Beschluss vom Sozialgericht Düsseldorf - S 32 AL 453/04 ER
Tenor
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, bis zur Entscheidung in der Hauptsache davon auszugehen, dass für die polnischen Arbeitnehmer der Antragstellerin zu 1) bei der Durchführung des Werkvertrages vom 17.12.2004 zwischen der Antragstellerin zu 1) und der B Deutschland GmbH über die Auffahrung einer Kohlenabfuhrstrecke im Flöz T1 T2 000.0 und einer weiteren Kohlenabfuhrstrecke im Flöz T1 T2 000.0, jeweils in dem Bergwerk Ost in 00000 I, Dienstleistungsfreiheit besteht. Der Antrag der Antragstellerin zu 2) wird als unzulässig abgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
1
Gründe:
2I.
3Die Antragstellerin zu 1) ist ein polnisches Unternehmen mit Sitz in L/Q und einer Zweigniederlasssung in G. N. Das Unternehmen der Antragstellerin zu 1) ist im Bergbau tätig, ebenso wie das Unternehmen der Antragstellerin zu 2) (mit Firmensitz in H).
4Die Antragstellerin zu 2) führt Werkleistungen für die Deutsche Steinkohle AG im Bergwerk Ost - Flöz T1 - in I/X aus (Auftrag vom 15.12.2004). Es handelt sich hierbei um einen Erweiterungsauftrag zu bereits bestehenden Aufträgen und Werkverträgen mit der Deutschen Steinkohle AG.
5Zur Erfüllung dieses Auftrags - Auffahrung einer Kohlenabfuhrstrecke im Flöz T1 T2. 000.0 und einer weiteren Kohlenabfuhrstrecke T2 000.0 jeweils im Bergwerk Ost in I - will sich die Antragstellerin 2) der Dienste der Antragstellerin zu 1) mittels Werkvertrag vom 17.12.2004 bedienen. Die Ausführung der werkvertraglichen Leistungen ist jeweils vorgesehen für eine Zeit ab dem 11.03.2005 (Flöz T1 T2 000 0) und ab dem 28.09.2005 (Flöz T1 T2 000.0).
6Im Rahmen der Vorverhandlungen zu diesem Werkvertrag wandte sich die Antragstellerin zu 1) mit Schreiben vom 15.11.2004 an die Antragsgegnerin und beantragte, aus Gründen der Rechtssicherheit festzustellen, dass es sich bei den Tätigkeiten, die Gegenstand des späteren Werkvertrages sein sollten, um der Dienstleistungsfreiheit für polnische Arbeitnehmer unterliegende Tätigkeiten handelt.
7Die Antragsgegnerin verneinte dies jedoch mit Schreiben vom 17.11.2004, da die angegebenen Werkvertragsleistungen im Bereich des Tunnel- und Schachtbaus - wie z. Auffahrungsarbeiten und Streckenvortrieb - dem Baugewerbe zuzuordnen seien und somit die für das Baugewerbe maßgeblichen Zulassungskriterien gelten würden (keine Dienstleistungsfreiheit). Das Schreiben vom 17.11.2004 enthielt keine Rechtsmittelbelehrung.
8Die Antragstellerin hat mit Schreiben vom 23.12.2004 gegen die Feststellungen der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 17.11.2004 Widerspruch eingelegt.
9Gleichzeitig hat sie Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im vorliegenden Verfahren erhoben.
10Unter Bezugnahme auf die mit dem Antrag vorgelegten Vertragsunterlagen der Antragstellerin zu 1) mit der Antragstellerin zu 2) und die Einhaltung der vertraglich vereinbarten Termine zur Ausführung der streitgegenständlichen Tätigkeiten ab März 2005 machen die Antragstellerinnen (wegen ihrer Vertragsverpflichtung gegenüber der Deutschen Steinkohle AG) die Eilbedürftigkeit ihres rechtlichen Anliegens geltend. Bei verspäteter Entscheidung über diesen Antrag drohten hohe Vertragsstrafen bis hin zur Kündigung des Vertrags bzw. der o.g. Verträge. Zur Begründung ihres Antrages verweisen die Antragstellerinnen auf die zu Ziffer 2.13 des Anhangs XII zum Europäischen Vertrag vom 16.04.2003 - Beitritt Polens - getroffenen besonderen Regelungen zur Freizügigkeit. Die hier streitgegenständlichen Tätigkeiten im Bereich des Bergbaus würden nicht unter Ziffer 45.1 - 4 des NACE-Codes fallen, da diese nach Wortlaut und Systematik nur Tätigkeiten des Baugewerbes umfassten, so auch die unter Ziffer 45.11 aufgelisteten "Abbruch-, Spreng- und Erdbewegungsarbeiten".
11Die Auffahrung von Kohlenabfahrstrecken ließe sich demgegenüber unter keine der genannten Tätigkeiten subsumieren (so die Entscheidung der 23. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf vom 00.00.00000- Az.: S 00 AL 000/00 ER).
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags wird auf den Antrag vom 23.12.2004 mit Anlagen Bezug genommen.
13Die Antragstellerinnen beantragen im Wege der einstweiligen Anordnung festzustellen,
14dass die Antragsgegnerin bis zur Entscheidung der Hauptsache von der Dienstleistungsfreiheit polnischer Arbeitnehmer zur Durchführung des Werkvertrages vom 17.12.2004 zwischen den Antragstellerinnen über die T2 000.0 und einer ca. 946 m langen Kohlenabfuhrstrecke im Flöz T1 T2 000.0, jeweils in dem Bergwerk Ost in 00000 I auszugehen hat.
15Die Antragsgegnerin beantragt,
16den Antrag abzuweisen.
17Zunächst sei der Antrag der Antragstellerin zu 2) als unzulässig abzuweisen, da diese nicht Adressat der abgelehnten Zusicherung von Dienstleistungsfreiheit der polnischen Arbeitnehmer der Antragstellerin zu 1) sei. Auf Grund der nach § 288 Abs. 1 Nr. 3 SGB III erlassenen Verordnung über Ausnahmeregelungen für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis an neu einreisende ausländische Arbeitnehmer (Anwerbestopp-Ausnahmeverordnung) vom 17.09.1998 sei das polnische Unternehmen verpflichtet, Zusicherungen für die Erteilung von Arbeitserlaubnissen der im Rahmen von Werkverträgen beschäftigten polnischen Arbeitnehmer einzuholen. Ein Rechtsverhältnis dieser Art bestehe nicht gegenüber der Antragstellerin zu 2).
18Im Übrigen sei der Antrag der Antragstellerin zu 1) abzuweisen, da bei Beginn der Arbeiten erst im März bzw. September 2005 eine Eilbedürftigkeit zumindest fraglich sei (Antragserwiderung vom 14.01.2005).
19Abgesehen davon würden die zwischen den Antragstellerinnen vertraglich vereinbarten Arbeiten von dem NACE-Code erfasst, der Ausnahmen von der Freizügigkeit für Tätigkeiten des Baugewerbes einschließlich verwandter Wirtschaftszweige bestimmt. Zur Überzeugung der Antragsgegnerin seien die Vortriebs- und Sicherungsarbeiten, die im Rahmen der hier streitigen Auffahrungsarbeiten anfallen, im weiteren Sinne dem Tunnelbau bzw. den Spreng- und Erdbewegungsarbeiten zuzurechnen (so Sozialgericht Nürnberg, Urteil vom 21.09.2004 - S 5 AL 473/04). Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, dass nur der reine Kohleabbau unter die o.a. Dienstleistungsfreiheit fällt, nicht jedoch Vortriebs- und Auffahrungsarbeiten.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Vortrag der Beteiligten im Antrag vom 23.12.2004 sowie der Antragserwiderung vom 14.01.2005 und den Inhalt des Verwaltungsvorgangs der Antragsgegnerin Bezug genommen.
21II.
22Der Antrag der Antragstellerin zu 1) ist zulässig und begründet.
23Die Antragstellung der Antragstellerin zu 2) ist im Rahmen des hier zur Klärung anstehenden Rechtsverhältnisses unzulässig, da die abgelehnte Zusicherung von Dienstleistungsfreiheit für polnische Arbeitnehmer der Antragstellerin zu 1) für eine Tätigkeit in Deutschland nur diese im Verhältnis zur Antragsgegnerin betrifft. Die Antragstellerin zu 2) ist insoweit nicht Beteiligte; auf die zutreffenden Ausführungen der Antragsgegnerin wird insoweit Bezug genommen.
24Die Antragstellerin zu 1) hat demgegenüber ein zulässiges Feststellungsbegehren gegenüber der Antragsgegnerin geltend gemacht. Einstweilige Anordnungen sind gemäß § 86 Ab Abs. 2 Satz 2 SGB III auch zur Regelung eines vorläufiges Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint.
25Der Erlass einer entsprechenden Anordnung setzt voraus, dass Anordnungsgrund (Dringlichkeit bzw. Eilbedürftigkeit der Regelung) und Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht werden. Ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht, wenn das Begehren in der Hauptsache nach gebotener summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit Aussicht auf Erfolg hat. Beides ist im vorliegenden Fall zu bejahen.
26Die Dringlichkeit bzw. Eilbedürftigkeit des Antragsbegehrens ist von der Antragsgegnerin zu Unrecht in Frage gestellt worden. Dies ergibt sich schon allein aus dem Ablauf des anhängigen Eilverfahrens mit Antrag vom 00.00.0000, Antragserwiderung vom 14.01.2005 und Aktenübersendung am 18.01.2005.
27Über den Widerspruch der Antragstellerin zu 1) vom 23.12.2004 auf die streitigen Feststellungen der Antragsgegnerin im Schreiben vom 17.11.2004 im Hauptsacheverfahren liegt noch keine Entscheidung vor. Aus all dem folgt für einen vertraglich vereinbarten Arbeitsbeginn am 11.03.2005 - angesichts notwendiger weiterer vorbereitender Tätigkeiten im Vorfeld - glaubhaft eine Eilbedürftigkeit der streitgegenständlichen Regelung.
28Darüber hinaus ist auch ein Anordnungsanspruch für den Antrag der Antragstellerin zu 1) gegeben. Wie in der Antragsbegründung zur Überzeugung des Gerichts dargestellt , handelt es sich bei den lt. Werkvertrag vom 17.12.2004 auszuführenden Tätigkeiten zur "Auffahrung von Kohlenabfuhrstrecken im Bergwerk Ost in I" um dem Bergbau zuzurechnende genehmigungsfreie Dienstleistungstätigkeiten polnischer Arbeitnehmer.
29Wortlaut und Systematik, der im NACE-Code 45.1-4 zum Sektor Baugewerbe einschließlich verwandter Wirtschaftszweige aufgeführten Tätigkeiten, lassen eine Einordnung der Arbeiten zur Herstellung einer Kohlenabfuhrstrecke in einem Bergwerk nicht zutreffend erscheinen. Insoweit wird Bezug genommen auf die Ausführungen im Verfahren S 00 AL 000/00 ER Sozialgericht Düsseldorf, die vom 12. Senat des Landessozialgerichts NRW im Beschwerdeverfahren L 00 B 00/00 AL ER ausdrücklich bestätigt worden sind. Laut Entscheidung des Landessozialgerichts ergaben sich dort keine Anhaltspunkte für eine abweichende Entscheidung von derjenigen der 23. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf. Ergänzend hierzu hält das Gericht die Ausführungen der Antragstellerin im vorliegenden Antragsverfahren zur Systematik der NACE-Codes für stichhaltig: Der Bereich des Steinkohlebergbaus ist mit Unterziffer 10.1 Gegenstand eines eigenständigen Abschnitts C im NACE-Code, während das hier diskutierte "Baugewerbe" im Abschnitt F des NACE-Codes geregelt ist. Dieser Systematik folgend fallen Tätigkeiten zur Herstellung von Kohlenabfuhrstrecken unter den Abschnitt C des NACE-Codes und damit nicht in den Bereich F, für den der Beitrittsvertrag für Polen vom 16.04.2001 Beschränkungen der Freizügigkeit nach Artikel 49 Abs. 1 EGV zulässt (im Sinne von Ziffer 2.13 des Anhangs XII). Diese Einteilung entspricht im Übrigen auch der unterschiedlichen Zuordnung derartiger Tätigkeitsbereiche - Bergbau und Baugewerbe - im System der Sozialen Sicherung in Deutschland.
30Schließlich hat das Gericht abzuwägen, ob der Antragstellerin Rechtsschutz im Wege der einstweiligen Anordnung zu gewähren ist oder diese auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden kann. Dabei sind die Belange der Öffentlichkeit und die der Antragstellerin gegeneinander abzuwägen. Die Anforderungen an den Anordnungsgrund sind allerdings geringer, wenn wie im vorliegenden Fall der Erfolg in der Hauptsache wahrscheinlich ist. Den Interessen der Antragstellerin wird im vorliegenden Fall Vorrang eingeräumt, da ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache allein durch Zeitablauf effektiven Rechtsschutz nicht mehr gewährleisten könnte. Deswegen war auch in Kauf zu nehmen, dass durch die einstweilige Anordnung das Hauptsacheverfahren jedenfalls teilweise vorweggenommen wird (dazu u.a. Bundesverfassungsgericht DÖV 73, 133; OVG NW in OVGE 27, 252).
31Dem Antrag der Antragstellerin zu 1) war demnach stattzugeben.
32Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Sozialgerichtsgesetz in Verbindung mit § 155 Verwaltungsgerichtsordnung. Eine Quotelung der Kosten erschien im Hinblick auf den geringfügigen Teil des Unterliegens bezüglich der Antragstellerin zu 2) nicht angemessen.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.