Urteil vom Sozialgericht Freiburg - S 9 AS 1729/09

Tenor

1. Der Bescheid der Arbeitsgemeinschaft ... vom 18.07.2008 in der Fassung des Bescheides vom 15.09.2008 und des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2009 wird aufgehoben und der Beklagte wird verurteilt, den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Arbeitsgemeinschaft ... vom 02.11.2007 zurückzunehmen.

2. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

3. Die Berufung wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Tatbestand

 
Die Beteiligten streiten über die Rücknahme eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheids im Wege eines Zugunstenverfahrens.
Die am ... geborene Klägerin bezog im verfahrensgegenständlichen Zeitraum von der Arbeitsgemeinschaft ... (Arge), Rechtsvorgängerin des Beklagten, in Bedarfsgemeinschaft mit ihrer am ... geborenen Tochter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Im Dezember 2006 und Januar 2007 erzielte die Tochter der Klägerin Einkommen aus einer Nebenbeschäftigung. Im September und Oktober 2007 erhöhte sich deren Einkommen aus Ausbildungsvergütung. Nach Bekanntwerden dieser Sachverhalte erließ die Arge am 2.11.2007 zwei Aufhebungs- und Erstattungsbescheide gegenüber der Klägerin. In dem einen nahm sie „die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen (...) vom 1.12.2006 bis 31.1.2007 für Sie teilweise in Höhe von 46,18 EUR“, in dem anderen „die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen (...) vom 1.9.2007 bis 31.10.2007 für Sie teilweise in Höhe von 80,98 EUR“ zurück und verlangte jeweils die Erstattung des genannten Betrages. Diese Bescheide wurden bestandskräftig.
Mit zwei Schreiben vom 10.6.2008 beantragte der Bevollmächtigte der Klägerin die Überprüfung dieser Bescheide nach Maßgabe von § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X). Mit Bescheid vom 18.7.2008 lehnte die Beklagte dies mit der Begründung ab, dass bei Erlass des Bescheides weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Auf den dagegen erhobenen Widerspruch vom 14.8.2008, mit dem gerügt wurde, dass aus dem Bescheid nicht hervorgehe, welcher der beiden Bescheide vom 2.11.2007 überhaupt überprüft worden sei, erließ die Arge am 15.9.2008 zwei neue Bescheide, die sich jeweils auf einen konkreten der beiden zur Überprüfung gestellten Bescheide bezogen. Die Bescheide vom 15.9.2008 enthielten den Hinweis, dass sie Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens seien (§ 86 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>). Unter dem 30.9.2008 erging außerdem ein Abhilfebescheid, wonach dem Widerspruch in vollem Umfang abgeholfen worden sei. Am 4.12.2010 erhob die Klägerin Widersprüche gegen die Überprüfungsbescheide vom 15.9.2008 und machte geltend, den Bescheiden vom 2.11.2007 lasse sich nicht entnehmen, welche Bescheide durch sie überhaupt aufgehoben werden sollten. Außerdem könne sich Einkommen der Tochter mangels Einstandspflicht von Kindern für ihre Eltern nicht anspruchsmindernd auf die Klägerin auswirken. Mit Widerspruchsbescheid vom 4.3.2009 wies die Arge die Widersprüche als unzulässig zurück. Sie vertrat die Auffassung, das Widerspruchsverfahren sei bereits durch den Abhilfebescheid vom 30.9.2008 förmlich zum Abschluss gebracht worden. Wenn sich die Klägerin durch den Abhilfebescheid beschwert gefühlt hätte, so hätte sie dagegen unmittelbar Klage erheben müssen.
Am 3.4.2009 erhob die Klägerin zwei Klagen zum Sozialgericht Freiburg, von denen sich das vorliegende Verfahren S 9 AS 1729/09 auf die Überprüfung des Bescheides mit der Rückforderung von 80,89 EUR, das Verfahren S 9 AS 1730/09 auf dasjenige über die Rückforderung von 46,18 EUR bezieht.
Die Klägerin verfolgt ihr Begehren aus dem Widerspruchsverfahren weiter. Die im Bescheid vom 2.11.2007 enthaltene Rücknahmeentscheidung sei mangels Bestimmtheit rechtswidrig. Die Rechtswidrigkeit der Rücknahmeentscheidung mache zugleich die in dem Bescheid enthaltene Erstattungsverfügung rechtswidrig.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Arbeitsgemeinschaft ... vom 18.7.2008 in der Fassung des Bescheids vom 15.9.2008 und des Widerspruchsbescheids vom 4.3.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Arbeitsgemeinschaft ... vom 2.11.2008 zurückzunehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
10 
Er ist der Auffassung, die Bestimmtheit der Aufhebungsentscheidung setze nicht voraus, dass die Rückforderung auf die einzelnen Kalendermonate verteilt werde. Sinn des Zugunstenverfahrens sei es außerdem nicht, einem Antragsteller mehr zu gewähren, als ihm nach materiellem Recht zustehe. Die Höhe der Rückforderung aber sei nicht zu beanstanden.
11 
Die die Bedarfsgemeinschaft der Klägerin betreffende Verwaltungsakte (Az. ...) lag in den entscheidungserheblichen Teilen vor (Bd. II u. III). Wegen der weiteren Einzelheiten des Verfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die genannte Verwaltungsakte sowie die Akten des Gerichts, Az. S 9 AS 1729/09 und S 9 AS 1730/09, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
12 
Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben. Sie ist auch im Übrigen zulässig und als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gem. § 54 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Arge vom 18.7.2008 in der Fassung des Bescheides vom 15.9.2008 (vgl. § 86 SGG, denn hierdurch wurde der Bescheid vom 18.7.2008 abgeändert) und des Widerspruchsbescheids vom 4.3.2009. Dieser Bescheid ist auch in vollem Umfang zur Überprüfung durch das Gericht gestellt. Entgegen der im Widerspruchsbescheid vertretenen Auffassung der Arge steht dem nicht entgegen, dass die Klägerin nicht gegen den „Abhilfebescheid“ vom 30.9.2008 gesondert Klage erhoben hat. Denn die Klägerin hat nicht etwa dadurch, dass sie ihren Widerspruch bis dahin nur mit der Unbestimmtheit des Bescheids vom 18.7.2008 begründet hatte, ihren Widerspruch in irgendeiner Weise beschränkt. Dies ergibt sich daraus, dass eine wirksame Beschränkung des Widerspruchs mit der Folge der lediglich teilweisen Anfechtung die diesbezügliche Teilbarkeit des Verwaltungsakts voraussetzt (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. A. 2008, § 54, Rnr. 8b <zur Teilanfechtungsklage; für den Teilwiderspruch kann nichts anderes gelten>). Möglich ist es danach, die Anfechtung auf einzelne von mehreren getrennten Sozialleistungsansprüchen zu beschränken, auf einen Teilbetrag oder auf Teilzeiträume. Eine Beschränkung des Widerspruchs auf einzelne Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen wie hier die Bestimmtheit, mithin ein Verzicht auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides im übrigen, ist dagegen nicht statthaft. Auch hätte die Arge, ihrer eigenen Rechtsauffassung folgend, die weiteren Widersprüche vom 4.12.2010 als Klagen gegen den Abhilfebescheid vom 30.9.2008 ansehen und an das Sozialgericht weiterleiten müssen.
13 
Die Klage ist auch begründet.
14 
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
15 
Beim Erlass des Bescheides vom 2.11.2008 hat die Arge das Recht unrichtig angewandt, indem sie eine lediglich teilweise Aufhebung der Leistungen für zwei Kalendermonate verfügte, ohne zu bestimmen, in welcher Höhe die bewilligten Leistungen für die einzelnen Monate aufgehoben werden sollen. Sie hat stattdessen einen einheitlichen Betrag für den gesamten Zeitraum genannt, der die Höhe der insgesamt bewilligten Leistungen unterschreitet (so dass keine vollumfängliche Aufhebung vorliegt) und aus dem sich nicht herleiten lässt, in welcher Höhe die Leistungsbewilligung in den einzelnen Kalendermonaten bestehen bleiben soll. Dies aber wäre Voraussetzung für eine hinreichende inhaltliche Bestimmtheit des Verwaltungsakts, wie sie § 33 Abs. 1 SGB X vorschreibt. Das Bestimmtheitsgebot verlangt nicht nur die hier von der Arge vorgenommene Differenzierung nach Personen (Leistungsberechtigten) in der Bedarfsgemeinschaft, sondern auch die Bestimmung der im einzelnen betroffenen Bewilligungsbescheide einschließlich eventueller Änderungen nach ihrem Datum und die Angabe, für welche Teilzeiträume - beim SGB II Kalendermonate, vgl. § 41 Abs. 1 SGB II - diese bewilligenden Verwaltungsakte in jeweils welcher Höhe zurückgenommen oder aufgehoben werden (LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 10.8.2011, Az. L 15 AS 1036/09; LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30.3.2010, Az. L 3 AS 138/08; LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 16.12.2009, Az. L 9 AS 477/08, im Anschluss an die BSG-Rspr. zum SGB III, vgl. etwa Urt. v. 15.8.2002, Az. B 7 AL 66/01 R, alle in <juris>). Dies ergibt sich aus dem unmittelbar rechtsändernden Charakter derartiger Verwaltungsakte, die (wie ihr Spiegelbild, die rechtsbegründenden Bewilligungsbescheide) insoweit den zivilrechtlichen Verfügungen gleichen, dass über ihren Inhalt kein Zweifel bestehen darf. Die andernfalls drohende Rechtsunsicherheit würde sich etwa bei der Konkurrenz mit weiteren Aufhebungsentscheidungen oder mit Erstattungsansprüchen anderer Sozialleistungsträger für identische Zeiträume gravierend auswirken.
16 
Weiter wurden Klägerin infolge der unrichtigen Rechtsanwendung auch Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht. Dieses Tatbestandsmerkmal setzt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts und der Nichtgewährung einer Sozialleistung - d. h. einer für den Bescheidadressaten ungünstigen, auf Leistungen bezogenen Regelungswirkung des Bescheides - voraus. Sozialleistungen werden deshalb auch dann i. S. v. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X „zu Unrecht nicht erbracht“, wenn wie hier durch einen rechtswidrigen Verwaltungsakt ein Leistungen bewilligender Verwaltungsakt zurückgenommen oder aufgehoben wird (vgl. Schütze, in: von Wulffen, SGB X, 7. A. 2010, § 44, Rnr. 16 m. Nw. aus der Rspr. des BSG).
17 
Dem kann der Beklagte nicht entgegenhalten, die Höhe der Rückforderung sei nicht zu beanstanden und § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X dürfe nicht dazu führen, dass Sozialleistungsempfänger mehr erhielten, als ihnen zustehe. Entgegen dieser Argumentation stellt die Vorschrift nicht darauf ab, ob der zu beurteilende Verwaltungsakt geeignet ist, die bescheidmäßig festgestellten Ansprüche auf Sozialleistungen an die dem Adressaten von Gesetzes wegen zustehenden Ansprüche anzugleichen. Dies würde zu einer saldierenden Betrachtungsweise führen, die nicht nur wie hier den gesamten Aufhebungszeitraum sondern darüber hinaus den ganzen Bezugszeitraum, ja sogar die Leistungen weiterer Träger nach anderen Sozialgesetzbüchern in den Blick nehmen könnte. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist vielmehr entscheidend, was dem Adressaten vor Erlass des maßgeblichen Bescheides nach materiellem Recht zustand; hierzu gehören aber auch durch bestandskräftige Bescheide zuerkannte Rechtspositionen, unabhängig von deren materieller Rechtmäßigkeit; hier also die der Klägerin aufgrund der Bewilligungsbescheide zustehenden Ansprüche. Im übrigen kann aufgrund der Unbestimmtheit des Bescheids vom 2.11.2008 gerade nicht positiv festgestellt werden, ob der Klägerin nach dieser Entscheidung - bezogen auf die beiden Kalendermonate als Teilleistungszeiträume - dasjenige verbleibt, was ihr gesetzlich im jeweiligen Monat zustünde.
18 
Ebensowenig handelt es sich bei der mangelnden Bestimmtheit lediglich um einen formellen Fehler. Mangelnde Bestimmtheit im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X stellt keinen Formfehler dar, sondern führt zur materiellen Rechtswidrigkeit des Bescheides (BSG-Urt. v. 13.7.2006, Az. B 7a AL 24/05 R, <juris>; zustimmend Engelmann, in: von Wulffen, a. a. O., § 33, Rnr. 10). Auf die teilweise umstrittene Frage, ob und wenn ja welche Formfehler im Rahmen von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X beachtlich sind (hierzu z. B. Schütze, a. a. O., Rnr. 17 m. w. N.), kommt es daher nicht an.
19 
Selbst wenn man im vorliegenden Fall das Tatbestandsmerkmal „zu Unrecht nicht erbracht“ verneinen würde, stünde dies einem Anspruch der Klägerin auf Rücknahme des Bescheids vom 2.11.2008 nicht entgegen. Dann wäre nämlich § 44 Abs. 2 SGB II zu beachten. Danach kann „im übrigen“ (also z. B. wenn es am Merkmal der unrechtmäßigen Nichterbringung von Leistungen fehlt, vgl. Schütze, a. a. O., Rnr. 21) ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Behörde wäre also zu einer Ermessensentscheidung über die Rücknahme des Bescheides verpflichtet. In den Fällen mangelnder Bestimmtheit des zu überprüfenden Bescheides dürfte dabei - jedenfalls wenn es wie vorliegend unmittelbar um das Bestehen oder Nichtbestehen von Sozialleistungsansprüchen geht - im Interesse der Rechtssicherheit regelmäßig eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen sein, die zur Rücknahme des nicht hinreichend bestimmten Bescheides zwingt.
20 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die von den Beteiligten übereinstimmend beantragte Zulassung der Berufung auf § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.

Gründe

 
12 
Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben. Sie ist auch im Übrigen zulässig und als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gem. § 54 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Arge vom 18.7.2008 in der Fassung des Bescheides vom 15.9.2008 (vgl. § 86 SGG, denn hierdurch wurde der Bescheid vom 18.7.2008 abgeändert) und des Widerspruchsbescheids vom 4.3.2009. Dieser Bescheid ist auch in vollem Umfang zur Überprüfung durch das Gericht gestellt. Entgegen der im Widerspruchsbescheid vertretenen Auffassung der Arge steht dem nicht entgegen, dass die Klägerin nicht gegen den „Abhilfebescheid“ vom 30.9.2008 gesondert Klage erhoben hat. Denn die Klägerin hat nicht etwa dadurch, dass sie ihren Widerspruch bis dahin nur mit der Unbestimmtheit des Bescheids vom 18.7.2008 begründet hatte, ihren Widerspruch in irgendeiner Weise beschränkt. Dies ergibt sich daraus, dass eine wirksame Beschränkung des Widerspruchs mit der Folge der lediglich teilweisen Anfechtung die diesbezügliche Teilbarkeit des Verwaltungsakts voraussetzt (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. A. 2008, § 54, Rnr. 8b <zur Teilanfechtungsklage; für den Teilwiderspruch kann nichts anderes gelten>). Möglich ist es danach, die Anfechtung auf einzelne von mehreren getrennten Sozialleistungsansprüchen zu beschränken, auf einen Teilbetrag oder auf Teilzeiträume. Eine Beschränkung des Widerspruchs auf einzelne Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen wie hier die Bestimmtheit, mithin ein Verzicht auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides im übrigen, ist dagegen nicht statthaft. Auch hätte die Arge, ihrer eigenen Rechtsauffassung folgend, die weiteren Widersprüche vom 4.12.2010 als Klagen gegen den Abhilfebescheid vom 30.9.2008 ansehen und an das Sozialgericht weiterleiten müssen.
13 
Die Klage ist auch begründet.
14 
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
15 
Beim Erlass des Bescheides vom 2.11.2008 hat die Arge das Recht unrichtig angewandt, indem sie eine lediglich teilweise Aufhebung der Leistungen für zwei Kalendermonate verfügte, ohne zu bestimmen, in welcher Höhe die bewilligten Leistungen für die einzelnen Monate aufgehoben werden sollen. Sie hat stattdessen einen einheitlichen Betrag für den gesamten Zeitraum genannt, der die Höhe der insgesamt bewilligten Leistungen unterschreitet (so dass keine vollumfängliche Aufhebung vorliegt) und aus dem sich nicht herleiten lässt, in welcher Höhe die Leistungsbewilligung in den einzelnen Kalendermonaten bestehen bleiben soll. Dies aber wäre Voraussetzung für eine hinreichende inhaltliche Bestimmtheit des Verwaltungsakts, wie sie § 33 Abs. 1 SGB X vorschreibt. Das Bestimmtheitsgebot verlangt nicht nur die hier von der Arge vorgenommene Differenzierung nach Personen (Leistungsberechtigten) in der Bedarfsgemeinschaft, sondern auch die Bestimmung der im einzelnen betroffenen Bewilligungsbescheide einschließlich eventueller Änderungen nach ihrem Datum und die Angabe, für welche Teilzeiträume - beim SGB II Kalendermonate, vgl. § 41 Abs. 1 SGB II - diese bewilligenden Verwaltungsakte in jeweils welcher Höhe zurückgenommen oder aufgehoben werden (LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 10.8.2011, Az. L 15 AS 1036/09; LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30.3.2010, Az. L 3 AS 138/08; LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 16.12.2009, Az. L 9 AS 477/08, im Anschluss an die BSG-Rspr. zum SGB III, vgl. etwa Urt. v. 15.8.2002, Az. B 7 AL 66/01 R, alle in <juris>). Dies ergibt sich aus dem unmittelbar rechtsändernden Charakter derartiger Verwaltungsakte, die (wie ihr Spiegelbild, die rechtsbegründenden Bewilligungsbescheide) insoweit den zivilrechtlichen Verfügungen gleichen, dass über ihren Inhalt kein Zweifel bestehen darf. Die andernfalls drohende Rechtsunsicherheit würde sich etwa bei der Konkurrenz mit weiteren Aufhebungsentscheidungen oder mit Erstattungsansprüchen anderer Sozialleistungsträger für identische Zeiträume gravierend auswirken.
16 
Weiter wurden Klägerin infolge der unrichtigen Rechtsanwendung auch Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht. Dieses Tatbestandsmerkmal setzt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts und der Nichtgewährung einer Sozialleistung - d. h. einer für den Bescheidadressaten ungünstigen, auf Leistungen bezogenen Regelungswirkung des Bescheides - voraus. Sozialleistungen werden deshalb auch dann i. S. v. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X „zu Unrecht nicht erbracht“, wenn wie hier durch einen rechtswidrigen Verwaltungsakt ein Leistungen bewilligender Verwaltungsakt zurückgenommen oder aufgehoben wird (vgl. Schütze, in: von Wulffen, SGB X, 7. A. 2010, § 44, Rnr. 16 m. Nw. aus der Rspr. des BSG).
17 
Dem kann der Beklagte nicht entgegenhalten, die Höhe der Rückforderung sei nicht zu beanstanden und § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X dürfe nicht dazu führen, dass Sozialleistungsempfänger mehr erhielten, als ihnen zustehe. Entgegen dieser Argumentation stellt die Vorschrift nicht darauf ab, ob der zu beurteilende Verwaltungsakt geeignet ist, die bescheidmäßig festgestellten Ansprüche auf Sozialleistungen an die dem Adressaten von Gesetzes wegen zustehenden Ansprüche anzugleichen. Dies würde zu einer saldierenden Betrachtungsweise führen, die nicht nur wie hier den gesamten Aufhebungszeitraum sondern darüber hinaus den ganzen Bezugszeitraum, ja sogar die Leistungen weiterer Träger nach anderen Sozialgesetzbüchern in den Blick nehmen könnte. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist vielmehr entscheidend, was dem Adressaten vor Erlass des maßgeblichen Bescheides nach materiellem Recht zustand; hierzu gehören aber auch durch bestandskräftige Bescheide zuerkannte Rechtspositionen, unabhängig von deren materieller Rechtmäßigkeit; hier also die der Klägerin aufgrund der Bewilligungsbescheide zustehenden Ansprüche. Im übrigen kann aufgrund der Unbestimmtheit des Bescheids vom 2.11.2008 gerade nicht positiv festgestellt werden, ob der Klägerin nach dieser Entscheidung - bezogen auf die beiden Kalendermonate als Teilleistungszeiträume - dasjenige verbleibt, was ihr gesetzlich im jeweiligen Monat zustünde.
18 
Ebensowenig handelt es sich bei der mangelnden Bestimmtheit lediglich um einen formellen Fehler. Mangelnde Bestimmtheit im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X stellt keinen Formfehler dar, sondern führt zur materiellen Rechtswidrigkeit des Bescheides (BSG-Urt. v. 13.7.2006, Az. B 7a AL 24/05 R, <juris>; zustimmend Engelmann, in: von Wulffen, a. a. O., § 33, Rnr. 10). Auf die teilweise umstrittene Frage, ob und wenn ja welche Formfehler im Rahmen von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X beachtlich sind (hierzu z. B. Schütze, a. a. O., Rnr. 17 m. w. N.), kommt es daher nicht an.
19 
Selbst wenn man im vorliegenden Fall das Tatbestandsmerkmal „zu Unrecht nicht erbracht“ verneinen würde, stünde dies einem Anspruch der Klägerin auf Rücknahme des Bescheids vom 2.11.2008 nicht entgegen. Dann wäre nämlich § 44 Abs. 2 SGB II zu beachten. Danach kann „im übrigen“ (also z. B. wenn es am Merkmal der unrechtmäßigen Nichterbringung von Leistungen fehlt, vgl. Schütze, a. a. O., Rnr. 21) ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Behörde wäre also zu einer Ermessensentscheidung über die Rücknahme des Bescheides verpflichtet. In den Fällen mangelnder Bestimmtheit des zu überprüfenden Bescheides dürfte dabei - jedenfalls wenn es wie vorliegend unmittelbar um das Bestehen oder Nichtbestehen von Sozialleistungsansprüchen geht - im Interesse der Rechtssicherheit regelmäßig eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen sein, die zur Rücknahme des nicht hinreichend bestimmten Bescheides zwingt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die von den Beteiligten übereinstimmend beantragte Zulassung der Berufung auf § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.

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