Beschluss vom Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken (1. Strafsenat) - 1 OLG 1 Ss 36/16

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 3. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 10. Februar 2016 wird mit der Maßgabe kostenfällig als unbegründet verworfen, dass der Ausspruch über die Auflösung der Gesamtfreiheitsstrafe entfällt.

Gründe

I.

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Das Amtsgericht Pirmasens hat den Angeklagten wegen Erschleichens von Leistungen in 15 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt. Im Übrigen hat es ihn freigesprochen, soweit es um den Vorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge – Verkauf von mindestens 711 Gramm Amphetamin im April 2013 an den Zeugen … – ging. Die hiergegen gerichtete und im weiteren Verlauf auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hat dieser noch vor der Berufungshauptverhandlung zurückgenommen. Auf die gegen den freisprechenden Teil des amtsgerichtlichen Urteils gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht das Urteil aufgehoben und den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, unter Einbeziehung der der Verurteilung des Amtsgerichts zugrundeliegenden Einzelstrafen nach Auflösung der dort erkannten Gesamtfreiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten verurteilt.

II.

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Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten ist unbegründet.

3

1. Der Tenor des angefochtenen Urteils war zu berichtigen, da es der Auflösung der im amtsgerichtlichen Urteil erkannten Gesamtfreiheitsstrafe nicht bedurfte; sie war vielmehr noch Gegenstand des berufungsgerichtlichen Verfahrens. Nach Rücknahme der Berufung durch den Angeklagten und wirksam beschränkter Berufung der Staatsanwaltschaft auf den freisprechenden Teil des Urteils wurden lediglich die Einzelstrafen des verurteilenden Teils, nicht jedoch die Gesamtstrafe, rechtskräftig. Denn das Ziel des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft war auch, dass die Gesamtfreiheitsstrafe überprüft und erhöht wird (vgl. für den umgekehrten Fall OLG Oldenburg, Beschluss vom 31. Januar 1995 – 1 Ws 14/95, juris, Rn. 5).

4

2. Die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ergeben.

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3. Einzig der Erörterung bedarf die erhobene Verfahrensrüge. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

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In der Hauptverhandlung vom 10. Februar 2016 wurde der Zeuge KHK … als Ermittlungsperson aus dem Ermittlungsverfahren gegen den Zeugen … hinsichtlich der Vernehmung einer Vertrauensperson vernommen. Im Rahmen der Vernehmung verlas die Vorsitzende das Vernehmungsprotokoll des Zeugen KHK … vom 4. Juli 2013 auszugsweise. Einen Beschluss im Sinne des § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO fasste die Kammer nicht. Auch erklärten die Verfahrensbeteiligten nicht ihr Einverständnis mit der Verlesung. Im Folgenden wurde der Zeuge unvereidigt entlassen.

7

Die hiergegen zulässig erhobene Verfahrensrüge greift nicht durch. Der Beschwerdeführer rügt die Verlesung einer Vernehmungsniederschrift ohne vorherigen Gerichtsbeschluss im Sinne des § 251 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 S. 1 StPO; ein solcher war jedoch nicht erforderlich. Die Verlesung war, ergänzend zur Vernehmung des Zeugen KHK … – als Vernehmungsbeamten –, bereits nach den §§ 249, 250 StPO zulässig. Eines Rückgriffs auf § 251 StPO bedurfte es daher nicht.

8

§ 250 StPO verbietet nicht die vernehmungsergänzende Verlesung einer Vernehmungsniederschrift im Rahmen der Vernehmung des Vernehmungsbeamten (BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 – 4 StR 493/11, juris; LR-Sander/Cirener, § 250, Rn. 17). § 253 StPO ist bei der Vernehmung eines Vernehmungsbeamten nicht anwendbar (BGH, Urteil vom 11. November 1953 – 1 StR 465/52, NJW 1953, 115) und regelt nicht abschließend, wann Vernehmungsprotokolle verlesen werden dürfen (BGH, Beschluss vom 27. März 1990 – 1 StR 67/90, juris, Rn. 3; KK-Diemer, 7. Aufl., § 250, Rn. 2 m.w.N.; a.A. wohl BGH, Beschluss vom 19. März 2013 – 3 StR 26/13, juris, Rn. 2; vgl. zusammenfassend Mosbacher, NStZ 2014, 1 <4 ff.>). Ein Vernehmungsprotokoll wird von dem Vernehmungsbeamten gerade für das Verfahren als Berichtsurkunde gefertigt (BGHSt 1, 4 <8>). Der aus § 250 S. 2 StPO folgende Gedanke der bestmöglichen Sachaufklärung kann es erfordern, von dem Vernehmungsprotokoll als Beweismittel Gebrauch zu machen (Mosbacher, NStZ 2014, 1 <5>; BGH, Beschluss vom 29. August 2001 – 2 StR 266/01, juris, Rn. 10). Ob dies auch für Fälle gänzlich fehlender Erinnerung der Auskunftsperson bzw. des Vernehmungsbeamten gilt (dafür Mosbacher, NStZ 2014, 1 <5 f.>; dagegen BGH, Beschluss vom 19. März 2013 – 3 StR 26/13, juris, Rn. 2), kann vorliegend dahinstehen; denn der Beschwerdeführer trägt vor, der Zeuge KHK … als Vernehmungsbeamter habe zum Umfang des Drogenhandels des Zeugen … bekundet. Die §§ 253, 254 StPO regeln die Zulässigkeit vernehmungsergänzender Verlesungen nicht abschließend, sondern nur die Fälle echter Ersetzung der Vernehmung der Auskunfts- oder der Vernehmungsperson (LR-Mosbacher, 26. Aufl., § 253, Rn. 1; Kölbel, NStZ 2005, 220 <221>). Wird jedoch, wie hier, eine Vernehmungsperson zu ihren Wahrnehmungen bei einer früheren Vernehmung vernommen, ist bereits der Anwendungsbereich der §§ 253, 254 StPO nicht eröffnet (BGHSt 1, 337 <339 f.>).

9

Einen Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz (§ 250 StPO) rügt der Beschwerdeführer nicht.

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