Beschluss vom Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken (1. Strafsenat) - 1 Ws 228/18, 2 Ws 172/18

Tenor

1. Dem Untergebrachten wird auf seinen Antrag hin und auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 24. Juli 2018 gewährt.

2. Die sofortige Beschwerde des Untergebrachten gegen vorgenannten Beschluss wird kostenfällig als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

1

Gegen den Beschwerdeführer ist mit Urteil des Amtsgerichts – Jugendschöffengericht – Speyer vom 18. Januar 2010 wegen 14 Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern, davon in zwei Fällen nur versucht, die Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB angeordnet worden. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts beging der zu den Tatzeitpunkten 16 bzw. 17 Jahre alte Beschwerdeführer die Taten zum Nachteil verschiedener Jungen und Mädchen aus seiner Nachbarschaft, die jeweils nicht älter als neun Jahre alt waren und die er zuvor in sein Zimmer gelockt hatte. Dabei führte er in einigen der Fälle Oral- oder Analverkehr bis zum Samenerguss an den Kindern aus. Das Amtsgericht ist davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Beschwerdeführers bei Begehung der Taten aufgrund einer leichten Intelligenzstörung infolge einer frühkindlichen Hirnschädigung im Sinne der §§ 20, 21 StGB erheblich vermindert gewesen war.

2

Mit Rechtskraft des Urteils am 18. Januar 2010 wurde der Beschwerdeführer zunächst in eine geschlossene sozialtherapeutische Station im Pfalzinstitut für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie Klingenmünster aufgenommen; seit 27. November 2014 wird die Maßregel ununterbrochen im Erwachsenenvollzug in der Klinik für Forensische Psychiatrie des Pfalzklinikums Klingenmünster vollstreckt. Diagnostisch geht die Unterbringungseinrichtung derzeit von einer leichten Intelligenzstörung (ICD10: F70.0) sowie einer Pädophilie (ICD10: F65.4) aus. Die Große Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Landau in der Pfalz hat zuletzt mit Beschluss vom 24. Juli 2018 die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers angeordnet. Gegen diesen, seinem Verteidiger am 6. August 2018 förmlich zugestellten Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit der durch den Verteidiger am 14. August 2018 eingelegten sofortigen Beschwerde. Zugleich beantragt er, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels zu gewähren.

II.

3

Dem Beschwerdeführer war auf seinen Antrag hin Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels zu gewähren. Er hat durch seinen Verteidiger einen Sachverhalt vorgetragen und glaubhaft gemacht, der sein Verschulden an der Säumnis ausschließt. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 473 Abs. 7 StPO.

III.

4

Das Rechtsmittel ist in der Sache jedoch nicht begründet.

1.

5

Die Gründe für die Fortdauer der Maßregel liegen aus den in der angefochtenen Entscheidung mitgeteilten Gründen weiterhin vor. Das Landgericht war nicht an der Verwertung des von ihm eingeholten externen Sachverständigengutachtens gehindert. Die Auswahl des Sachverständigen obliegt dem Gericht, so dass die Strafvollstreckungskammer im Rahmen einer Entscheidung über die Fortdauer der Maßregel grundsätzlich nicht verpflichtet ist, einen Sachverständigen auszuwählen, der dem Wunsch des Untergebrachten entspricht (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 24.11. 2017 – 2 Ws 333/17, juris Rn. 9). Die Strafvollstreckungskammer hat sachgerecht von der Beauftragung der vom Verteidiger vorgeschlagenen Sachverständigen Dr. S. abgesehen, weil eine zeitnahe Erstattung eines Gutachtens durch diese Sachverständige nicht sichergestellt werden konnte. Mit Blick auf die zum 1. Februar 2017 in Kraft getretene Bestimmung des § 463 Abs. 4 S. 3 StPO kam eine Beauftragung der vom Verteidiger im Schriftsatz vom 10. Januar 2018 hilfsweise vorgeschlagenen Sachverständigen Dr. S. von vornherein nicht in Betracht. Hierauf und darauf, dass stattdessen die Sachverständige Dr. Sch. in Betracht gezogen würde, ist der Verteidiger durch den Berichterstatter der Strafvollstreckungskammer unter Gewährung einer Frist zur Stellungnahme hingewiesen worden (vgl. die Verfügung vom 16.01.2018, Bl. 470 d.A.). Bedenken gegen die Auswahl dieser Sachverständigen hat weder der Beschwerdeführer persönlich noch sein Verteidiger gegenüber der Strafvollstreckungskammer vorgebracht. Anlass, im Hinblick auf den vom Verteidiger im Anhörungstermin vom 24. Juli 2018 beschriebenen „Ausrichtungswandel“ des Beschwerdeführers eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen einzuholen, bestand nicht. Denn die von ihm beschriebene Beziehung zu einer 18 Jahre alten Frau besteht erst seit wenigen Monaten, weshalb – worauf die Leiterin der Unterbringungseinrichtung zutreffend hingewiesen hat – die Frage, wie stabil diese Veränderung ist, auch durch eine Stellungnahme der externen Sachverständigen sich nicht hinreichend zuverlässig hätte aufklären lassen.

2.

6

a) Das Landgericht hat zutreffend die Verhältnismäßigkeit der weiteren Unterbringung des Beschwerdeführers bejaht. Der Beschwerdeführer hat nach den plausiblen Ausführungen der externen Sachverständigen noch keine Strategien erlernt, um seine devianten, da auf Kinder bezogenen sexuellen Fantasien hinreichend bekämpfen zu können. Im Gegenteil verwendet er diese als Stimulanz nach wie vor im Rahmen der Masturbation. Mit Blick auf die Vergesellschaftung der Devianz mit einer die Steuerungsfähigkeit zusätzlich beeinträchtigenden leichten geistigen Behinderung besteht daher ein sehr hohes Rückfallrisiko in Bezug auf die erneute Begehung von Taten des sexuellen Missbrauchs von Kindern, wobei – wie im Bereich der Anlasstaten – insbesondere die Ausführung von Geschlechtsverkehr und/oder beischlafähnlicher Handlungen zu erwarten ist, wodurch die Opfer schweren seelischen Schaden nehmen würden.

7

b) Die Überschreitung der Überprüfungsfrist von § 67e Abs. 2 StGB widerspricht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Entscheidungen, welche die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnen, nicht.

8

Die Vorschriften über die regelmäßige Überprüfung der weiteren Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67d Abs. 2 und Abs. 6, § 67e StGB) dienen der Wahrung des Übermaßverbotes bei der Beschränkung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Ihre Missachtung kann dieses Grundrecht verletzen, wenn es sich um eine nicht mehr vertretbare Fehlhaltung gegenüber dem das Grundrecht sichernden Verfahrensrecht handelt, die auf eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts schließen lässt (BVerfG, Beschluss vom 29.11.2011 – 2 BvR 1665/10, juris Rn. 12 und Beschluss vom 03.07.2017 – 2 BvR 1549/16, juris Rn. 21 jew. m.w.N.).

9

Die Entscheidung der Großen Strafvollstreckungskammer, nach mündlicher Anhörung des Untergebrachten und seines Verteidigers von einer Entscheidung zunächst abzusehen und nach dem Grundsatz bestmöglicher Sachaufklärung zur Schaffung einer breiteren Entscheidungsgrundlage ein externes Sachverständigengutachten einzuholen, ist zumindest vertretbar und im Lichte der vorgenannten verfassungsrechtlichen Grundsätze nicht zu beanstanden. Der Untergebrachte hat in seiner mündlichen Anhörung vom 28. November 2017 dieser Verfahrensweise auf Befragen ausdrücklich zugestimmt. Auch sein Verteidiger hat im Schriftsatz vom 12. Dezember 2017 keine grundsätzlichen Bedenken vorgebracht und lediglich zur Auswahl der zu bestellenden Sachverständigen Stellung genommen. Dass im Zeitpunkt der Anhörung des Untergebrachten und dem Erlass des Beschlusses über die Beauftragung einer externen Sachverständigen die Überprüfungsfrist bereits um wenige Wochen überschritten war, führt im Ergebnis zu keiner anderen Beurteilung. Der stellvertretende Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer hat mit Verfügung vom 20. September 2017 einen Anhörungstermin auf den 14. November 2017, dem letzten Tag der Überprüfungsfrist, bestimmt. Hierauf hat mit Schriftsatz vom 25. September 2017 der Pflichtverteidiger des Untergebrachten seine Verhinderung angezeigt und mitgeteilt, (lediglich) am 21. November 2017 und 28. November 2017 für einen Ersatztermin zur Verfügung stehen zu können. Vor diesem Hintergrund war die mit der Verlegung des Anhörungstermins verbundene kurzfristige Verzögerung vertretbar. Umstände, die es hätten geboten erscheinen lassen, ein externes Gutachten früher, spätestens im Zeitpunkt der Terminverfügung einzuholen, bestanden nicht. Die Fristenvorgabe des Gesetzes (§ 463 Abs. 4 S. 1 StPO in der bis 01.08.2018 geltenden Fassung [§ 13 EGStPO]) erforderte die Einholung eines externen Gutachtens zum Überprüfungszeitpunkt nicht. Nach der vom Senat eingeholten Auskunft des Berichterstatters der Strafvollstreckungskammer vom 6. November 2018 kam (erst) im Anhörungstermin eine Übereinkunft mit dem Untergebrachten und dem Verteidiger zustande, dass aus Gründen bestmöglicher Sachaufklärung und mit Blick auf die zum 1. August 2018 in Kraft tretende Neufassung des § 463 Abs. 4 S. 2 StPO eine vorgezogene externe Begutachtung erfolgen solle. Die Alternative einer unmittelbaren Entscheidung auf Basis der bisherigen Tatsachengrundlage wurde mit den Beteiligten erörtert und von diesen als nicht sachgerecht abgelehnt. Soweit der Verteidiger zuletzt darauf hingewiesen hat, dass er eine Beauftragung der Sachverständigen Dr. S. vorgeschlagen, die Kammer jedoch ohne Anhörung die Sachverständige Dr. Sch. beauftragt habe, wird dies vom Akteninhalt nicht gedeckt. Mit Verfügung vom 16. Januar 2018 hat der Berichterstatter der Strafvollstreckungskammer den Verteidiger darauf hingewiesen, dass eine Begutachtung durch die von diesem vorgeschlagenen Sachverständige, die bereits die vorangegangene externe Begutachtung durchgeführt hatte, mit Blick auf § 463 Abs. 4 S. 3 StPO nicht in Betracht komme und aufgrund ihrer Ortsnähe die Sachverständige Dr. Sch. in Betracht gezogen werde. Innerhalb der ihm hierzu (wiederholt) gesetzten Fristen hat sich der Verteidiger dazu nicht geäußert. Das Landgericht hat auch in der Folgezeit das Überprüfungsverfahren beschleunigt durchgeführt. Nach Eingang des Gutachtensauftrages hat die Sachverständige die Abgabe des schriftlichen Gutachtens innerhalb eines Zeitraums von ca. drei Monaten zugesagt. Das Gutachten ist unter dem 31. Mai 2018 erstellt worden und am 4. Juni 2018 beim Landgericht eingegangen. Der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer hat noch am selben Tag einen Anhörungstermin auf den 24. Juli 2018 bestimmt. Die zwischen der Terminverfügung und dem Anhörungstermin liegende Zeitspanne erscheint sachgerecht, da die Strafvollstreckungskammer das schriftliche Gutachten den Verfahrensbeteiligten und der Klinik noch bekannt zu geben und diesen in Vorbereitung der Anhörung Gelegenheit zur Stellungnahme sowie Anbringung evtl. Anträge einzuräumen hatte.

IV.

10

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

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