Urteil vom Sozialgericht Detmold - S 22 R 303/13
Tenor
Die Klagen werden abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte zu Recht die Höhe der dem Kläger gewährten Berufsunfähigkeitsrente und Altersrente rückwirkend neu festgestellt hat und die sich hieraus ergebenden Überzahlungen jeweils zur Hälfte in Höhe von 1.127,69 Euro und 15.180,41 Euro, insgesamt in Höhe von 16.308,10 Euro zurückfordert.
3Der am 00.00.1942 geborene Kläger ist gelernter Drucker.
4Am 17.01.1985 wurde die erste Ehe des Klägers geschieden. Mit Beschluss vom 13.03.1985 übertrug das Amtsgericht Lemgo (Az. 9 F 225/84) von dem bei der Beklagten geführten Versicherungskonto des Klägers Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 174,20 DM auf das Rentenversicherungskonto der geschiedenen Ehefrau des Klägers.
5Mit Bescheid vom 20.02.2001 bewilligte die Beklagte dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit für die Zeit ab 29.12.2000 auf Dauer. Dabei berücksichtigte sie die übertragenen Anwartschaften rentensteigernd zugunsten des Klägers anstatt richtigerweise rentenmindernd.
6In Anlage 5 des Bescheides ist ausgeführt:
7"Der zugunsten oder zu Lasten des Versicherungskontos durchgeführte Versorgungsausgleich ergibt einen Zuschlag oder Abschlag an Entgeltpunkten. Hierfür werden die für Rentenanwartschaften ermittelten Werteinheiten in Entgeltpunkte umgerechnet. Für die Ehezeit vom 01.06.1968 bis 30.09.1984 sind Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung übertragen worden. Die übertragene Rentenanwartschaft ist festgestellt auf monatlich 174,20 DM. Daraus ergeben sich 5,2968 Punkte."
8In Anlage 6 des Bescheides ist ausgeführt:
9"Die persönlichen Entgeltpunkte für die Ermittlung des Monatsbetrages der Rente ergeben sich, indem die Summe der zu berücksichtigenden Entgeltpunkte mit dem Zugangsfaktor vervielfältigt wird. An Entgeltpunkten sind zu berücksichtigten
10Entgeltpunkte für Beitragszeiten - 54,3797 Punkte, Entgeltpunkte für beitragsfreie Zeiten - 1,0008 Punkte, zusätzliche Entgeltpunkte für beitragsgeminderte Zeiten - 1,6619 Punkte, insgesamt = 57,0424 Punkte,
11Zuschlag aus einem durchgeführten Versorgungsausgleich für die Ehezeit vom 01.06.1968 bis 30.09.1984 + 5,2968 Punkte,
12Summe aller Entgeltpunkte = 62,3392 Punkte."
13Am 24.08.2001 und 23.05.2002 ergingen Änderungsbescheide zur Höhe der Berufsunfähigkeitsrente.
14Mit Bescheid vom 10.09.2002 bewilligte die Beklagte dem Kläger Altersrente für schwerbehinderte Menschen für die Zeit ab 01.10.2002. Am 16.09.2003 erging ein Änderungsbescheid zur Höhe der Altersrente. Die Altersrentenbescheide enthielten in den Anlagen 5 und 6 Ausführungen entsprechend den Ausführungen in den Berufsunfähigkeitsrentenbescheiden.
15Bei Rentenantragstellung der ehemaligen Ehefrau des Klägers bemerkte die Beklagte durch eine elektronisch ausgelöste Fehlermeldung vom 03.04.2012, dass im Versicherungskonto des Klägers zu Unrecht eine Begünstigung aufgrund des Versorgungsausgleichs gespeichert war. Am 24.05.2012 forderte die Sachbearbeitung den mikroverfilmten Beschluss des Amtsgerichts Lemgo vom 13.03.1985 an. Mit Schreiben vom 30.05.2012 wies sie den Kläger auf den Sachverhalt hin.
16Mit Schreiben vom 07.06.2012 hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten teilweisen Rücknahme der Gewährung der Altersrente für die Zeit vom 01.10.2002 bis zum 31.07. 2012 und Erstattung der Überzahlung in Höhe von 30.095,00 Euro an. Nach Stellungnahme durch den Kläger berechnete die Beklagte mit Bescheid vom 18.07.2012 die Altersrente des Klägers neu und forderte die Erstattung der Hälfte der für die Zeit vom 01.10.2002 bis zum 31.08.2012 entstandenen Überzahlung in Höhe von 15.180,31 Euro. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe die Rechtswidrigkeit des Rentenbescheides aus grober Fahrlässigkeit nicht gekannt. Aus dem Bescheid sei deutlich ersichtlich, dass entgegen der Entscheidung des Amtsgerichts Lemgo aufgrund des Versorgungsausgleichs ein Zuschlag anstelle eines Abschlages gewährt worden sei. Dies habe der Kläger in Kenntnis des Beschlusses des Amtsgerichts erkennen können. Die für die Rücknahme des Rentenbescheides einzuhaltende Jahresfrist sei gewahrt, weil die zuständige Sachbearbeitung erst am 30.05.2012 positive Kenntnis von der Rechtswidrigkeit des Bescheides gehabt habe. Da ihrerseits ein Mitverschulden an der Überzahlung vorliege, habe sie die Rückforderung im Ermessenswege auf die Hälfte der Überzahlung begrenzt. Eine weitere Reduzierung komme nicht in Betracht, weil keine persönlichen oder finanziellen Gründe erkennbar seien, die der Rücknahme und Rückforderung entgegenstünden. Gegen den Bescheid vom 18.07.2012 erhob der Kläger am 25.07.2012 Widerspruch.
17Mit Schreiben vom 01.10.2012 hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten teilweisen Rücknahme der Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente für die Zeit vom 29.12.2000 bis zum 30.09. 2002 und Erstattung der Überzahlung in Höhe von 2.473,27 Euro an. Nach Stellungnahme durch den Kläger berechnete die Beklagte mit Bescheid vom 18.10.2012 die Berufsunfähigkeitsrente des Klägers neu und forderte die Erstattung der Hälfte der für die Zeit vom 29.12.2000 bis zum 30.09.2002 entstandenen Überzahlung in Höhe von 1.127,69 Euro. Die Begründung entsprach der Begründung des die Altersrente betreffen-den Rücknahmebescheides. Gegen den Bescheid vom 18.10.2012 erhob der Kläger am 24.10.2012 Widerspruch.
18Die Beklagte wies die Widersprüche des Klägers gegen die Bescheide vom 18.07.2012 und 18.10.2012 mit Widerspruchsbescheiden vom 04.03.2013 zurück.
19Hiergegen hat der Kläger jeweils am 08.04.2013 Klage erhoben. Die Verfahren sind zunächst unter den Aktenzeichen S 22 R 303/13 und S 22 R 316/13 geführt worden. Mit Beschluss vom 22.08.2013 hat das Gericht die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Das Verfahren führt seither das Aktenzeichen S 22 R 303/13.
20Zur Begründung seiner Klagen trägt der Kläger unter Verweis auf Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt und des Sozialgerichts Kassel vor, ihm könne keine grob fahrlässige Unkenntnis der Fehlerhaftigkeit der Rentenbescheide vorgeworfen werden. Dies könnte allenfalls angenommen werden, wenn die Fehler in den Rentenbescheiden ohne Weiteres erkennbar gewesen wären oder unter Berücksichtigung aller Umstände augenfällig seien. Bei komplizierten Berechnungen könne von einer groben Fahrlässigkeit nur ausgegangen werden, wenn diese Berechnungen durch einen erklärenden Langtext hinreichend verständlich seien. Nach diesen Maßstäben sei ihm als Laien grobe Fahrlässigkeit nicht vorzuwerfen. Er habe außerdem zuvor keine Rentenauskünfte erhalten, so dass ihm auch keine etwaige Abweichung habe auffallen können. Wenn es tatsächlich so einfach gewesen wäre, den Fehler zu erkennen, sei das Nichterkennen durch die Beklagte als missbräuchliches Sichverschließen vor der positiven Kenntniserlangung zu werten, so dass die maßgebliche Jahresfrist bereits mit Erlass der Rentenbescheide zu laufen begonnen habe und die Frist damit abgelaufen sei. Es sei schließlich der zeitliche Abstand zwischen der Scheidung, den Zeitpunkten der Leistungsbewilligung und den Zeitpunkten der Aufhebungsentscheidungen zu berücksichtigen.
21Der Kläger beantragt,
22den Bescheid der Beklagten vom 18.07.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2013 und den Bescheid der Beklagten vom 18.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2013 aufzuheben.
23Die Beklagte beantragt,
24die Klagen abzuweisen.
25Sie verweist auf die angefochtenen Bescheide.
26Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
27Entscheidungsgründe:
28Die zulässige Klage ist unbegründet. Denn der Bescheid der Beklagten vom 18.07.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2013 und der Bescheid der Beklagten vom 18.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2013 sind rechtmäßig und beschweren den Kläger nicht in seinen Rechten gemäß § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beklagte hat zu Recht die Rentenbewilligung jeweils teilweise zurückgenommen und die teilweise Erstattung der insoweit erbrachten Rentenleistungen verlangt.
29Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Bescheide über die Rentenbewilligung ist § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 des § 45 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
30Die Bewilligungsbescheide sind begünstigende Verwaltungsakte, denn sie begründen - neben dem hier nicht streitigen Recht auf die jeweilige Rente - auch das Recht des Klägers auf Zahlung dieser Renten in bestimmter Höhe. Diese Bescheide sind rechtswidrig, denn sie setzen unter Außerachtlassung des Abschlages aus dem Versorgungsausgleich und Ansetzung eines Zuschlages die monatliche Rente rechtsfehlerhaft, nämlich zu hoch, fest.
31Nach § 45 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposi-tion getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X kann sich der Begünstigte nicht auf Ver-trauen berufen, soweit
321. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
33Da keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass der Kläger die Rentenbescheide der Beklagten durch arglistige Täuschung, Drohung oder gar Bestechung erwirkt haben könnte, ist § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X nicht einschlägig. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X gelangt ebenfalls nicht zur Anwendung. Die Rentenbescheide beruhten nicht auf Angaben, die der Kläger zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unvollständig gemacht hatte. Auch dass der Kläger die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide gekannt hätte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Es liegt jedoch ein Fall der grob fahrlässigen Unkenntnis vor.
34Nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbs. 2 SGB X ist grobe Fahrlässigkeit gegeben, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dies ist dann der Fall, wenn er einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und daher nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Das Maß der Fahrlässigkeit ist nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Begünstigten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen. Voraussetzung für die Annahme grober Fahrlässigkeit bei der Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes ist somit, dass die Mängel des Bewilligungsbescheides für den Begünstigten unter Berücksichtigung seines Einsichtsvermögens ohne Weiteres erkennbar waren.
35Nach Auffassung der Kammer ist dem Kläger vorliegend grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Der in den Rentenbescheiden enthaltene Fehler, einen Zuschlag anstelle eines Abschlages für den durchgeführten Versorgungsausgleich vorzusehen und hierdurch eine höhere Rente zu bewirken, springt auch dem rechtskundigen Leser ohne Weiteres ins Auge. Insbesondere die Angabe, es ergebe sich aus dem durchgeführten Versorgungsausgleich ein "Zuschlag" an Entgeltpunkten, kann bei Lektüre des Bescheides, die jedem Rentenempfänger zuzumuten ist, nicht falsch verstanden werden. Auch ohne Rechtskenntnisse und intensive Befassung mit allen Details des Bescheides ist erkennbar, dass hiermit ein rentensteigernder Vorteil verbunden ist, obwohl der Versorgungsausgleich zum gegenteiligen Ergebnis führen sollte.
36Die Fallgestaltung ist nicht vergleichbar mit der dem vom Kläger zitierten Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 24.01.2013 (Az. L 1 R 147/10) zugrundeliegenden Fallgestaltung. Im dortigen Fall enthielten die Bescheide keinerlei Ausführungen zum Versorgungsausgleich, so dass dort, anders als im vorliegenden Fall, nicht erwartet werden konnte, dass der rechtsunkundige Empfänger hätte erkennen können, in welcher Weise und an welcher Stelle der Rentenberechnung der Versorgungsausgleich zu berücksichtigen gewesen wäre.
37Weiter nicht vergleichbar ist die Fallgestaltung mit dem dem vom Kläger außerdem zitierten Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 18.07.2012 (Az. S 6 R 331/10) zugrundeliegenden Sachverhalt. Im dortigen Fall beruhte die Fehlerhaftigkeit der Rentenberechnung auf dem Umstand, dass der Versorgungsausgleich zugunsten des Kontos der gesetzlichen Rentenversicherung durchgeführt worden war, obwohl er außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung hätte durchgeführt werden müssen. Derartige für die Beurteilung des dortigen Falles erforderlichen rechtlichen Detailkenntnisse waren für die Prüfung des Rentenbescheides des Klägers nicht erforderlich, sondern lediglich - wie ausgeführt - die Bewertung der Bedeutung des Wortes "Zuschlag".
38Die Beklagte hat auch die für die Rücknahme der Rentenbescheide maßgeblichen Fristen eingehalten.
39Die Behörde bzw. der Sozialversicherungsträger muss den Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dann, wenn er mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsache zurücknehmen, welche die Rücknahme für die Vergangenheit rechtfertigt (§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Dabei erlangt die Behörde die erforderliche Kenntnis nicht bereits dann, wenn irgendeiner ihrer Mitarbeiter Kenntnis von den maßgeblichen Tatsachen erlangt, sondern erst dann, wenn ein nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zur Aufhebung des konkreten Verwaltungsaktes berufener Bediensteter der Behörde diese Kenntnis erlangt (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 08.02.1996, Az. 13 RJ 35/94). Nachdem die die Rücknahme auslösende Fehlermeldung auf den 03.04.2012 datiert und die Rücknahmebescheide noch im Jahr 2012 ergangen sind, ist die Jahresfrist eingehalten.
40Ein missbräuchliches "Sichverschließen" der Beklagten vor der erforderlichen Kenntnis liegt entgegen der Auffassung des Klägers nicht vor. Dass die Beklagte zu einem früheren Zeitpunkt einen konkreten Anlass gehabt hätte, sich die Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide zu verschaffen, ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar.
41Nach § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe nach § 45 Abs.2 SGB X dann zurückgenommen werden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 (Verwaltungsakt beruht auf vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtigen oder unvollständigen Angaben) oder Nr. 3 (Kenntnis oder grobfahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts) gegeben sind. Auch diese Frist ist eingehalten. Zum einen ist sie ohne weiteres bezüglich der Altersrente eingehalten. Die Rente wurde mit Bescheid vom 10.09.2002 bewilligt, die Rücknahme erfolgte mit Bescheid vom 18.07.2012. Die Zehnjahresfrist ist zum anderen auch bezüglich der Berufsunfähigkeitsrente eingehalten. Nach § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X kann in den Fällen des § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. Zwar war die Zehnjahresfrist hinsichtlich der Berufsunfähigkeitsrente bei Rücknahme des Rentenbescheides aus dem Jahr 2001 im Jahr 2012 bereits abgelaufen. Vorliegend ist jedoch ent-sprechend der Auffassung der Beklagten davon auszugehen, dass die Berufsunfähigkeitsrente als "laufend gezahlt" zu gelten hat, da nach ihr im direkten Anschluss eine ebenfalls - teilweise - rechtwidrige Rente - die Altersrente - laufend gezahlt worden ist. Damit konnte auch nach Ablauf der Zehnjahresfrist eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides über die Berufsunfähigkeitsrente erfolgen.
42Die Beklagte hat auch rechtsfehlerfreie Ermessensentscheidungen getroffen. Eine rechtsfehlerfreie Ermessensentscheidung erfordert nach § 39 Abs. 1 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), dass die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausübt und dabei die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhält. Der von der Ermessensentscheidung Betroffene hat dementsprechend einen Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung von fehlerfreiem Ermessen. In diesem eingeschränkten Umfang unterliegt die Ermessensentscheidung der gerichtlichen Kontrolle (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Als Ermessensfehler kommen zum Einen eine Ermessensunterschreitung bzw. ein Ermessensnichtgebrauch, zum Anderen eine sogenannte Ermessensüberschreitung in Betracht. Schließlich stellt es einen Ermessenfehler dar, wenn die Beklagte von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung widersprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Dies ist dann der Fall, wenn die Beklagte ihrer Entscheidung entweder einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde legt, für die Entscheidung objektive wesentliche Gesichtspunkte nicht ermittelt oder berücksichtigt oder objektiv gemessen am Ermächtigungszweck sachfremde bzw. unsachliche Erwägungen zur Entscheidungsgrundlage gemacht hat (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 54 Rn. 27 ff.). Aus der Begründung der angefochtenen Bescheide wird ersichtlich, dass die Beklagte Ermessenserwägungen angestellt und im Rahmen dieser Ermessenserwägungen die Erstattungsforderungen jeweils um die Hälfte reduziert hat. Die Beklagte hat dabei ausdrücklich berücksichtigt, dass ihr ein Mitverschulden bei der Überzahlung anzulasten ist. Insoweit ist die Ermessensentscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden.
43Da die Entscheidungen über die jeweils teilweise Rücknahme der Bewilligungsentscheidungen rechtmäßig sind, durfte der Beklagte die überzahlten Leistungen jeweils nach § 50 Abs. 1 SGB X - teilweise - zurückfordern. Gegen die Höhe der vom Kläger zu erstattenden Beträge sind konkrete Einwendungen nicht erhoben worden und auch von Amts wegen nicht ersichtlich.
44Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Referenzen
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