Beschluss vom Sozialgericht Hannover (11. Kammer) - S 11 KR 483/02 eR

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Verpflichtungsbescheides der Antragsgegnerin vom 28. Mai 2002. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wehrt sich die Antragstellerin gegen die im Bescheid angeordnete sofortige Vollziehung.

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Mit Schreiben vom 31. August 2001 an alle bundesunmittelbaren Krankenkassen wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass für Pflichtversicherte grundsätzlich eine Kostenerstattung beim Bezug von Medikamenten über den Versand- oder Internethandel nicht in Betracht käme. Internetapotheken seien keine Leistungserbringer im Sinne des Fünften Buches des Sozialgesetzbuch, da sie von Rahmenverträgen gemäß § 129 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht erfasst würden. Soweit eine Apotheke im Ausland gewerblichen Versandhandel von Arzneimitteln betreibe, wie dies bei Internetapotheken der Fall sei, würden apothekenpflichtige Arzneimittel entgegen der §§ 43 und 73 Absatz 1 Arzneimittelgesetz (AMG) nach Deutschland in Verkehr gebracht. Solch ein rechtswidriges Verhalten könne keine Leistungspflicht der Krankenkasse begründen. Die Antragstellerin hatte in einer Presseinformation vom 13. Dezember 2001 unter Hinweis auf dramatische Kostensteigerungen im Arzneimittelbereich auf die Möglichkeit hingewiesen, Medikamente über die Internetapotheke ... zu beziehen. Der Arzneimittelversand sei eine Möglichkeit, zu mehr Wirtschaftlichkeit im Arzneimittelbereich zu kommen. Es gelte, den bislang staatlich regulierten Arzneimittelmarkt zu öffnen. Die Antragstellerin war eine von 13 niedersächsischen Betriebskrankenkassen, die das Angebot von ... unterstützen.

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In einer Mitteilung der Bundesrepublik Deutschland an die Kommission der Europäischen Union vom 21. September 2001 wurde ausgeführt, dass Leistungen der Krankenversicherung nicht mehr von den sonstigen privatautonom beschafften Dienstleistungen und Waren abgesondert werden könnten. Für in Apotheken der Mitgliedstaaten auf Grund deutscher Rezepte erworbener Arzneimittel dürfe den Versicherten wegen des Grundsatzes des freien Warenverkehrs der Kauf nicht erschwert werden. Die Versicherten hätten deshalb einen Anspruch auf Kostenerstattung.

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Mit Schreiben vom 19. Februar 2002 der Antragsgegnerin an die Antragstellerin wurde die Pressekonferenz vom 13. September 2001 zum Anlass genommen, die Antragstellerin im Hinblick auf den Bezug von apothekenpflichtigen Medikamenten der Internetapotheke ... aufsichtsrechtlich zu beraten. Nach § 43 Absatz 1 AMG dürften in Deutschland zugelassene apothekenpflichtige Arzneimittel grundsätzlich nur in Apotheken und nicht im Versandhandel in den Verkehr gebracht werden. Die Internetapotheken würden gegen dieses Verbot des Versandhandels verstoßen. Ein derart unzulässiges Verhalten vermöge eine Leistungspflicht der Krankenkassen nicht zu begründen. Der Hinweis auf eine Bezugsmöglichkeit von apothekenpflichtigen Medikamenten unter Verstoß gegen die §§ 43 Absatz 1, 73 Absatz 1 AMG sei unzulässig. Die Antragstellerin wurde daher gebeten, innerhalb von drei Wochen nach Erhalt des Schreibens zu bestätigen, dass sie den Versandhandel von Medikamenten künftig nicht mehr fördere und insbesondere keine Kosten für über den Versandhandel bezogene apothekenpflichtige Medikamente erstatte. Anderenfalls würde ein Verpflichtungsbescheid erlassen, dessen sofortige Vollziehung angeordnet würde. In weiteren Veröffentlichungen der Antragstellerin wurde eine Unterstützung der Internetapotheken erklärt.

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Mit Schreiben des Bundesgesundheitsminister vom 25. März 2002 wurde darauf hingewiesen, dass auch seitens das Bundesgesundheitsministeriums das Versandhandelsverbot unterstützt würde.

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Die Antragsgegnerin fertigte daraufhin am 28. Mai 2002 einen Bescheid, in dem die Antragstellerin folgendermaßen verpflichtet wurde:

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"I. Es ist zu unterlassen ihre Versicherten auf die Möglichkeit des Bezuges von apothekenpflichtigen Arzneimitteln zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung hinzuweisen, die im Wege des Versandhandels durch fernmündliche, schriftliche oder Bestellung im Internet erworben werden,

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II. für die Versicherten für apothekenpflichtige Arzneimittel, die über einen Versandhandel erworben wurden, weder ganz noch teilweise oder im Wege der Direktabrechnung zu tragen.

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III.   Die sofortige Vollziehung des Bescheides wird angeordnet"

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Der Versand telefonisch, schriftlich oder über das Internet bestellter Arzneimittel an den Endverbraucher im Inland durch ausländische Apotheken verstoße gegen die §§ 43 Absatz 1, 73 Absatz 1 AMG. Die Internetapotheken würden Arzneimittel entgegen deutschem Recht aus dem Ausland im Wege des Versandhandels gewerbsmäßig an Endverbraucher und damit in den Verkehr bringen. Darin läge ein Verstoß gegen § 43 Absatz 1 AMG.

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Daran ändere auch Europäisches Recht nichts. Das Versandhandelsverbot diene dem Verbraucherschutz. Es sei deshalb auch im Rahmen des europäischen Bereiches zu beachten und könne auf den grundsätzlich freien Dienstleistungs- und Warenverkehr im Bereich der Europäischen Gemeinschaft begrenzend wirken. Ein so nach der deutschen Rechtsordnung unzulässiges Verhalten vermöge keine Leistungspflicht der Krankenkasse zu begründen.

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Auch die Ausnahmevorschrift des § 73 Absatz 2 Nr. 6 a AMG regele nichts anderes. Diese Ausnahmevorschrift betreffe ausschließlich die Einzeleinfuhr im Ausland erworbener Arzneimittel. Unabhängig davon, wie der Transport des Arzneimittels organisiert und abgewickelt werde, läge ein Versandhandel der Arzneimittel vor, da der vom Gesetzgeber angestrebte persönliche Kontakt mit dem Apotheker nicht vorläge, so dass das gesetzgeberische Anliegen einer persönlichen Beratung des Endabnehmers nicht erreicht würde.

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Da die Antragstellerin zu erkennen gegeben habe, dass sie von ihren Verhalten nicht ablassen werde, habe sich die Antragsgegnerin nach pflichtgemäßen Ermessen zum Erlass eines Verpflichtungsbescheides entschlossen. Man habe dadurch verhindern wollen, den gesetzlichen Katalog der zugelassenen Leistungserbringer durch die Antragstellerin unrechtmäßig zu erweitern. Es sollten dadurch rechtswidrig erlangte Wettbewerbsvorteile verhindert werden.

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Die Anordnung der sofortigen Vollziehung läge im öffentlichen Interesse an der sofortigen Beendigung des rechtswidrigen Zustandes. Das Verbot des § 43 Absatz 1 AMG diene dem Verbraucherschutz und damit insbesondere dem Schutz des Lebens und der Gesundheit der Bevölkerung. Es werden deshalb sehr hohe Rechtsgüter geschützt, die grundsätzlich Vorrang vor entgegenstehenden Interessen der Antragstellerin hätten. Mit der vorgenommenen Kostenübernahme fördere die Antragstellerin das Vertrauen der Versicherten auf die Leistungspraxis der Versandapotheken. Angesichts der im Raum stehenden Gefahren sei jedoch ein solches Vertrauen nicht zu rechtfertigen. Für die Beurteilung der Gefährdung der Bevölkerung sei unmaßgeblich, ob einzelne Versandapotheken seriös seien. Maßgeblich sei die in der Bezugsweise des Versandhandels liegende Gesamtgefährdung nach abstrakten Maßstäben. Die Anordnung sei auch geboten, um Wettbewerbsvorteile einzelner Kassen auf Grund rechtswidrigen Verhaltens gegenüber den Kassen zu vermeiden, die sich rechtstreu verhielten. Es stünde anderenfalls zu erwarten, dass auch die übrigen Kassen zur Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen sich die rechtswidrige Praxis der Antragstellerin zu eigen machen würden.

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Die Antragstellerin hat dagegen am 17. Juni 2002 eine Aufsichtklage erhoben. Gleichzeitig beantragt sie mit gleichem Datum:

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Die aufschiebende Wirkung der mit Schriftsatz vom 05.06.2002 erhobenen Aufsichtsklage der Antragstellerin gegen die Verpflichtungsanordnung des Antragsgegners vom 28.05.2002 hinsichtlich der dortigen Punkte 1 und 2 anzuordnen.

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Die Antragsgegnerin beantragt

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den Antrag abzuweisen.

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Die Antragstellerin weist darauf hin, dass auf dem Gebiet der Europäischen Gemeinschaft Herstellung, Zulassung, Überwachung und Abgabe von Arzneimitteln gemeinschaftsweiten Regelungen unterworfen und weitgehend harmonisiert seien. Durch den grenzüberschreitenden Arzneimittelversand aus den Niederlanden nach Deutschland durch die Apotheke ... sei die Gesundheit der Verbraucher nicht gefährdet. Ein Wettbewerbsvorteil der Antragstellerin läge nicht vor, da jeder Träger der gesetzlichen Krankenversicherungen in Deutschland es der Antragstellerin gleichtun könne. Soweit der Versandhandel gesetzlich nicht geregelt sei, sei der Gesetzgeber aufgefordert, dies europarechtskonform zu tun. Die jetzige Regelung verhindere faktisch vollständig die grenzüberschreitende Geschäftstätigkeit der Apotheke .... Sie stünde deshalb im Widerspruch zu europarechtlichen Vorschriften und sei deshalb nicht anwendbar. Bei einer Abwägung des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verpflichtungsbescheides mit den Interessen der Antragstellerin überwiege das Interesse der Antragstellerin. Sie könne den Bezug von Medikamenten im Versandwege ohnehin nicht verhindern, so dass sie dem Risiko ausgesetzt sei, von den Versicherten im Einzelfall auf Erstattung verklagt zu werden. Der Bezug von Arzneimitteln über den Versandhandel ermögliche der Antragstellerin eine erheblich Kosteneinsparung. Dem gegenüber stünden keine wirtschaftlichen Interessen der Antragsgegnerin.

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Vorrangig sei gegen die Verpflichtungsanordnung der Antragsgegnerin einzuwenden, dass dadurch der freie Warenverkehr gemäß Artikel 28 Vertrag zur Gründung der europäischen Gemeinschaft (EGV) behindert würde. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes dürften grenzüberschreitende medizinische Dienstleistungen und Warenlieferungen nicht durch die Weigerung der Kostenübernahme durch nationale gesetzliche Krankenversicherungen erschwert oder gar unmöglich gemacht werden. Auch Krankenkassen könnten sich auf die Grundfreiheiten des EG-Vertrages berufen, da sie Marktteilnehmer seien. Die Antragstellerin sei "Treuhändler" eines funktionierenden Binnenmarktes. Die Krankenkassen hätten ein "Binnenmarktrecht", grenzüberschreitend auf dem Versandweg bezogene Arzneimittel als Sachleistung zur Verfügung zu stellen oder die Kosten dafür zu übernehmen.

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Wegen der Ausführungen der Beteiligten im einzelnen wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86 b Absatz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist zulässig. Er ist jedoch bezogen auf beide Anordnungen im Verpflichtungsbescheid nicht begründet.

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1.  Die Antragsgegnerin war berechtigt, der Antragstellerin aufzugeben, ihre Versicherten nicht auf die Möglichkeit des Bezuges von apothekenpflichtigen Arzneimitteln zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung im Wege des Versandhandels hinzuweisen und insoweit die sofortige Vollziehung des Bescheides anzuordnen. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage war nicht anzuordnen.

24

Das Gericht in der Hauptsache kann auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen (§ 86 b Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 SGG). Die aufschiebende Wirkung ist durch das Gericht anzuordnen, wenn das Interesse des belasteten Adressaten das Interesse einer sofortigen Vollziehung überwiegt. Das Gericht entscheidet nach Ermessen und auf Grund einer Interessenabwägung (Meyer/Ladeweg, Sozialgerichtsgesetz, 7. Auflage § 86 b Randnummer 12). Die Antragsgegnerin hat im Bescheid vom 28. Mai 2002 formal korrekt die sofortige Vollziehung angeordnet. Gemäß § 86 a Absatz 2 Nr. 5 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten ist und die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen und über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung mit schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an einer sofortigen Vollziehung anordnet. Die Antragsgegnerin hat in dem benannten Bescheid unter Ausübung von Ermessen schriftlich dargelegt, warum das öffentliche Interesse an einer Vollziehung das Interesse der Antragstellerin überwiegt. Die Antragsgegnerin hat ausgeführt, dass durch den Versandhandel mit Arzneimitteln das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Versicherten gefährdet werden können, so dass hochwertige Rechtsgüter betroffen, die in aller Regel eine sofortige Vollziehung rechtfertigen. Eine abweichende Beurteilung käme nur dann in Betracht, wenn die Aufsichtsklage offensichtlich erfolgsversprechend wäre, was nach Überzeugung der Kammer jedoch nicht der Fall ist. Deshalb ist die aufschiebende Wirkung der Klage nicht anzuordnen gewesen. Es gilt der Grundsatz, dass bei aussichtslosen Klagen die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet werden kann. Je größer die Erfolgsaussicht ist, um so geringer sind die Anforderungen an das Anordnungsinteresses des Antragstellers (Meyer/Ladewig § 86 b Randnummer 12).

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Die Antragsgegnerin war gemäß § 89 viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) berechtigt, der Antragstellerin im Wege der Rechtsaufsicht im Verpflichtungsbescheid vom 28. Mai 2002 aufzugeben, bei ihren Versicherten nicht weiter für den Bezug von Arzneimitteln im Wege des Versandhandels zu werben. Die Antragstellerin hat die Verfahrensvorschriften des § 89 SGB IV beachtet. Wird durch das Handeln oder Unterlassen eines Versicherungsträgers das Recht verletzt, soll die Aufsichtsbehörde zunächst beratend darauf hinwirken, dass der Versicherungsträger die Rechtsverletzung behebt. Kommt der Versicherungsträger dem innerhalb einer angemessenen Frist nicht nach, kann die Aufsichtsbehörde den Versicherungsträger verpflichten, die Rechtsverletzung zu beheben. Nachdem die Antragstellerin auf das Beratungsschreiben vom 19. Februar 2002 hin nicht bestätigt hatte, künftig den Versandhandel von Medikamenten nicht mehr zu fördern, erging innerhalb von drei Wochen nach Erhalt des Schreibens der Verpflichtungsbescheid.

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Der Verpflichtungsbescheid ist bei der gebotenen summarischen Überprüfung rechtlich nicht zu beanstanden. Dem SGB V ist keine Rechtsposition der Antragstellerin derart zu entnehmen, dass sie Versicherte auf die Möglichkeit des Medikamentenbezuges im Wege des Versandhandels hinweisen darf. Hinweis- und Beratungsrechte der Krankenversicherungsträger sind nur vereinzelt im SGB V normiert (z. B. § 1 Satz 3 SGB V). Auch aus den §§ 13 ff SGB I lassen sich Rechte der Antragstellerin auf Beratung über Möglichkeiten des Arzneimittelbezuges im Wege des Versandhandels nicht herleiten. Die dort postulierten Aufklärungs-, Beratungs- und Auskunftspflichten sind nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes auf Rechte "nach diesem Gesetzbuch" begrenzt. Das SGB V kennt jedoch kein Recht auf eine Versorgung mit Arzneimitteln im Wege des Versandhandels. Auch § 17 SGB I postuliert lediglich eine Verpflichtung der Leistungsträger, darauf hinzuwirken, dass jeder Berechtigte die "ihm zustehenden" Sozialleistungen erhält. § 21 SGB I begrenzt die Zuständigkeit der Krankenkassen auf eine Versorgung mit Arzneimitteln "nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung". Gemäß § 31 SGB I gilt auch im Sozialrecht der Vorbehalt des Gesetzes. Gemäß § 29 SGB IV erfüllen die Träger der Sozialversicherung ihre Aufgaben in eigener Verantwortung "im Rahmen des Gesetzes und des sonstigen für sie maßgeblichen Rechts." Sie dürfen deshalb nur Geschäfte zur Erfüllung ihrer gesetzlich vorgeschriebenen oder zugelassenen Aufgaben führen (§ 30 SGB IV). Die Krankenkassen haben somit nach dem Sozialgesetzbuch Rechtspositionen grundsätzlich nur innerhalb der gesetzlichen Vorschriften. Die Versorgung der Versicherten mit wirtschaftlich günstigen Leistungen, die jedoch gesetzlich ausgeschlossen sind, kann weder von den Krankenkassen gefordert werden, noch sind die Kassen berechtigt, solche Leistungen zu erbringen. Die Aufklärung über gesetzlich nicht vorgesehene Ansprüche ist kein Geschäft zur Erfüllung gesetzlich vorgeschriebener oder zugelassener Aufgaben und verstößt somit gegen § 30 SGB IV.

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Die Werbung einer Krankenkasse für den Bezug von Arzneimitteln im Wege des Versandhandels von ausländischen Apotheken verstößt gegen die Vorschriften des SGB V und ist deshalb rechtswidrig, so dass die Antragsgegnerin im Wege der Aufsicht hiergegen vorgehen durfte. Gemäß § 31 Absatz 1 SGB 5 haben Versicherte einen Anspruch auf apothekenpflichtige Arzneimittel, soweit die Arzneimittel in der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähig sind. Diese Vorschrift begrenzt die Leistungspflicht und die Leistungsberechtigung der gesetzlichen Krankenkassen. Mit der Begrenzung der Leistungspflicht auf "apothekenpflichtige" Arzneimittel hat der Gesetzgeber nicht nur den Leistungsumfang auf bestimmte Arzneimittel begrenzt. Da Arzneimittel in Deutschland fast ausschließlich ohnehin über Apotheken vertrieben werden dürfen und nicht zugelassene Arzneimittel nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen hineinfallen, würde das Tatbestandsmerkmal "apothekenpflichtig" überflüssig sein, wenn es lediglich einen bestimmten Arzneimitteltypus bezeichnet.

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Der Gesetzgeber hat mit diesem Tatbestandsmerkmal vielmehr bereits in der Anspruchsnorm eine Grundentscheidung über den Vertriebsweg getroffen. Arzneimittel dürfen ausschließlich über Apotheken vertrieben werden. Der Gesetzgeber hat im SGB V somit einen Gleichklang mit den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes hergestellt.

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Auch eine systematische Betrachtung der Vorschriften des SGB V bestätigt die Auslegung, wonach Arzneimittel nur über den zulässigen Vertriebsweg bezogen werden dürfen. Für den Bezug von Arzneimitteln kennt das SGB V in den §§ 69, 129 SGB V lediglich Apotheken als Leistungserbringer. Da Versandapotheken eine nach dem AMG verbotene Vertriebsform darstellen, stellen sie keine Apotheke im Sinne des SGB V dar. Gemäß § 43 Absatz 1 AMG dürfen apothekenpflichtige Arzneimittel nur in Apotheken und nicht im Wege des Versandhandels in Verkehr gebracht werden. Dadurch soll eine Beratung durch den Apotheker gewährleistet werden. Das Kammergericht Berlin hat in einem Urteil vom 29. Mai 2001 (Az.: 5 U 10150/00) überzeugend dargelegt, dass der Bezug von Arzneimitteln im Wege der Internetapotheke ein nach dem AMG verbotener Versandhandel ist. Das Kammergericht hat auch überzeugend dargelegt, dass die Ausnahmevorschrift des § 73 Absatz 2 Nr. 6 a AMG nicht anzuwenden ist, da diese Vorschrift lediglich das Einführen von Arzneimitteln im Reiseverkehr zum privaten Gebrauch erlaube, weshalb sie nicht auf den Versandhandel von Arzneimitteln Anwendung finden könne.

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Darüber hinaus ist jedoch der Bezug von Arzneimitteln im Wege des Versandhandels von ausländischen Versandapotheken auch auf Grund von sozialrechtlicher Vorschriften nicht zulässig. Diese Apotheken sind nicht den gesetzlichen Bindungen des SGB V (z. B. § 129 SGB V) unterworfen, da sie nicht im Geltungsbereich des Gesetzes tätig sind. Auch eine vertragliche Bindung dieser ausländischen Apotheken liegt gegenwärtig nicht vor. Es kann dahingestellt bleiben, ob ein genereller Ausschluss ausländischer Apotheken aus dem Vertragssystem der gesetzlichen Krankenversicherung mit europarechtlichen Vorschriften vereinbar ist. Solange solche Regelungen jedoch nicht existieren, sind diese ausländischen Apotheken keine Leistungserbringer im Sinne des Sozialversicherungsrechts.

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Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei der Versandapotheke ... um ein seriöses Unternehmen handelt. Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Antragsgegnerin wegen der abstrakten Gefahren, die mit diesem Vertriebsweg verbunden sind, eine Werbung für einen Arzneimittelverzugs im Wege des Versandhandels unterbindet. Diese generellen Gefahren bestehen nach fester Überzeugung der Kammer, denn es ist weder vom Versicherten, noch von den Krankenkassen sicher zu überprüfen, ob die den anonymen Vertriebsweg des Internethandels wählenden Apotheken die erforderliche Seriösität bieten. Insoweit ist es nicht zu beanstanden, dass die generellen Gefahren von Seiten der Antragsgegnerin so hoch bewertet wurden, dass auch ein Bezug von Arzneimitteln von einzelnen seriösen Anbietern als nicht hinnehmbar angesehen wurde.

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Die Anordnung ist auch deshalb nicht zu beanstanden, weil die Antragstellerin in ihrer Pressekonferenz ausdrücklich zur Umgehung der Zuzahlungspflicht aufgerufen hatte. Dieses in § 31 Absatz 3 SGB V geregelte Steuerungsinstrumentarium unterliegt nicht der Disposition der Krankenkassen bzw. der Versicherten. Das Verhalten der Antragstellerin ist insoweit eindeutig rechtswidrig.

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Soweit die Antragstellerin für sich das Recht in Anspruch nimmt, "Treuhändler" eines funktionierenden Binnenmarktes zu sein, beruft sie sich hiermit auf eine Rechtsposition, die ihr nach dem SGB V nicht zusteht. Ihre Rechtspositionen sind ausschließlich im SGB V normiert. Dazu gehört nicht die Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher europäischer Regelungen.

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2.  Auch die Verpflichtung zu 2. aus dem Bescheid vom 28. Mai 2002 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Auch insoweit war die Antragsgegnerin berechtigt, die sofortige Vollziehung anzuordnen. Zwar hat diese Verpflichtung nach dem Wortlaut keinen klaren Verpflichtungsinhalt, jedoch ergibt eine Auslegung dieser Regelung unter Berücksichtigung des gesamten Verfügungsinhaltes und der Begründung, dass der Antragstellerin eine Erstattung von im Wege des Versandhandels erworbenen Arzneimitteln verboten sein soll. Das in Bezug genommene Beratungsschreiben vom 19. Februar 2002 gab der Antragstellerin ausdrücklich auf, keine Kosten für die über den Versandhandel bezogenen Arzneimittel zu erstatten.

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Auch insoweit überwiegt das öffentliche Interesse einer sofortigen Vollziehung. Das SGB V regelt die Kostenerstattung von Arzneimitteln im § 13 SGB V. Danach darf die Krankenkasse anstelle der Sachleistung Kosten nur erstatten, wenn dies gesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 13 Absatz 3 SGB V ist eine Kostenerstattung vorzunehmen, soweit die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder soweit eine Krankenkasse die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Diese Fälle liegen hier eindeutig nicht vor. Weder lag bei den langfristig beschafften Leistungen im europäischen Ausland eine Notsituation vor, noch hatte zuvor die Antragstellerin die Leistung abgelehnt. Auch eine Kostenerstattung auf Grund europarechtlicher Regelungen bei einer Beschaffung der Arzneimittel im Ausland kommt nicht in Betracht. Hierbei handelt es sich lediglich um die Fälle, in denen der Endverbraucher in einer ausländischen Apotheke die Arzneimittel direkt erworben hatte. Die Antragsgegnerin konnte der Antragstellerin auch deshalb aufgeben, von einer Erstattung der Kosten im Ausland im Wege des Versandhandels erworbener Arzneimittel abzusehen, da anderenfalls rechtstreue Krankenkassen gegenüber der Antragstellerin benachteiligt würden. Nach Überzeugung der Kammer brauchen diese Kassen sich zur Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen auch nicht darauf verweisen lassen, die rechtswidrige Leistungspraxis der Antragstellerin zu übernehmen.

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Die Gefahr, von Versicherten auf Erstattung der Kosten verklagt zu werden, hat die Antragstellerin mit der rechtswidrigen Werbung selbst verursacht, so dass sie die damit verbunden Kosten auch zu tragen hat. Da eine entsprechende Leistungspflicht nicht besteht, halten sich die Kosten zudem in überschaubaren Grenzen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG.

 


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