Beschluss vom Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken (4. Zivilsenat) - 4 U 3/21
Tenor
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union folgende Frage vorgelegt:
Ist Art. 18 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission vom 24. Juli 1995 über die Ausnahmeregelung gemäß Art. 14 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz, soweit unter den dort genannten Voraussetzungen ein Mindestschadensersatz in Höhe der vierfachen Lizenzgebühr verlangt werden kann, vereinbar mit der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (“Grundverordnung“), insbesondere mit Art. 94 Abs. 2 Satz 1 ?
Gründe
I.
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Die Parteien des Rechtsstreits streiten, soweit im zweiten Rechtszug noch von Interesse, um Schadensersatz nach dem Gemeinschaftssortenrecht wegen unerlaubten Nachbaus.
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Die Klägerin ist eine in Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung organisierte Vereinigung von Sortenschutzberechtigten; sie ist von diesen mit der Wahrnehmung ihrer Schutzrechte, insbesondere mit der Geltendmachung von Auskunfts- und Zahlungsansprüchen in eigenem Namen beauftragt worden.
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Der Beklagte ist Landwirt und wurde von der Klägerin in erster Instanz u.a. auf Auskunft über den von ihm betriebenen Nachbau bezüglich der nach Gemeinschaftsrecht geschützten Wintergerstensorte „K. M.“ in Anspruch genommen. Im Prozess erteilte der Beklagte erstmals zum Umfang der Aufbereitung des obengenannten Saatguts in den zurückliegenden Jahren wie folgt Auskunft:
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- Wirtschaftsjahr 2012/2013 24,50 Dezitonnen (dt = 100 kg)
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- Wirtschaftsjahr 2013/2014 26,00 dt
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- Wirtschaftsjahr 2014/2015 34,00 dt
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- Wirtschaftsjahr 2015/2016 45,40 dt
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Nachdem der Beklagte sodann die für das Wirtschaftsjahr 2015/2016 gemäß Art. 94 Abs. 1 der Grundverordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 als Schadensersatz (angemessene Vergütung) eingeklagte einfache übliche Lizenzgebühr (Z-Lizenzgebühr = 11,95 € pro dt), die für die Erzeugung in Lizenz zu zahlen wäre (vgl. EuGH, Urteil vom 9. Juni 2016 - C-481/14 Hansson/Jungpflanzen Grünewald GmbH, veröffentlicht in GRUR 2016, 1043), in Höhe von 537,75 € (11,95 € x 45 dt) bezahlt hatte, verlangte die Klägerin mit anwaltlichem Schriftsatz vom 26. November 2019 die Zahlung eines weitergehenden Schadensersatzes in Höhe von 2.151,-- € (vierfache pauschale Lizenzgebühr für die Wirtschaftsjahre 2013/2014 und 2014/2015 jeweils unter Anrechung der nachträglich gezahlten einfachen Lizenzgebühr in Höhe von 310,70 € und 406,30 € = 932,10 € und 1.218,90 €) und in Höhe von 1.613,25 € (vierfache pauschale Lizenzgebühr für das Wirtschaftsjahr 2015/2016 unter Anrechnung der einfachen Lizenzgebühr) gemäß Art. 94 Abs. 2 der Grundverordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 in Verbindung mit Art. 18 Abs. 2 der (Durchführungs-) Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission vom 24. Juli 1995.
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Der Beklagte hat erstinstanzlich die Berechtigung dieses weitergehenden Zahlungsbegehrens in Abrede gestellt
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Er hat die Ansicht vertreten, dass durch die Zahlung der einfachen Lizenzgebühr statt der Nachbaugebühr (Art. 5 Abs. 5 der (Durchführungs-)Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission vom 24. Juli 1995 in Verbindung mit der (Durchführungs-) Verordnung (EG) Nr. 2605/98 der Kommission vom 3. Dezember 1998) der durch sein unerlaubtes Verhalten bei dem Sortenrechtsinhaber eingetretene Schaden ausreichend kompensiert worden sei. Ein zusätzlicher pauschalierter „Strafschadensersatz“ sei mit der Rechtsprechung des EuGH nicht zu vereinbaren.
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Mit Schlussurteil vom 4. Dezember 2020 hat der Einzelrichter der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kaiserslautern den zuletzt gestellten Klageanträgen, mit Ausnahme eines Betrages in Höhe von 0,25 €, stattgegeben. Zur Begründung für die Zuerkennung von weiterem Schadensersatz wird in dem Urteil der eindeutige Wortlaut von Art. 18 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission vom 24. Juli 1995 angeführt.
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Dagegen richtet sich die verfahrensrechtlich nicht zu beanstandende Berufung des Beklagten, mit der er das Ziel der Abweisung der eingeklagten pauschalierten Schadensersatzbeträge nebst Zinsen weiterverfolgt.
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Der Beklagte vertritt den Standpunkt, dass Art. 18 Abs. 2 der (Durchführungs-) Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission vom 24. Juli 1995 nicht mit den Vorgaben in Art. 94 Abs. 2 der Grundverordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 vereinbar und deshalb von dem Gerichtshof der Europäischen Union für ungültig zu erklären sei. Denn Art. 94 Abs. 2 der Grundverordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 sei nicht so zu verstehen, dass er zu Gunsten des Sortenschutzinhabers die Festlegung eines pauschalierten Strafschadensersatzes, hier in Form einer vierfachen Lizenzgebühr, erlaube. Vielmehr müsse der Umfang des nach Art. 94 Abs. 2 Satz 1 der Grundverordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 zu zahlenden Schadensersatzes möglichst genau den Schäden entsprechen, die dem Inhaber des Sortenschutzrechts tatsächlich und sicher durch die Verletzung entstanden sind.
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Demgegenüber verteidigt die Klägerin die von ihr für zutreffend gehaltene Entscheidung des Landgerichts. Nach ihrer Rechtsauffassung verstößt Art. 18 Abs. 2 der (Durchführungs-) Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission vom 24. Juli 1995 nicht gegen die Vorgaben in Art. 94 Abs. 2 der Grundverordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 und steht die Norm auch in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union. Die Festlegung eines pauschalierten Mindestschadens in Höhe der vierfachen Lizenzgebühr für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial der geschützten Sorte stelle in Anbetracht der dafür vorausgesetzten wiederholt vorsätzlichen unerlaubten Verletzung der Rechte des Sortenschutzinhabers einen geboten und vernünftigen Interessenausgleich dar.
II.
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Der Senat setzt das bei ihm anhängige Berufungsverfahren aus und legt dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 AEUV die in der Beschlussformel unter II. formulierte Frage zur Vorabentscheidung vor.
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Die Entscheidung über die Berufung des Beklagten hängt nach der rechtlichen Bewertung durch das Berufungsgericht ausschließlich davon ab, ob Art. 18 Abs. 2 der (Durchführungs-) Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission vom 24. Juli 1995 gültig ist oder nicht.
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Die dort von der Kommission getroffene Bestimmung eines pauschalierten Mindestschadens in Höhe einer vierfachen Lizenzgebühr könnte gegen wesentliche Grundsätze von Art. 94 Abs. 2 Satz 1 Grundverordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 verstoßen und deshalb nichtig sein.
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Dafür lässt sich anführen, dass bereits Art. 94 Abs. 1 der Grundverordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 dem Ausgleich des vom Verletzer (nicht privilegierter Landwirt i.S.v. Art. 14 dieser Verordnung) gezogenen Vorteils dient, der einem Betrag in Höhe der einfachen Lizenzgebühr (angemessene Vergütung) entspricht. In diesem Kontext könnte Art. 94 Abs. 2 Satz 1 der Grundverordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27.Juli 1994 dahingehend zu verstehen sein, dass der Sortenschutzinhaber im Fall eines vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstoßes einen Anspruch auf Ersatz eines weitergehenden Schadens (nur) haben soll, wenn er diesen konkret darlegen kann.
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Nach Dafürhalten des vorlegenden Gerichts deutet die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union darauf hin, dass mit Art. 94 Abs. 2 Satz 1 der Grundverordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27.Juli 1994 eine normative Pauschalierung eines Mindestschadens - entgegen der in Art. 18 Abs. 2 der (Durchführungs-) Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission vom 24. Juli 1995 getroffenen Regelung - nicht zu vereinbaren ist (vgl. EuGH, Urteil vom 9. Juni 2016 - C - 481/14, Hansson/Jungpflanzen Grünewald GmbH, veröffentlicht u.a. in GRUR 2016, 1043, Rdnrn. 32-34; EuGH, Urteil vom 5. Juli 2012 - C - 509/10, Saatgut/Geistbeck, veröffentlicht u.a. in GRUR 2012, 1013, Rdnr. 39).
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Daher stellt sich die in Ziffer II. der Beschlussformel formulierte Frage, deren Beantwortung dem Gerichtshof der Europäischen Union vorbehalten ist. Denn eine Durchführungsverordnung, die aufgrund einer Ermächtigung in einer Grundverordnung erlassen wurde, darf von deren Bestimmungen nicht abweichen und ist bei entsprechendem Widerspruch für ungültig zu erklären (vgl. Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 2. März 1999, C-179/97, Königreich Spanien gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften).
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Referenzen
- 2014 und 2014/20 1x (nicht zugeordnet)