Urteil vom Sozialgericht Aachen - S 8 AL 36/03
Tenor
Der Bescheid vom 12.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2003 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, Arbeitslosenhilfe nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten des Klägers zu erstatten.
1
Tatbestand:
2Der am 00.00.0000 geborene Kläger bezog bis zum 22.10.2002 Arbeitslosengeld. Für die Zeit danach beantragte er Arbeitslosenhilfe. Der Kläger ist mit seinem Bruder in Erbengemeinschaft Eigentümer einer Wohn- und Gebäudefläche in der Lstraße 00 (City-Gebiet) in B. Das Grundstück ist mit einem bedingten Nießbrauchrecht für die Witwe des Erblassers I1, I2 belastet. Der Erblasser hat der Witwe im Wege des Vermächtnisses den lebenslänglichen Nießbrauch an dem gesamten Nachlassvermögen mit der Maßgabe eingeräumt, dass dieses Nießbrauchsrecht vorzeitig bei einer Wiederverheiratung der Witwe endet. In der Eintragungsbewilligung ist der Verkehrswert des Grundbesitzes mit 500.000,00 DM angegeben. Neben diesem Vermögen hat der Kläger ein Barvermögen von 700,00 EUR, einen Anspruch aus Girokonto in Höhe von 1.828,10 EUR, aus einem Sparbuch in Höhe von 1.168,48 EUR und aus einer Lebensversicherung in Höhe von 3.614,73 EUR. Zudem besteht ein Lebensversicherungsvertrag bei der Concordia Versicherungsgruppe, die bei einer Einzahlung bis zum 01.12.2002 in Höhe von 13.860,00 DM eine Rückvergütung in Höhe von 7.069,80 DM vorsieht.
3Mit Bescheid vom 12.11.2002 lehnte die Beklagte den Antrag auf Arbeitslosenhilfe ab. Der Kläger verfüge über ein Vermögen in Höhe von 135.134,28 EUR, das verwertbar und dessen Verwertung zumutbar sei. Unter Berücksichtigung eines Freibetrages in Höhe von 23.920,00 EUR verblieben 111.214,28 EUR.
4Im Widerspruchsverfahren meinte der Kläger, das Haus gehöre einer Erbengemeinschaft und sei allein deshalb nicht verwertbar. Aufgrund der Belastung mit dem Nießbrauch sei es außerdem nicht möglich, das Haus zu verkaufen.
5Aufgrund einer Nachfrage durch die Beklagte teilte die Stadt B mit, dass der Verkehrswert nach einer durchgeführten Wertermittlung abzüglich des Nießbrauchrechts ca. 240.000,00 EUR betrage.
6Mit Bescheid vom 16.04.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Anteil des Klägers an dem Haus- und Grundbesitz sei durch Verkauf bzw. durch Beleihung verwertbar, dies sei jedenfalls im Rahmen einer Erbauseinandersetzung möglich. Dass die Mutter des Klägers lebenslangen Nießbrauch an dem Objekt habe, mindere zwar den Wert des Objektes, diese Belastung als Bestandteil des Vermögens stelle jedoch kein Hinderungsgrund dar, das Vermögen zu veräußern oder zu beleihen und den entsprechenden Markt- bzw. Beleihungswert zu erzielen.
7Hiergegen richtet sich die am 22.04.2003 erhobene Klage. Der Kläger hat ergänzend erläutert, dass sich in dem Haus Lstraße 00 ein Geschäftslokal sowie vier Wohnungen befinden. In dem Geschäftslokal hat der Bruder ein kleines Jagd- und Waffengeschäft. Drei Wohnungen sind vermietet, in einer Wohnung wohnt die Mutter. Die Mieten werden an die Mutter gezahlt. Bei dem Nießbrauchrecht handelt es sich nicht nur um ein dingliches Wohnrecht sondern um einen umfänglichen Nießbrauch, der sich auf die gesamten Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung bezieht. Die Mutter hat auch für den Unterhalt des Hauses zu sorgen.
8Der Kläger meint, hieraus ergebe sich die Unverwertbarkeit des Vermögens. Er beantragt,
9den Bescheid vom 12.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Arbeitslosenhilfe nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie verweist auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung.
13Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
14Entscheidungsgründe:
15Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Kläger hat einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe.
16Die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 190 Abs. 1 Nr. 1 - 4 SGB III liegen vor, denn der arbeitslos gemeldete Kläger hat nach dem Bezug von Arbeitslosengeld keinen Anspruch auf diese Leistung mehr. Der Kläger ist auch bedürftig im Sinne des § 190 Abs. 1 Nr. 5 SGB III. Bedürftig ist gemäß § 193 Abs. 1 SGB III ein Arbeitsloser, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreitet oder bestreiten kann und das zu berücksichtigende Einkommen die Arbeitslosenhilfe nicht erreicht. Nicht bedrüftig ist gemäß § 193 Abs. 2 SGB III ein Arbeitsloser, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen, das Vermögen seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners oder das Vermögen einer Person, die mit dem Arbeitslosen im eheähnlicher Gemeinschaft lebt, die Erbringung von Arbeitslosenhilfe nicht gerechtfertigt ist.
17Der Kläger hat kein im Sinne dieser Vorschrift zu berücksichtigendes Vermögen.
18Die Bestimmung des Vermögens richtet sich nach der gemäß § 206 Nr. 1 SGB III erlassenen Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiV).
19Da der Kläger einen im Jahre 2002 entstandenen Anspruch erhebt gelten bis zum 31.12.2002 die Vorschriften der AlhiV 2002 weiter, ab dem 01.1.2003 gilt dies auch für den Freibetrag gemäß § 1 Abs. 2 AlhiV (§ 4 Abs. 2 AlhiV 2002 i.d.F. ab 01.01.2003).
20Das Hausgrundstück gehört nicht zum berücksichtigenden Vermögen. Gemäß § 1 Abs. 1 AlhiV ist lediglich das verwertbare Vermögen des Arbeitslosen zu berücksichtigen.
21Das Hausgrundstück ist nicht verwertbar.
22Entgegen der Meinung des Klägers steht die Tatsache, dass er lediglich in Erbengemeinschaft Inhaber des Grundstücks ist, der Verwertung allerdings nicht entgegen. Denn gemäß § 2033 Abs. 1 S. 1 BGB kann jeder Miterbe über sein Anteil an dem Nachlaß verfügen. Damit steht ein Nachlassanteil der wirtschaftlichen Verwertbarkeit zur Verfügung.
23Auch die Tatsache, dass das Hausgrundstück mit einem Nießbrauch belastet ist, ist rechtlich kein Verwertungshindernis. Gemäß § 1030 Abs. 1 BGB handelt es sich bei dem Nießbrauch um ein dingliches Recht, dass zwar den wirtschaftlichen Wert des Grundstückes mindert, einer Verfügung über das Grundstück jedoch nicht entgegen steht.
24Indes ist trotz dieser rechtlichen Verwertbarkeit der Anteil des Klägers an der Erbengemeinschaft aufgrund des Nießbrauchrechts der Mutter derzeit wirtschaftlich wertlos. Bei dem der Mutter eingeräumten dinglichen Nießbrauchsrecht handelt es sich nicht lediglich um ein Wohnrecht, sondern die Mutter ist berechtigt, die gesamten Früchte aus dem Grundstück zu ziehen. Ihr stehen ein Wohnrecht und die Ansprüche aus dem Mietverhältnissen zu. Es gäbe für einen Käufer keinerlei nachvollziehbares Interesse, den Erbanteil des Klägers derzeit zu erwerben, weil er keinerlei Gegenleistungen zu erwarten hätte. Der rechtliche Anteil des Klägers an der Erbengemeinschaft erstarkt erst dann zu einem wirtschaftlichen Vorteil, wenn das Nießbrauchsrecht der Mutter durch deren Tod oder deren Wiederverheiratung endet. Allein die statistische Lebenserwartung der 76jährigen Mutter ist so hoch, dass nach Überzeugung der Kammer kein Käufer bereit wäre, bereits jetzt ein Zahlung für den Erbanteil des Klägers zu leisten.
25Die übrigen Vermögenswerte des Klägers erreichen den Freibetrag gemäß § 1 Abs. 2 AlhiV 2002 in Höhe von 23.920,00 EUR nicht, so dass der Kläger insgesamt kein verwertbares Vermögen hat.
26Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.