Beschluss vom Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken (1. Strafsenat) - 1 OLG 2 Ss 78/18

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts – Jugendschöffengericht – Frankenthal (Pfalz) vom 17. Oktober 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a. im Schuldspruch, soweit der Angeklagte wegen zweier Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz, davon in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, versuchter Nötigung und Körperverletzung, verurteilt ist (Taten vom 12. Februar 2018),

b. im Rechtsfolgeausspruch.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das Amtsgericht – Jugendschöffengericht - hat den zum Zeitpunkt der Taten 20 Jahre alten Angeklagten unter Anwendung von Jugendstrafrecht wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung sowie wegen zweier Fälle des Verstoßes gegen das GewaltschutzG, davon in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, versuchter Nötigung und Körperverletzung, schuldig gesprochen und die Entscheidung über die Verhängung von Jugendstrafe gem. § 27 JGG ausgesetzt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts.

2

Das als Sprungrevision gem. § 335 StPO i.V.m. § 55 JGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel führt zu dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.

1.

3

Soweit der Angeklagte den Schuldspruch wegen der Tat vom 4. Februar 2018 angreift, ist das Rechtsmittel unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO.

2.

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Die Urteilsgründe vermögen jedoch den Schuldspruch wegen zweier Verstöße gegen § 4 GewaltschutzG nicht zu tragen.

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a) Das Amtsgericht hat hierzu festgestellt:

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„Trotz der daraufhin erlassenen Gewaltschutzverfügung näherte er sich der Geschädigten am 12. Februar 2018 an ihrem Arbeitsplatz in der Zahnarztpraxis Dr. G. und folgte ihr in den Mitarbeiterbereich. Erst nach Aufforderung des Zahnarztes verließ er die Praxis.

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Am selben Tag, kurze Zeit später, erschien er erneut, nahm die Zeugin an den Haaren und zwang sie, bis zum Auto mit ihm zu gehen. Er drückte sie gegen ihren Willen in das Auto, um sie dazu zu bewegen, ihre Anzeige zurückzunehmen. Die Arbeitskollegen der Zeugin befreiten sie jedoch aus dem Fahrzeug. Die Geschädigte erlitt diverse Beulen und Schmerzen. Die Anzeige nahm sie nicht zurück.“

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b) Weitergehende Feststellungen zur materiellen Rechtmäßigkeit der Verfügung nach dem GewaltschutzG und zu deren Vollstreckbarkeit hat das Amtsgericht nicht getroffen. Solche wären aus Rechtsgründen jedoch erforderlich gewesen.

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Die Verurteilung nach § 4 S. 1 GewaltschutzG wegen einer Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 S. 1 GewaltschutzG setzt voraus, dass das Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandliche Voraussetzungen eigenständig feststellt; an die Entscheidung des Familiengerichts ist es insoweit nicht gebunden (BGH, Beschluss vom 28.11.2013 – 3 StR 40/13, NJW 2014, 1749). Ferner muss das Urteil Feststellungen zum Tatbestandsmerkmal einer „vollstreckbaren Ausfertigung“ enthalten. Diese setzt voraus, dass das durch Beschluss erlassene Kontaktverbot dem Angeklagten entweder wirksam zugestellt oder die Vollstreckbarkeit der ergangenen einstweiligen Anordnung angeordnet worden ist; die schlichte Kenntnis des Angeklagten vom Inhalt der Anordnung genügt hierbei nicht (BGH, Urteil vom 15.03.2007 – 5 StR 536/06, NJW 2007, 1605; Beschluss vom 10.05.2012 – 4 StR 122/12, NStZ 2013, 108, 109; Beschluss vom 03.02.2016 – 1 StR 578/15, NStZ-RR 2016, 155). Entsprechende Feststellungen lassen sich auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen.

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c) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet zudem die Annahme einer (vollendeten) Freiheitsberaubung i.S.v. § 239 StGB. Denn die Urteilsgründe belegen nicht, dass die Fortbewegungsfreiheit der Geschädigte aufgrund des gegen ihren Willen erfolgten Hineindrückens in ein Auto bereits vollständig aufgehoben gewesen war (vgl. hierzu: Wieck-Noodt in MüKo-StGB, 3. Aufl., § 239 Rn. 26). Der Senat kann auch der Feststellung, die Geschädigte sei durch eine Arbeitskollegin „befreit“ worden, nicht hinreichend sicher entnehmen, dass es ihr der Angeklagte durch äußere Vorrichtungen und/oder auf andere Weise unmöglich gemacht hat, das Fahrzeug zu verlassen (vgl. Fischer, StGB, 66. Aufl., § 239 Rn. 7 ff.).

3.

11

Die Rechtsfolgenentscheidung hält ebenfalls rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 14. Dezember 2018 hierzu zutreffend ausgeführt:

12

„Zwar ist zu beachten, dass die Entscheidung für eine der im Jugendgerichtsgesetz vorgesehenen Sanktionen und deren konkrete Bemessung Sache des Tatrichters ist. Nur er ist in der Lage, sich in der Hauptverhandlung einen umfassenden Eindruck von Tat und Täter zu verschaffen, um auf dieser Grundlage die wesentlichen be- und entlastenden Umstände festzustellen, zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Daher beschränkt sich die Überprüfung im Rahmen einer Revision allein auf Rechtsfehler und auf die Frage, ob der im Jugendstrafrecht vorrangige Erziehungsgedanke beachtet worden ist. Dazu hat das Tatgericht jedoch seine Zumessungserwägungen in einem Umfang darzulegen, die dem Revisionsgericht eine Überprüfung ermöglicht. Das Tatgericht muss sich mit der Biografie des Angeklagten auseinandersetzen und hat seine Taten im Zusammenhang mit seinen Lebensverhältnissen zu bewerten. Das Gericht hat die unter Berücksichtigung der Eingriffsintensität erforderlichen Rechtsfolgen zu begründen. Mit der Eingriffsintensität der angeordneten Rechtsfolgen steigen auch die Anforderungen an die Begründung, insbesondere, wenn die Voraussetzungen für die Aussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe gemäß § 27 JGG geprüft werden (OLG Celle, Beschl. vom 24.08.2016 - 2 Ss 94/16 - zit. nach beck-online).

13

Diesen Anforderungen genügt das Urteil des Amtsgerichts Frankenthal (Pfalz) nicht. Es erweist sich insoweit als lückenhaft. Zwar listet das Gericht einzelne Strafzumessungsgesichtspunkte auf. Es fehlt jedoch an einer Gesamtwürdigung. Eine Bewertung der Taten im Kontext zu den Lebensverhältnissen des Angeklagten findet nicht statt. Zudem wird nicht ersichtlich, ob der im Jugendstrafrecht vorherrschende Erziehungsgedanke bei der Urteilsfindung Berücksichtigung fand. Schließlich ist in der angefochtenen Entscheidung nicht beachtet, dass die Anwendung des § 27 JGG voraussetzt, dass schädliche Neigungen festgestellt werden, jedoch zweifelhaft bleibt, ob aufgrund deren Umfangs die Verhängung einer Jugendstrafe erforderlich ist (OLG Oldenburg, Urt. vom 13.12.2010 - 1 Ss 188/10 - zit. nach juris). Insoweit ist im Urteil ausgeführt, es könne nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob schädliche Neigungen vorliegen.“

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Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.

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