Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (1. Senat) - 1 O 88/18

Gründe

1

Die Beschwerde der Landeskasse gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Halle vom 10. Juli 2018 - 5 E 118/18 HAL -, über die nach Übertragung des Verfahrens wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 66 Abs. 6 Satz 2 GKG GKG der Senat zu entscheiden hat, ist zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstands 200 € übersteigt (§ 66 Abs. 2 Satz 1 GKG). Sie ist auch begründet, weil der Ansatz einer dreifachen Verfahrensgebühr gemäß Nr. 5110 KV GKG in den angegriffenen Kostenrechnungen nicht zu beanstanden ist.

2

Entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts sind die Voraussetzungen des Ermäßigungstatbestands der Nr. 5111 Nr. 1 lit. a) KV GKG nicht erfüllt. Es fehlt an der danach für die Gebührenermäßigung erforderlichen Zurücknahme der Klage „vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung“. Wie auch das Verwaltungsgericht zutreffend annimmt, hat der Kläger seine Klage mit Schriftsatz vom 1. August 2017 erst zu einem Zeitpunkt zurückgenommen, als die mündliche Verhandlung ausweislich der ausdrücklichen Erklärung des Einzelrichters im Termin vom 26. Juli 2017 nach Erörterung der Streitsache bereits geschlossen war. Weder hat das Gericht nachfolgend in Ausübung seines prozessualen Ermessens eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO beschlossen, noch lag es - wie der Kläger meint - in seiner Hand oder seinem Belieben, „zur endgültigen Erledigung des Rechtsstreits die Wirkungen der Schlusses der mündlichen Verhandlung von sich aus bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung auszudehnen.“ Vielmehr sieht § 104 Abs. 3 Satz 1 VwGO vor, dass der Vorsitzende nach Erörterung der Streitsache die mündliche Verhandlung für geschlossen erklärt. Das ist hier geschehen.

3

Der im Termin erteilte Hinweis des Einzelrichters, „dass bis einschließlich nächsten Mittwoch, den 2. August 2017 darum gebeten wird, schriftlich gegenüber dem Gericht mitzuteilen, ob an der Klage festgehalten wird oder die Klage zurückgenommen wird“, führt zu keiner abweichenden Beurteilung (vgl. hierzu OLG München, Beschlüsse vom 5. April 2000 - 11 W 1073/00 -, juris Rn. 4 ff., und vom 5. Februar 2015 - 11 W 158/15 -, juris Rn. 12, 15; ThürOLG, Beschluss vom 4. Dezember 2015 - 1 W 481/15 -, juris Rn. 5; BayLSG, Beschluss vom 14. Januar 2016 - L 15 SF 27/14 E -, juris Rn. 24 ff.; FG Nürnberg, Beschluss vom 10. Januar 2008 - 1 Ko 1583/2007 -, juris Rn. 7 ff.; VG Berlin, Beschluss vom 21. Mai 2012 - 35 KE 8.12, 23 K 383.10 -, juris Rn. 4 ff.). Soweit in dem angefochtenen Beschluss unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Thüringer Oberlandesgerichts (a. a. O.) ausgeführt wird, Nr. 5111 Nr. 1 lit. a) KV GKG gewähre die Gebührenermäßigung vor allem auch deshalb, weil sich durch die Klagerücknahme eine gerichtliche Entscheidung einschließlich deren schriftlicher Abfassung erübrige und damit staatliche Ressourcen zugunsten anderweitiger Verfahren geschont würden, und die Schaffung eines Anreizes zur Minimierung des verbleibenden richterlichen Arbeitsaufwands sei nach den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 15/1971 S. 159 f., 170) erklärtes Regelungsziel gewesen, rechtfertigt dies keine extensive teleologische Auslegung des Begriffs „vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung“. Denn auch wenn der Gesetzgeber erkennbar beabsichtigte, mit der Gebührenreduzierung dem geringeren richterlichen Arbeitsaufwand Rechnung zu tragen, hat er die insoweit zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten notwendige Typisierung dahingehend vorgenommen, dass er mit der Anknüpfung an den Schluss der mündlichen Verhandlung eine klare zeitliche Grenze vorgesehen hat. Über diese im Wortlaut eindeutig zum Ausdruck gekommene gesetzgeberische Entscheidung würde sich eine allein am Motiv der Norm ausgerichtete Betrachtungsweise hinwegsetzen. Hinzu kommt, dass im Einzelfall auch bei Einräumung einer Überlegungsfrist zur Klagerücknahme nicht nur gute (auch arbeitsökonomische) Gründe dafür sprechen können, unmittelbar im Anschluss an die mündliche Verhandlung mit der Absetzung der Entscheidung zu beginnen, sondern insbesondere auch die ungeachtet der Fristgewährung regelmäßig durchzuführende Urteilsberatung vielfach einen erheblichen Aufwand richterlicher Tätigkeit verursachen wird.

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Die Befugnis zur Korrektur des Wortlauts einer Vorschrift steht - wie das Bundesverwaltungsgericht wiederholt betont hat - den Gerichten nur begrenzt zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. März 2018 - 5 C 14.16 -, juris Rn. 24 m. w. N.). Jede Art der gesetzesimmanenten richterlichen Rechtsfortbildung setzt unabhängig von dem in Betracht kommenden methodischen Mittel - hier die teleologische Extension oder die Analogie - eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. März 2018, a. a. O. m. w. N.). Aus den dargelegten Gründen kann in Anwendung dieser rechtlichen Vorgaben nicht festgestellt werden, dass es der Gesetzgeber planwidrig unterlassen hat, den Anwendungsbereich der Nr. 5111 Nr. 1 lit. a) KV GKG auf Fallkonstellationen der hier zugrunde liegenden Art zu erstrecken.

5

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (vgl. § 66 Abs. 8 GKG).

6

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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