Beschluss vom Sozialgericht Halle (8. Kammer) - S 8 R 226/17 ER

Tenor

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die gerichtlichen Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 12.089,52 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung hat, auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG entfällt bei Entscheidungen über Beitragspflichten sowie der Anforderung von Beiträgen einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage. Nach § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG soll in den Fällen des Abs. 2 Nr. 1 die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- und Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Hieraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber in den Fällen des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG die sofortige Vollziehbarkeit zunächst einmal angeordnet hat. Durch die Regelung in § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG hat er zu erkennen gegeben, dass die Aussetzung in der Regel unter den dort bestimmten Voraussetzungen erfolgen soll. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als der Misserfolg. Hierfür spricht, dass durch § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Abgabebescheiden bewusst auf den Adressaten verlagert worden ist, um die notwendigen Einnahmen der öffentlichen Hand zur Erfüllung ihrer Aufgaben sicherzustellen. Diese gesetzliche Risikoverteilung würde unterlaufen, wenn die Vollziehung bereits dann ausgesetzt würde, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wahrscheinlich ist wie der Misserfolg. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Eine unbillige Härte liegt in diesem Zusammenhang vor, wenn dem Betroffenen durch die Vollziehung Nachteile entstehen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und nicht oder nur schwer wieder gutgemacht werden können

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An der Rechtmäßigkeit des Bescheides der Antragsgegnerin vom 19. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2015 bestehen keine ernsthaften Zweifel. Ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache ist jedenfalls nicht überwiegend wahrscheinlich. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist allenfalls als offen anzusehen.

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Nach § 28p Abs. 1 SGB IV prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten oder ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere mindestens alle vier Jahre die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen. Nach § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern. Die zu prüfenden Beitragsansprüche der Versicherungsträger entstehen nach § 22 Abs. 1 SGB IV, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Für die Feststellung der Versicherungspflicht und der Beitragshöhe gilt das Entstehungsprinzip und nicht das Zuflussprinzip. Auf den Zufluss kommt es nur an, soweit über das geschuldete Arbeitsentgelt hinaus überobligatorische Zahlungen zugewendet oder geleistet werden. Insbesondere bei untertariflicher Bezahlung ist die Versicherungspflicht nach dem tariflich zustehenden, nicht lediglich nach dem zugeflossenen Arbeitsentgelt zu beurteilen. Insoweit kommt es nicht auf das tatsächlich ausgezahlte Monatsgehalt, sondern auf das Gehalt an, auf dessen Zahlung bei Fälligkeit der Beiträge ein Rechtsanspruch bestand (BSG, Urteile vom 14. Juli 2004 – B 12 KR 7/04 R – und vom 30. August 1994 – 12 RK 59/92 –; juris).

4

Der beanstandete Widerspruchsbescheid vom 19. August 2015 ist entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht nichtig. Das Fehlen eigenhändiger Unterschriften der Mitglieder des Widerspruchsausschusses auf dem Widerspruchsbescheid begründet nicht einmal einen Formfehler.

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§ 40 SGB X regelt, unter welchen Voraussetzungen die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes anzunehmen ist. Gemäß Abs. 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Ohne Rücksicht auf diese Voraussetzungen ist ein Verwaltungsakt nichtig, 1. der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt, 2. der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt, 3. den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann, 4. der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht oder 5. der gegen die guten Sitten verstößt.

6

In § 40 Abs. 3 SGB X werden die Verfahrens- und Formfehler aufgezählt, welche zwar zur Rechtswidrigkeit für sich genommen, aber nicht zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes führen. Hierzu gehört unter anderem (Nr. 3), dass ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsaktes vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war.

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Vorliegend begründet das Fehlen eigenhändiger Unterschriften unter dem Widerspruchsbescheid vom 19. August 2015 keinen die formelle Rechtswidrigkeit begründenden Formfehler im Sinne von § 33 SGB X, erst recht begründet er keinen zur Nichtigkeit führenden besonders schwerwiegenden Fehler. Die bei Erlass eines Verwaltungsakts einzuhaltende Form definiert § 33 SGB X, wonach ein Verwaltungsakt schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden kann (§ 33 Abs. 2 S. 1 SGB X). § 85 Abs. 3 S. 1 SGG ordnet als Sonderregelung hierzu an, dass ein Widerspruchsbescheid schriftlich zu erlassen, zu begründen und den Beteiligten bekanntzugeben ist. Ein schriftlicher oder elektronischer Verwaltungsakt muss die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten (§ 33 Abs. 3 S. 1 SGB X). Wird für einen Verwaltungsakt, für den durch Rechtsvorschrift die Schriftform angeordnet ist, die elektronische Form verwendet, muss auch das der Signatur zu Grunde liegende qualifizierte Zertifikat oder ein zugehöriges qualifiziertes Attributzertifikat die erlassende Behörde erkennen lassen. Abweichend von § 33 Abs. 3 S. 1 SGB X regelt dessen Abs. 5, dass bei einem Verwaltungsakt, der mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird, Unterschrift und Namenswiedergabe fehlen können und bei einem elektronischen Verwaltungsakt, dass das der Signatur zu Grunde liegende Zertifikat nur die erlassende Behörde erkennen lassen muss.

8

Vorliegend kann offen bleiben, ob es sich beim angefochtenen Widerspruchsbescheid um einen Verwaltungsakt handelt, welcher mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen worden ist, denn der Widerspruchsbescheid entspricht bereits den Anforderungen des § 33 Abs. 3 S. 1 SGB X in Verbindung mit § 85 Abs. 3 S. 1 SGG, so dass es eines Eingreifens der die formellen Anforderungen für mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassener Verwaltungsakte lockernden Norm des § 33 Abs. 5 SGB X von vornherein nicht bedarf.

9

Der Widerspruchsbescheid ist schriftlich erlassen worden, lässt als Absender ohne Weiteres die erlassende Behörde erkennen und gibt auf Seite 6 auch die Namen der Mitglieder des Widerspruchsausschusses (Frau, Herr, Frau ), welche die Entscheidung über den Widerspruch des Klägers getroffen haben, und damit auch den Namen der Mitarbeiterin (Frau ), welche als Vertreterin des Direktoriums der Beklagten (und damit als Vertreterin des Behördenleiters, denn gemäß § 42 der Satzung der Beklagten führen die Mitglieder des Direktoriums hauptamtlich die Verwaltungsgeschäfte) an der Entscheidung beteiligt gewesen ist, wieder.

10

Eine aus der Bestandskraft der Prüfmitteilung der Antragsgegnerin vom 19. April 2010 abgeleitete Bindungswirkung, die einer Erhebung der streitigen Beiträge entgegenstehen würde, besteht nicht. Die frühere "beanstandungsfrei" verlaufene Betriebsprüfung, die mit der Prüfmitteilung vom 19. April 2010 endete, vermittelt dem Kläger keinen "Bestandsschutz" gegenüber einer neuerlichen Beitragsforderung, die der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide entgegenstehen könnte (ständige Rechtsprechung des BSG, zuletzt im Urteil vom 18.11.2015 - B 12 R 7/14 R). Betriebsprüfungen entfalten keine über die bloße Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung. Betriebsprüfungsbescheide, mit denen Beiträge nachgefordert werden, entfalten lediglich insoweit Bindungswirkung, als Versicherungs- und/oder Beitragspflicht (und Beitragshöhe) in der Vergangenheit im Rahmen der Prüfung personenbezogen für bestimmte Zeiträume durch gesonderten Verwaltungsakt festgestellt wurden. Letztlich haben Betriebsprüfungen insbesondere den Zweck, den Einzugsstellen durch Sicherstellung von Arbeitgeberunterlagen und -aufzeichnungen eine Berechnungsgrundlage zu verschaffen, damit diese die notwendigen Schritte zur Geltendmachung von Ansprüchen auf (rückständige) Beiträge (vgl. § 28h Abs. 1 Satz 3 SGB IV) unternehmen können (BSG, Urteil vom 28.05.2015 - B 12 R 16/13 R). Für die vom Sozialgericht geforderte materielle Bindungswirkung besteht keine Rechtsgrundlage. Das Sozialversicherungsrecht enthält gerade keine Vorschrift, die mit der Änderungssperre nach § 37 Abs. 2 Satz 1 Abgabenordnung für Steuerbescheide, die aufgrund einer (steuerlichen) Außenprüfung ergangen sind, vergleichbar ist (BSG, Urteil vom 30.10.2013 – B 12 AL 2/11 R).

11

Wie der 12. Senat ebenfalls bereits entschieden hat, darf auch bei "kleineren" Betrieben eine Betriebsprüfung auf Stichproben beschränkt bleiben (vgl. BSGE 115, 1 = SozR 4-2400 § 27 Nr. 5 Rn. 26). Selbst bei einer Betriebsprüfung in einem sog Kleinstbetrieb mit nur einem einzigen "Aushilfsarbeiter" besteht danach keine Verpflichtung der Prüfbehörden, die versicherungsrechtlichen Verhältnisse (aller) Mitarbeiter vollständig zu beurteilen (vgl. BSGE 93, 119 = SozR 4-2400 § 22 Nr. 2 Rn.36). Dass die nach § 28p Abs. 1 S 1 SGB IV mindestens alle vier Jahre durchzuführenden Betriebsprüfungen durch die Rentenversicherungsträger prinzipiell nur stichprobenartig erfolgen können, liegt bei lebensnaher Betrachtung auf der Hand. Stichprobenartig vorgenommene Betriebsprüfungen entsprechen einer jahrzehntelangen Praxis, die sowohl der Gesetzgeber als auch die Rechtsprechung unbeanstandet gelassen haben. Es kann bei einer praxisorientierten, der Eigenart einer Massenverwaltung im Bereich der Sozialversicherung gerecht werdenden Betrachtungsweise ebenfalls nicht geschlossen werden, dass die gesamte Praxis der Meldungen und Beitragszahlung eines Arbeitgebers (§§ 28a, 28e, 28f, 28g SGB IV) in Bezug auf sämtliche Betriebsangehörigen unter allen denkbaren Aspekten behördlicherseits für "in Ordnung" befunden wurde. Betriebsprüfungen - ebenso wie das Ergebnis der Prüfung festhaltende Prüfberichte der Versicherungsträger - bezwecken nämlich insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm etwa mit Außenwirkung "Entlastung" zu erteilen.

12

Die frühere "beanstandungsfrei" verlaufene Betriebsprüfung mit der in diesem Zusammenhang ergangenen Prüfmitteilung vom 19. April 2010 entfaltet auch aus sonstigen Gründen keine Bindungswirkung und vermittelt dem Kläger keinen "Bestandsschutz" gegenüber einer Beitragsforderung, etwa aus Gründen der Verwirkung oder des Vertrauensschutzes. Das BSG hat sich bereits in seinem Urteil vom 30. Oktober 2013 ausführlich mit der erhobenen Forderung nach einem derartigen "Bestandsschutz" als Folge von beanstandungsfrei endenden Betriebsprüfungen befasst und darauf hingewiesen, dass es hierfür keine Rechtsgrundlage gibt.

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Für die Frage, ob der Beklagte im Prüfzeitraum vom 1. Januar 2010 bis 30. September 2013 einen Betrieb unterhalten hat, welcher dem Geltungsbereich der Tarifverträge zur Regelung der Mindestlöhne im Baugewerbe in den neuen Bundesländern unterfiel, soll es nach Auffassung des Antragstellers maßgeblich darauf ankommen, ob die Arbeitnehmer und in den Kalenderjahren 2010 bis 2013 arbeitszeitlich überwiegend von diesem Tarifvertrag erfasste Tätigkeiten verrichtet haben. Der Antragsteller trägt vor, die Arbeitnehmer seien hauptsächlich mit der Grundstückspflege seines Privatgrundstücks beschäftigt gewesen und hätten allenfalls Material besorgt (Transportdienstleistungen). Er habe sämtliche Arbeiten auf den Baustellen selbst und eigenhändig erledigt. Wegen eines Rückenleidens sei es ihm schwer gefallen, bestimmte Arbeiten wie Heben und Tragen von Material auszuführen und insoweit habe Herr das Betriebsfahrzeug be- und entladen und Material für die Baustellen besorgt und bereitgestellt oder ihn auf der Baustelle mit Verpflegung versorgt.

14

Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist insoweit allenfalls als offen anzusehen. Denn der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe vom 4. Juli 2002 trifft keine speziellen Aussagen hinsichtlich der Art der zu verrichtenden Tätigkeiten und des Arbeitsorts, vielmehr sind vom persönlichen Geltungsbereich alle gewerblichen Arbeitnehmer erfasst, die eine nach den Vorschriften des SGB VI versicherungspflichtige Beschäftigung ausüben. Dabei ist nicht auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst und auch nicht auf handels- und gewerberechtliche Kriterien abzustellen (BAG Urteil vom 19. Juli 2000 - 10 AZR 918/98 - AP Nr. 232 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).

15

Der Sachvortrag der Antragsgegnerin ist zunächst schlüssig und ausreichend, als sie Tatsachen vorträgt, die den Schluss zulassen, der Betrieb des Arbeitgebers werde vom betrieblichen Geltungsbereich des Bauhauptgewerbes erfasst. Es liegen hierfür ausreichend Anhaltspunkte für einen Baubetrieb vor. In den Gehaltsabrechnungen und den Meldungen zur Sozialversicherung wurden für beide Arbeitnehmer die Tätigkeitsschlüssel 331012212 – Beschäftigung als Fliesenleger – verwendet. Dafür sprechen auch die Tätigkeitsbeschreibungen in den Arbeitsverträgen. Der Arbeitnehmer war laut Arbeitsvertrag vom 18. Juni 2009 als Bauhelfer beschäftigt und sollte alle Tätigkeiten verrichten, die zum Betriebsablauf gehören. Der Beschäftigte war als Bauhelfer eingestellt und sollte Zuarbeiten für das Fliesenlegerhandwerk verrichten.

16

Eine abschließende Beurteilung dazu ist im Hauptsacheverfahren geboten.

17

Auch die Festsetzung von Säumniszuschlägen lässt weder dem Grunde oder der Höhe nach Rechtsfehler zu Lasten des Antragstellers erkennen. Wird eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist allerdings nach § 24 Abs. 2 SGB IV ein darauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte. Eine solche Glaubhaftmachung ist dem Kläger bisher nicht gelungen.

18

Eine fehlende Kenntnis der Pflicht über die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen steht nur dann als unverschuldet der Erhebung von Säumniszuschlägen nach § 24 Abs. 2 SGB IV entgegen, wenn der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte. Für die Beurteilung eines Verschuldens sind auch im Sozialrecht die Vorgaben des § 276 BGB zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 25. Mai 2005 – B 11a/11 AL 81/04 R –, SozR 4-4300 § 140 Nr 1, BSGE 95, 8-16, SozR 4-4300 § 37b Nr 3; BSG, Urteil vom 26. August 1983 – 10 RAr 1/82 –, SozR 4100 § 141e Nr 5 = BSGE 55, 284). Fahrlässig und damit schuldhaft handelt dementsprechend insbesondere derjenige, der die im Verkehr "erforderliche" Sorgfalt außer Acht lässt (vgl. § 276 Abs. 2 BGB).

19

"Erforderlich" in diesem Sinne ist eine Sorgfalt, die darauf ausgerichtet ist, Beitragsausfälle auf Seiten der berechtigten Sozialleistungsträger möglichst zu vermeiden. Die freiheitlich-marktwirtschaftliche Struktur des bundesdeutschen Wirtschaftslebens hat zur Folge, dass den Sozialleistungsträgern von Amts wegen die Aufnahme einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung zunächst regelmäßig gar nicht bekannt wird. Zum Ausgleich hat der Gesetzgeber die Arbeitgeber verpflichtet, eigenständig alle beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse der jeweils zuständigen Einzugsstelle nach § 28a SGB IV zu melden und wiederum eigenständig für die - vollständige - Abführung der geschuldeten Beiträge nach Maßgabe der §§ 28d ff. SGB IV Sorge zu tragen. Insoweit werden die Arbeitgeber mit diesen gesetzlichen Vorgaben fremdnützig sowohl im Interesse der Beschäftigten als auch insbesondere im Interesse der Sozialleistungsträger und der von dieser repräsentierten Versichertengemeinschaft in Anspruch genommen.

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Unter Berücksichtigung der gesetzlich übertragenen Pflicht zur fremdnützigen Durchsetzung insbesondere der Beitragsinteressen der Sozialleistungsträger darf sich ein Arbeitgeber in Zweifelsfällen regelmäßig nicht mit eigenen subjektiven Einschätzungen der Rechtslage begnügen. Grundsätzlich fordert bereits der Geltungsanspruch des Rechts, dass der Verpflichtete das Risiko seines Irrtums über die Rechtslage selbst trägt (BGH, Urteil vom 01. Dezember 1981 – VI ZR 200/80 –, NJW 1982, 635).

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Von einem unverschuldeten Rechtsirrtum kann nur bei Anlegung strenger Maßstäbe Raum bleiben. Bei Zweifeln über die Rechtslage sind Erkundigungen einzuziehen.

22

Ein solches Vorgehen ist dem Arbeitgeber schon angesichts des regelmäßig nur relativ geringen damit verbundenen Aufwandes insbesondere dann zuzumuten, wenn - wie auch im vorliegend zu beurteilenden Zusammenhang - größere Beitragszahlungen aufgrund des zu beurteilenden Sachverhalts in Betracht kommen und damit die vom Arbeitgeber zu wahrenden Beitragsinteressen der Sozialleistungsträger ein besonderes Gewicht aufweisen. Für einen verständigen Arbeitgeber ist auch unschwer zu erkennen, dass erst auf diesem Wege in Zweifelsfällen das spezifische Fachwissen der zuständigen Fachbehörde nutzbar gemacht und damit die erforderliche Klarheit herbeigeführt werden kann. Insoweit verlangt die "erforderliche" Sorgfalt bei der Wahrnehmung der dargelegten ihm fremdnützig auferlegten Pflichten von ihm, die zuständige Einzugsstelle (bzw. in Verfahren nach § 7a SGB IV die Deutsche Rentenversicherung Bund) über den Zweifelsfall zunächst einmal in Kenntnis zu setzen. Der Antragsteller kann als Arbeitgeber und "mündiger Bürger", der als solcher wahrgenommen werden will, nicht dabei verharren und erwarten, dass ihn die Behörden und der Steuerberater ohne Nachfragen bzw. Darlegung des Sachverhalts auf alles hinweist.

23

Im Übrigen zeichnet sich schon der eigene Vortrag des Antragstellers durch durchgreifende Widersprüchlichkeiten aus. Dann ist regelmäßig auch kein Raum, mit der gebotenen Verlässlichkeit im Sinne jedenfalls einer Glaubhaftmachung Umstände zu objektivieren, die für eine unverschuldete Unkenntnis von der Zahlungspflicht sprechen könnten. Einerseits trägt der Antragsteller zunächst vor, er habe gewusst, dass die von ihm verrichteten Arbeiten unter das Bauhauptgewerbe fallen. Aufgrund der Eintragung in das Verzeichnis handwerksähnlicher Betriebe sei er – bewusst - davon ausgegangen, er unterfalle nun doch nicht mehr dem Tarifvertrag. Weder ist dem Schreiben der Handwerkskammer vom 27. September 2004 noch dem vom 13. Oktober 2004 ist eine diesbezügliche Beratung oder Aussage zu entnehmen noch erschließt sich, aus welchen Gründen die Eintragung in das Verzeichnis der handwerksähnlichen Gewerbe geltende Tarifverträge außer Kraft setzen sollte. Anderseits trägt der Antragsteller auch vor, er sei nicht einmal davon ausgegangen, dass der Tarifvertrag für ihn und seine Angestellten zur Anwendung komme. Auch die Arbeitnehmer hätten keine Einwände gehabt und seien mit dem Lohn einverstanden gewesen. Er habe auch nicht gewusst, dass ihr Lohn zu niedrig sei oder sogar sittenwidrig, wie die Antragsgegnerin behaupte. Im Übrigen könne er nicht von allen Umständen Kenntnis habe.

24

Schließlich hat der Antragsteller nichts dazu vorgetragen, dass die Vollziehung für ihn eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Insoweit kommt es nicht allein auf seine Liquidität an, ob die geltend gemachte Summe für ihn eine wirtschaftliche Liquidität bedeutet oder ob das Gewerbe noch ausgeübt wird.


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