Urteil vom Sozialgericht Duisburg - S 9 KR 8/15
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin unter Aufhebung des Bescheides vom 05.0.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2015 7.673,12 EUR für die in der Zeit vom 18.02.2015 bis 28.04.2015 erfolgte stationäre Behandlung zu erstatten.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
1
Tatbestand:
2Zwischen den Beteiligten ist die Kostenerstattung einer beriatrischen Operation streitig.
3Die am 05.04.1965 geborene Klägerin ist gesetzlich krankenversichertes Mitglied der beklagten Krankenkasse. Die Klägerin leidet seit ihrer Pubertät an Übergewicht, zuletzt mit zahlreichen Nebenerkrankungen. Aus diesem Grund beantragte die Klägerin, die seinerzeit bei einer Körpergröße von 160 cm 115 kg wog, mit Schreiben vom 19.11.2014 die Kostenübernahme für eine beriatrische Operation. Dem Antrag war eine Vielzahl befürwortender und medizinischer Unterlagen beigefügt. Insoweit wird auf Blatt 1 bis 101 der Verwaltungsakte Bezug genommen. Der Antrag nebst Anlagen ist der Beklagten noch am 19.11.2014 zugegangen.
4Die Beklagte teilte der Klägerin noch mit Schreiben vom 19.11.2014, welches nicht in der Verwaltungsakte abgeheftet wurde (vgl. aber Blatt 101 der Verwaltungsakte) mit, dass sie eine sozialmedizinische Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) einholen werde. Sodann bat die Beklagte den MDK Nordrhein um Stellungnahme, ob eine Magenbypass-Operation bei der Klägerin befürwortet werde.
5Die MDK-Beratungsärztin teilte nach Aktendurchsicht und ohne klinische Untersuchung der Klägerin in ihrem Gutachten vom 18.12.2014 mit, dass die medizinischen Voraussetzungen für die beantragte Leistungsgewährung nicht erfüllt seien. Eine beriatrische Operation komme nur als ultima ratio in Betracht. Im Falle der Klägerin seien aber nicht alle konventionellen und konservativen Methoden zur Gewichtsreduzierung durchgeführt worden.
6Das MDK-Gutachten vom 18.12.2014 wurde der Klägerin zunächst nicht zur Verfügung gestellt. Die Klägerin bat daher am 23.12.2014 fernmündlich um Sachstandsmitteilung und rief im Telefonkundencenter der Beklagten in Duisburg an. Der dort angestellte Mitarbeiter W. Sch.-B. teilte der Klägerin nach Rücksprache mit der Leistungsabteilung mit, dass die zuständige Sachbearbeiterin im Jahresurlaub sei. Das Gutachten des MDK sei aber bereits eingegangen und für die Klägerin negativ ausgefallen. Die Klägerin habe mit einer ablehnenden Entscheidung zu rechnen. Hinsichtlich der Einzelheiten des Telefonats wird auf den Telefonvermerk der Beklagten vom 23.12.2014 und das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 31.08.2016 Bezug genommen.
7Mit Schreiben vom 29.12.2014 stützte die Klägerin ihr Begehren auf eine Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Sozialgesetzbuch, 5. Buch (SGB V). Da die Beklagte ihren Antrag nicht in der vorgesehenen Frist beschieden habe, gelte der Antrag als genehmigt.
8Mit Bescheid vom 05.01.2015 lehnte die Beklagte den Antrag ab und stützte sich zur Begründung auf das MDK-Gutachten vom 18.12.2014.
9Gestützt auf die von ihr angenommene Genehmigungsfiktion erhob die Klägerin derweil am 07.01.2015 Klage vor dem erkennenden Gericht. Gegen den Ablehnungsbescheid der Beklagten hat die Klägerin am 03.02.2015 Widerspruch eingelegt. Das Widerspruchsschreiben wurde nicht in die Verwaltungsakte eingeheftet.
10Im Zeitraum vom 18.02.2015 bis 28.04.2015 unterzog sich die Klägerin einer stationären Behandlung im M. Krankenhaus, D., wo am 19.02.2015 eine Magenbypass-Operation durchgeführt wurde. Hierfür wurden der Klägerin Gesamtkosten in Höhe von 7.673,12 EUR in Rechnung gestellt, die die Klägerin bereits beglichen hat.
11Mit Bescheid vom 11.03.2015 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid vom 05.01.2015 als unbegründet zurück. Auf den Widerspruchsbescheid vom 11.03.2015 wird insoweit Bezug genommen.
12Die Klägerin hielt ihre Klage gleichwohl aufrecht. Ungeachtet der medizinischen Voraussetzungen stehe ihr die beantragte Leistung unter dem Gesichtspunkt der Genehmigungsfiktion zu. Da sie die Maßnahme zwischenzeitlich auf eigene Kosten durchgeführt habe, stehe ihr auch eine Erstattung der verauslagten Kosten zu.
13Sie beantragt zuletzt,
14die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Aufhebung des Bescheides vom 05.0.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2015 7.673,12 EUR für die in der Zeit vom 18.02.2015 bis 28.04.2015 erfolgte stationäre Behandlung zu erstatten.
15Die Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Sie verteidigt ihre Bescheide und nimmt auf diese Bezug. Auch eine Genehmigungsfiktion sei nicht eingetreten.
18Das erkennende Gericht hat ein Gutachten der Internistin und Ernährungsmedizinerin Dr. J. G.-L. vom 29.01.2016 eingeholt. Diese befand nach klinischer postoperativer Untersuchung der Klägerin am 27.01.2016, dass bei der Klägerin vor der Operation die medizinischen Voraussetzungen für die Leistungsgewährung nicht vorlagen, da noch nicht alle konservativen Behandlungsmethoden, die dem chirurgischen Eingriff vorrangig seien, ausgeschöpft worden seien. Der bereits durchgeführte Eingriff habe zudem zahlreiche Komplikationen hervorgerufen, die eine Revisionsoperation erforderlich gemacht und zu monatelangen Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsnotwendigkeit bei der Klägerin geführt hätten. Insoweit und hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das Sachverständigengutachten vom 29.01.2016 Bezug genommen.
19Das Gericht hat weiter Beweis erhoben durch informatorische Anhörung der Klägerin und durch Vernehmung des Zeugen Sch.-B ... Insoweit wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 31.08.2016 verwiesen.
20Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte verwiesen. Der wesentliche Inhalt der vorgenannten Akten ist Gegenstand der Kammerberatung und Entscheidungsfindung geworden.
21Entscheidungsgründe:
22Die Klage ist zulässig und begründet.
23Die Klägerin hat zu Recht eine Kostenerstattung über 7.673,12 EUR beansprucht. Die Voraussetzungen des geltend gemachten Erstattungsanspruchs gemäß § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V sind erfüllt. Die Klägerin kann sich für die Erstattung der Kosten auf den Anspruch aus § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB nach dessen zeitlichem und sachlichem Anwendungsbereich berufen.
24Die Regelung ist nach ihrem Geltungszeitraum anzuwenden. Nach dem maßgeblichen intertemporalen Recht (BSGE 99, 95) greift die Regelung lediglich für Anträge auf künftig zu erbringende Leistungen, die Berechtigte ab dem 26.02.2013 stellen. Die Klägerin stellte nach dem 25.02.2013, am 19.11.2014, bei der Beklagten einen Antrag auf Bewilligung einer künftig zu leistenden Magenbypass-Operation.
25Die Regelung ist auch sachlich anwendbar. Denn die Klägerin verlangt weder unmittelbar eine Geldleistung noch Erstattung für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (Reha), sondern Erstattung für eine selbstbeschaffte Krankenhausbehandlung.
26Die Regelung findet keine Anwendung auf Ansprüche gegen Krankenkassen, die unmittelbar auf eine Geldleistung gerichtet sind. Das sind andere Ansprüche der Versicherten wegen sachleistungsersetzender Kostenerstattung etwa nach § 13 Abs. 2 und 3 SGB V und wegen Geldleistungen mit Unterhaltsersatzfunktion. Der gesetzliche Erstattungsanspruch für die selbstbeschaffte erforderliche Leistung passt hierauf nicht. Versicherte können sich jederzeit Kredite zur Überbrückung von Zeiten verschaffen, in denen bei ihnen ein Bedarf entsteht, weil Krankenkassen den Versicherten zustehende Geldleistungsansprüche nicht auszahlen. Es bedarf hierfür keines besonderen Rechtsmechanismus. Der Gesetzgeber ging für die Regelung dementsprechend von einer "Ausnahme vom Sachleistungsprinzip" aus (vgl. BT-Drs. 17/10488, Seite 32). Um einen solchen unmittelbaren Geldleistungsanspruch geht es hier unstreitig nicht. Die Klägerin hat zunächst Sachleistung beantragt und nach Ablauf der Bearbeitungsfrist die Leistung selbst beschafft. Hier ist mithin ein mittelbarer Geldleistungsanspruch entstanden, wie er durch § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V begründet wird.
27Der Erstattungsanspruch bei Genehmigungsfiktion ist auch für Leistungen zur medizinischen Reha nicht gegeben, § 13 Abs. 3a Satz 9 SGB V (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 08.03.2016 B 1 KR 25/15 R). Die von der Klägerin begehrte und selbstbeschaffte Psychotherapie ist aber nicht Gegenstand der medizinischen Reha, sondern der Krankenhausbehandlung (vgl. BSG, a.a.O.).
28Nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (§ 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V). Der MDK nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (§ 13 Abs. 3a Satz 3 SGB V). Eine hiervon abweichende Frist ist nur für den Fall der Durchführung eines im Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) vorgesehenen Gutachterverfahrens bestimmt (§ 13 Abs. 3a Satz 4 SGB V). Kann die Krankenkasse die Fristen nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (§ 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (§ 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (§ 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V). Für Leistungen zur medizinischen Reha gelten die §§ 14, 15 Sozialgesetzbuch, 9. Buch (SGB IX) zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbstbeschaffter Leistungen (§ 13 Abs. 3a Satz 9 SGB V).
29Grundvoraussetzung des Erstattungsanspruchs aufgrund Genehmigungsfiktion (§ 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V) ist, dass die beantragte Leistung im Sinne des Gesetzes nach Ablauf der Frist als genehmigt gilt (§ 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V). Das folgt aus dem Wortlaut, der Systematik sowie Entstehungsgeschichte und dem Regelungszweck. Die von der Klägerin beantragte Leistung galt in diesem Sinne als genehmigt.
30Der Eintritt der Genehmigungsfiktion ist in der Erstattungsregelung verkürzend mit den Worten "nach Ablauf der Frist" vorausgesetzt. Gemeint ist nicht jeder Fall des Ablaufs der Fristen nach § 13 Abs. 3a Satz 1 oder 4 SGB V. Der Erstattungsanspruch setzt nach seinem inneren Zusammenhang mit der Mitteilungspflicht (§ 13 Abs. 3a Satz 5) und dem Eintritt der Genehmigungsfiktion nach Satz 6 vielmehr voraus, dass die Krankenkasse keinen oder keinen hinreichenden Grund mitteilte. Nur im Fall grundlos nicht fristgerechter Leistungserbringung kann sich der Versicherte aufgrund der Regelung die erforderliche Leistung selbst beschaffen und Kostenerstattung von der Krankenkasse verlangen (vgl. BT-Drs. 17/11710, Seite 29 f.). Der Regelungszweck, Bewilligungsverfahren der Krankenkassen zu beschleunigen (vgl. BSG, a.a.O., juris-Rn 20 m.w.N.), zielt nicht darauf ab, hinreichend begründete Verzögerungen zu sanktionieren. Die Mitteilung mindestens eines hinreichenden Grundes bewirkt für die von der Krankenkasse prognostizierte, taggenau anzugebende Dauer des Bestehens zumindest eines solchen Grundes, dass die Leistung trotz Ablaufs der Frist noch nicht als genehmigt gilt. Stellt sich nach Mitteilung einer ersten, sachlich gerechtfertigten Frist heraus, dass diese zunächst prognostizierte Frist sich aus hinreichenden Sachgründen als zu kurz erweist, kann die Krankenkasse zur Vermeidung des Eintritts der Genehmigungsfiktion dem Antragsteller die hinreichenden Gründe mit der geänderten taggenauen Prognose erneut ggf. wiederholt - mitteilen. Erst wenn sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der letzten, hinreichend begründeten Frist eine erforderliche Leistung selbst beschaffen, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet.
31Die von der Klägerin beantragte Adipositaschirurgie galt wegen Fristablaufs als genehmigt. Denn die leistungsberechtigte Klägerin stellte bei der Beklagten einen hinreichend bestimmten Antrag auf Leistung einer beriatrischen Operation, die sie subjektiv für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) liegt. Diesen Antrag beschied die Beklagte nicht innerhalb der Frist des § 13 Abs. 3 Satz 1 und 2, ohne der Klägerin hinreichende Gründe für die Überschreitung der Frist mitzuteilen.
32Die Klägerin ist als bei der Beklagten Versicherte und damit leistungsberechtigt im Sinne der Regelung. "Leistungsberechtigter" ist derjenige, der berechtigt ist, Leistungen nach dem SGB V zu beanspruchen. Hierzu zählen in der GKV Versicherte im Verhältnis zu ihrer jeweiligen Krankenkasse.
33Die Klägerin beantragte hinreichend bestimmt die Gewährung einer beriatrischen Operation als Sachleistung. Damit die Leistung im Rechtssinne nach Ablauf der Frist als genehmigt gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags. Entsprechend den allgemeinen, in § 42a Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) normierten Grundsätzen (vgl. Begründung zu § 42a VwVfG im Gesetzentwurf der Bundesregierung eines 4. VwVfÄndG, BT-Drs. 16/10493, Seite 15) gilt "eine beantragte Genehmigung ( ) nach Ablauf einer für die Entscheidung festgelegten Frist als erteilt ( ), wenn dies durch Rechtsvorschrift angeordnet und der Antrag hinreichend bestimmt ist". Da der Verwaltungsakt nicht erlassen, sondern fingiert wird, muss sich der Inhalt der fingierten Genehmigung aus dem Antrag in Verbindung mit den einschlägigen Genehmigungsvorschriften hinreichend bestimmen lassen (BT-Drs. 16/10493, Seite 16). Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X hinreichend bestimmt ist (vgl. BSG, a.a.O., juris-Rn 23 m.w.N.).
34So lag es hier. Der Antrag der Klägerin auf Gewährung einer beriatrischen Operation vom 19.11.2014 war im Rechtssinne hinreichend bestimmt und fiktionsfähig. Dem Antrag waren zahlreiche Gutachten, Befundberichte, ärztliche Stellungnahmen, Diät-Lebensläufe etc. beigefügt. Das Antragskonvolut umfasst dabei einen Umfang von rund 100 Seiten. Dass der Antrag hinreichend bestimmt war, folgt auch daraus, dass die MDK-Beratungsärztin Schott sich auf der Grundlage der eingereichten Unterlagen in der Lage sah, den Antrag nach Aktenlage zu entscheiden.
35Der Antrag der Klägerin betraf zudem eine Leistung, die sie für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV lag. Die Gesetzesregelung ordnet diese Einschränkungen für die Genehmigungsfiktion zwar nicht ausdrücklich, aber sinngemäß nach dem Regelungszusammenhang und -zweck an. Denn die Genehmigungsfiktion begründet zugunsten des Leistungsberechtigten einen Naturalleistungsanspruch, dem der im Anschluss hieran geregelte, den Eintritt der Genehmigungsfiktion voraussetzende naturalleistungsersetzende Kostenerstattungsanspruch im Ansatz entspricht. Der Naturalleistungsanspruch kraft Genehmigungsfiktion ermöglicht auch mittellosen Versicherten, die nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, ihren Anspruch zu realisieren (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 23.05.2014 L 5 KR 222/14 B ER). Für diese Auslegung spricht schließlich der Sanktionscharakter der Norm (BSG, a.a.O., juris-Rn 26). Der Anspruch ist entsprechend den allgemeinen Grundsätzen auf Freistellung von der Zahlungspflicht gerichtet, wenn die fingierte Genehmigung eine Leistung betrifft, die nicht als Naturalleistung erbracht werden kann (BSG, a.a.O.). Auch der Kostenerstattungsanspruch aufgrund Genehmigungsfiktion setzt voraus, dass sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine "erforderliche" Leistung selbst beschaffen.
36Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen (BSG, a.a.O., juris-Rn 27). Einerseits soll die Regelung es dem Berechtigten erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits soll sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen. Die Gesetzesmaterialien sprechen beispielhaft den Fall an, dass die Krankenkassen auch im Fall der selbstbeschafften Leistung, zum Beispiel bei einer notwendigen Versorgung mit Zahnersatz, nicht den vom Versicherten zu tragenden Eigenanteil zu übernehmen hat (vgl. BT-Drs. 17/11710, Seite 30; BSG, a.a.O., m.w.N.).
37Die beantragte beriatrische Operation zur Behandlung einer Adipositas Grad III unterfällt ihrer Art nach dem Leistungskatalog der GKV. Ungeachtet des Umstands, dass die Anforderungen an eine solche Leistung nach der ständigen Rechtsprechung des BSG recht hoch sind ("ultima ratio" vgl. BSG, Urteil vom 06.10.1999 B 1 KR 13/97 R; Urteil vom 19.02.2003 B 1 KR 1/02 R; Beschluss vom 17.10.2006 B 1 KR 104/06 B), ist zu konstatieren, dass es sich grundsätzlich um eine medizinische Leistung handelt, die im GKV-Leistungskatalog abgebildet ist und die in der klinischen Praxis in einer Vielzahl von Fällen von den Krankenkassen genehmigt wird. Angesichts der ausnahmelos befürwortenden Stellungnahmen ihrer Behandler konnte die Klägerin auch in subjektiver Hinsicht davon ausgehen, dass ihr Leistungsbegehren genehmigungsfähig ist. Für ein missbräuchliches Handeln der Klägerin ist nichts ersichtlich. Im Gegenteil ist sogar zu konstatieren, dass die Klägerin noch vor Ablauf der Bearbeitungsfrist bei der Beklagten nach dem Sachstand gefragt hatte und damit der Beklagten eine letzte Gelegenheit gegeben hatte, die gesetzlichen Fristen einzuhalten bzw. wenigstens eine Fristverlängerung zu initiieren. Dass die Beklagte diese Frist aufgrund erheblicher Organisationsmängel (keine ausreichende Dokumentation, keine Fristenkontrolle, keine ausreichende Urlaubsvertretung, kein Vertretungsmandat der Kundentelefonzentrale, kein Rücknahmeverwaltungsakt) versäumt hat, ist nicht der Klägerin anzulasten. Die Korrektur derartiger Organisationsmängel ist gerade eines der Regelungsziele der Genehmigungsfiktion.
38Die Beklagte beschied den Antrag nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von fünf Wochen, ohne der Klägerin hinreichende Gründe für die Überschreitung der Frist mitzuteilen. Die Frist von fünf Wochen ist maßgeblich, weil die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 19.11.2014 über die Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme des MDK unterrichtete (vgl. zur Pflicht: § 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V; Rieker, NZS 2015, 294, 296). Die Frist begann am Donnerstag, dem 20.11.2014, weil der Antrag der Klägerin ausweislich des Eingangsstempels der Beklagten am 19.11.2014 bei der Beklagten einging (§ 26 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, 10. Buch [SGB X] in Verbindung mit § 187 Abs. 1 BGB). Die Frist endete mithin am Mittwoch, dem 24.12.2014 (§ 26 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit § 188 Abs. 2 BGB). Die Beklagte entschied erst am 05.01.2015 über den Antrag der Klägerin und damit verspätet. Zur Überzeugung der Kammer steht auch fest, dass der Leistungsantrag der Klägerin auch nicht zuvor am 23.12.2014 fernmündlich durch den Zeugen Sch.-B. abgelehnt wurde. Zwar kann ein solcher ablehnender Verwaltungsakt auch mündlich oder durch schlüssiges Handeln ergehen (vgl. § 31 Satz 1 SGB X), jedoch setzt dies eine Regelung, mithin das Setzen einer Rechtsfolge voraus. Hieran fehlt es vorliegend, da in dem Verhalten des Zeugen allenfalls die Inaussichtstellung einer Regelung gesehen werden kann. Die Äußerungen des Zeugen haben daher den Charakter einer Anhörung nach § 24 SGB X. Der Zeuge hat auch selbst erklärt, dass er zu einer ablehnenden Entscheidung in der Sache gar nicht befugt gewesen sei.
39Die Klägerin beschaffte sich die beantragte Leistung selbst, nachdem sie als genehmigt galt. Hierdurch entstanden ihr 7.673,12 EUR Kosten.
40Die genehmigte Leistung, die sich die Klägerin beschaffte, war auch noch im Zeitpunkt der Beschaffung erforderlich. Die Klägerin beachtete nämlich Art und Umfang der fingierten Genehmigung einer beriatrischen Operation. Sie beschaffte sich die Leistung zeitnah nach Eingreifen der Genehmigungsfiktion. Die fingierte Genehmigung hatte sich bei der Beschaffung auch nicht erledigt. Dies hätte zur Folge gehabt, dass die Leistung nicht mehr (subjektiv) erforderlich gewesen wäre. Auch eine fingierte Genehmigung - wie jene der Klägerin - bleibt wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist, § 39 Abs. 2 SGB X (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016 B 1 KR 25/15 R, juris-Rn 31 m.w.N.). So kann etwa - für den Versicherten erkennbar - eine "Erledigung auf andere Weise" einer fingierten Genehmigung einer beantragten Krankenbehandlung eintreten, wenn die ursprünglich behandlungsbedürftige Krankheit nach ärztlicher, dem Betroffenen bekannter Einschätzung vollständig geheilt ist: Es verbleibt durch diese Änderung der Sachlage für die getroffene Regelung kein Anwendungsbereich mehr. Sie kann nach ihrem Inhalt und Zweck keine Geltung für den Fall derart veränderter Umstände beanspruchen. Sind Bestand oder Rechtswirkungen einer Genehmigung für den Adressaten erkennbar von vornherein an den Fortbestand einer bestimmten Situation gebunden, so wird sie gegenstandslos, wenn die betreffende Situation nicht mehr besteht (BSG, a.a.O.). In diesem Sinne ist die Beklagte nach Fristablauf nicht mit allen Einwendungen gegen die fingierte Genehmigung ausgeschlossen. Geänderte Umstände, die die Genehmigung im Zeitpunkt der Beschaffung entfallen ließen, sind aber nicht ersichtlich.
41Etwas anderes folgt nicht daraus, dass der Klägerin vor Selbstverschaffung der (fiktiv-)genehmigten Operationsmaßnahme die ablehnende Entscheidung der Beklagten vom 05.01.2015 zugegangen ist (so auch BSG, a.a.O., juris-Rn 32). Die fingierte Genehmigung schützt den Adressaten dadurch, dass sie ihre Wirksamkeit ausschließlich nach den allgemeinen Grundsätzen über Erledigung, Widerruf und Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts verliert. Ihre Rechtmäßigkeit beurteilt sich nach der Erfüllung der oben aufgezeigten Voraussetzungen nach § 13 Abs. 3a SGB V und nicht nach den Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs. Die spätere Mitteilung der ablehnenden Entscheidung der Beklagten lassen die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion unberührt; die Ablehnung der Leistung regelt weder ausdrücklich noch sinngemäß, weder förmlich noch inhaltlich eine Rücknahme oder den Widerruf der fingierten Genehmigung gemäß der §§ 45, 47 SGB X. Auch eine entsprechende Umdeutung der Ablehnungsentscheidung in einen Rücknahmeverwaltungsakt kam schon deswegen nicht in Betracht, weil von Seiten der Beklagten keine Vertrauensschutz- und Ermessensprüfung durchgeführt wurde. Eine ausdrückliche Rücknahme des fingierten Verwaltungsaktes hat die Beklagte bis zuletzt nicht erlassen.
42Der Klägerin entstanden unstreitig Operations- und Behandlungskosten in Höhe von 7.673,12 EUR, wie sie auch durch Vorlage der Rechnung vom 08.04.2015 glaubhaft gemacht wurden. Diesen Betrag hat die Beklagte nach § 13 Abs. 3a Satz 7 zu erstatten.
43Dem gefundenen Ergebnis steht nicht entgegen, dass die Beweisaufnahme ergeben hat, dass die beantragte Leistung an sich nicht genehmigungsfähig war. Auch rechtswidrige Verwaltungsakte genießen Bestandschutz, solange sie ihre Wirksamkeit nicht nach § 39 SGB X verlieren.
44In rechtpolitischer Hinsicht teilt das erkennende Gericht die Vorbehalte der beklagten Krankenkasse. Gerade der vorliegende Fall zeigt, dass der vom Gesetzgeber festgesetzte Bearbeitungsrahmen von drei bis fünf Wochen an der gelebten Praxis vorbeigeht, insbesondere dann wenn wie vorliegend Anträge kurz vor den Weihnachtsfeiertagen gestellt werden (so auch in der BSG-Entscheidung vom 08.03.2016 B 1 KR 25/15 R). Angesichts der in der Praxis mannigfaltigen Organisationsmängel, die gerichtsbekannt sind und die im vorliegenden Fall fast zwei Jahre nach der Gesetzeseinführung - eindrucksvoll von der Beklagten dargelegt wurden, hat die erkennende Kammer keine Illusionen, dass die Krankenkassen die gesetzlichen Anforderungen in naher Zukunft nachvollziehen werden. Dies geht einher mit Kostenerstattungen für medizinisch eigentlich nicht indizierte Behandlungsfälle, die von der Schutzgemeinschaft der Beitragszahler zu finanzieren sind. Hinzu kommt, dass in Einzelfällen Leistungen (fiktiv) genehmigt werden, deren Qualität und Nutzen möglicher Weise nicht hinreichend überprüft und erprobt wurden. Gerade der vorliegende Fall zeigt, dass eine übereilige Leistungsbearbeitung in medizinischen Fällen zu Fehlbehandlungen, mehrmonatigen Arbeitsunfähigkeitszeiten, Arzthaftungsprozessen und gesundheitlichen Einschränkungen der Versicherten führen können. Demgegenüber können Versicherte bei überlangen Bearbeitungen der beklagten Krankenkassen wie in anderen Rechtsgebieten auch mittels Eilverfahren und Untätigkeitsklagen tätig werden. Die rechtspolitisch fragwürdige und besonderes streitträchtige Regelung in § 13 Abs. 3a SGB V sollte daher nach Ansicht der erkennenden Kammer ersatzlos aufgehoben werden. Bis dahin ist die rechtsausführende und rechtsprechende Gewalt aber an die gesetzliche Regelung in § 13 Abs. 3a SGB V de lege lata gebunden, § 31 SGB V.
45Nach alledem war der Klage stattzugeben.
46Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Rechtsstreits Rechnung.
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