Urteil vom Sozialgericht Aachen - S 9 AL 5/07
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
1
Tatbestand:
2Streitig ist ein Anspruch des Kläger auf Überbrückungsgeld (Übbg), hilfsweise Arbeitslosengeld (Alg).
3Der Kläger war von 1989 bis zum 00.00.2006 als Ingenieur abhängig beschäftigt. Parallel übte er eine vom zeitlichen Umfang nicht planbare, selbstständige Nebentätigkeit im Softwarebereich aus. Seine Anstellung löste der Kläger zum 00.00.2006, weil er nach eigenen Angaben aufgrund interner Umstrukturierung auf einen seiner Qualifikation nicht entsprechenden Arbeitsplatz umgesetzt werden sollte.
4Der Kläger beantragte am 22.06.2006 die Gewährung von Übbg zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit nach § 57 des 3. Buches Sozialgesetzbuch (SGB III). Zu der beabsichtigten Existenzgründung gab er am 19.07.2006 an, er habe vor, das bereits seit 1989 nebenher betriebene Gewerbe fortzuführen, nun aber in Vollzeit. Er werde ein Büro anmieten und ab August 2006 einen freien Mitarbeiter und drei Angestellte anstellen. Vorgelegte Steuerbescheide für 0000/00 zeigen Umsätze bzw. Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit in jeweils nur dreistelliger Höhe. Das Einkommen aus abhängiger Beschäftigung bis 00.00.2006 lag ohne Sonderzahlungen bei rund 3.700,- EUR brutto monatlich.
5Der Kläger gab gegenüber der Beklagten an, er habe sein Arbeitsverhältnis zu dem gewahlten Zeitpunkt kündigen müssen, da er nur dann für das geplante Unternehmen für Produktion und Vertrieb von Löschsteuer- und Brandmeldezentralen Alleinvertriebsrechte für bestimmte Produkte für Deutschland bekommen könne und weil diese Produkte auf der nur alle zwei Jahre stattfindenden Fachmesse im Oktober 2006 vorgestellt werden sollten.
6Der Kläger gab weiter an, er arbeite seit dem 01.07.2006 in Vollzeit, er habe aber noch keinen Umsatz durch die selbstständige Tätigkeit, da er mit Vorbereitungen und Entwicklung beschäftigt sei.
7Die Beklagte lehnte die Bewilligung von Übbg ab (Bescheid vom 21.09.2006). Durch Eigenkündigung und anschließende Existenzgründung habe der Kläger das Risiko der Arbeitslosigkeit selbst herbei geführt. Bei nahtlosem Übergang von Beschäftigung in Selbstständigkeit könne Übbg nicht gewährt werden. Den Widerspruch wies die Beklagte zurück (Bescheid vom 19.12.2006).
8Einen parallel vom Kläger gestellten Antrag auf Alg ab 01.07.2006 lehnte die Beklagte ebenfalls ab (Bescheid vom 05.09.2006, Widerspruchsbescheid vom 19.12.2006), da der Kläger wegen seiner mehr als kurzzeitigen selbstständigen Beschäftigung nicht arbeitslos sei.
9Hiergegen richtet sich die Klage, mit der der Kläger erstmals vorträgt, er habe keine mehr als kurzzeitige Tätigkeit ausgeübt, was sich auch daraus ergebe, dass er 2006 insgesamt nur 180,- EUR eingenommen habe. Er habe entgegen seinen Planungen seine ursprünglich nebenberuflich ausgeübte selbstständige Tätigkeit nicht zu steigern vermocht, weil Aufträge ausgeblieben seien. In seinem Alg-Antrag vom 22.05.2006 habe er eindeutig angegeben, unter 15 Stunden zu arbeiten. Seine abweichenden Angaben im Antrag auf Übbg seien als Prognose zu verstehen. Es sei nicht einzusehen, dass er nun weder Alg noch Übbg erhalten solle. Übbg komme im übrigen nach dem gesetzlichen Tatbestand auch in Betracht, wenn Arbeitslosigkeit "vermieden" werde. Dies sei auch bei einem nahtlosen Übergang aus der Beschäftigung in die selbstständige Tätigkeit der Fall.
10Der Kläger beantragt,
111. den Bescheid der Beklagten vom 21.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 19.12.2006 aufzuheben und dem Kläger Überbrückungsgeld nach gesetzlicher Maßgabe zu gewähren.
122.hilfsweise den Bescheid der Beklagten vom 05.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 19.12.2006 aufzuheben und dem Kläger Arbeitslosengeld nach gesetzlicher Maßgabe zu gewähren.
13Die Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Sie bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.
16Entscheidungsgründe:
17Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Der Kläger kann weder Alg noch Übbg beanspruchen.
18Anspruch auf Übbg haben nach § 57 SGB III in der zur Zeit der Antragstellung am 22.06.2006 noch geltenden Fassung Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitlosigkeit beenden oder vermeiden.
19Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger nicht vor.
20Dabei kann offen bleiben, ob bei Entscheidungsreife des Antrags im September 2006 mangels einer Übergangsvorschrift schon § 57 SGB III in seiner ab 01.08.2006 geltenden Fassung anzuwenden war, in der die Tatbestandsalternative "Arbeitslosigkeit vermeiden" nicht mehr enthalten war. Denn der Kläger hat durch seine unternehmerische Entscheidung keine Arbeitslosigkeit im Sinne des § 57 SGB III vermieden. Dies ergibt sich aus dem Zweck der Vorschrift, die die Förderung der Gründung einer selbstständigen Existenz auf die Fälle begrenzen soll, in denen die Solidargemeinschaft durch Leistungsansprüche wegen Arbeitslosigkeit belastet wird. Der Anreiz zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit durch Arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit Bedrohte soll der Entlastung des Arbeitsmarktes dienen. Ein Anspruch auf Übbg scheidet daher aus, wenn ein Arbeitnehmer durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrages oder durch Eigenkündigung Arbeitslosigkeit erst begründet oder eine Situation herbeiführt, die ohne die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III hätte begründen können (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 28.04.2006, L 8 AL 4150/05).
21So liegt der Fall aber hier. Der Kläger hat sein ungekündigtes Beschäftigungsverhältnis gelöst, um die selbstständige Tätigkeit aufzunehmen. Ohne dieses Verhalten wäre es zu einer Belastung der Solidargemeinschaft gar nicht erst gekommen.
22Neben dem somit erfolglosen Hauptantrag erweist sich auch der Hilfsantrag als unbegründet. Denn Voraussetzung für die Bewilligung von Arbeitslosengeld ist Arbeitslosigkeit, zu deren Voraussetzungen es u. a. gehört, dass der Antragsteller beschäftigungslos ist (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III). Dies ist nicht der Fall bei der Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit mit einer Arbeitszeit von 15 Stunden wöchentlich oder mehr. Der Kläger hatte aber bei der Beklagten angegeben, ab 01.07.2006 Vollzeit zu arbeiten und im Rahmen seiner selbstständigen Tätigkeit ab August 2006 sogar noch vier weitere Mitarbeiter beschätigen zu müssen. Die erstmals im Klageverfahren aufgestellte Behauptung, tatsächlich habe der Kläger immer nur weniger als 15 Stunden gearbeitet, was sich aus seinen niedrigen Umsätzen ergebe, überzeugt die Kammer nicht, denn der Kläger hatte ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er zunächst keine Umsätze machen könne, weil er mit umfangreichen Vorbereitungsarbeiten im Hinblick auf die im Oktober stattfindende Messe beschäftigt sei. Selbst wenn aber objektiv Beschäftigungslosigkeit vorgelegen haben sollte, wäre der Kläger dann aber nicht verfügbar gewesen (§ 119 Abs. 1 Nr. 3 SGB III). Denn hierzu gehört, dass der Kläger Vorschlägen der Beklagten zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah hätte Folge leisten können (§ 119 Abs. 5 Nr. 2 SGB III). Hiervon konnte die Beklagte keinesfalls ausgehen, da der Kläger ihr gegenüber jedenfalls den Eindruck von Vollbeschäftigung erweckt hat. Sie hatte deshalb keinerlei Anlass, für den Kläger Vermittlungsbemühungen zu unternehmen. Zu Recht hat sie deshalb seinerzeit den Antrag des Klägers abgelehnt.
23Darauf, dass bei möglicherweise inzwischen veränderten Verhältnissen für die Zahlung von Arbeitslosengeld eine erneute persönliche Arbeitslosmeldung bei der Beklagten notwendig ist (§ 118 Abs. 1 Nr. 2 SGB III, § 122 Abs. 1 Satz 1 SGB III), ist der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 25.05.2007 hingewiesen worden.
24Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
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