Urteil vom Sozialgericht Düsseldorf - S 8 KR 369/08
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme bzw. Kostenerstattung für eine durchgeführte Vakuum-Versiegelungstherapie (V.A.C.-Therapie).
3Der 1952 geborene Kläger ist als freiberuflicher Rechtsanwalt berufstätig und Mitglied der Beklagten. Bis Ende August 2008 befand er sich wegen der Folgen einer Femurfraktur in stationärer Behandlung. Es hatte sich aufgrund einer Wundheilungsstörung ein längerer Aufenthalt ergeben. Während des stationären Aufenthaltes wurde zur Behandlung der Wunde die V.A.C.-Therapie angewandt und als nachfolgende ambulante Behandlung verordnet.
4Am 01./03.09.2008 beantragte für den Kläger die LDJ N GmbH unter Vorlage der ärztlichen Verordnung und eines Kostenvoranschlags die Übernahme der Kosten für das Zur-Verfügung-Stellen des V.A.C.-Therapiesystems für 30 Tage (2.798,88 EUR). Nach Anhörung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 08.09.2008 ab. Bei der V.A.C.-Therapie handele es sich um eine Behandlungsmethode, die im Gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (G-BA) hinsichtlich einer Übernahme in den Leistungskatalog beraten wurde. Die Entscheidung über die Anerkennung als Kassenleistung sei für zunächst drei Jahre ausgesetzt worden. Es sollten aussagekräftige wissenschaftliche Daten, insbesondere in Modellvorhaben, über den therapeutischen Nutzen dieser Behandlungsmethode gesammelt werden. Bislang sei ein therapeutischer Nutzen oder Vorteil gegenüber herkömmlichen Methoden der Grundversorgung nicht belegt worden. Der angehörte MDK habe mitgeteilt, dass eine vertragsgemäße Alternative in den üblichen Hydrogel- und Vliesverbänden bestehe.
5Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch, mit dem er geltend machte, dass es sich bei der V.A.C.-Therapie nach Auskunft der behandelnden Ärzte um ein sehr bewährtes System handele, dass eine schnellstmögliche Wundheilung erwarten ließe, was auch eingetreten sei. Seine große Operationswunde hätte sich nicht geschlossen, zunächst wohl, weil ein multiresistenter Virus aufgetreten sei. Nachdem dieser Virus praktisch besiegt worden sei, hätte ihm allerdings die Vernichtung seiner beruflichen Existenz gedroht. Er sei auf einen schnelleren Heilverlauf angewiesen gewesen. Die Ärzte hätten mitgeteilt, dass die Kosten von den gesetzlichen Kassen regelmäßig übernommen würden. Die ambulant angewandte V.A.C.-Therapie sei auch wirtschaftlicher als ein weiterer Krankenhausaufenthalt. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 02.12.2008 zurück. Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nur abgerechnet werden dürften, wenn der dazu kraft Gesetzes berufene G-BA in Richtlinien Empfehlungen über die Anerkennung der neuen Methode abgegeben habe. Der G-BA habe das Bewertungsverfahren über die V.A.C.-Therapie jedoch mit Beschluss vom 15.11.2007 ausgesetzt. Denn die Feststellungen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), dass gegenwärtig keine Belege mit ausreichender Ergebnissicherheit für eine Überlegenheit der V.A.C.-Therapie gegenüber anderen Verfahren der Wundbehandlung vorlägen, würden durch den Ausschuss geteilt. Bisher lägen nach dem IQWiG-Bericht lediglich Hinweise zum Nutzen der Methode vor. Ergebnisse von bereits begonnenen Studien könnten diese unzureichende Datenlage verbessern. Eine "akut lebensbedrohliche Situation" bestehe vorliegend nicht und vertragsärztliche Behandlungsmethoden bestünden.
6Der Kläger hat gegen die ablehnenden Bescheide Klage erhoben, mit der er sein Begehren der Übernahme der Kosten weiterhin geltend macht. Er habe vor der Entlassung aus dem Krankenhaus gegenüber der LDJ N GmbH eine Zahlungsverpflichtung für den Fall unterschreiben müssen, dass die Krankenkasse für die Kosten nicht aufkomme. Dennoch sei er von der ablehnenden Entscheidung der Beklagten überrascht worden, auf die ihn niemand vorbereitet habe. Die Beklagte ziehe sich zu Unrecht auf den Standpunkt zurück, es handele sich bei der V.A.C.-Therapie um eine neue Behandlungsmethode, die gemäß § 135 SGB V erst nach einer entsprechenden Empfehlung des G-BA zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden dürfe. Denn eine derart seit langer Zeit enorm weit verbreitete und allgemein anerkannte Therapieform wie die V.A.C.-Therapie könne nicht mehr unter den Begriff der neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode subsumiert werden.
7Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
8unter Aufhebung des Bescheides vom 08.09.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.12.2008 die Beklagte zu verpflichten, die dem Kläger entstandenen Kosten für die ambulante Behandlung mit dem V.A.C.-Therapie-System zu übernehmen.
9Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
10die Klage abzuweisen.
11Sie hält die angefochten Bescheide aus den dort ausgeführten Gründen für rechtmäßig.
12Zur weiteren Sachdarstellung wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze und Unterlagen der Beteiligten sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
13Entscheidungsgründe:
14Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung in Abwesenheit der Beteiligten entscheiden, da diese sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben, § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
15Die Klage ist unbegründet.
16Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Übernahme bzw. Erstattung der Kosten zu, die er für die ambulant angewandte V.A.C.-Therapie aufgewändet hat, § 13 Abs. 3 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V).
17Die Beklagte hatte die geltend gemachte Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt, § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V. Denn dem Kläger stand kein Anspruch auf eine ambulante Behandlung mittels der V.A.C.-Therapie zu, da zum Behandlungszeitpunkt nicht die erforderliche Empfehlung des G-BA vorlag.
18Grundsätzlich haben Versicherte Anspruch auf die notwendige Krankenbehand¬lung, d. h. auf ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Leistungen, § 27 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 SGB V. Welche Heilmethoden danach zweckmäßig und wirt¬schaftlich sind, bestimmt insbesondere bei neuen Untersuchungs- und Be¬hand¬lungsmethoden der nach § 135 Abs. 1 i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V vorgesehene Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Kran¬kenkassen. Entgegen dem Standpunkt des Klägers handelte es sich - jedenfalls im Jahre 2008 - um eine neue Behandlungsmethode i. S. d. § 135 SGB V. Denn neue Behandlungsmethoden i. S. dieser Vorschrift sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts diejenigen Behandlungsmethoden, die noch nicht als abrechnungsfähig i. S. des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes - EBM-Ä anzusehen sind (BSG, SozR 3 - 2500, § 92 Nr. 7; SozR 3 - 2500 § 135 Nr. 4).
19Die vorliegend umstrittene V.A.C.-Therapie ist weder als vertragsärzt¬liche Behandlung nach dem EBM-Ä abrechenbar noch liegt ein ent¬sprechend posi¬tiver Beschluss des Bundesausschusses vor. Ohne entsprechenden Beschluss ist gemäß § 135 Abs. 1 SGB V diese neue Untersuchungsmethode von der Leistungs¬pflicht der gesetzlichen Krankenkassen verbindlich ausgeschlos¬sen (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG -, z. B. Urteile vom 08.02.2000 - B 1 KR 18/99 B -; vom 16.09.1997 - 1 RK 28/95 -). § 135 SGB V bezweckt damit die Sicherung der Qualität der Leistungserbringung in der gesetzlichen Krankenversicherung; es soll gewährleistet werden, dass neue me¬dizinische Verfahren nicht ohne Prüfung ihres diagnostischen bzw. therapeuti¬schen Nutzens und etwaiger gesundheitlicher Risiken in der vertragsärztlichen Versorgung angewandt werden. Dies ist zum Schutz der Versichertengemeinschaft vor unwirt¬schaftlicher Behandlung gleichermaßen wichtig wie zum Schutz der Versi¬cherten vor unerprobten Methoden, deren Nebenwirkungen von ihren Befür¬wortern nicht immer richtig eingeschätzt werden.
20Ein Kostenerstattungsanspruch kann nur ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn die fehlende Anerkennung der neuen Methode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für die Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen (u. a. Vorliegen eines aus¬reichenden Wirksamkeitsnachweises) nicht oder nicht zeitgerecht durchge¬führt worden ist, und dadurch eine Versorgungslücke besteht. Von einem solchen Systemversagen kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Gerade die von der Beklagten wiedergegebene Sachlage zu dem beim G-BA durchgeführten Bewertungsverfahren zeigt, dass dieser eine positive Bewertung nicht aus sorgfaltswidriger oder nachlässiger Behandlung nicht abgegeben hat. Vielmehr fand beim G-BA Berücksichtigung, dass - insbesondere nach Anhörung des IQWiG - (ggf. noch) nicht von einer ausreichenden Datenlage für eine positive Empfehlung ausgegangen werden konnte. Darüber hinaus kann, zumindest nach den Ausführungen des MDK, nicht von einer Versorgungslücke ausgegangen werden kann. Der MDK hat herkömmliche Hydrogel- und Vliesverbände als alternative Behandlungsmöglichkeit aufgezeigt. Insoweit wird auch aus den Ausführungen des Klägers im Widerspruchsverfahren deutlich, dass er die ambulante V.A.C.-Therapie in erster Linie als zeitsparende Behandlung in Anspruch genommen hat, um (weitere) wirtschaftliche Nachteile zu vermeiden.
21Dieser vom Kläger gemachte Umstand beruflicher Nachteile konnte nicht zu einer Ausnahme oder anderweitigen Entscheidung führen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts besteht für die Versicherten kein Anspruch auf Bereithaltung spezieller Gesundheitsleistungen (BSG, Urteil vom 28.03.2000 - B 1 KR 11/98 R -, in BSGE 86, 54 ff., mit Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 05.03.1997 - 1 BvR 170/95 -). So hat das Bundessozialgericht ausgeführt, dass die gesetzliche Krankenversicherung nicht das Ziel hat, einen möglichst umfassenden Schutz gegen alle Folgen einer Erkrankung zu bieten. Ein solcher Schutz werde nur von denjenigen Sicherungseinrichtungen angestrebt, die dann zuständig sind, wenn die Krankheit nicht als Schicksalsschlag, sondern als eine Schadenszufügung (Unfallversicherung) oder ein besonderes Opfer (Kriegsopferversorgung) angesehen wird. Die gesetzliche Krankenversicherung habe nur die allgemein gefasste Aufgabe, nämlich dafür einzustehen, dass die Krankheit mit medizinischen Mitteln gezielt bekämpft werde. Für die aus der Krankheit entstehenden Nachteile und Bedürfnisse habe die gesetzliche Krankenversicherung nur einzutreten, wenn sie hierfür ausdrücklich für zuständig erklärt wird (BSG, Urteil vom 14.05.1982 - 8 RK 34/81 -, in BSGE 53, 273 ff.). Eine entsprechende Gesetzesgrundlage ist dem SGB V nicht zu entnehmen (BSG, Urteil vom 28.03.2000, a.a.O.).
22Darüber hinaus hat die Beklagte insbesondere im Widerspruchsbescheid zutreffend ausgeführt, dass auch ein ausnahmsweiser Leistungsanspruch als Folge einer lebensbedrohlichen Erkrankung im vorliegenden Fall mangels Anhaltspunkte für einen lebensbedrohlichen Zustand und wegen der Möglichkeit alternativer konventioneller Behandlungsmethoden nicht in Betracht kommt. Aus diesem Grund bleibt auch ein Anspruch im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98 - (sog. Nikolausbeschluss) ausgeschlossen.
23Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. &8195;
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Referenzen
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