Urteil vom Sozialgericht Düsseldorf - S 8 KR 98/05
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, unter Abänderung des Bescheides vom 26.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.04.2005 gegen Vorlage einer entsprechenden Verordnung die Kosten für die operative Narbenlösung und Neuromentfernung der linken Brust zu übernehmen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagten werden die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1/4 auferlegt.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten über die Frage der Kostenübernahme einer beidseitigen Brustoperation aus verschiedenen Gründen und in unterschiedlichem Umfang.
3Bei der 1951 geborenen Klägerin wurden seit 1995 verschiedene Brustoperationen durchgeführt. Zunächst erfolgt eine operative Brustverkleinerung beim Vorliegen von Rückenschmerzen. Später wurden zwei Operationen zur Korrektur durchgeführt, und zwar eine Operation zur Behandlung der bestehenden Asymmetrie und eine weitere zur Rekonstruktion einer Mamille.
4Im September 2003 beantragte die Klägerin unter Vorlage verschiedener ärztlicher Atteste und Arztbriefe die Übernahme der Kosten für eine weitere Brustoperation. Geplant war eine Formkorrektur beider Brüste durch P, dem Chefarzt der Klinik für Plastische Chirurgie der L E. Im Einzelnen sollte eine Augmentation (Brustvergrößerung), vollständige Narbenlösung und Neuromentfernung der linken Brust sowie eine angleichende Straffung der rechten Brust durchgeführt werden. Mit diesem Eingriff sollten einerseits die auf einem Narbenstrang und einem vermuteten Neurom in der linken Brust resultierenden Beschwerden behandelt und andererseits durch die Formveränderung (Augmentation links, angleichende Straffung rechts) das unbefriedigende Ergebnis der vorangegangenen Operationen ausgeglichen werden. Die Beklagte hörte wiederholt den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) an. Später lehnte sie den Antrag mit Bescheid vom 26.02.2004 ab. Nach der Beurteilung des MDK aufgrund der durchgeführten Untersuchung und der zusätzlich beigezogenen Klinikberichte läge keine medizinische Indikation für die begehrte Operation vor.
5Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch, den sie unter Vorlage eines Kurzbriefes und einer Stellungnahme des P sowie eines Attestes der Evangelischen Stiftung U begründete. Nach erneuter wiederholter Anhörung des MDK wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 05.04.2005 zurück. Die angesprochene Neuromentfernung könne bei einem entsprechenden Beschwerdebild auch ohne Stellungnahme des MDK erfolgen. Darüber hinaus handele es sich bei der begehrten Maßnahme um eine Operation aus kosmetischen Gründen, die keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung sei. In wiederholten Stellungnahmen und Begutachtungen hätten alle Ärzte des MDK keine medizinische Indikation gesehen. Die Klägerin hat gegen die Bescheide der Beklagten Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren der Kostenübernahme für die geplante Brustoperation weiterverfolgt. Sie macht geltend, dass es sich bei der derzeitigen, nach den Voroperationen bestehenden Brustform um eine erhebliche Entstellung handele. Sie leide darüber hinaus unter erheblichen Spannungsschmerzen und vor allem unter einer erheblichen psychischen Beeinträchtigung. Diese Umstände würden entgegen dem Standpunkt der Beklagte eine medizinische Indikation begründen. Sie hat eine Stellungnahme der L Diakonie beigefügt.
6Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
7die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 26.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.04.2005 die Kosten für die weitere Brustkorrektur einschließlich der Kosten eines stationären Aufenthaltes der Klägerin zu übernehmen.
8Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
9die Klage abzuweisen.
10Sie hält die angefochtenen Bescheide aus den dort ausgeführten Gründen für rechtmäßig. Im Rahmen von Vergleichsverhandlungen hat sie erklärt, dass sie sich zur Beendigung des Rechtsstreits die Kostenübernahme für eine verordnete operative Narben- und Neurombehandlung vorstellen könne.
11Das Gericht hat zur weiteren Ermittlung Auskünfte des P eingeholt. Zur weiteren Sachdarstellung wird auf diese Unterlagen sowie auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
12Entscheidungsgründe:
13Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung in Abwesenheit der Beteiligten entscheiden, da sie sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben, § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
14Die Klage ist zum Teil begründet.
15I. Soweit die Klägerin die Kostenübernahme für eine operative Behandlung des Narbenstrangs und des (vermuteten) Neuroms in der linken Brust geltend macht, steht ihr ein entsprechender Versorgungs- und Sachleistungsanspruch gegenüber der Beklagten zu, § 27 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V). Hinsichtlich des Beschwerden verursachenden Neuroms hat bereits der MDK einen Sachleistungsanspruch für gegeben erachtet. Die medizinische Notwendigkeit zur operativen Behandlung des Narbenstrangs der linken Brust ergibt sich aus der von der Klägerin im Verwaltungsverfahren ein-gereichten, insoweit überzeugenden Stellungnahme des P vom 12.10.2004 (Blatt 53 VA). Die Beklagte hatte während des Klageverfahrens gegen eine Versorgung mittels operativer Maßnahme zur Behebung dieser Gesundheitsstörungen keine durchgreifenden Bedenken mehr.
16II. Im Übrigen und überwiegenden Umfang ist die Klage unbegründet.
17Der Klägerin steht im Übrigen kein Anspruch auf Durchführung der begehrten formkorrigierenden Operationsmaßnahmen zu.
18Denn Versicherte haben nur Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, § 27 Abs. 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V). Vorliegend stellt die Brustform keine behandlungsbedürftige Krankheit dar.
19Weder die persönliche Untersuchung beim MDK noch die vorgelegten Atteste der behandelnden Ärztin weisen Anhaltspunkte dafür auf, dass mit der Brustform (Asymmetrie) pathologische Befunde im Sinne einer körperlichen Funktionsbeeinträchtigung verbunden sind.
20Darüber hinaus kann körperlichen Anomalien nach der Rechtsprechung des Bundes- und der Landessozialgerichte nur dann Krankheitswert beigemessen werden, wenn sie sich als schwere sichtbare Entstellung darstellen (Urteile des BSG vom 23.07.2002 - B 3 KR 66/01 R - (Gesichtsoperation bei ausgeprägter Wangenatrophie); des LSG NRW vom 03.05.2001 - L 5 KR 221/00 - (Bauchdeckenerschlaffung mit massiven Schwangerschaftsstreifen/"Hängebauch") ; Beschluss des LSG NRW vom 28.11.2001 -L 5 KR 5/01- (ausgeprägtes Muttermal mit starker Behaarung auf der linken Schulter/"Tierfell- Naevus") ). Vorliegend ist die Voraussetzung der schweren sichtbaren Entstellung nicht erfüllt, da sich die Brust nicht in dem von außenstehenden Dritten ohne Weiteres ersichtlichen Körperbereich befinden, sondern bereits durch das Tragen von Kleidungsstücken - selbst mit einem Badeanzug - verdeckt werden kann (vgl. Urteile des LSG Rheinland Pfalz vom 02.05.2002, a. a. O.; des LSG NRW vom 03.05.2001, a. a. O.; Beschluss des LSG NRW vom 28.11.2001, a. a. O.).
21Auch der starke Leidensdruck der Klägerin und die von der Stiftung U angegebenen psychischen Folgen begründen keine medizinische Indikation für die begehrte Operationsmaßnahme. Denn selbst wenn bei der Klägerin insbesondere auf Grund der Brustform eine psychische Störung mit Krankheitswert vorliegen sollte, führt dies nicht dazu, dass deswegen ein Anspruch auf eine operative Brustformkorrektur besteht. Versicherte können nur die Maßnahmen der Krankenbehandlung in Anspruch nehmen, die unmittelbar an der eigentlichen Erkrankung ansetzen. Psychische Störungen sind danach in der Regel nur mit Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu behandeln (BSGE 72/96, 99; SozR 3-2500 § 39 Nr. 5). Das Bundessozialgericht hat in den genannten Entscheidungen darauf hingewiesen, dass es zu einer mit der Vorschrift des § 27 SGB V und dem in § 12 SGB V niedergelegten Wirtschaftlichkeitsgebot unvereinbaren Ausweitung der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen führen würde, wenn Versicherte auf Kosten der Krankenkassen operative Eingriffe vornehmen lassen könnten, um einen im Normbereich liegenden Körperzustand zu verändern, weil sie psychisch auf die gewünschte Veränderung fixiert sind. Eine Grenzziehung hinsichtlich der Verpflichtung der Krankenkassen zur Übernahme rein kosmetischer Operationen wäre dann nicht mehr möglich. Dieselbe Entscheidung hat das Bundessozialgericht auch für den Fall von körperlichen Anomalien getroffen (BSGE 82/158, 164).
22Zu einer anderen Entscheidung konnte auch nicht der Umstand führen, dass die von der Klägerin als unbefriedigend empfundene und auch vom MDK als solche beurteilte Brustform (möglicherweise) das Resultat der in den 90er Jahren durchgeführten Operationen darstellt. Es resultiert für die Klägerin kein Anspruch unter Berücksichtigung des vom Bundesverfassungsgericht bzw. Bundessozialgericht entwickelten Instituts des sogenannten Aufopferungsanspruchs (BSG, Urteil vom 06.10.1999 - B 1 KR 9/99 R -; Beschluss des BVerfG vom 14.08.1998 - 1 BvR 897/98 -, in NJW 1999, 857). Denn auch der mit Rücksicht auf den verfassungsrechtlichen Schutz der körperlichen Unversehrtheit entwickelte Aufopferungsanspruch, der an eine frühere Leistung der Krankenkasse anknüpft (hier: vorangegangene Operationen zur Behandlung der Makromastie), setzt einen Behandlungsbedarf voraus. Dieser ist vorliegend aus den dargelegten Gründen nicht gegeben (siehe auch BSG, Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 3/03 R - ). Sollte es sich bei diesen Operationen um fachlich nicht dem Stand der Wissenschaft durchgeführte Maßnahmen handeln, so wäre die Klägerin diesbezüglich auf Schadensersatzansprüche gegenüber die damaligen Operateure zu verweisen.
23Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Referenzen
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