Urteil vom Sozialgericht Aachen - S 9 AL 18/04
Tenor
1. Die Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 21.10./25.10.2004 verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld ohne die Kürzung nach § 140 SGB III zu bewilligen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten.
1
Tatbestand:
2Streitig ist eine Kürzung des Arbeitslosengeldes (Alg) wegen verspäteter Arbeitslosmeldung.
3Der Kläger stand bis zu einer Arbeitsaufnahme am 03.04.2003 im laufenden Leistungsbezug bei der Beklagten. Am 20.09.2004 meldete er sich erneut arbeitslos, wobei der Arbeitgeber Firma B. D und Z. D H in der Arbeitsbescheinigung vom 15.10.2004 angab, der Arbeitsvertrag sei von vornherein bis zum 08.10.2004 befristet gewesen. Beigefügt war eine Mitteilung des Arbeitgebers an den Kläger vom 17.09.2004, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der Befristung am 08.10. ohne gesonderte Kündigung enden werde, weil die aktuelle Auftragslage eine Vertragsverlängerung leider nicht zulasse und dass dem Kläger empfohlen werde, sich unverzüglich mit dem Arbeitsamt in Verbindung zu setzen, um nicht eventuelle Fristen und Leistungen zu verpassen. Mit Bescheiden vom 21.10./25.10.2004 bewilligte die Beklagte Alg unter Berücksichtigung einer Kürzung nach § 140 SGB III um 1.050,- EUR, weil dem Kläger seit dem 08.10.2003 das Ende seines Versicherungspflichtverhältnisses am 08.10.2004 bekannt gewesen sei und er sich nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, 3 Monate vor Ablauf der Befristung bei der Beklagten arbeitsuchend gemeldet habe.
4Seinen Widerspruch hiergegen begründete der Kläger damit, er habe mehrfach die mündliche Zusage erhalten, dass er weiterbeschäftigt werde. Da jedoch mehrere Aufträge storniert worden seien, habe die Firma diese Zusage nicht einhalten können. Er habe dann erst durch den Brief vom 17.09. erfahren, dass das Arbeitsverhältnis zum 08.10.2004 tatsächlich enden werde und sich am nächsten dienstbereiten Tag der Beklagten, am Montag den 20.09.2004 arbeitslos gemeldet. Er fügte eine Bestätigung des Arbeitgebers vom 02.11.2004 bei, wonach aufgrund seiner Leistungsbereitschaft eine Festeinstellung über den 08.10.2004 hinaus vorgesehen gewesen sei, aber nicht realisiert werden konnte. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Bescheid vom 19.11.2004).
5Mit der hiergegen gerichteten Klage wiederholt der Kläger im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und weist darauf hin, dass er seit dem 13.12.2004 wieder beim gleichen Arbeitgeber befristet beschäftigt sei.
6Der Kläger beantragt,
7die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 21.10./25.10.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2004 zu verurteilen, dass Arbeitslosengeld des Klägers ohne Kürzung nach § 140 SGB III auszuzahlen.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Die Beklagte bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.
11Entscheidungsgründe:
12Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, denn er hat Anspruch auf ungekürztes Arbeitslosengeld.
13Für die Anspruchsminderung fehlt es an der nach § 140 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) aber erforderlichen Voraussetzung, dass sich der Kläger "entsprechend § 37 b SGB III nicht unverzüglich arbeitssuchend gemeldet hat". Zwar verpflichten § 37 b Satz 1 und 2 SGB III den Kläger grundsätzlich, sich 3 Monate vor Ablauf seines befristeten Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten arbeitslos zu melden. Denn nach diesen Vorschriften besteht die Pflicht zur Arbeitslosmeldung unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts des Versicherungspflichtverhältnisses, bei befristeten Arbeitsverhältnissen aber frühestens 3 Monate vor deren Beendigung. Dies heißt, dass die Arbeitslosmeldung bei befristeten Arbeitsverhältnissen unter 3 Monaten Dauer sofort bei Arbeitsaufnahme, bei längeren befristeten Arbeitsverhältnissen 3 Monate vor deren Ablauf zu erfolgen hat. Demnach trifft es grundsätzlich auch zu, wenn die Beklagte davon ausgeht, dass sich der Kläger spätestens am 09.07.2004 arbeitslos melden musste.
14Aus der Verwendung der Begriffe "unverzüglich" (also: Ohne schuldhaftes Zögern, vgl. § 121 Abs. 1 BGB) und "Pflichtverletzung" in § 140 SGB III ergibt sich aber, dass nicht schon bloße objektive Verspätung eine Anspruchsminderung begründet, sondern dass die Kürzungsvorschriften ein Verschuldenselement enthalten, also eine Kürzung nur bei vorwerfbarem Verhalten erfolgen kann (Landessozialgericht - LSG - NRW, Urteil vom 21.09.2004, L 1 AL 51/04).
15Daran fehlt es hier. Die verspätete Meldung des Klägers ist ihm nicht vorzuwerfen. Der Kläger besaß nämlich keine Kenntnis von der Verpflichtung, sich am 09.07.2004 bei der Beklagten arbeitsuchend zu melden. Bei früheren Arbeitslosmeldungen erfolgte kein entsprechender Hinweis, denn die jetzt von der Beklagten der Alg-Kürzung zugrunde gelegten Vorschriften gelten erst ab 01.01.2004. Die sich aus § 37 b SGB III ergebende Verpflichtung ist aber auch bisher nicht so allgemein bekannt, dass ihre Nichtkenntnis jedem Arbeitlosen vorgeworfen werden könnte.
16Im Übrigen ist aber der Gesetzesbefehl des § 37 b SGB III so unklar formuliert, dass er - wie die tägliche sozialgerichtliche Praxis zeigt - auch für ausgebildete Volljuristen nicht ohne weiteres verständlich zu sein scheint. Insoweit schließt sich die erkennende Kammer der Rechtsprechung der 11. Kammer dieses Gerichts (Sozialgericht Aachen, Urteil vom 23.02.2005, S 11 AL 112/04) ausdrücklich an, wonach Satz 2 des § 37 b SGB III nicht entsprechend dem Rechtstaatsprinzip (Artikel 1 Abs. 3, Artikel 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) hinreichend bestimmt gefasst ist, weil der gesetzgeberische Wille nicht klar genug erkennbar wird, so dass Betroffene die Rechtslage nicht erkennen und ihr Verhalten nicht danach einrichten können (BVerfGE 52, 1, 41). Denn das Tatbestandsmerkmal "frühestens" in dieser Vorschrift kann offenbar so verstanden werden - und wird jedenfalls in der Praxis von Betroffenen und ihren Bevollmächtigten ständig dahingehend verstanden - dass es das Tatbestandsmerkmal "unverzüglich" in Satz 1 derselben Vorschrift nicht ausgestaltet, sondern ersetzt, mit der Folge, dass sich der Betroffene zu einem beliebigen Zeitpunkt nach Beginn der 3-Monatsfrist arbeitslos melden könnte. Fehlt es aber an einem genügend bestimmbaren Gesetzesbefehl, so ist auch aus diesem Grunde die verspätete Meldung dem Kläger nicht vorzuwerfen.
17Die Pflicht zur Arbeitsuchendmeldung entstand deshalb für den Kläger nicht vor dem entsprechenden Hinweis des Arbeitgebers vom Freitag den 17.09.2004, wobei hier offen bleiben kann, ob der Hinweis des Arbeitgebers konkret genug gefasst war, da sich jedenfalls daraufhin der Kläger unverzüglich, nämlich am darauf folgenden Montag, bei der Beklagten gemeldet hat.
18Die Kostenentscheidung erfolgt aus §§ 183,193 SGG.
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