Beschluss vom Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken (Senat für Bußgeldsachen) - 1 SsBs 6/10, 1 Ss Bs 6/10
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Grünstadt vom 14.12.2009 wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
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1. Der Bußgeldrichter des Amtsgerichts Grünstadt hat den Betroffenen am 14. Dezember 2009 wegen einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit - Führen eines Kraftfahrzeugs mit mehr als 0,5 Promille (0,71 Promille) Alkohol im Blut - zu einer Geldbuße in Höhe von 500 € verurteilt und ein Fahrverbot von drei Monaten verhängt (§§ 24a Abs. 2 und 3 StVG, 25 Abs. 1 StVG). Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird. Beanstandet wird insbesondere die Verletzung des Richtervorbehalts gemäß § 81a Abs. 2 StPO sowie die damit verbundene Dokumentationspflicht über die Voraussetzungen der Annahme von Gefahr im Verzug durch den/ die anordnenden Polizeibeamten. Die am 20. Januar 2009 um 1:00 Uhr gewonnene Blutprobe unterliege wegen eines groben Organisationsmangels der Justizverwaltung einem Verwertungsverbot, da im Landgerichtsbezirk Frankenthal (Pfalz) kein richterlicher Bereitschaftsdienst zur Nachtzeit eingerichtet sei. Im Übrigen wird die allgemeine Sachrüge erhoben.
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2. Der Einzelrichter des Senats hat durch Beschluss vom 15.9.2010 gemäß § 80a OWiG das weitere Verfahren dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen. Zur Begründung ist in dem Beschluss ausgeführt:
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„Es ist geboten, das Urteil zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen (§ 80a OWiG); dies betrifft die Frage, ob die grundsätzlich fehlende Erreichbarkeit des diensthabenden Bereitschaftsrichters im Landgerichtsbezirk Frankenthal (Pfalz) zur Nachtzeit (21:00 Uhr bis 6:00 Uhr) zur Feststellung eines Fehlers bei der Beweiserhebung und ggf. zu einem Verwertungsverbot im Straf/ Bußgeldverfahren führt.“
II.
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Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die erhobene Verfahrensrüge und auch die erhobene Sachrüge erweisen sich als unbegründet.
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1. Nach Feststellungen des Amtsgerichts Grünstadt führte der Betroffene am 20. Januar 2009 gegen 23:25 Uhr im Stadtgebiet Grünstadt einen PKW. Die ihm am 21. Januar 2009 um 1:00 Uhr ohne richterliche Anordnung entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 0,71 Promille.
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Bereits in der Vergangenheit war der Betroffene straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getreten. Unter anderem wurde im Verfahren 5889 Js 34332/06 Staatsanwaltschaft Frankenthal (Pfalz) gegen ihn eine Geldbuße in Höhe von 150 € festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Der Betroffene hatte am 23. Juni 2006 mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,89 Promille einen Pkw geführt.
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2. Die Rüge, es sei vorliegend bei der Beweiserhebung im Ermittlungsverfahren gegen § 81a Abs. 2 StPO verstoßen worden, hat in der Sache keinen Erfolg. Es liegt weder ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt vor, noch wurden bei der konkreten Beweiserhebung Dokumentationspflichten in relevanter Weise verletzt. Im Übrigen würden Fehler der gerügten Art im Rahmen der Beweiserhebung nach § 81a StPO nicht zu einem Verwertungsverbot führen.
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a) Zwar müssen die Strafverfolgungsbehörden auch im Rahmen des einfachgesetzlichen Richtervorbehalts nach § 81a Abs. 2 StPO regelmäßig versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen (BVerfG Kammerbeschluss vom 12. Februar 2007, 2 BvR 273/06, juris Rn. 17). Es ist jedoch unschädlich, dass ein solcher Versuch vorliegend unterblieben ist, ist. Im Landgerichtsbezirk Frankenthal (Pfalz) ist der richterliche Bereitschaftsdienst derart geregelt, dass ein Richter, sei es der Ermittlungsrichter oder der Bereitschaftsrichter, zwischen 6:00 Uhr morgens und 21:00 Uhr abends erreichbar sein muss. Es liefe daher auf eine bloße Förmelei hinaus, würde man von den Ermittlungsbehörden in jedem konkreten Einzelfall die Überprüfung verlangen, ob ein Richter - entgegen den grundsätzlichen zeitlichen Vorgaben - ausnahmsweise doch in der Zeit zwischen 21:00 und 6:00 Uhr erreichbar ist. Die Erreichbarkeit des richterlichen Bereitschaftsdienstes ist den Ermittlungsbehörden bekannt und wird – gerichtsbekannt – entsprechend genutzt.
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b) Die Anordnung durch die Ermittlungsbeamten war wegen der Gefahr eines Beweismittelverlustes in Folge des natürlichen Alkoholabbaus im Körper des Betroffenen bis zur erneuten Erreichbarkeit des Bereitschaftsrichters am 21. Januar 2009 um 6:00 Uhr morgens gerechtfertigt, insoweit lag Gefahr im Verzug vor. Der drohende Beweismittelverlust ist vorliegend darin begründet, dass ein Zuwarten bis zur erneuten Erreichbarkeit des Bereitschaftsrichters um 6:00 Uhr morgens mit einer (weiteren) fünfstündigen Abbauphase verbunden gewesen wäre.
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c) Die Gründe für die Annahme von Gefahr im Verzug mussten auch nicht gesondert dokumentiert werden. Zwar muss die drohende Gefährdung des Untersuchungserfolgs grundsätzlich mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen sein müssen und in den Ermittlungsakten niederzulegen sind. Dies gilt allerdings nicht bei evidenter Dringlichkeit (BVerfG Kammerbeschluss vom 12. Februar 2007, 2 BvR 273/06, juris Rn. 17; Kammerbeschluss vom 28. Juli 2008, 2 BvR 784/08, juris Rn. 10). Ein schriftlicher Hinweis auf die im Falle eines Abwartens fünfstündige Abbauzeit in den Akten würde ebenfalls einer bloßen Förmelei gleichkommen.
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d) In der Regelung der Erreichbarkeit des Bereitschaftsdienstes im Landgerichtsbezirk Frankenthal (Pfalz) liegt auch kein Organisationsverschulden der Justizverwaltung, das einen Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO begründen könnte. Für die Anordnung von Durchsuchungen (§ 105 Abs. 1 StPO) müssen die Justizverwaltungen trotz der verfassungsrechtlichen Verpflichtung aus Art. 13 Abs. 2 GG, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters gegebenenfalls auch über die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes zu sichern, nicht stets auch zur Nachtzeit im Sinne von § 104 Abs. 3 StPO unabhängig vom konkreten Bedarf einen richterlichen Eildienst zur Verfügung stellen, sondern nur dann, wenn hierfür ein praktischer Bedarf besteht, der über den Ausnahmefall hinausgeht (BVerfG Kammerbeschluss vom 10. Dezember 2003, 2 BvR 1481/02, juris Rn. 13).
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Dieses am Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 Grundgesetz entwickelte Erfordernis lässt sich nach Ansicht des Senats allerdings nicht ohne weiteres auf den einfachgesetzlichen Richtervorbehalt nach § 81a Abs. 2 StPO übertragen (vgl. OLG Hamm vom 10. September 2009, 4 Ss 316/09, juris Rn. 6; a.A. OLG Hamm Urteil vom 18. August 2009, 3 Ss 293/08, juris Rn. 37; Beschluss vom 22. Dezember 2009, 3 Ss 497/09, juris Rn. 7).
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Die Gründe dafür, dass aus dem Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO nach Ansicht des Senats – unabhängig von der Anzahl der nächtlich auftretenden Fälle – keine Verpflichtung der Justizverwaltung erwächst, hierfür einen richterlichen Notdienst auch zur Nachtzeit einzurichten, liegen darin, dass der Eingriff nach § 81a StPO zum einen von relativ geringer Natur ist. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber durch die Regelung der - wenn auch nachrangigen - Anordnungskompetenz von Staatsanwaltschaft und Ermittlungsbehörden zu erkennen gegeben hat, dass er dem Richtervorbehalt nach § 81a Abs. 2 StPO aus objektiver Sicht eine geringere Bedeutung beigemessen hat. Beides spiegelt sich in der (nur) einfachgesetzlichen Ausgestaltung des Vorbehalts wieder. Der Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO dürfte insoweit nicht zum rechtsstaatlichen Mindeststandard zählen (BVerfG Kammerbeschluss vom 28. Juli 2008, 2 BvR 784/08, juris Rn. 12).
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Die fehlende Erreichbarkeit eines Richters bei Anordnung der Blutprobe berührte daher nicht den Rechtskreis des Betroffenen.
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e) Selbst wenn man - entgegen der Ansicht des Senats - einen Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO sehen würde, würde dieser Fehler bei der Beweiserhebung zu keinem Beweisverwertungsverbot führen. Hinsichtlich der Rechtslage zu einem Verwertungsverbot im Rahmen des § 81a StPO wird auf die Entscheidung des Senats vom 16. August 2010 (1 SsBs 2/10, JBl. RP 2010, 122) Bezug genommen. Gegenstand des dortigen Verfahrens war eine zur Tageszeit von einem Polizeibeamten wegen Gefahr im Verzug angeordnete Blutprobe. Der Senat erachtete zwar die Voraussetzungen der Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung (§ 81a Abs. 2 StPO) nicht als erfüllt, gelangte aber dennoch im Ergebnis nicht zur Annahme eines Verwertungsverbotes, weil nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere dem Gewicht des Eingriffs, dem damit verfolgten hochrangigen Interesse der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und dem zum Vorfallszeitpunkt gegebenen Stand der rechtlichen Diskussion um die Auslegung des § 81a Abs. 2 StPO kein grober, rechtsstaatlich unerträglicher und deshalb ein Verwertungsverbot fordernder Verstoß anzunehmen sei. Die dort aufgestellten Grundsätze gelten für den vorliegenden Fall erst Recht.
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3. Die vom Amtsgericht verhängte Rechtsfolge unterliegt keinen Bedenken. Der fehlerfrei festgestellte Sachverhalt erfüllt die Voraussetzungen des Tatbestandes der Lfd. Nr. 241.1 BKatV in seiner bis zum 31.Januar 2009 gültigen Fassung. Die ausgeurteilte Sanktion entspricht sowohl hinsichtlich der Höhe des Bußgeldes als auch hinsichtlich der Dauer des Fahrverbots dem zur Tatzeit gültigen Regelfall.
III.
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Der Senat erachtet es nicht für geboten, die Sache gemäß § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorzulegen. Zwar hält der 3. Strafsenat des OLG Hamm in seiner Entscheidung vom 22. Dezember 2009 (3 Ss 497/09) an seiner im Urteil vom 18. August 2008 (3 Ss 293/08) dargelegten Rechtsauffassung fest, dass die Anzahl der Ermittlungsmaßnahmen nach § 81a StPO den (verfassungsrechtlichen) Bedarf nach einem richterlichen Dienst zur Nachtzeit begründen kann. Erforderlich für eine Vorlage ist allerdings nicht nur eine in der Begründung, sondern eine auch im Ergebnis abweichende Entscheidung (BGH, Beschluss vom 14. Dezember 1999, 5 AR (VS) 2/99, NStZ 2000, 222). In dem Beschluss vom 22. Dezember 2009 nimmt der 3. Strafsenat des OLG Hamm in einem ähnlich gelagerten Fall, wie dem vorliegendem, zwar einen Verstoß gegen den Richtervorbehalt an, kommt aber ebenfalls zu dem Ergebnis, darin kein Beweisverwertungsverbot zu sehen.
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