft fort, während ein besonderes wirtschaftliches Interesses der Abgabepflichtigen an einer möglichst zeitnahen Geltendmachung des Beitragsanspruchs nicht besteht, sondern deren Interesse nur darin liegt, erkennen zu können, wann mit einer Inanspruchnahme nicht mehr zu rechnen ist (VG Halle, Urt. v. 13.03.2015, a.a.O.; Driehaus, a.a.O. S. 185; VGH Bayern, Urt. v. 12.03.2015 - 20 B 14.1441 -; VG Cottbus, Urt. v. 10.04.2014 - 6 K 370/13 -, jeweils zit. nach JURIS). Schließlich sind die nach der Wiederherstellung der Deutschen Einheit bestehenden Schwierigkeiten beim Aufbau einer funktionierenden kommunalen Selbstverwaltung sowie die sonstigen Schwierigkeiten, in einem neuen Bundesland wie Sachsen-Anhalt überhaupt wirksames Satzungsrecht zu erlassen, in Rechnung zu stellen (VG Halle, Urt. v. 13.03.2015, a.a.O.; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16.07.2014, a.a.O.).

41

Die beitragserhebenden Körperschaften werden durch die 10-Jahres-Ausschlussfrist, die zwar (teilweise deutlich) kürzer ist als vergleichbare Regelungen in anderen Bundesländern, dennoch nicht in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise (vgl. dazu Bücken-Thielmeyer/Fenzel, a.a.O. S. 245ff.) belastet (wohl a.M.: Driehaus, a.a.O. S. 185). Auch wenn es aus den verschiedensten Gründen zu einer Verzögerung der Erhebung von Beiträgen kommen kann, die der zuständigen Körperschaft nicht anzulasten ist, durfte der Gesetzgeber mit der gewählten Frist, die jedenfalls mehr als doppelt so lang ist wie die Festsetzungsverjährungsfrist, die Interessen des einzelnen Abgabenschuldners sehr hoch gewichten. Weder werden dadurch die beitragserhebenden Körperschaften in ihrer Finanzhoheit als Ausprägung des Rechts der kommunalen Selbstverwaltung verletzt noch ist das Gleichheitsgebot in seiner Ausprägung als Grundsatz der Abgabengerechtigkeit beeinträchtigt. Auch im Gesetzgebungsverfahren haben die Interessenverbände insoweit gerade keine durchgreifenden Einwendungen erhoben, sondern nur für eine längere Übergangsfrist plädiert. Durch § 18 Abs. 2 KAG LSA ist weiterhin hinreichend sichergestellt, dass Altverfahren noch fristgerecht abgeschlossen werden können. Denn die beitragserhebenden Körperschaften mussten schon seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 mit einer gesetzgeberischen Regelung rechnen.

42

Die vorgesehene Ausschlussfristenregelung ermöglicht damit einerseits die Sicherung der Finanzierung der öffentlichen Einrichtungen und schränkt andererseits die Abgabenerhebung nach Eintritt der Vorteilslage zeitlich ein, nämlich auf einen Zeitraum von höchstens 24,5 Jahren. Insoweit enthält sie einen angemessenen Ausgleich der Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und des einzelnen Abgabenschuldners an Rechtssicherheit. Auch der Umstand, dass die "Übergangsregelung" in § 18 Abs. 2 KAG LSA sogenannte "Altfälle", bei denen die die Ausschlussfrist frühestens am 31. Dezember 2015 endet, gegenüber den Beitragspflichtigen benachteiligt, bei denen die Vorteilslage erst nach 2005 eingetreten ist, führt unter Berücksichtigung von Art. 3 GG nicht zur Verfassungswidrigkeit der Norm. Denn nach dem Vorhergesagten besteht jedenfalls ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung.

43

Die Regelungen der §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA sind anzuwenden, obwohl vor Inkrafttreten dieser Normen sowohl die sachliche Beitragspflicht entstanden ist als auch die angefochtenen Beitragsbescheide erlassen worden sind. Es handelt sich dabei um Regelungen, mit denen - wie § 18 Abs. 2 KAG LSA klarstellt - eine Ausschlussfrist festgesetzt wird (vgl. auch Driehaus, a.a.O. S. 183, m.w.N.). Deren umfassende Anwendbarkeit ergibt sich aus Sinn und Zweck dieser Vorschriften, der darin besteht, der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung zu tragen und eine zeitliche Obergrenze für die Beitragserhebung im Kommunalabgabengesetz vorzusehen, um die Beitragserhebung verfassungsrechtlich sicher zu gestalten (vgl. Gesetzesentwurf der Landesregierung vom 10.09.2014, LT-Drucksache 6/3419, S. 3; VG Halle, Urt. v. 13.03.2015, a.a.O.; vgl. auch VG Magdeburg, Urt. v. 26.03.2015, a.a.O.).

44

Es kann danach offen bleiben, ob man als "Eintritt der Vorteilslage" i.S.d. § 13b Satz 1 KAG LSA hier den Abschluss der Bauarbeiten und die tatsächliche Inbetriebsetzung der Beleuchtungsanlage annimmt bzw. den Eingang der letzten Unternehmerrechnung oder insoweit auf den Zeitpunkt der Aufwandspaltung abstellt, mit dem Ergebnis, dass die zehnjährige Frist des § 13b Satz 1 KAG LSA noch nicht abgelaufen wäre. Jedenfalls ist § 18 Abs. 2 KAG LSA einschlägig, wonach die Ausschlussfrist nicht vor Ablauf des 31. Dezember 2015 endet.

45

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO.

46

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

47

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe vorliegt.

48

B e s c h l u s s

49

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 243,92 € festgesetzt.

50

Gründe:

51

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.

52

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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