Beschluss vom Sozialgericht Aachen - S 9 AS 7/05 ER
Tenor
1.Es werden im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet: a)die Antragsgegnerin zu 1), darlehnsweise die von den Antragstellern zu erbringende Heiz-/Stromkostenvorauszahlung von 300,- EUR zu übernehmen und an den Gläubiger unmittelbar auszuzahlen. b)der Antragsgegner zu 2), darlehnsweise die Stromkostennachzahlung der Antragsteller in Höhe von 927,13 EUR zu übernehmen und diesen Betrag an den Gläubiger unmittelbar auszuzahlen. 2.Der weitergehende Antrag wird abgelehnt. 3.Die Antragsgegner tragen die Kosten der Antragsteller als Gesamtschuldner. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
1
Gründe:
2I.
3Die Antragsteller stehen im laufenden Bezug von Arbeitslosengeld II. Aufgrund von Stromkostenrückständen in Höhe von 927,13 EUR hat der Energielieferant (T) am 21.02.2005 sowohl den Strom, als auch das Gas, das zum Heizen der Wohnung benötigt wird, abgestellt. Die T teilte den Antraggegnern mit, dass erst dann wieder Energie geliefert werde, wenn sowohl die rückständige Forderung beglichen, als auch Sicherheit in Höhe von 300,- EUR geleistet worden sei.
4Die Antragsteller, die derzeit mittellos sind, und bei denen wegen der Nachforderung inzwischen vollstreckt wird, wandten sich zunächst an die Antragsgegnerin zu 1), die den Antrag auf Übernahme des Stromrückstandes und der Sicherheitszahlung ablehnte (Bescheid vom 23.02.2005), da derartige Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) nicht vorgesehen seien. Die Antragsteller sprachen daraufhin bei dem Antragsgegner zu 2) vor, der angegeben habe, nicht sofort entscheiden zu können, weil intern zunächst die Zuständigkeit zu klären sei. Die Antragsteller tragen vor, wegen der Dringlichkeit der Situation seien sie nicht in der Lage, auf die Bescheidung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin zu 1) zu warten. Die Wohnung sei inzwischen total ausgekühlt, dort zu übernachten sei ohne Gesundheitsgefährdung insbesondere für die 2003 geborene Antragstellerin zu 3) nicht möglich.
5Die Antragsteller beantragen,
6die Antragsgegnerin zu 1), für den Fall, dass diese nicht zuständig ist, hilfsweise, den Antragsgegner zu 2) zu verpflichten, den Stromkostenrückstand in Höhe von 927,13 EUR und die Sicherheitsleistung in Höhe von 300,- EUR (zumindest als Vorschuss) zu übernehmen.
7Die Antragsgegnerin zu 1) beantragt sinngemäß,
8den Antrag abzulehnen,
9da sie nicht zuständig sei. Offensichtlich bestehe wegen der Unterbindung der Energiezufuhr eine Notlage, da der Lebensunterhalt nicht mehr vollständig gesichert sei. Soweit es um Leistungen für die Vergangenheit gehe, seien diese jedoch nach § 5 Abs. 2 Satz 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II), 34 SGB XII grundsätzlich vom Antragsgegner zu 2) zu tragen.
10Der Antragsgegner zu 2) beantragt telefonisch,
11den Antrag abzulehnen,
12da die rückständigen Stromkosten im Rahmen ihrer Leistungspflicht nach § 23 Abs. 1 SGB II von der Antragsgegnerin zu 1) zu tragen seien.
13II.
14Der zulässige Hauptantrag ist wegen z. T. fehlender sachlicher Zuständigkeit der Antragsgegnerin zu 1) nur teilweise begründet, insoweit dringt der Hilfsantrag durch.
15Einstweilige Anordnungen sind zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S 2 des Sozialgerichtsgesetzes SGG-). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gegeben.
16Es besteht nach der im Eilverfahren nur möglichen und gebotenen kursorischen Prüfung der Sach- und Rechtslage Anspruch auf die beantragten Leistungen, wobei auch die angegangenen Leistungsträger dies dem Grunde nach nicht abstreiten, sondern nur auf die Zuständigkeit des jeweils anderen verweisen.
17Obwohl es sich demnach um einen sog. negativen Kompetenzkonflikt handelt (zwei Leistungsträger verneinen ihre Zuständigkeit, obwohl unstreitig einer von ihnen leisten muss), ist kein Fall des § 43 Abs. 1 SGB I (Zuständigkeit des zuerst angegangenen Leistungsträgers) gegeben, da hier die Zuständigkeit auch im Eilverfahren eindeutig geklärt werden kann und die Antragsteller hilfsweise für den Fall der Unzuständigkeit der Antragsgegnerin zu 1) auch die Verpflichtung des Antragsgegners zu 2) begehren.
18Hinsichtlich der Stromkostennachzahlung folgt der Anordnungsanspruch aus § 34 SGB XII und richtet sich ausschließlich gegen den Antragsgegner zu 2). Bei Leistungen für zurückliegende Zeiträume und bereits verbrauchten Strom handelt es sich um Ausgleich von Schulden. Schulden können nur nach § 34 SGB XII übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder der Behebung einer vergleichbaren Notlage dient. Eine vergleichbare Notlage liegt vor, denn die Unterkunft der mittellosen Antragsteller ist ohne Strom und ungeheizt nicht nutzbar.
19Anders, als die Antragsgegnerin zu 2) meint, besteht kein Anspruch nach dem SGB II, den dann die Antragsgegnerin zu 1) zu erfüllen hätte. Die Übernahme von Schulden ist dort nicht vorgesehen. Insbesondere kommt auch § 23 Abs. 1 SGB II als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf erbracht werden. Diese Voraussetzungen sind aber hier nicht erfüllt, denn der geltend gemachte Bedarf ist nicht von den Regelleistungen umfasst. Die Regelleistungen definiert § 20 Abs. 1 SGB II, nach dessen Satz 2 die in § 5 Abs. 2 S 2 SGB II genannten Leistungen nicht Regelleistungen sind, also gerade die nach § 34 SGB XII zu übernehmenden Schulden.
20Da Anspruchsgrundlage § 34 SGB XII ist, richtet sich also der Anspruch nicht gegen die Antragsgegnerin zu 1). Zwar schließt § 5 Abs. 2 S. 1 SGB II grundsätzlich aus, dass neben der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) Sozialhilfe (SGB XII) bezogen werden kann. Jedoch gilt auch dies ausdrücklich nicht für Leistungen nach § 34 SGB XII, soweit sie nicht, was hier nicht in Betracht kommt, nach § 22 Abs. 5 SGB II zu übernehmen sind (§ 5 Abs. 2 S 2 SGB II).
21Anders verhält es sich mit der von der T zur Lieferungsvorbedingung für Gas und Strom gemachten Kaution von 300,- EUR. Insoweit wird der Widerspruch der Antragsteller voraussichtlich Erfolg haben. Für diesen Betrag hat die T noch keine Leistungen erbracht, es sind demnach keine Schulden. Es handelt sich auch nicht um eine einer Mietkaution vergleichbare Leistung, denn sie dient nicht der Sicherung zB von Schadenersatzansprüchen aus nicht vertragsgemäßer Nutzung, sondern lediglich der Absicherung der Zahlungsforderung des Versorgungsunternehmens. Sie wird deshalb auch bei Vertragsende auf die letzte Abschlusszahlung anzurechnen sein, so dass sie als Vorauszahlung auf Strom (Regelleistung nach § 20 Abs. 1 S 1 SGB II) und/oder Gas (Heizkosten nach § 22 SGB II) angesehen werden kann. Es ist nicht vorgetragen, welcher Anteil auf Strom- und welcher auf Heizkosten entfällt. Dies kann aber zunächst auch offen bleiben, denn in beiden Fällen wären von der Antragsgegnerin zu 1) Grundsicherungsleistungen zu erbringen, entweder nach § 22 Abs. 1 SGB II in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen oder im Rahmen des § 23 Abs. 1 S 1 SGB II als grundsätzlich von den Regelleistungen umfasster unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts.
22Ein Anordnungsgrund ist hinreichend glaubhaft gemacht. Der Bedarfsgemeinschaft gehört ein 2003 geborenes Kind an, dem ohne Heizung, Strom und warmes Wasser gesundheitliche Schäden drohen. Ein Ausweichquartier steht nicht für längere Zeit zur Verfügung. Das Ergebnis der Hauptsacheentscheidung im Widerspruchsverfahren kann nicht abgewartet werden und wird nicht vorweggenommen, da die Bewilligung zunächst nur darlehnsweise erfolgt und also rückabgewickelt werden kann. Die Entscheidung, ob und inwieweit Leistungen als Beihilfe zu erbringen sind, bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
23Die Kostenentscheidung folgt §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt, dass die Antragsteller materiell voll obsiegt haben.
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