Urteil vom Sozialgericht Detmold - S 22 R 424/12
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 21.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.04.2012 wird aufgehoben, soweit die Beklagte Nachforderungen für die Zeit vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2006 geltend macht. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin zu drei Vierteln, die Beklagte zu einem Viertel. Der Streitwert wird auf 110.262,75 Euro festgesetzt.
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Tatbestand:
2Zwischen den Beteiligten ist die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für den Zeitraum vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2009 aufgrund einer Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) streitig.
3Die Klägerin ist ein Unternehmen mit dem Geschäftsgegenstand der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung und im Besitz einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis nach § 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Im streitigen Zeitraum wandte die Klägerin bei der Arbeitsentgeltberechnung für die beschäftigten Leiharbeitnehmer die zwischen dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) und der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit (CGZP) vereinbarten Tarifverträge an und führte auf Grundlage der hiernach ermittelten Arbeitsentgelte Gesamtsozialversicherungsbeiträge ab.
4Im Monat Oktober 2011 führte die Beklagte eine Betriebsprüfung bei der Klägerin durch.
5Bereits zuvor hatte die Beklagte am 07.10.2010 eine Betriebsprüfung für den Zeitraum vom 01.01.2006 bis zum 31.12.2009 durchgeführt, welche hinsichtlich des Streitgegenstandes zu keiner Beanstandung geführt hatte.
6Nach Anhörung im Rahmen der Schlussbesprechung der Betriebsprüfung am 25.10.2011 forderte die Beklagte von der Klägerin mit Bescheid vom 21.11.2011 für den Zeitraum vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2009 Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 110.262,75 Euro nach. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Gesetzgeber habe seit dem 01.01.2004 für den Bereich der Arbeitnehmerüberlassung den Grundsatz "equal pay" (gleicher Lohn für gleiche Arbeit) und das Gebot "equal treatment" (gleiche Arbeitsbedingungen) im Gesetz (§ 10 Abs. 4 AÜG) verankert. Das AÜG sehe jedoch einen Ausnahmefall für das gesetzliche Gleichbehandlungsgebot vor. Existiere ein Tarifvertrag, der die Entlohnung der Leiharbeitnehmer regle, könne gemäß § 9 Nr. 2 AÜG vom Gleichbehandlungsgrundsatz auch zum Nachteil des Leiharbeitnehmers abgewichen werden. Dies gelte nicht nur dann, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer tarifgebunden seien, sondern auch, wenn in Arbeitsverträgen die Geltung von Tarifverträgen vereinbart werde. Im Oktober 2008 sei von der Gewerkschaft Ver.di und dem Land Berlin ein Verfahren nach §§ 97 Abs. 1, 2a Abs. 1 Nr. 4 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) zur Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP vor dem Arbeitsgericht Berlin eingeleitet worden. Mit Beschluss vom 01.04.2009 habe das Arbeitsgericht Berlin unter dem Aktenzeichen 35 BV 17008/08 die Tarifunfähigkeit der CGZP festgestellt. Dieser Beschluss sei auf die Beschwerde der dortigen Beklagten vom Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg am 07.12.2009 (Az. 23 TaBV 1016/09) bestätigt worden. Die zum Bundesarbeitsgericht (BAG) erhobene Rechtsbeschwerde sei am 14.12.2010 (Az. 1 ABR 19/10) als unbegründet zurückgewiesen worden. Zur Begründung sei im Wesentlichen ausgeführt worden, dass die Mitgliedsgewerkschaften der CGZP nach ihrem satzungsgemäßen Geltungsbereich nicht die Tariffähigkeit für die gesamte Zeitarbeitsbranche vermittelten. Die Bestätigung der Tarifunfähigkeit der CGZP durch das BAG habe die Unwirksamkeit der von ihr geschlossenen Tarifverträge zur Folge. Damit komme es zur Anwendung des § 10 Abs. 4 AÜG. Der Leiharbeitnehmer, der auf Basis eines CGZP-Tarifvertrages beschäftigt sei oder gewesen sei, könne von dem Verleiher den Lohn beanspruchen, der im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer gezahlt werde. Im Beitragsrecht der Sozialversicherung gelte gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV das Entstehungsprinzip. Bemessungsgrundlage für den Beitragsanspruch sei nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht das vom Arbeitgeber tatsächlich gezahlte, sondern das von ihm geschuldete Arbeitsentgelt. Die Geltendmachung oder Durchsetzbarkeit des arbeitsrechtlichen Vergütungsanspruchs durch den Arbeitnehmer sei unerheblich. Beitragsbemessungsgrundlage für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge sei damit der Arbeitsentgeltanspruch eines vergleichbaren Stammarbeiters in dem Entleihbetrieb nach § 10 Abs. 4 AÜG. Es seien daher Beiträge zur Sozialversicherung auf Grundlage der Differenz zwischen dem gemeldeten und der Beitragsberechnung zugrunde gelegten Arbeitsentgelt und dem vergleichbaren Arbeitsentgelt eines Stammarbeitnehmers in dem jeweiligen Entleihbetrieb und Überlassungszeitraum für jeden Leiharbeitnehmer individuell nachzuerheben. Nach § 28f Abs. 2 Satz 3 SGB IV sei die Höhe der Arbeitsentgelte zu schätzen, wenn diese nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermittelt werden könnten. Zwar seien hier die Arbeitsentgelte grundsätzlich bestimmten Beschäftigten zuzuordnen. Jedoch sei die personenbezogene Ermittlung der geschuldeten Arbeitsentgelte aufgrund der großen Anzahl der zu prüfenden Beschäftigungsverhältnisse, der zum Teil sehr kurzen Dauer der Beschäftigungsverhältnisse, der Anzahl der Entleiher und der Dauer der jeweiligen Überlassungszeiträume im Prüfzeitraum wenn überhaupt nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich. Im Prüfzeitraum hätten im Betrieb der Klägerin mehr als 1.300 Beschäftigungsverhältnisse vorgelegen. Eine große Anzahl dieser Beschäftigungsverhältnisse habe lediglich bis zu drei Monaten angedauert. Die Überlassung sei an eine Vielzahl von Entleihern erfolgt. Aus diesem Grund sei die Höhe der maßgeblichen Arbeitsentgelte zu schätzen gewesen. Es sei dabei wie folgt verfahren worden. Es seien Beschäftigungsgruppen nach Qualifikation und Entleiherbranche gebildet worden. Sämtliche Arbeitnehmer seien einer der Gruppen zugeordnet worden. Je Gruppe sei anhand der Lohnabrechnungen ein durchschnittlicher Stundenlohn und der durchschnittliche Stundenlohn vergleichbarer Arbeitnehmer der Entleiher gebildet worden. Die Stundenlöhne seien in Zusammenarbeit mit einigen Entleihern und dem Arbeitgeber ermittelt worden. Hieraus hätten sich die folgenden prozentualen Lohnabstände zu den vergleichbaren Stammarbeitnehmern ergeben: Schlosser 37,34 %, Schweißer 25,21 %, Dreher 37,19 %, Mechaniker 25,46 %, Metallarbeiter 37,19 %, Werkzeugmacher 28,37 %, Pflege 30,76 %, Technische Zeichner 15,78 %, Büro 5,82 %, Lagerist 11,11 %, Tischler 28,00 %, Installateur 27,25 %, Kfz-Instandsetzung 7,18 %, Einkauf/Verkauf 4,76 %, Kfz-Führer 18,42 %, Helfer 8,97 %. Die Lohnsummen seien um Lohnzahlungen aufgrund von Zeiten ohne equal-pay-Anspruch bereinigt worden, namentlich verleihfreie Zeiten einschließlich Krankheits-, Feiertags- und Urlaubszeiten, Zeiten von zuvor arbeitslosen Leiharbeitnehmern in den ersten sechs Wochen ihrer Beschäftigung, sofern der Verleiher mindestens ein Nettoentgelt in Höhe des zuletzt gezahlten Arbeitsentgelts gezahlt habe, Zeiten mit Zahlung von Mindestentgeltsätzen nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG), Zeiten der Kurzarbeit im Verleihbetrieb und Zeiten der Erfüllung der equal-pay-Ansprüche. Danach ergebe sich ein bereinigter Lohnabstand von 51,32 %, so dass 51,32 % der beitragspflichtigen Arbeitsentgelte equal-pay-fähig seien. Die ermittelten Lohnabstände seien anschließend in dem Verhältnis vermindert worden, wie die Arbeitsentgelte der Beschäftigten insgesamt zu den equal-pay-fähigen Arbeitsentgelten gestanden hätten.
7Hiergegen erhob die Klägerin am 08.12.2011 Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, ein Anspruch auf höheres Arbeitsentgelt sei dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 14.12.2010 nicht zu entnehmen, jedenfalls nicht für die Vergangenheit. Außerdem bestehe Vertrauensschutz. Die Unternehmen hätten viele Jahre auf die Rechtmäßigkeit der von ihnen angewandten Tarifverträge vertraut. Ein Hinweis des Gesetzgebers, der Gerichte oder Verwaltungen auf eine Rechtswidrigkeit der angewandten Tarifverträge sei ausgeblieben. Zudem hätten staatliche Stellen wie die Bundesagentur für Arbeit bei der Ausschreibung von Personal-Service-Agenturen (PSA) auf der Anwendung von Tarifverträgen bestanden. Jedenfalls seien die Tarifverträge bei Prüfungen durch die Sozialversicherungsträger niemals beanstandet worden. Tatsächlich sei höheres als das gezahlte Arbeitsentgelt nicht geflossen. Es sei auch die Überlegung anzustellen, ob in Fällen der tatsächlich erfolgten rückwirkenden Zahlung von Arbeitsentgelt eine Einmalzahlung vorliege, die zu einer Aufteilung der Beitragsnachforderung zu einem Teil auf den Arbeitnehmer führen müsste. Für das Jahr 2006 werde die Einrede der Verjährung erhoben. Eine Unterbrechung der Verjährung sei nicht eingetreten. Ein Schreiben vom 28.12.2010 sei nicht an alle Unternehmer in der gleichen Situation ergangen. Bei fast allen Unternehmen habe es außerdem im reklamierten Nachentrichtungszeitraum vorherige Betriebsprüfungen gegeben. Gebiete, die nachweisbar geprüft worden seien, dürften nicht ohne wichtigen Grund einer erneuten Prüfung unterzogen werden. Sie berufe sich auf die Sperrwirkung der vorausgegangenen Betriebsprüfungen. Der equal-pay-Anspruch beziehe sich weiter nur auf vergleichbare Arbeitnehmer. Die Beklagte missachte dies, wenn sie auf eine Bescheinigung des entleihenden Unternehmers, es gebe keine vergleichbaren Arbeitnehmer, prüfe, nach welchem Entgelt die Arbeitnehmer entlohnt worden wären, wenn sie zur Stammbelegschaft gehört hätten. Schließlich lägen die Voraussetzungen für eine Schät-zung der Entgeltdifferenzen nicht vor.
8Zugleich beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Aussetzung der Vollziehung des Bescheides. Diesem Antrag entsprach die Beklagte bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens.
9Mit Widerspruchsbescheid vom 02.04.2012 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück und führte aus, die CGZP sei von Anfang an nicht tariffähig gewesen. Die Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 habe dies lediglich deklaratorisch festgestellt. Vertrauensschutz könne die Klägerin nicht in Anspruch nehmen. Auch die Schätzung der Arbeitsentgelte sei rechtmäßig erfolgt.
10Hiergegen hat die Klägerin am 16.04.2012 Klage erhoben.
11Zugleich beantragte sie beim Sozialgericht Detmold, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid vom 21.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.04.2012 anzuordnen. Das Verfahren wurde unter dem Aktenzeichen S 22 R 420/12 ER geführt. Mit Schriftsatz vom 25.04.2012 teilte die Beklagte mit, die aufschiebende Wirkung der Klage werde "für die Dauer des Verwaltungsverfahrens" bewilligt. Daraufhin erklärte die Klägerin am 11.05.2012 ihren Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes für erledigt.
12Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin unter Vertiefung ihrer bisherigen Ausführungen vor, der Beklagten stehe kein Anspruch auf die geltend gemachte Beitragsforderung zu. Da das BAG sich nicht auf seine Aufgabe der Gesetzesanwendung und -auslegung beschränkt habe, sondern eine Überraschungsentscheidung zu den Erfordernissen der Tariffähigkeit von Gewerkschaften getroffen habe, wirke diese Rechtsprechung für die betroffenen Unternehmen wie eine Gesetzesänderung. Für eine solche gälten jedoch strenge Regeln. Es sei ihr daher Vertrauensschutz mindestens bis zur Entscheidung des BAG am 14.12.2010 zu gewähren. Außerdem hätten Prüfer der Beklagten bei ver-schiedenen Betriebsprüfungen erklärt, die Anwendung des CGZP-Tarifvertrages unterliege keinen Bedenken. In diversen Publikationen öffentlicher Stellen bis hin zur Beklagten selbst sei von der Tariffähigkeit der CGZP ausgegangen worden. Es wäre ihr zur Vermeidung der jetzt eingetretenen Existenzgefährdung außerdem hinsichtlich der Lohnhöhe leicht möglich gewesen, in die seinerzeit ebenfalls bestehenden Tarifverträge des Interessenverbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ) und des Bundesverbandes Zeitarbeit (BZA) zu wechseln; Unterschiede hätten hauptsächlich in der leichteren Handhabbarkeit des AMP-/CGZP-Tarifvertrages bestanden. Dies zeige das Vertrauen in die Anwendbarkeit des AMP-/CGZP-Tarifvertrages. Umgekehrt habe ein Vertrauensschutz der betroffenen Arbeitnehmer nicht bestanden, da nicht einmal 0,54 % der angeblich Anspruchsberechtigten überhaupt versucht hätten, ihre Ansprüche einzufordern. Selbst wenn, was zu bezweifeln sei, das Entstehungsprinzip gelte, sei nicht auszuschließen, dass für manche Zeitarbeitnehmer einzelne Arbeitsbedingungen des AMP-/CGZP-Tarifvertrages günstiger gewesen wären als die Arbeitsbedingungen im Entleihbetrieb. Da equal-pay-Ansprüche erst mit einer entsprechenden Wahlentscheidung des Arbeitnehmers entstünden und in den meisten Fällen eine solche Wahlentscheidung nicht erfolgt sei, fehle es an einer Entstehung des equal-pay-Anspruchs und damit an der Grundlage einer Beitragsforderung. Jedenfalls habe sie bis zum 14.12.2010 nicht wissen können, dass sie den equal-pay-Anspruch geschuldet habe. Für die Zeit von Dezember 2005 bis Dezember 2006 werde die Einrede der Verjährung erhoben. Eine Verlängerung der vierjährigen Verjährungsfrist auf 30 Jahre sei nicht eingetreten. Der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 sei gegenwartsbezogen gewesen. Ein Wissen ihrerseits von der Unwirksamkeit des Tarifvertrages könne angesichts der Komplexität der Materie nicht unterstellt werden. Es sei außerdem zu prüfen, ob die Ansprüche der Beklagten verwirkt seien. Die Beklagte selbst sei viele Jahre von der Gültigkeit der Tarifverträge ausgegangen. Hinsichtlich der Bezahlung entsprechend einem vergleichbaren Arbeitnehmer sei zu beachten, dass individuelle Handicaps, die sich bei den Arbeitnehmern der Zeitarbeitsbranche gehäuft fänden, von der Beklagten nicht berücksichtigt worden seien, beispielsweise gepfändete Konten, fehlende deutsche Sprachkenntnisse, fehlende Zuverlässigkeit, fehlende Fahrerlaubnisse etc. Die Lebenswirklichkeit gebiete es, deshalb Lohnabschläge von 15 bis 25 % vorzunehmen. Zu Unrecht habe es die Beklagte außerdem abgelehnt, Verpflegungsmehraufwand oder Fahrtkosten im Rahmen des gezahlten Arbeitsentgelts anzuerkennen, wodurch sich der Unterschiedsbetrag zwischen dem tatsächlich gezahlten Lohn und dem equal-pay-Lohn verringern würde. Die Prüfpraxis der Beklagten rücke in die Nähe von Summenbeitragsbescheiden. Hierfür sei Voraussetzung ein Verstoß gegen Aufzeichnungspflichten. Ein solcher liege nicht vor. Bei der Aufstellung der Berechnungsgrundlagen habe sie nur mitgewirkt, da ansonsten eine Schätzung der Beklagten erfolgt wäre, die zu einer erheblich höheren Nachforderungssumme geführt hätte. Insofern habe sie sich in einer "Notwehrsituation" im weiteren Sinne befunden. Im Übrigen habe sie keine Aufzeichnungspflicht verletzt, weil sie von der Rechtmäßigkeit der Tarifverträge habe ausgehen dürfen und dies auch getan habe.
13Die Klägerin beantragt,
14den Bescheid der Beklagten vom 21.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.04.2012 aufzuheben.
15Die Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Sie führt aus, nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung bestünden keine Zweifel an der Tarifunfähigkeit der CGZP auch in Zeiträumen vor dem Jahr 2009. Vertrauensschutz sei nicht zu gewähren. Die Tariffähigkeit der CGZP sei von ihrer Gründung an umstritten gewesen. In allgemein zugänglichen und Fach-Medien sei dies thematisiert worden. Außerdem sei der gute Glaube an die Tariffähigkeit einer Vereinigung nicht geschützt. Es habe in der Vergangenheit keine gerichtliche Entscheidung gegeben, in der die Tariffähigkeit der CGZP rechtskräftig festgestellt worden wäre. Es gelte das Entstehungsprinzip. Der Anspruch entstehe unabhängig vom Willen der Beteiligten und auch ohne deren Kenntnis. Unerheblich sei, ob der Arbeitnehmer den ihm zustehenden höheren Anspruch auch tatsächlich geltend mache. Auf die - allein arbeitsrechtlich relevante - Wahlentscheidung des Arbeitnehmers komme es nicht an. Der fiktive Lohnanspruch des Leiharbeitnehmers könne auch nicht als einmalig gezahltes Entgelt umdeklariert und damit der Anwendung des Zuflussprinzips unterworfen werden. Es komme, wie ausgeführt, nicht auf die arbeitsrechtliche Geltendmachung des Anspruchs durch den Arbeitnehmer an. Die streitigen Lohnansprüche könnten eindeutig bestimmten Entgeltabrechnungszeiträumen zugeordnet werden. Zwar sei die Klägerin durch sie im Jahr 2010 nicht wie in anderen Fällen über die Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 informiert worden. Ab der Bekanntgabe der BAG-Entscheidung, welche erhebliche Öffentlichkeitswirkung entfaltet habe, liege jedoch zumindest bedingter Vorsatz hinsichtlich der Nichtentrichtung der höheren Beiträge vor. Es greife daher die 30-jährige Verjährungsfrist. Die vorhergegangene Betriebsprüfung vom 07.10.2010 für den Zeitraum vom 01.01.2006 bis zum 31.12.2009 führe nicht zu einem Verbot der erneuten Bescheidung für den Prüfzeitraum. Betriebsprüfungen beschränkten sich auf Stichproben. Es könne nicht erwartet werden, dass dabei komplizierteste tarifrechtliche Probleme erkannt würden. Soweit eingewandt werde, auch von den Arbeitgebern werde eine weitgehende Kenntnis erwartet, sei zu berücksichtigen, dass Beitragsansprüche vor dem Hintergrund des Entstehungsprinzips grundsätzlich nicht an die positive Kenntnis gebunden seien. Dem Umstand einer unverschuldeten Unkenntnis werde, wie vorliegend, durch Nichterhebung von Säumniszuschlägen Rechnung getragen. Vorliegend seien keine "fiktiven" vergleichbaren Arbeitnehmer herangezogen worden. Zulagen wie Verpflegungsmehraufwendungen und Fahrtkosten seien zu Recht nicht bei der Ermittlung des Differenzlohns berücksichtigt worden. Diese seien keine Gegenleistung für geleistete Arbeit und daher bei der Berechnung nicht miteinzubeziehen. Andernfalls würde nicht berücksichtigt, dass der abgegoltene Aufwand nicht durch die Vergütung eines Stammarbeitnehmers abgedeckt sei. Eine Schätzung sei schließlich bereits dann zulässig, wenn die Lohnaufzeichnungen zum Zeitpunkt der Prüfung objektiv unvollständig bzw. fehlerhaft seien. Auf ein Verschulden des Arbeitgebers komme es nicht an. Bei der Wahl der Schätzungsmethode gehe es darum, von sachlichen und nachvollziehbaren Erwägungen auszugehen, um möglichst sachgerechte Ergebnisse zu erzielen. Die vorgenommene Ermittlung sei in Abstimmung und im Einverständnis mit der Klägerin erfolgt. Es sei daher davon auszugehen, dass diese Schätzung den tatsächlichen Verhältnissen weitestgehend nahegekommen sei.
18Mit Beschluss vom 11.11.2013, den Beteiligten gegen Empfangsbekenntnis zugestellt und - jeweils überregional - in der Süddeutschen Zeitung am 23.11.2013 sowie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und im elektronischen Bundesanzeiger am 25.11.2013 veröffentlicht, hat das Gericht unter Hinweis auf § 75 Abs. 2a Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden, dass zum Verfahren nur solche Personen beigeladen werden, die dies bis zum 30.04.2014 beantragen. Ein entsprechender Antrag ist bis zum Ablauf der gesetzten Frist nicht gestellt worden.
19Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte, des Verwaltungsvorganges der Beklagten und der Gerichtsakten zu den unter dem Aktenzeichen S 6 R 1625/11 ER und S 22 R 420/12 ER geführten Verfahren Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
20Entscheidungsgründe:
21Die zulässige Klage ist überwiegend unbegründet.
22Der Bescheid der Beklagten vom 21.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.04.2012 ist rechtswidrig, soweit die Beklagte damit Nachforderungen für die Zeit vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2006 geltend macht. Im Übrigen sind die angegriffenen Bescheide rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
23Die Ansprüche der Beklagten auf Beiträge sind für die Zeit vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2006 verjährt.
24Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.01.2006 (BGBl. I, S. 86) wurden im Jahr 2006 Beiträge, die nach dem Arbeitsentgelt zu bemessen waren, in voraussichtlicher Höhe der Beitragsschuld spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des Monats fällig, in dem die Beschäftigung, mit der das Arbeitsentgelt erzielt wurde, ausgeübt worden ist. Damit sind alle im Jahr 2006 fällig gewordenen Beitragsansprüche mit Ablauf des 31.12.2010 nach der Regelverjährungsfrist verjährt.
25Die Regelung des § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV greift vorliegend nicht ein. Danach verjähren Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Für das Eingreifen der 30-jährigen Verjährungsfrist reicht es aus, wenn der Schuldner die Beiträge mit bedingtem Vorsatz vorenthalten hat, er also seine Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat. Eine anfänglich vorhandene Gutgläubigkeit begründet dann keinen Vertrauensschutz mehr, wenn nach Fälligkeit, aber noch vor Ablauf der kurzen Verjährungsfrist Vorsatz hinzutritt. Auch in diesem Fall gilt die lange Verjährungsfrist. Hat der Beitragsschuldner bei Eintritt der Fälligkeit noch keinen Vorsatz zur Vorenthaltung, läuft zunächst vom folgenden Kalenderjahr an eine vierjährige Verjährungsfrist. Diese verlängert sich jedoch durch eine rückwirkende Umwandlung in die 30-jährige Verjährungsfrist, wenn der Beitragsschuldner noch vor Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist bösgläubig wird (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 30.03.2000, Az. B 12 KR 14/99 R).
26Nach Auffassung der Kammer hat die Klägerin die Beiträge nicht vorsätzlich vorenthalten. Eindeutige Anhaltspunkte für das Vorliegen von (bedingtem) Vorsatz bereits im Jahr 2010 liegen nicht vor. Ein aufklärendes Schreiben ist der Klägerin nach den zuletzt übereinstimmenden Bekundungen der Beteiligten jedenfalls im Jahr 2010 nicht zugegangen. Nach Ansicht der Kammer genügt die Kenntnis von der Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 allein nicht schon für die Annahme eines bedingten Vorsatzes im Hinblick auf die Vorenthaltung von Beiträgen. Zwar hat die Entscheidung ein großes Interesse in der Öffentlichkeit und in den Medien gefunden (vgl. dazu SG Kassel, Urteil vom 04.09.2013, Az. S 12 KR 246/12). Allerdings müssen für die einzelnen betroffenen Unternehmen zum Zeitpunkt der Entscheidung des BAG die Inhalte und Wirkungen der Entscheidung noch nicht in vollem Ausmaß bekannt bzw. absehbar gewesen sein. So wurde insbesondere auch immer wieder der Gegenwartsbezug der Entscheidung betont, sogar noch nach Veröffentlichung der Entscheidungsgründe im Februar 2011. Auch betont das BAG in seinen Entscheidungsgründen selbst den Gegenwartsbezug seiner Entscheidung (BAG, Beschluss vom 14.12.2010, Az. 1 ABR 19/10). Letztlich ist die endgültige Klärung der Tariffähigkeit der CGZP für die Vergangenheit erst durch den Beschluss des BAG vom 23.05.2012 (Az. 1 AZB 58/11) erfolgt (so auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21.02.2013, Az. L 1 KR 441/12 B ER). Dass die Klägerin abweichend von diesen Ausführungen dennoch bereits im Jahr 2010 Kenntnis gehabt hätte, die die Annahme eines (bedingten) Vorsatzes rechtfertigen würde, ergibt sich für die Kammer nicht. Erst im Jahr 2011 ist aufgrund jedenfalls der von der Beklagten durchgeführten Prüfung vom Vorliegen von Vorsatz auszugehen, weil die Klägerin mit Beitragszahlungen rechnen musste. Zu diesem Zeitpunkt waren die Ansprüche für den o. g. Zeitraum allerdings bereits verjährt.
27Im Hinblick auf die Nachforderung der Beklagten für die Zeit vom 01.01.2007 bis zum 31.12.2009 ist die Klage unbegründet. Insoweit ist der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 21.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.04.2012 rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG in ihren Rechten. Die Beklagte fordert insoweit zu Recht Beiträge zur Sozialversicherung nach.
28Rechtsgrundlage für den Erlass des angefochtenen Bescheides ist § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV. Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung bei den Arbeitgebern Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Nach § 28p Abs. 1 Satz 1 SGB IV erfolgt mindestens alle vier Jahre - bei Vorliegen besonderer Gründe auch außerhalb dieses Turnus - eine Prüfung, ob die Arbeitgeber ihre Pflichten, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§ 28d SGB IV) stehen, ordnungsgemäß erfüllen. Nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen. Bei kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten wird der Beitragsbemessung in den Zweigen der Sozialversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung insbesondere das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung zugrunde gelegt (§ 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V], § 57 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB XI], § 162 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI] und § 342 Drittes Buch Sozialgesetzbuch [SGB III]). Arbeitsentgelt sind nach § 14 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.
29Zu Recht hat die Beklagte den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die bei der Klägerin im streitigen Zeitraum beschäftigten Leiharbeitnehmer dementsprechend jeweils nach dem Arbeitsentgelt bemessen, das vergleichbaren Arbeitnehmern in den Betrieben der jeweiligen Entleiher gezahlt wurde bzw. gezahlt worden wäre. Nach der Regelung des § 10 Abs. 4 AÜG in der bis zum 29.04.2011 geltenden Fassung des Art. 6 Nr. 5 Buchst. b) des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl. I S. 4607) kann der Leiharbeitnehmer im Falle der Unwirksamkeit der Vereinbarung mit dem Verleiher nach § 9 Nr. 2 AÜG von diesem die Gewährung der im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts verlangen. Unwirksam im Sinne des § 9 Nr. 2 AÜG sind Vereinbarungen, die für den Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an einen Entleiher schlechtere als die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts vorsehen, es sei denn, der Verleiher gewährt dem zuvor arbeitslosen Leiharbeitnehmer für die Überlassung an einen Entleiher für die Dauer von insgesamt höchstens sechs Wochen mindestens ein Nettoarbeitsentgelt in Höhe des Betrages, den der Leiharbeitnehmer zuletzt als Arbeitslosengeld erhalten hat; letzteres gilt nicht, wenn mit demselben Verleiher bereits ein Leiharbeitsverhältnis bestanden hat; ein Tarifvertrag kann abweichende Regelungen zulassen; im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren.
30Im streitigen Zeitraum lag eine wirksame, vom Grundsatz des "equal pay" zulasten der Leiharbeitnehmer abweichende Vereinbarung im Sinne von § 9 Nr. 2 AÜG nicht vor. Vorliegend haben die Klägerin und ihre Arbeitnehmer von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Tarifverträge der CGZP mit dem AMP auf die Arbeitsverträge anzuwenden, die eine Abweichung vom Grundsatz des "equal pay" ermöglichten. Diese Tarifverträge waren allerdings unwirksam. Die Unwirksamkeit der Tarifverträge folgt daraus, dass die CGZP im Streitzeitraum weder eine tariffähige Arbeitnehmervereinigung im Sinne von § 2 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz (TVG) noch eine tariffähige Spitzenorganisation im Sinne von § 2 Abs. 2 und 3 TVG war (BAG, Beschluss vom 14.12.2010, Az. 1 ABR 19/10). Voraussetzung für den Abschluss von Tarifverträgen im Sinne des § 1 TVG ist die Tariffähigkeit der Tarifvertragsparteien. Schließt eine Vereinigung ohne Tariffähigkeit einen Tarifvertrag ab, ist dieser Tarifvertrag unwirksam und damit nichtig (BAG a.a.O.). Die Tarifunfähigkeit der CGZP gilt im zeitlichen Geltungsbereich ihrer Satzungen vom 11.12.2002, 05.12.2005 sowie vom 08.10.2009 (BAG, Beschluss vom 23.05.2012, Az. 1 AZB 58/11). Die Entscheidung über die Tariffähigkeit einer Vereinigung nach § 2a Abs. 1 Nr. 4, § 97 ArbGG begründet oder beendet nicht erst die Tariffähigkeit, sondern stellt die Tariffähigkeit oder Tarifunfähigkeit nur fest (BAG, Beschluss vom 15.11.2006, Az. 10 AZR 665/05). Die Klägerin war daher für den genannten Zeitraum verpflichtet, den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die betroffenen Leiharbeitnehmer jeweils nach dem Arbeitsentgelt zu bemessen, das vergleichbaren Arbeitnehmern in den Betrieben der jeweiligen Entleiher gezahlt wurde bzw. worden wäre.
31Die Beitragsansprüche sind unabhängig davon entstanden, ob die nach dem equal-pay-Prinzip geschuldeten Arbeitsentgelte den Arbeitnehmern tatsächlich zugeflossen sind. Die Beitragsansprüche der Versicherungsträger entstehen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Der Anspruch auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag entsteht dabei, wenn der Arbeitsentgeltanspruch entstanden ist, selbst wenn der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt nicht oder erst später gezahlt hat. Insoweit folgt das Sozialversicherungsrecht nicht dem Zufluss-, sondern dem sog. Entstehungsprinzip (BSG, Urteil vom 03.06.2009, Az. B 12 R 12/07 R). Der Anspruch entsteht unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt verlangt hat oder es rechtlich noch verlangen könnte (BSG, Urteil vom 14.07.2004, Az. B 12 KR 7/04 R). Auch im vorliegenden Fall ist die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV anzuwenden. Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB IV nicht zur Anwendung, wonach bei einmalig gezahltem Arbeitsentgelt der Beitragsanspruch erst mit Zufluss entsteht. In der Literatur wird insoweit zwar die Auffassung vertreten, dass der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 konstitutiv wirke mit der Folge, dass Arbeitsentgelt- und Beitragsansprüche erst ab diesem Zeitpunkt entstehen könnten. Es handele sich somit nicht um Ansprüche auf laufendes Arbeitsentgelt, für die nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV das Entstehungsprinzip gelte, sondern um nachträglich rückwirkende Lohnerhöhungen, die wie Einmalzahlungen zu behandeln seien. Die konstitutive Wirkung folge aus § 97 Abs. 5 ArbGG (vgl. Plagemann/Brand, NJW 2011, 1488, 1490 f.). Allerdings folgt aus § 97 Abs. 5 ArbGG gerade, dass die Entscheidung im Beschlussverfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG die Tarifunfähigkeit lediglich deklaratorisch feststellt. Die Regelung wäre im Wesentlichen sinnlos, wenn die Entscheidung über die Tariffähigkeit nur für die Zeit nach der Verkündung der Entscheidung von Bedeutung wäre (BAG, Beschluss vom 15.11.2006, Az. 10 AZR 665/05). Insoweit hat das BAG ferner mit Urteil vom 13.03.2013 (Az. 5 AZR 954/11) festgestellt, dass der Anspruch des Leiharbeitnehmers auf gleiches Arbeitsentgelt nach § 10 Abs. 4 AÜG ein die arbeitsvertragliche Vergütungsabrede korrigierender gesetzlicher Entgeltanspruch ist, der mit der Überlassung entsteht und zu dem im Arbeitsvertrag für die Vergütung bestimmten Zeitpunkt fällig wird.
32Der Beitragsbescheid der Beklagten vom 21.11.2011 ist auch hinsichtlich der Höhe der für die Jahre 2007 bis 2009 festgestellten Beitragsnachforderung nicht zu beanstanden.
33Rechtsgrundlage für die von der Beklagten vorgenommene Schätzung ist § 28f Abs. 2 SGB IV. Danach kann der prüfende Träger der Rentenversicherung in Fällen, in denen ein Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat und dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Höhe des Arbeitsentgelts und der Beiträge nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermittelt und festgestellt werden kann, einerseits den Gesamtsozialversicherungsbeitrag im Wege eines Lohnsummenbescheides geltend machen (Satz 1), andererseits die Höhe der Arbeitsentgelte schätzen (Satz 3). Wenn auch die Aufzeichnungspflicht als solche nicht ausdrücklich im Gesetz aufgeführt ist, so ergibt sie sich doch zwingend aus dem Zusammenhang der übrigen gesetzlich bestimmten Melde-, Auskunfts- und Vorlagepflichten. Es ist nämlich ausgeschlossen, diese Pflichten ordnungsgemäß zu erfüllen, wenn nicht vorher der Arbeitgeber die versicherungsrechtlich maßgeblichen Angaben aufgezeichnet hat. Entsprechend regelt die auf der Grundlage der §§ 28n, 28p Abs. 9 SGB IV erlassene Beitragsver-fahrensverordnung (BVV) vom 03.05.2006 (BGBl. I S. 1138) in § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 BVV, dass der Arbeitgeber in den Entgeltunterlagen das beitragspflichtige Arbeitsentgelt bis zur Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung einschließlich seiner Zusammensetzung und seiner zeitlichen Zuordnung aufzunehmen hat (eine entsprechende Regelung sah die bis zum 30.06.2006 geltende Beitragsüberwachungsverordnung [BÜVO] in der Fassung der Bekanntmachung vom 28.07.1997 [BGBl. I S. 1930] in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 für die zu führenden Lohnunterlagen vor). Erforderlich ist allein, dass der Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht objektiv verletzt hat; auf ein Verschulden kommt es nicht an (BSG, Urteil vom 07.02.2002, Az. B 12 KR 12/01 R, Rn. 22). Die Klägerin hat das nach dem Grundsatz des "equal pay" beitragspflichtige Arbeitsentgelt nicht aufgezeichnet. Ob sie subjektiv hierzu möglicherweise keine Veranlassung gesehen hat, ist aus den dargestellten Gründen unerheblich. Ausreichend für die Feststellung einer Pflichtverletzung ist die Kenntnis der Tatsachen, die eine Obliegenheit begründen (vgl. Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 16.09.2009, Az. IV ZR 246/08, Rn. 12), hier die Kenntnis der Tatsachen, die Gegenstand der Aufzeichnungspflicht sind. Dass die Klägerin wusste, dass sie das beitragspflichtige Arbeitsentgelt aufzuzeichnen hat, kann das erkennende Gericht unterstellen. Eine etwaige fehlerhafte Bewertung der Klägerin, ob der in Bezug genommene Entgeltvertrag zwischen der CGZP und dem AMP wirksam ist, stellt keine Unkenntnis der die Aufzeichnungspflicht begründenden Tatsachen dar, sondern allenfalls einen unbeachtlichen Rechtsirrtum (vgl. SG Dresden, Urteil vom 15.05.2013, Az. S 15 KR 440/12 m.w.N.). Die mit der Aufzeichnungspflicht korrespondierende Aufbewahrungs- und Vorlagepflicht endet zwar nach § 28f Abs. 1 SGB IV regelmäßig mit Ablauf des auf die letzte Prüfung nach § 28p SGB IV folgenden Kalenderjahres, vorliegend also mit Ablauf des 31.12.2011. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass auf Grund des Beschlus-ses des BAG vom 14.12.2010 (a.a.O.), welcher eine erhebliche Öffentlichkeitswirkung entfaltet hat, für die Klägerin objektiv Anlass dazu bestanden hat, das beitragspflichtige Arbeitsentgelt nach dem Grundsatz des "equal pay" aufzuzeichnen, die entsprechenden Entgeltunterlagen weiter aufzubewahren und bei der nächsten Prüfung vorzulegen.
34Die Höhe des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts konnte die Beklagte nicht bzw. nicht ohne unverhältnismäßigen Aufwand ermitteln. Anzustellen wäre nämlich für jeden Leiharbeitnehmer ein Gesamtvergleich der Entgelte im jeweiligen Überlassungszeitraum unter Berücksichtigung tätigkeitsbezogener (d. h. bezogen auf den konkreten Arbeitsplatz) und personenbezogener (d. h. bezogen auf eine bestimmte Qualifikation oder eine Berufsausbildung, an die die Arbeitsbedingungen gebunden sind) Komponenten. Unter den Gesamtvergleich der Entgelte fallen zudem nicht nur das laufende Entgelt, sondern auch alle Zulagen und Zuschläge, Ansprüche auf Entgeltfortzahlung sowie weitere Vergütungsbestandteile, die als Gegenleistung vom Vertragsarbeitgeber für die Erbringung der Arbeitsleistung vergleichbarer Arbeitnehmer des Entleihers erbracht werden (vgl. SG Dresden a.a.O.). Vor diesem Hintergrund war für die im Bescheid aufgeführten überschlägig etwa 1.300 Leiharbeitnehmer eine Schätzung gerechtfertigt.
35Die Schätzung begegnet auch der Höhe nach keinen durchgreifenden Bedenken. Die vorgenommene Ermittlung ist in Abstimmung und im Einverständnis mit der Klägerin erfolgt. Wenn die Klägerin jetzt im Klageverfahren rügt, die Schätzung sei nicht rechtens, so ist dem nicht weiter zu folgen und weitere Aufklärung zu betreiben. Der Einwand ist zum einen unsubstantiiert, so dass das Gericht nicht verpflichtet ist, ins Blaue hinein Ermittlungen zu ergreifen. Hätte die Klägerin konkret vorgetragen und dargetan, aufgrund welcher genau angegebenen Tatsachen ihre früheren eigenen Annahmen unrichtig sein sollen, so hätte die Beklagte die Angaben überprüfen und die Berechnung korrigieren können. Anhaltspunkte, dass die eigenen Angaben der Klägerin nicht zutreffend gewesen sind, hat das Gericht nicht. Insofern handelt die Klägerin mit ihrem Einwand entgegen ihrem eigenen Verhalten im Ausgangsverfahren (venire contra factum proprium), so dass auch deswegen das Gericht eigene Ermittlungen nicht durchzuführen hatte.
36Der Beitragsnachforderung der Beklagten stehen keine Vertrauensschutzgesichtspunkte entgegen. Ein schützenswertes Vertrauen lässt sich insbesondere weder aus einem Vertrauen in eine ständige höchstrichterliche Rechtsprechung zur Tariffähigkeit der CGZP bzw. allgemein von Gewerkschaften und Spitzenverbänden, einem Vertrauen in die Wirksamkeit von Tarifverträgen noch aus einem Vertrauen in vorangegangene Betriebsprüfungen und die Bestandskraft hierbei erlassener Bescheide herleiten.
37Eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Tariffähigkeit von Gewerkschaften und Spitzenorganisationen liegt durch den Beschluss des BAG vom 14.12.2010 (Az. 1 ABR 19/10) nicht vor. Weder hatte das BAG zuvor eine Entscheidung über die Tariffähigkeit der CGZP getroffen noch hat es mit dem genannten Beschluss seine Rechtsprechung zur Tariffähigkeit von Gewerkschaften und Spitzenorganisationen geändert (vgl. BAG, Beschluss vom 22.05.2012, Az. 1 ABN 27/12; BAG, Urteil vom 13.03.2013, Az. 5 AZR 242/12). Auch lag bislang keine sozialgerichtliche Rechtsprechung vor, wonach die CGZP als tariffähig angesehen wurde.
38Überdies wird der gute Glaube an die Wirksamkeit eines Tarifvertrages, namentlich an die Tariffähigkeit einer Vereinigung, nicht geschützt (BAG, Urteil vom 15.11.2006, Az. 10 AZR 665/05). Dies gilt nach dem Urteil des BAG vom 13.03.2013 (Az. 5 AZR 242/12) ausdrücklich auch für die CGZP und auch für Vertrauen, welches aufgrund des Verhaltens der Bundesagentur für Arbeit oder anderer Stellen entwickelt worden sein mag.
39Ein Vertrauensschutz ergibt sich für die Klägerin auch nicht aus vorangegangenen Prüfungen nach § 28p SGB IV. Die Prüfbehörden sind bei Arbeitgeberprüfungen nach § 28p SGB IV selbst in kleinen Betrieben nicht zu einer vollständigen Überprüfung der versicherungsrechtlichen Verhältnisse aller Versicherten verpflichtet. Betriebsprüfungen haben unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten den Zweck, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Sie sollen einerseits Beitragsausfälle verhindern helfen, andererseits die Versicherungsträger in der Rentenversicherung davor bewahren, dass aus der Annahme von Beiträgen für nicht versicherungspflichtige Personen Leistungsansprüche entstehen. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung kommt den Betriebsprüfungen einschließlich der Protokolle über die Schlussbesprechung nicht zu. Sie bezwecken insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm "Entlastung" zu erteilen (BSG, Urteil vom 14.07.2004, Az. B 12 KR 7/04 R).
40Der streitige Beitragsanspruch ist auch nicht verwirkt. Besondere Umstände, die die Verwirkung eines Rechts auslösen, welches der Berechtigte während eines längeren Zeitraums nicht ausgeübt hat, liegen nur dann vor, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen darf, dass dieser das Recht zumindest für die Vergangenheit nicht mehr geltend machen wird (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich in Folge dessen seine Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Ein bloßes Nichtstun durch die Beklagte reicht hierfür jedoch insgesamt nicht aus. Ein Unterlassen kann schutzwürdiges Vertrauen des Schuldners nämlich nur dann begründen, wenn er das Nichtstun des Gläubigers nach den Umständen als bewusst und planmäßig hätte betrachten dürfen, wobei hier ein planmäßiges Unterlassen der Geltendmachung von Beitragsansprüchen von Seiten der Beklagten gerade nicht vorgelegen hat und von der Klägerin auch nicht als solches hätte verstanden werden können. Insoweit wurde durch frühere Betriebsprüfungsbescheide kein konkreter Vertrauenstatbestand im vorgenannt erforderlichen Sinne gesetzt. Im Ergebnis könnte stattdessen allenfalls eine schlichte Untätigkeit vorliegen, aus der die Klägerin nicht darauf vertrauen durfte, dass die Beklagte ihre weite-ren, bisher nicht konkret geprüften Beitragsansprüche nicht mehr geltend machen würde.
41Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
42Der Streitwert richtet sich nach der streitigen Beitragsforderung.
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