Beschluss vom Sozialgericht Gelsenkirchen - S 21 AR 8/05
Tenor
Die dem Antragsteller für sein Gutachten vom 10.12.2004 zustehende Vergütung wird auf 1.015,16 Euro festgesetzt.
Die Beschwerde wird zugelassen.
1
Gründe:
2I. Der Antragsteller erstattete im zugrundeliegenden Rechtsstreit am 10.12.2004 für das Sozialgericht ein Gutachten über die Erwerbsminderung der Klägerin. Der Auftrag dazu war im September 2004 erteilt worden. Die dem Antragsteller vorgelegte Gerichtsakte umfasste 83 Seiten und die Verwaltungsakte 120 Seiten. Für sein 27 Seiten umfassendes Gutachten stellte der Antragsteller dem Sozialgericht am 15.12.2004 einen Betrag in Höhe von 1.329,60 Euro in Rechnung. Hierbei machte er 4,2 Stunden für Aktenstudium und 20 Röntgenbilder, 1,5 Stunden für die Untersuchung, 4,5 Stunden für die Ausarbeitung und 4,5 Stunden für Diktat und Korrektur des Gutachtens ausgehend von einem Stundensatz von 60 Euro geltend. Außerdem wurden Porto, Schreibauslagen, Sachleistungen und Umsatzsteuer geltend gemacht. Die Anweisungsstelle kürzte die Rechnung auf 1.225,21 Euro ausgehend von 4 Stunden für Aktenstudium und 3,2 Stunden für Diktat und Korrektur. Der Antragsteller hat richterliche Festsetzung beantragt.
3II. Die dem Antragsteller zustehende Vergütung war auf 1.015,16 Euro festzusetzen.
4Grundlage des Vergütungsanspruchs des Antragstellers ist § 8 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz -JVEG-). Danach erhält der Sachverständige für seine Leistungen als Vergütung ein Honorar, das nach Stundensätzen bemessen ist. Das Honorar der Sachverständigen für ihre Leistungen richtet sich nach den in § 9 JVEG festgesetzten Sätzen, nach den in der Anlage 1 genannten Honorargruppen und der für die geforderte Leistung erforderlichen Zeit. Der Antrag auf gerichtliche Festsetzung der Vergütung ist zulässig. Die Festsetzung der Vergütung erfolgt durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte die gerichtliche Festsetzung beantragt (§ 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG).
5Zunächst ist allgemein darauf hinzuweisen, dass das Gericht bei der Festsetzung der Sachverständigenvergütung an die von dem Sachverständigen gestellten Anträge nur insoweit gebunden ist, als es im Endergebnis nicht mehr festsetzen kann, als der Sachverständige gefordert hat. Das folgt aus § 2 JVEG. Im Rahmen des Vergütungsbegehrens kann das Gericht jedoch Beträge festsetzen, die den Vorstellungen des Sachverständigen nicht entsprechen. Die geforderten Beträge können in den Einzelansätzen sowohl verschlechtert als auch erhöht werden. Dementsprechend war die Kammer berechtigt und verpflichtet, die Kostenrechnung des Sachverständigen in vollem Umfang zu prüfen und die danach zu gewährende Vergütung festzusetzen.
6Die Kostenkammer ist auch berechtigt, die vom Antragsteller begehrte Entschädigung in der Gesamtsumme niedriger festzustellen, als dies die Anweisungsstelle getan hat. Der Grundsatz, wonach die Einlegung eines Rechtsmittels die Position des Rechtsmittelführers nicht verschlechtern darf (Verbot der reformatio in peius), kann hier keine Anwendung finden. Sobald das Gericht gemäß § 4 JVEG mit der Festsetzung der Vergütung befasst wird, wird die Feststellung der Anweisungsstelle, die nur vorläufigen Charakter hat, ohne weiteres hinfällig. Die gerichtliche Festsetzung nach § 4 JVEG ist keine Abänderung der von der Anweisungsstelle vorgenommenen Berechnung sondern eine unabhängige erstmalige Festsetzung, durch die eine vorherige Berechnung der Vergütung im Verwaltungswege gegenstandslos wird. Sie leitet nach allgemeiner Auffassung ein neues Verfahren ein (vgl. BGH in NJW 69,556; LSG NW in Breithaupt 2001,402,403; Meyer/Höver/ Bach, Kommentar zum JVEG, 23. Auflage § 4 Rd. 4.12;).
7Im vorliegenden Fall gibt der vom Antragsteller geforderte Stundensatz von 60 Euro keinen Anlass zu Beanstandungen, denn es handelt sich um eine Leistungsbeurteilung von durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad, die in die Honorargruppe M 2 der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG einzuordnen ist.
8Für die Erstattung des Gutachtens ist ein Zeitaufwand von insgesamt 10 Stunden (aufgerundet gemäß § 8 Abs. 2 JVEG) zu vergüten.
9Im Interesse einer gleichmäßigen Entschädigung aller Sachverständigen für gleichartige Leistungen hat als Bemessungsgrundlage nicht die jeweilige Arbeitsmethode des einzelnen Sachverständigen und damit die subjektiv benötigte Zeit zu dienen, sondern allein der für die erbrachte Leistung objektiv erforderliche Zeitaufwand. Als erforderlich (§ 8 Abs. 2 JVEG) ist dabei nach einhelliger Ansicht im Schrifttum und Rechtsprechung nur derjenige Zeitaufwand anzusehen, den ein durchschnittlicher und mit der Materie vertrauter Sachverständiger bei sachgemäßer Auftragserledigung und durchschnittlicher Arbeitsintensität zur Erbringung der geforderten Leistung benötigen durfte. Dabei kann es im Einzelfall dazu kommen, dass dem Sachverständigen der von ihm benötigte Zeitaufwand nicht in vollem Umfang entschädigt wird, wenn nämlich die Leistung nach objektiven Maßstäben in kürzerer Zeit hätte erbracht werden können (st. Rspr. zuletzt LSG NW Beschluss vom 19.01.2005 in L 4 B 9/04)
10Die Erstellung eines Gutachten gliedert sich nach der ständigen Rechtsprechung des LSG NW (a.a.O.) in 4 vergütungspflichtige Arbeitsschritte:
111. Aktenstudium und vorbereitende Arbeiten 2. Untersuchung und Anamnese 3. Abfassung der Beurteilung 4. Diktat und Korrektur
12Der für das Aktenstudium von 203 Seiten erforderliche Zeitaufwand ist im vorliegenden Fall mit 1,1 Stunden zu veranschlagen. Für die sorgfältige Durcharbeitung der Akten einschließlich der Fertigung von Notizen ist nach der neueren Rechtssprechung der Kostenkammer abweichend von der bisher üblichen Praxis ein Zeitaufwand von einer Stunde pro 100 Seiten mit medizinischem Inhalt erforderlich (Beschluss vom 20.01.05 in S 21 AR 4/05). Die bisher angenommenen 50 Seiten entsprechen nicht mehr den heutigen Gegebenheiten und werden bereits in einigen anderen Bundesländern nicht mehr akzeptiert, weil für medizinische Sachverständige nur bestimmte Aktenteile von Interesse sind.
13Ein zusätzlicher Zeitansatz für die Auswertung von 20 Röntgenbildern kommt nicht in Betracht, weil dem Antragsteller keine Bilder übersandt wurden und auch an keiner Stelle des Gutachtens ersichtlich ist, dass er vom Kläger mitgebrachte Röntgenbilder ausgewertet hat.
14Nicht zu beanstanden ist der Zeitansatz von 1,5 Stunden für die Untersuchung sowie 4 Stunden für die Beurteilung. Der Zeitaufwand für die "zusammenfassende Beurteilung" in einem medizinischen Gutachten ist allein nach dem Umfang und der Schwierigkeit der gedanklichen Arbeit zu ermitteln. Der Antragsteller hat sich auf insgesamt 8 Seiten mit sehr vielen einzelnen Aspekten auseinander gesetzt, so dass hier der Zeitansatz von 4 Stunden realistisch erscheint.
15Dagegen kann der Zeitansatz von 4,5 Stunden für Diktat und Korrektur nicht nachvollzogen werden. Nach der bisherigen Rechtsprechung zum ZSEG benötigt ein Sachverständiger von durchschnittlichen Fähigkeiten und Kenntnissen für Diktat und Korrektur von normalen Schreibmaschinenseiten erfahrungsgemäß etwa eine Stunde für 6 Seiten. (vgl. Beschlüsse des LSG NW vom 19.02.1979 - L 16 S 98/78 - und vom 06.06.1980 - L 5 S 37/79). Demnach wäre hier bei 27 Seiten von einem Zeitaufwand von 4,5 Stunden auszugehen, sofern man die vorgelegten Seiten als "normal" akzeptiert. An dieser Rechtsprechung hält die Kostenkammer im Prinzip fest. Sie ermittelt neuerdings aber die Anzahl der "normalen Schreibmaschinenseiten" über die Zahl der von den Sachverständigen angegebenen Anschläge. Das seit dem 01.7.2004 geltende JVEG stellt nämlich nicht mehr auf die Seitenzahl des Gutachtens sondern auf die Anzahl der Anschläge ab. Gemäß § 12 Abs.1 Nr. 3 JVEG werden bei Erstellung eines schriftlichen Gutachtens je angefangene 1000 Anschläge 0,75 Euro gesondert ersetzt; ist die Zahl der Anschläge nicht bekannt, ist sie zu schätzen. Diese leicht zu handhabende Abrechnungsmethode für die Schreibgebühren vermeidet die früheren Streitigkeiten über das angemessene Schriftbild, zu großen Zeilenabstand oder zu breiten Rand. Es bleibt jetzt dem ästhetischen Gefühl jedes Sachverständigen überlassen, in welcher Form er sein Gutachten zu Papier bringt. Es wäre widersinnig, diese Vereinfachung nicht auch für die Ermittlung des Zeitaufwands für Diktat und Korrektur zu nutzen. Die Kostenkammer geht nach ihren Erfahrungen davon aus, dass ein Sachverständiger in einer Stunde einen Text mit 10.000 Anschlägen diktieren und korrigieren kann. Das entspricht 6 normalen Schreibmaschinenseiten mit jeweils etwa 1650 Anschlägen. Das LSG NW hat diese Methode der Kostenkammer zur Ermittlung des erforderlichen Zeitaufwands für Diktat und Korrektur in seinem neuesten Beschluss vom 19.01.2005 (L 4 B 9/04) ausdrücklich gebilligt. Die Rechtsprechung der Kostenkammer bedeutet, dass sich bei 31.834 Anschlägen für Diktat und Korrektur ein erforderlicher Zeitaufwand von 3,2 Stunden errechnet.
16Entsprechend der Anzahl von 31.834 Anschlägen errechnen sich die Schreibgebühren gemäß § 12 Abs.1 Nr. 3 JVEG: 32 mal 0,75 = 24 Euro.
17Das ergibt folgende dem Sachverständigen zustehende Vergütung:
18Aktenstudium 1,1 Stunden zu 60 Euro Untersuchung 1,5 Stunden Abfassung 4,0 Stunden Diktat und Korrektur 3,2 Stunden
19Zusammen 10,0 Stunden = 600,00 Euro Schreibgebühren 24,00 Euro GOÄ-Leistungen 244,41 Euro Summe 868,41 Euro MwSt 16 % 138.95 Euro Porto 7,80 Euro Gesamt 1.015,16 Euro
20Die Kostenkammer hat die Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Fragen zugelassen. Die Kostenkammer weicht von der früheren Rechtsprechung hinsichtlich der für das Aktenstudium erforderlichen Stundenzahl ab. Eine Klärung durch die nächste Instanz wäre wünschenswert. Außerdem erscheint es klärungsbedürftig, ob der Zeitansatz für Diktat und Korrektur noch der heutigen Arbeitsweise der Sachverständigen entspricht, Diktiergeräte oder elektronische Notebooks kommen jetzt bereits beim Aktenstudium, bei der Untersuchung und bei der Abfassung der Beurteilung zum Einsatz. Die Kostenkammer hat bereits in mehreren Beschlüssen Bedenken angemeldet, ob hier möglicherweise die gleiche Leistung mehrfach vergütet wird. Mangels ausreichender eigener Erkenntnisse hat die Kammer bisher noch von einer Kürzung abgesehen.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.