Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (1. Senat) - 1 L 31/16

Gründe

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Auf Antrag der Klägerin wird die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zugelassen.

2

Es ist aus den von der Klägerin mit Antragsbegründungsschrift vom 22. März 2016 dargelegten Gründen bereits ernstlich zweifelhaft, ob die Beklagte zum Erlass der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung berechtigt ist oder ihre Zuständigkeit sowie Eingriffsbefugnis nicht vielmehr durch das speziellere, fachgesetzliche Gefahrenabwehrrecht des Eisenbahnrechtes und die Zuständigkeit der Eisenbahnaufsichtsbehörde verdrängt wird.

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Aufgrund der bisherigen, sich aus dem Akteninhalt ergebenden Erkenntnisse teilt der Senat die entscheidungstragende Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts nicht, dass die Verkehrssicherheitsgefahren, die sich aus schadhaften Bahnübergängen im Sinne des Eisenbahnkreuzungsrechts ergeben, vom Eisenbahnbundesamt nicht in den Blick genommen würden und für den Fall, dass das Eisenbahnunternehmen seinen aus dem Eisenbahnkreuzungsgesetz folgenden Verpflichtungen mit der Folge von Gefährdungen des Straßenverkehrs nicht nachkomme und sich auch im Rahmen des kreuzungsrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses durch die kooperierende Behörde nicht zum Handeln anhalten lasse, allein ein Eingriff auf der Grundlage des § 13 SOG LSA bleibe (S. 8 d. UA). Auch wird die Beklagte voraussichtlich mit ihrer Behauptung nicht durchdringen, dass der Anwendungsbereich des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) vorliegend nicht eröffnet sei, weil sich die Zuständigkeit des Eisenbahnbundesamtes nach § 1 AEG nur bei Gefahren für oder im Eisenbahnbetrieb ergebe, welche hier nicht vorlägen.

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Die streitgegenständliche Ordnungsmaßnahme (vom 31. Januar 2013) ist auf die Beseitigung von Fahrbahnschäden gerichtet, die aus Löchern beidseitig sowie innerhalb der Gleisanlage am Bahnübergang bestehen, der die Bundesstraße B 248 in der Ortslage (S.), Strecke-Nr. 6900 im Land Sachsen-Anhalt, Salzwedel-Plätze kreuzt.

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Ausweislich der Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung des Verwaltungsgerichts vom 14. September 2015 (Bl. 37 ff. d. GA) waren sich bei der Ortsbesichtigung auch alle Beteiligten darüber einig, dass die Straßenschäden innerhalb eines Bereiches von 2,25 m parallel zu den äußeren Schienen liegen. Auf diesem Umstand beruht auch die Inanspruchnahme der Klägerin, da sie als Eisenbahnunternehmer die Anlagen an Kreuzungen, soweit es Eisenbahnanlagen sind, auf ihre Kosten zu erhalten hat (vgl. § 14 Abs. 1 EKrG).

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Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 1 EKrG gehören an Bahnübergängen zu den Eisenbahnanlagen u.a. das sowohl dem Eisenbahnverkehr als auch dem Straßenverkehr dienende Kreuzungsstück, begrenzt durch einen Abstand von 2,25 m jeweils von der äußeren Schiene und parallel zu ihr verlaufend.

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Der Begriff der Eisenbahnanlage ist insoweit deckungsgleich mit dem Betriebsanlagenbegriff des Eisenbahnrechts (vgl. § 2 Abs. 3 AEG i. d. F. v. 27. Juni 2012). Maßgeblich für die Zuordnung einer Fläche zu einer Eisenbahnanlage bzw. Betriebsanlage der Eisenbahnen ist sowohl nach den Vorschriften des EKrG wie des AEG ihre jeweilige objektive Funktion (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 2014 - 7 C 14.13 -, juris Rn. 10; Urteil vom 27. November 1996 - 11 A 2. 96 -, juris Rn. 20; Urteil vom 12. Oktober 1973 - IV C 56.70 -, juris Rn. 24, 25).

8

Dabei ist § 4 Abs. 1 EBO für die Auslegung des Betriebsanlagenbegriffs maßgebend. Danach sind Bahnanlagen alle Grundstücke, Bauwerke und sonstigen Einrichtungen einer Eisenbahn, die unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse zur Abwicklung oder Sicherung des Reise- oder Güterverkehrs auf der Schiene erforderlich sind. Dazu gehören auch Nebenbetriebsanlagen einer Eisenbahn. Gemeinsames Kriterium für die (objektive) Zugehörigkeit zur Bahnanlage ist damit unter Berücksichtigung der örtlichen Verkehrsverhältnisse die Eisenbahnbetriebsbezogenheit, d. h. die Verkehrsfunktion und der räumliche Zusammenhang mit dem Eisenbahnbetrieb (BVerwG, Urteil vom 23. September 2014, a. a. O., Rn. 10 m. w. N.).

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Die streitgegenständliche Maßnahme der Beseitigung von Fahrbahnschäden im Bereich des § 14 Abs. 2 Nr. 1 EKrG ist im vorgenannten Sinne betriebsbezogen. Ihr kommt die erforderliche Verkehrsfunktion zu, weil die Klägerin ohne diese Maßnahme ihrer Sicherungspflicht auf der und für die von ihr betriebene Bahnstrecke gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 2. Alt. AEG (i. d. F. v. 12. September 2012) nicht gewährleisten kann. Die Verkehrsfunktion der streitgegenständlichen Maßnahme bestimmt sich allein danach, ob sie zum Schutz des Schienenwegs erforderlich ist. Das Bundes-verfassungsgericht hat bereits in seinem Beschluss vom 13. November 1974 (- 1BvL 27/73 -, juris Rn. 14, 15) festgestellt, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass die in § 14 Abs. 2 Nr. 1 EKrG umschriebenen Eisenbahnanlagen an Kreuzungen (- also auch das streitgegenständliche Straßenstück -) in erster Linie den Bedürfnissen des Eisenbahnverkehrs dienen und der betroffene Teil der Straße ein Bereich ist, über den die Eisenbahn zur Sicherung des Verkehrs allgemein verfügt. Der räumliche Zusammenhang mit dem Eisenbahnbetrieb steht dabei außer Frage. Der Schienenweg selbst, das dazwischen sowie rechts und links von der äußeren Schiene in einem Abstand von 2,25 m parallel zu ihr verlaufende Straßenstück sind Teile des Grundstücks, das zur Abwicklung und Sicherung des Reise- oder Güterverkehrs auf der Schiene im Sinne des § 4 Abs. 1 EBO erforderlich ist.

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Gemäß § 5a Abs. 1 AEG (i. d. F. v. 12. September 2012) haben die Eisenbahnaufsichtsbehörden die Aufgabe, die Einhaltung der in § 5 Abs. 1 AEG genannten Vorschriften zu überwachen, soweit in diesem Gesetz nichts Besonderes bestimmt ist (Satz 1); sie haben dabei insbesondere die Aufgabe, Gefahren abzuwehren, die (u. a.) von den Betriebsanlagen ausgehen (Satz 2 Nr. 1).

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Gemäß § 5a Abs. 2 AEG können die Eisenbahnaufsichtsbehörden in Wahrnehmung ihrer Aufgaben gegenüber denjenigen, die durch die in § 5 Abs. 1 AEG genannten Vorschriften verpflichtet werden, die Maßnahmen treffen, die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und zur Verhütung künftiger Verstöße gegen die in § 5 Abs. 1 AEG genannten Vorschriften erforderlich sind.

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Hiervon ausgehend überwacht die Eisenbahnaufsichtsbehörde u. a. die Beachtung der Vorschriften des AEG (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AEG). Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 AEG müssen u. a. Eisenbahninfrastrukturen den Anforderungen der öffentlichen Sicherheit an den Betrieb genügen. Gemäß § 4 Abs. 3 S. 2 AEG sind Eisenbahnen zudem verpflichtet, die Eisenbahninfrastruktur in betriebssicherem Zustand zu halten. Die Eisenbahninfrastruktur umfasst die Betriebsanlagen der Eisenbahnen (§ 2 Abs. 3 AEG). Eisenbahn im vorgenannten Sinne und nach dem AEG Verpflichteter ist der Betreiber der Eisenbahninfrastruktur, das Eisenbahninfrastrukturunternehmen gemäß § 2 Abs. 1 AEG, vorliegend also die Klägerin.

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Die Gefahrenabwehraufgabe der Eisenbahnaufsichtsbehörde im Sinne des § 5a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AEG in Bezug auf Betriebsanlagen erfasst jede Abweichung des Ist-Zustandes von dem Soll-Zustand, den die in § 5 Abs. 1 AEG genannten Vorschriften normativ vorgegeben und bedeutet die Herstellung rechtmäßiger Zustände (vgl. Beck'scher AEG-Kommentar, 2. Aufl. 2014, § 5a Rn. 11).

14

Soweit sich die Zuständigkeit der Eisenbahnaufsichtsbehörde auf die Abwehr „eisenbahnspezifischer“ Gefahren bezieht, ist damit die Zugehörigkeit zur Gefahrenquelle - hier zu den Betriebsanlagen der Eisenbahninfrastruktur - gemeint, die sich wiederum nach ihrer eisenbahnspezifischen Funktion beurteilt und von dieser Betriebsanlage ausgehen (vgl. Beck'scher AEG-Kommentar, a. a. O., § 5a Rn. 14, 15). Das streitgegenständliche Straßenstück gehört - wie bereits ausgeführt - zu den Betriebsanlagen der Eisenbahnen (gemäß § 2 Abs. 3 AEG). Mit den Fahrbahnschäden geht eine Gefahr von dieser spezifischen Betriebsanlage aus, weil sie negativ vom normativen Soll-Zustand abweicht (vgl. § 2 Abs. 1 EBO); die Fahrbahn entspricht nicht den anerkannten Regeln der Technik. Die Beseitigung der Fahrbahnschäden kann daher zum Gegenstand einer Gefahrenabwehrmaßnahme der Eisenbahnaufsichtsbehörde im Sinne des § 5a Abs. 2 AEG gemacht werden.

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Anhaltspunkte dafür, dass sich die Beklagte bei dieser Sachlage neben dem eisenbahnrechtlichen Gefahrenabwehrrecht auf eine straßen- oder polizeirechtliche Parallelzuständigkeit und Eingriffsbefugnis berufen könnte, sind bislang nicht ersichtlich.


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