Urteil vom Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken (1. Strafsenat) - 1 OLG 2 Ss 17/18, 1 OLG 2 Ss 18/18

Tenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil der 6. (kleinen) Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 11. Dezember 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere (kleine) Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Die Strafrichterin des Amtsgerichts Bad Dürkheim hat die Angeklagten, bei denen es sich um Ehegatten handelt, des (gemeinschaftlich begangenen) unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen und diese jeweils zu Freiheitsstrafen von sechs Monaten mit Bewährungsaussetzung verurteilt. Auf die Berufungen der Angeklagten hat das Landgericht dieses Urteil aufgehoben und die Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Die Beschwerdeführerin beanstandet die den Freisprüchen zugrunde gelegte Beweiswürdigung als rechtsfehlerhaft.

2

Das Rechtsmittel ist begründet, weil die Beweiswürdigung der Strafkammer rechtlicher Prüfung nicht standhält.

II.

1.

3

Zu dem in der zugelassenen Anklage gegen beide Angeklagte erhobenen Vorwurf, in ihrer Wohnung unerlaubt Betäubungsmittel besessen zu haben, hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:

4

Anlässlich einer am 3. März 2015 aufgrund eines richterlichen Beschlusses durchgeführten Durchsuchung der von den Angeklagten bewohnten Wohnung wurde dort an verschiedenen Verwahrorten Marihuana aufgefunden. Und zwar:

5
· 13,2 g Marihuana in der Küche im Brotkasten,
6
· 12,1 g Marihuana in einer Plastikbox auf dem Küchentisch,
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· 0,5 g Marihuana/Tabak-Gemisch in einer Kokosschale auf dem Küchentisch,
8
· 0,5 g Marihuana in einer Holzschatulle auf dem Küchentisch,
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· 3,2 g Marihuana/Tabak-Gemisch in einer Kokosschale im Wohnzimmer.

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Daneben wurden im Wohnzimmer diverse Konsumgegenstände sichergestellt.

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Das Landgericht hat sich nicht von einem entsprechenden Besitzwillen der Angeklagten, die sich zu dem Tatvorwurf nicht eingelassen haben, überzeugen können. Denn es sei hinsichtlich beider Angeklagten nicht auszuschließen, dass diese lediglich den Konsum des jeweils anderen tolerierten, ohne dabei selbst einen entsprechenden Willen zum Besitz der Betäubungsmittel gehabt zu haben.

3.

12

Das Landgericht hat damit zwar im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend erkannt, dass Besitz i.S.v. § 29 BtMG nicht allein eine tatsächliche Zugriffsmöglichkeit verlangt, sondern in subjektiver Hinsicht zudem einen Besitzwillen erfordert. Insoweit reicht es grundsätzlich nicht aus, wenn ein Ehepartner die Lagerung und den Konsum von Betäubungsmitteln in der ehegemeinsamen Wohnung durch den anderen Ehepartner toleriert (vgl. BGH, Beschluss vom 15.09.1999 - 2 StR 373/99, StV 2000, 67; Beschluss vom 24.04.2013 - 2 StR 42/13, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 Besitz 7; OLG Celle, Beschluss vom 28.06.2000 - 33 Ss 28/00, StV 2000, 624).

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Die beweiswürdigenden Erwägungen des Landgerichts, aufgrund derer es einen Besitzwillen der Angeklagten als jeweils nicht nachgewiesen angesehen hat, lassen jedoch besorgen, dass es rechtsfehlerhaft zu strenge Anforderungen an die Überzeugungsbildung gelegt hat.

14

a) Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so hat dies das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Das Revisionsgericht prüft lediglich, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelsatzes, wenn sie lückenhaft, widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt, oder wenn, im Falle eines Freispruchs, an das Maß der zur Verurteilung erforderlichen Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 18.08.2009 - 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85 m.w.N.). Ein Rechtsfehler kann in einem solchen Fall insbesondere darin liegen, dass das Tatgericht nach den Feststellungen naheliegende Schlussfolgerungen nicht gezogen hat, ohne tragfähige Gründe anzuführen, die dieses Ergebnis stützen können. Denn es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten eines Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vorhanden sind (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 24.01.2008 - 5 StR 253/07, NStZ 2008, 575 m.w.N.; s.a.: Sander in LR-StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 112). Erkennt der Tatrichter auf Freispruch, obwohl nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muss er in seine Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich wesentlich gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten. Führt er zur Begründung seiner Zweifel an der Täterschaft eines Angeklagten dabei Schlussfolgerungen an, für die es nach der Beweisaufnahme entweder keine tatsächlichen Anhaltspunkte gibt, oder die (zwar nicht als denknotwendig ausgeschlossen, aber doch) als eher fern liegend zu betrachten sind, so muss im Rahmen der Gesamtwürdigung erkennbar werden, dass sich der Tatrichter dieser besonderen Konstellation bewusst ist (BGH, Urteile vom 13.02.1974 - 2 StR 552/73, BGHSt 25, 285, 286, vom 18.08.2009 - 1 StR 107/09, juris Rn. 22 und vom 23.02.2012 - 4 StR 602/11, juris Rn. 10).

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b) Diesen rechtlichen Maßstäben wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

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Das Landgericht hat sich rechtsfehlerhaft darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien isoliert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen. Es hat sich hingegen nicht erkennbar mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Belastungsindizien, die für sich genommen jeweils zum Beweis der Täterschaft nicht ausreichen mögen, in ihrer Gesamtheit die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung hätten begründen können (vgl. BGH, Urteile vom 24.06.2004 - 4 StR 15/04, wistra 2004, 432 und vom 11.08.2011 - 4 StR 191/11, juris Rn. 10, jew. m.w.N.). Bei der Prüfung wesentlicher einzelner Belastungsindizien legt das Landgericht zudem Annahmen als nicht ausschließbar zugrunde, für die sich in der Hauptverhandlung keine Anhaltspunkte ergeben haben:

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aa) So begegnet es bereits durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht den Freispruch maßgeblich auf die nicht ausschließbare Möglichkeit gestützt hat, einer der beiden Angeklagten könne den früher betriebenen Konsum vor dem Tatzeitpunkt aufgegeben und lediglich noch den Konsum des anderen toleriert haben. Denn nachvollziehbare Gründe für die Annahme einer solchen Sachverhaltsgestaltung, auf die sich die Angeklagten selbst nicht berufen haben, hat das Landgericht nicht benannt. Entsprechende Ausführungen wären aber aus Rechtsgründen erforderlich gewesen. Denn die vom Landgericht für nicht ausschließbar gehaltene Annahme liegt angesichts der in den Haaren der Angeklagten festgestellten Abbauprodukte, ihrem zumindest in der Vergangenheit betriebenen Konsum sowie der konkreten Auffindesituation der Betäubungsmittel zumindest nicht sonderlich nahe.

18

bb) Die Ausführungen des Landgerichts lassen zudem besorgen, dass es den Zweifelsgrundsatz fehlerhaft angewendet und die notwendige Gesamtwürdigung nicht vorgenommen hat.

19

(a) Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, diese jeweils einzeln abzuhandeln. Auf einzelne Verdachtsmomente, auf die sich der Indizienbeweis stützt, ist der Grundsatz "in dubio pro reo" nicht anzuwenden (Sander aaO. Rn. 114). Das einzelne Beweisanzeichen ist vielmehr mit allen anderen in eine Gesamtwürdigung einzustellen. Erst die Würdigung des gesamten Beweisstoffes entscheidet letztlich darüber, ob der Richter die Überzeugung von der Schuld eines Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt (BGH, Urteil vom 30.03.2004 - 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238, 239). Denn auch wenn keiner der Verdachtsmomente für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass diese in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln können (BGH, Urteil vom 26.05.1999 - 3 StR 110/99, NStZ-RR 2000, 45 [Ls]). Der Tatrichter ist dabei nicht gehalten, im Rahmen der Gesamtwürdigung der Beweise zugunsten des Angeklagten zu unterstellen, dass ein nicht eindeutig gegebenes Verdachtsmoment widerlegt sei. Steht die tatsächliche Grundlage eines Indizes fest, ist es in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, auch wenn es lediglich eine Wahrscheinlichkeit für den indizierten Vorgang begründen kann, ohne diesen bereits abschließend zu belegen (Sander aaO. Rn. 114). Erst wenn nach Vornahme der gebotenen Gesamtwürdigung der Beweisanzeichen und ihrer Aussagekraft - und damit nach abgeschlossener Beweiswürdigung (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 261 Rn. 26) - vernünftige Zweifel verbleiben, kommt der Grundsatz „in dubio pro reo“ zum Tragen. Dieser ist eine Entscheidungs-, keine Beweisregel (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.07.2007 - 2 BvR 496/07, NStZ-RR 2007, 381, 382; BGH, Urteile vom 16.08.2012 - 3 StR 180/12, juris Rn. 9 und vom 01.02.2017 - 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183, 184; Miebach in MüKo-StPO, 1. Aufl., § 261 Rn. 343).

20

(b) Dem werden die Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht. Die Strafkammer hat sich zwar ausführlich u.a. mit der Frage befasst, ob und in welchem Umfang die im Rahmen der Haaranalyse ermittelten Werte Rückschlüsse auf einen Konsum von Cannabis zulassen. Sie hat, gestützt auf die entsprechenden Ausführungen eines toxikologischen Sachverständigen, hierbei auch die Möglichkeit gesehen, dass das festgestellte Abbauprodukt über die Haarwurzel in die Haare gelangt ist und damit „natürlich einen Nachweis für Konsum darstellen kann“ (UA S. 9). Mit Blick auf eine nicht ausgeschlossene Exposition von außen, etwa im Rahmen eines Körperkontaktes der Eheleute, könne von der festgestellten THC-Carbonsäure im Haar „nicht automatisch auf den Konsum geschlossen“ werden; die Haaranalyse tauge bei Personen mit engem Körperkontakt „nicht als eindeutiges Beweismittel für Konsum“. Auch „die Auffindesituation und die einschlägigen Vorbelastungen“ könnten nach Ansicht des Landgerichts nicht zu einer anderen Beurteilung führen. Die im Rahmen der Durchsuchungsmaßnahme offenbar gewordene Kenntnis des Angeklagten X von den einzelnen Verwahrungsorten lasse den Schluss, dass es sich „zumindest bei ihm eindeutig um einen Konsumenten mit entsprechenden Besitzwillen handelte“, ebenfalls nicht zu.

21

(c) Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht die vorhandenen, für einen Besitzwillen der Angeklagten sprechenden Beweisanzeichen lediglich isoliert gewertet und - weil jeweils nicht zwingend - diesen nach dem Zweifelsgrundsatz keinen Beweiswert beigemessen hat. Eine Gesamtwürdigung der vorhandenen Beweisanzeichen unter Berücksichtigung ihrer Wahrscheinlichkeitsaussagen (vgl. Sander aaO. Rn. 114) nimmt das Landgericht hingegen nicht erkennbar vor.

22

Die Sache bedarf daher erneuter tatrichterlicher Betrachtung.

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