Beschluss vom Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken (1. Strafsenat) - 1 Ws 383/17, 1 Ws 383/17 - 2 HEs 33/17

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Tenor

Eine Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft ist nicht veranlasst.

Gründe

1

Der Beschuldigte ist in diesem Ermittlungsverfahren am 14. Mai 2017 festgenommen worden. Das Ermittlungsverfahren wird wegen des Verdachts des bandenmäßigen und gewerbsmäßigen Betrugs (§ 263 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 StGB) geführt. Dem Beschuldigten wird zur Last gelegt, im Zusammenwirken mit E., E. und W. P. sowie M. A. H. und D. M. verschiedenen Personen gegenüber der Wahrheit zuwider die Vermittlung von Investoren in Aussicht gestellt und die Getäuschten dadurch zu Überweisungen auf Konten des Mitbeschuldigten E. P. veranlasst zu haben.

2

Am 15. Mai 2017 hat das Amtsgericht Kaiserslautern gegen den Beschuldigten Haftbefehl erlassen (9 Gs 226/17). Gegenstand des Haftbefehls ist eine entsprechende Schädigung des Zeugen O. S. um über 250.000 € im Zeitraum von September 2014 bis Oktober 2015.

3

Am 26. Oktober 2017 hat das Amtsgericht Kaiserslautern den Haftbefehl vom 15. Mai 2017 aufgehoben und einen neuen Haftbefehl erlassen (2a Gs 1267/17). Gegenstand des neuen Haftbefehls ist neben der Schädigung des Zeugen S. nunmehr auch die Schädigung des Zeugen H. B. über 107.000 € im selben Tatzeitraum. Gestützt wird der erweiterte Tatverdacht auf die staatsanwaltschaftliche Vernehmungen des Geschädigten B. und zweier weiterer Zeugen, die nach einem ersten telefonisch Hinweis vom 19. Juni 2017 am 28. Juni 2017 stattgefunden haben.

4

Am 15. Dezember 2017 hat das Amtsgericht Kaiserslautern auch den Haftbefehl vom 26. Oktober 2017 aufgehoben und wieder einen neuen Haftbefehl (2a Gs 1578/17) erlassen. Gegenstand dieses Haftbefehls ist nunmehr zusätzlich die Schädigung der Zeugen P. P. um 306.866,50 € und des Zeugen C. W. um 174.181,50 im Zeitraum zwischen September 2014 und Januar 2017. Der erweiterte Tatverdacht beruht auf einem Strafübernahmeersuchen der Kantonalen Staatsanwaltschaft Aarau, das bei der Staatsanwaltschaft Kaiserslautern am 13. November 2017 eingegangen ist.

5

Die Staatsanwaltschaft hält die Fortdauer der Untersuchungshaft über die Frist des § 121 Abs. 1 StPO hinaus für erforderlich. Sie hat deshalb die Akten durch Vermittlung der Generalstaatsanwaltschaft dem Senat am 7. November 2017 zur Entscheidung über den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft vorgelegt (§ 122 Abs. 1 StPO). Die letzten Schriftstücke in dieser Sache sind dem Senat am 21. Dezember 2017 vorgelegt worden. Dem Verteidiger ist auf seinen Antrag hin eine Frist zur Stellungnahme bis zum 6. Januar 2018 eingeräumt worden.

6

Eine Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft ist derzeit nicht veranlasst.

7

Die Frist des § 121 Abs. 1 StPO läuft erst am 12. Mai 2018 ab.

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Die besondere Haftprüfung ist gem. § 121 StPO nur dann durchzuführen, wenn die Untersuchungshaft wegen derselben Tat über 6 Monate hinaus aufrechterhalten werden soll.

9

Der Begriff „derselben Tat“ in § 121 Abs. 1 StPO kann nicht mit dem Tatbegriff des § 264 StPO oder dem des § 53 StGB gleichgesetzt werden (a.A. noch OLG Karlsruhe NJW 1966, 464). Der Schutzbereich des § 121 StPO darf nämlich nicht davon anhängen, wann die Staatsanwaltschaft wegen einer Tat einen Haftbefehl oder die Erweiterung eines bestehenden Haftbefehls beantragt (Stichwort: Reservehaltung von Tatvorwürfen; Schultheis, KK, StPO, § 121, Rn. 10). Dieselbe Tat im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO stellen deshalb auch die Taten des Beschuldigten dar, die zwar nicht im Haftbefehl enthalten sind, für die aber schon bei Haftbefehlserlass dringender Tatverdacht bestand und die deshalb in den Ursprungshaftbefehl hätten aufgenommen werden können, gleichgültig, ob sie Gegenstand desselben Verfahrens oder getrennter Verfahren sind.

10

Prozessual selbständige Taten, für die erst nach Erlass des Ursprungshaftbefehls dringender Tatverdacht entsteht, gehören dagegen nicht zu der Tat im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO (OLG Koblenz, Beschluss vom 17. September 2014, 2 Ws 486/14 H, Rn. 10; Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 02. Dezember 2008 - 1 Ws 674/08, Rn. 7; OLG Rostock, Beschluss vom 13. Juni 2013, 2 HEs 9/13 <5/13>, Rn. 9; OLG Celle, Beschluss vom 09. Februar 2012, 32 HEs 1/12, Rn. 21; a. A. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14. Februar 2003 - 1 HEs 41/03, alle juris). In diesen Fällen beruht die Beschränkung des Haftbefehls auf andere Taten nicht auf einer Entscheidung der Staatsanwaltschaft, sondern ist dem Stand der Ermittlungen geschuldet.

11

Dies gilt unabhängig davon, ob die Taten in einem oder getrennten Verfahren verfolgt werden, eine Verfahrensverbindung unmittelbar bevorsteht, nicht nur theoretisch möglich oder sachgerecht ist. An der im Beschluss vom 21. August 2007 (1 HPL 33/07) geäußerten abweichenden Auffassung hält der Senat nicht mehr fest. Für das Abstellen auf die Verfahrensidentität spricht zwar, dass sie den Beginn der Frist des § 121 StPO in allen Fällen eindeutig bestimmt; die Auffassung ist aber mit dem Wortlaut der Vorschrift, der auf die Untersuchungshaft wegen einer Tat und nicht auf die Untersuchungshaft einer Person abstellt, nicht vereinbar. Weiterhin wird sie bestimmten Verfahrensabläufen nicht gerecht, etwa dann, wenn der Beschuldigte nach Entlassung aus der Untersuchungshaft eine neue Straftat begeht (Schultheis a. a. O.; Summa NStZ 2002, 69, 70).

12

Nichts anderes kann für prozessual selbständige Taten gelten, die Teil einer Serie gleichgerichteter Taten sind und einem einheitlichen Lebensvorgang entspringen, der Gegenstand des bestehenden Haftbefehls ist und die Ermittlungsrichtung bestimmt hat (a.A. OLG Koblenz a. a. O.). In der praktischen Anwendung führt die Abgrenzung unter Verwendung des Begriffs des „einheitlichen Lebensvorganges“ zu Abgrenzungsproblemen zum herkömmlichen Tatbegriff und zu einem nicht mehr ausreichend vorhersehbaren Fristenlauf bei zunächst in der Gesamtheit nicht überschaubaren Fallkonstellationen. Nur der verfahrenstechnisch zuverlässig nachvollziehbare Zeitpunkt der Kenntnis der neuen Taten und die daraus folgende Erlassreife eines weiteren Haftbefehls ist ein tauglicher Maßstab für die Bestimmung der Tat im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO. Abgrenzungskriterium ist dann ausschließlich, ob die haftrelevanten Taten schon bekannt waren oder erst nach Erlass des Haftbefehls bekannt geworden sind (OLG Nürnberg, Beschluss vom 22. Juni 2016, 1 Ws 257/16 H, Rn. 9, juris).

13

Die Frist des § 121 Abs. 1 StPO beginnt mithin neu, wenn wegen einer prozessual selbständigen Tat, für die erst nach Erlass des Ursprungshaftbefehls dringender Tatverdacht entsteht, ein neuer Haftbefehl erlassen wird oder der Ursprungshaftbefehl erweitert wird. Dies gilt allerdings nur dann, wenn auch diese Tat allein die Anordnung von Untersuchungshaft rechtfertigt (OLG Celle a. a. O., Rn. 26). Für den Fristbeginn ist der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem sich der dringende Tatverdacht ergeben hat (OLG Celle a. a. O., Rn. 25).

14

Die Rechte des Beschuldigten sind auch bei dieser Auslegung der Vorschrift gewahrt. Er kann jederzeit sowohl gem. § 117 StPO Antrag auf Haftprüfung stellen als auch gem. § 304 Abs. 1 StPO Haftbeschwerde einlegen. Durch die gem. § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO zulässige weitere Haftbeschwerde kann er immer auch eine Überprüfung der Voraussetzungen der Untersuchungshaft durch das Oberlandesgericht erreichen. Der Beschleunigungsgrundsatz gilt im Übrigen unabhängig von dem Ablauf der Frist für die besondere Haftprüfung (Summa a. a. O., S. 74).

15

Bezogen auf den vorliegen Fall ergibt sich daraus Folgendes:

16

Bei den Taten zum Nachteil der Geschädigten P. und W. handelt es sich um prozessual selbstständige Taten. Diese sind durch Erlass des Haftbefehls vom 15. Dezember 2017 Grundlage für die Untersuchungshaft geworden. Der dringende Tatverdacht ist durch den Eingang des Strafübernahmeersuchens der Kantonalen Staatsanwaltschaft Aarau bei der Staatsanwaltschaft Kaiserslautern am 13. November 2017 entstanden. Damit läuft die Frist des § 121 Abs. 1 StPO hinsichtlich des neuen Haftbefehls zwar nicht erst ab dem Tag seines Erlasses, wohl aber erst ab 13. November 2017.

17

Im Hinblick auf den für Haftsachen geltenden Beschleunigungsgrundsatz wird vor dem 12. Mai 2018 Anklage zu erheben sein.

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