Urteil vom Sozialgericht Hannover (35. Kammer) - S 35 KA 56/05

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten um die Vergütung zahnärztlicher Leistungen in der Zeit vom 01. Juli 2004 bis zum 31. Dezember 2004. Darüber hinaus macht die Klägerin gegenüber der Beklagten geltend, dass jene für die Behandlung ihrer Versicherten durch die Klägerin nach dem 30. Juni 2004 zu einer Vergütung i. H. d. 1,0fachen GOZ-Satzes verpflichtet sei.

2

Die Klägerin ist weitergebildete Fachzahnärztin für Kieferorthopädie. Mit Schreiben vom 31. März 2004 an die Kassenzahnärztliche Vereinigung Niedersachsen erklärte sie: „Hiermit gebe ich meine Ermächtigung zum 30. Juni 2004 zurück." Mit Schreiben des Zulassungsausschusses Niedersachsen für die Zulassung zur vertragszahnärztlichen Tätigkeit vom 06. April 2004 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass ihr Verzicht auf die Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragszahnärztlichen Versorgung am 31. März 2004 bei der Geschäftsstelle des Zulassungswesens eingegangen sei und zum 30. Juni 2004 wirksam werde. Das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit stellte mit Bescheid vom 03. Juni 2004 gem. § 72a Abs. 1 SGB V fest, dass in den drei niedersächsischen Planungsbereichen Landkreis H., Landkreis C. und Landkreis H. insgesamt 23 und jeweils mehr als 50% aller dort niedergelassenen Vertragszahnärzte, die kieferorthopädische Leistungen erbringen, in einem mit anderen Zahnärzten aufeinander abgestimmten Verfahren oder Verhalten auf ihre Zulassung zum 30. Juni 2004 nach § 95b Abs. 1 SGB V verzichtet haben und da durch die vertragszahnärztliche kieferorthopädische Versorgung ab dem 01. Juli 2004 nicht mehr sichergestellt ist. Die sofortige Vollziehung dieser Entscheidung wurde angeordnet. Insgesamt haben 41 niedersächsische Kieferorthopäden oder kieferorthopädisch tätige Zahnärzte (sog. KFO-Erklärer) mit Wirkung zum 30. Juni 2004 auf ihre Zulassung verzichtet. Der Zulassungsausschuss der Zahnärzte hat in seiner Sitzung vom 28. April 2004 die Beendigung der Zulassung zum 30. Juni 2004 festgestellt für die o. g. 41 niedersächsischen Kieferorthopäden bzw. kieferorthopädisch tätigen Zahnärzte, wozu auch die in der Gemeinde B. tätige Klägerin gehörte. Für drei weitere Zahnärzte wurde das Ende der Ermächtigung bereits zum 30. bzw. 31. März 2004 vom Zulassungsausschuss festgestellt. Im Landkreis C. haben drei von fünf Vertragszahnärzten und damit ca. 60% auf ihre Zulassung verzichtet. Im Landkreis H. haben 12 von 21 kieferorthopädisch tätige Zahnärzte und damit 57% auf ihre Zulassung verzichtet. Im Landkreis H. haben acht von 11 kieferorthopädisch tätige Vertragszahnärzte auf ihre Zulassung verzichtet und damit 73%. Eine am Sinn und Zweck der Regelung des § 72a SGB V orientierte Auslegung ergäbe, dass für die Feststellung des Überschreitens der 50%-Grenze nicht auf die Gesamtzahl aller Vertragszahnärzte, sondern allein auf die Kieferorthopäden als Facharztgruppe einschl. der Zahnärzte, die erklärt haben, ausschließlich kieferorthopädische Leistungen zu erbringen, abzustellen sei. Einzubeziehen seien ermächtigte Zahnärzte. Bei der Abwägung sei auf Zulassungsbezirke bzw. regionale Planungsbereiche abzustellen, denn für die ärztliche Versorgung in einem bestimmten Planungsbereich komme es entscheidend auf die Anzahl der Zahnärzte der jeweiligen Fachgruppe in dem Planungsbezirk an. Die angekündigte Absicht des Berufsverbandes der Deutschen Kieferorthopäden, Landesverband Niedersachsen, GKV-Versicherte künftig im Wege der Direktabrechnung zu den bisherigen Konditionen weiter zu behandeln, vermeide keine Versorgungslücke. Der Sicherstellungsauftrag der Kassenzahnärztlichen Vereinigung sei nur innerhalb des Vertragsarztsystems des SGB V definiert. Tatsächlich sei der durchschnittliche Versorgungsgrad in den drei Planungsbereichen Landkreis H., C. und H. erheblich schlechter als im Landesdurchschnitt.

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Im Landkreis und Planungsbezirk R./W., in dem die Gemeinde B. liegt, bestand am 28. April 2005 bei Fachzahnärzten für Kieferorthopädie ein Grad der Unterversorgung in Höhe von 70,8 %. Statt dem erstrebten Planungssoll von 10,3 Fachzahnärzten für Kieferorthopädie waren im Planungsbezirk R./W. nur drei Fachzahnärzte und KFO-Erklärer tätig. Im Umkreis bis 55 km von Bremervörde waren insgesamt 15 Fachzahnärzte oder KFO-Erklärer zur Erbringung von KFO-Leistungen bereit.

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Aus den Gesamtumständen wurde geschlossen, dass die Kieferorthopäden in einem aufeinander abgestimmten Verfahren oder Verhalten auf ihre Zulassung verzichtet haben. Dafür spräche, dass in den Vorjahren max. zwei Kieferorthopäden bzw. KFO-Erklärer pro Jahr auf die Zulassung verzichtet hatten, wohingegen im Jahr 2004 zu einem gemeinsamen Zeitpunkt insgesamt 41 Kieferorthopäden bzw. KFO-Erklärer verzichtet hatten. Zudem sei eine regionale Konzentration der Zulassungsverzichte auf bestimmte Planungsbereiche feststellbar. Für ein abgestimmtes Verhalten spräche, dass Kieferorthopäden und kieferorthopädisch tätige Zahnärzte in ihrem Auftreten nach außen in der aktuellen Situation den Eindruck erwecken würden, dass sie gemeinsam und als Gruppe auftreten, was sich insbesondere aus der durchgängigen Wahl des Plural mit „wir" und „die Kieferorthopäden" ergäbe. Es sei zu beobachten, dass eine Abstimmung unter den Kieferorthopäden mit Hilfe des Berufsverbandes der Deutschen Kieferorthopäden erfolge, der die Aktion offensichtlich seit Längerem vorbereitet habe und diese nunmehr lenke und koordiniere. Zum Beweis wurden zahlreiche Veröffentlichungen kieferorthopädisch tätiger Zahnärzte sowie der Verbandsvertreter der Kieferorthopäden, u. a. der Klägerin, vom Ministerium in dem Bescheid berücksichtigt. Für ein abgestimmtes Verhalten spräche ferner, dass die GKV-Patienten ab Frühjahr 2004 von den Kieferorthopäden, die auf ihre Zulassung verzichtet haben, inhaltsähnliche, standardisierte Schreiben mit dem Hinweis erhalten hätten, dass aufgrund einer Absprache der Kieferorthopäden untereinander eine Privatliquidation für die Patienten nicht teurer werde bzw. bereits für die Versicherten vorgefertigte Schreiben, die diese bei ihrer Krankenkasse zur Erklärung über die Kostenerstattung gem. § 13 Abs. 3 SGB V vorlegen sollten, erstellt wurden.

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Nach dem Verzicht auf ihre Ermächtigung wurde die Klägerin in dem Abrechnungszeitraum vom 01. Juli 2004 bis zum 30. September 2004 von bei der Beklagten gesetzlich Krankenversicherten für kieferorthopädische Leistungen in Anspruch genommen. Die Klägerin hat für diese Leistungen Rechnungen auf der Grundlage des 1,0fachen Gebührensatzes der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) erstellt und direkt an die Beklagte übersandt. Die Beklagte hat diese Rechnungen nicht vollständig beglichen. Die der Beklagten in Rechnung gestellten und noch nicht bezahlten Leistungen betrafen ausschließlich sog. Neufälle, d. h. Behandlungen, die nach dem 1. Juli 2004 begonnen wurden. Die Beklagte wies mit Schriftsatz vom 22. April 2005 die geltend gemachten Ansprüche zurück. Der kollektive Zulassungsverzicht habe Auswirkungen auf die Abrechnung der ab dem 01. Juli 2004 erbrachten Leistungen für Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung. Nach § 95b Abs. 3 SGB V bestehe ein Vergütungsanspruch nur i. H. d. 1,0fachen Gebührensatzes der GOZ gegen die Krankenkassen in laufenden kieferorthopädischen Behandlungsfällen. Die eingereichten Rechnungen entsprächen diesen Anforderungen nicht.

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Mit Schreiben vom 18. November 2004 forderte die Klägerin die Beklagte auf, bis zum 10. Dezember 2004 den verbleibenden Anspruch zu befriedigen. Ein vollständiger Ausgleich der Rechnungen ist innerhalb der Frist nicht vorgenommen worden. Auch auf ein weiteres anwaltliches Mahnschreiben vom 24. Januar 2005 hat die Beklagte nicht innerhalb der bis zum 02. Februar 2005 gesetzten Frist reagiert.

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Die Klägerin ist der Ansicht, einen Vergütungsanspruch aus § 95b Abs. 3 Satz 1 SGB V zu haben. Die von der Beklagten vorgenommene Differenzierung zwischen laufenden Behandlungsfällen und Neufällen sei rechtlich nicht haltbar. Insofern würde auf einen Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 05. Januar 2005, Az.: L 3 KA 247/04 ER, verwiesen. Gem. § 95b Abs. 3 SGB V sei der gesetzlich Krankenversicherte nach dem Gesetz schutzwürdig, egal ob es sich um einen laufenden oder um einen neuen Behandlungsfall handele. Welchen Zahnarzt der Versicherte als Behandler wähle, läge im Rahmen seiner privatautonomen Entscheidung.

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Die Klägerin beantragt deshalb,

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die Beklagte zur Zahlung der noch offenen Rechnungen für den Abrechnungszeitraum vom 01.07.2004 bis 30.09.2004 in Höhe von 27,72 € nebst Zinsen in Höhe von 8 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtsanhängig zu verurteilen.

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festzustellen, dass die Beklagte im Rahmen des § 95 b Abs. 3 SGB V zur Vergütung in Höhe des 1,0-fachen GOZ-Satzes solcher zahnärztlicher Leistungen verpflichtet ist, die die Klägerin an Patienten erbringt, die erst nach dem 30.06.2004 bei ihr mit einer kieferorthopädischen Behandlung begonnen haben (sogenannte Neufälle).

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Die Beklagte führt aus, dass Motivation der Aussteiger die Abwertung der Leistungen für Kieferorthopädie im neuen BEMA-Z vom 01. Januar 2004 sei. Nach dem Ergebnis der Schiedsverhandlungen zur Gesamtvergütung 2004 erfuhren die Honorare für Kieferorthopädie eine Abwertung i. H. v. 22%. Mit Anfang des Jahres 2004 hätten die Kieferorthopäden unter Federführung des Berufsverbandes der Kieferorthopäden (BDKN) gegen den neuen BEMA-Z protestiert. Man habe mit Aktionen versucht, die Versicherten in eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 SGB V zu drängen. Nachdem dies misslungen gewesen sei, entschlossen sich in einer ersten Welle 44 Kieferorthopäden, die Zulassung zurückzugeben. Ziel sei gewesen, die kieferorthopädische Versorgung zu gefährden und die Krankenkassen zur Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V zu zwingen.

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Die Beklagte vertritt die Rechtsauffassung, dass sich die Abrechnungsmöglichkeit des § 95b Abs. 3 SGB V nur auf laufende Behandlungsfälle und nicht auf neue Behandlungen beziehe. Die Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 05. Januar 2005 (Az.: L 3 KA 237/04 ER) sei aus mehreren Gründen unrichtig.

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Ein Vergütungsanspruch der Klägerin resultiere nicht aus § 95b Abs. 3 SGB V, da die Klägerin ihren Praxissitz nicht in einem Planungsbezirk habe, für den der Übergang des Sicherstellungsauftrages auf die Krankenkassen festgestellt wurde. Denn der Praxissitz der Klägerin befindet sich nicht in einem der drei Planungsbezirke, die im Bescheid des Landes Niedersachsen vom 03. Juni 2004 aufgeführt sind. Die Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen begründe Wertungswidersprüche, die nicht mit dem historischen Willen des Gesetzgebers in Einklang zu bringen seien. Nach der Interpretation des Landessozialgerichts würde der als Sanktionsnorm ausgestaltete § 95b Abs. 3 SGB V eine individuelle Besserstellung der betroffenen Zahnärzte begründen. Systematik, Sinn und Zweck sowie Entstehungsgeschichte der Rechtsnorm gebührten eine restriktive Auslegung. Denn wenn die Klägerin auch für neue Behandlungsfälle mit einem einfachen Gebührensatz der GOZ vergütet würde, sei sie in vielen Fällen besser gestellt, als dies nach den Vergütungssätzen des BEMA-Z der Fall wäre. Sämtliche Beschränkungen der Honorarverteilungsmaßstäbe würden für die Klägerin nicht mehr gelten. Insbesondere könnte auf diese Art und Weise der Wegfall der Honorarbegrenzung aus der Gesamtvergütung unterlaufen werden. Die Abrechnungspraxis der Klägerin wäre nicht mehr auf ihre Wirtschaftlichkeit hin überprüfbar. Die für Zahnärzte in § 85 Abs. 4b SGB V vorgeschriebene Honorarreduzierung bei Überschreitung der dort genannten Punktmengen (Degressionen) fände keine Anwendung auf Zahnärzte, die außerhalb des vertragszahnärztlichen Systems abrechnen. Die Regelungen über die Altersbeschränkung von Vertragszahnärzten in § 95 Abs. 7 SGB V fände keine Anwendung auf Nichtvertragszahnärzte. Die vertraglichen Regelungen über die Art und Weise der Leistungserbringung von Kieferorthopäden, z. B. die KFO-Richtlinien, fänden keine Anwendung auf Nichtvertragszahnärzte. Die Möglichkeit der unbegrenzten Leistungserbringung durch die ausgeschiedenen Kieferorthopäden eröffnet für neue zulassungswillige Kieferorthopäden in den betroffenen Planungsbereichen keinerlei wirtschaftliche Perspektive, so dass der Sicherstellungsauftrag der Kassenzahnärztlichen Vereinigung für die kieferorthopädischen Behandlungen gefährdet wäre. Es bestünde ein eklatanter Widerspruch zwischen der unveränderten Tätigkeit der ausgeschiedenen Kieferorthopäden im Bereich der kieferorthopädischen Behandlung mit einem Vergütungsanspruch gegen die Krankenkassen und der gleichzeitig geltenden gesetzlichen Wiederzulassungssperre nach § 95b Abs. 2 SGB V. Die kieferorthopädische Behandlung sei eine Bewilligungsleistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Die im Bedarfsfall erforderliche Begutachtung der Behandlungsplanung solle sicherstellen, dass die Vorgaben des SGB V und der Behandlungsrichtlinien eingehalten würden. Diese Regelungen gelten jedoch nicht für ausgeschiedene Kieferorthopäden. Die Beklagte verweist außerdem auf eine „verheerende Signalwirkung für das gesamte System der gesetzlichen Krankenversicherung". Die von der Klägerin in Anspruch genommene Besserstellung gegenüber den vertragszahnärztlich gebundenen Kieferorthopäden hätte eine negative Ausstrahlungswirkung auch auf andere Facharztgruppen und sonstige Leistungserbringer.

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Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten wird auf ihren Schriftsatz vom 12. April 2005 Bezug genommen (§ 136 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

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Der Entscheidungsfindung lagen neben den Gerichtsakten die Verwaltungsakten der Beklagten zugrunde. Auf deren Inhalt wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig. Auch die Feststellungsklage ist zulässig. Mit der Klage kann begehrt werden die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Die Klägerin trägt vor, dass zwischen ihr und den gesetzlichen Krankenkassen ein Rechtsverhältnis sui generis bestünde, aus dem Vergütungsansprüche resultieren würden. Es besteht auch ausnahmsweise ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der baldigen Feststellung dieses Rechtsverhältnisses. Denn der Klägerin ist eine Vorleistung im Verhältnis zum Versicherten nicht zuzumuten, solange die Vergütungspflicht der Krankenkasse aus dem Rechtsverhältnis ungeklärt ist, da die Klägerin gemäß § 95b Abs. 3, S. 3 SGB V keine Ansprüche gegen den Versicherten durchsetzen kann, so dass sie das Vergütungsrisiko tragen würde. Das Rechtsverhältnis ist dadurch hinreichend konkretisiert, dass sich die Beklagte bislang geweigert hat, die Vergütung bei sogenannten Neufällen zu bezahlen.

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Da die Klägerin nachwirkende Ansprüche aus dem Vertragsarztverhältnis geltend macht, handelt es sich um einen Rechtsstreit aus dem Bereich des Vertragsarztrechtes (§ 12 Abs. 3 SGG).

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Die Klage ist jedoch nicht begründet. Das Gericht ist nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin einen Anspruch auf Vergütung von zahnärztlichen Leistungen hat, die nicht auf der Grundlage eines von der Beklagten genehmigten Behandlungsplanes vorgenommen wurden bzw. die kein Notfall i. S. d. § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V darstellen.

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Ein solcher Anspruch kann von der Klägerin nicht aus § 95b Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) hergeleitet werden. Weder stellt die Vorschrift nach ihrem Wortlaut eine Anspruchsgrundlage dar (1), noch ergeben sich aus Systematik, Entstehungsgeschichte und Zweck der Norm Anhaltspunkte dafür, dass für Leistungen von Kieferorthopäden an Versicherten, die diese außerhalb des § 76 Abs. 1, S. 2 SGB V in Anspruch nehmen, ein Vergütungsanspruch begründet wird (2). Darüber hinaus würde ein anderes Auslegungsergebnis zu Ungleichbehandlungen führen, die durch keinen sachlichen Grund zu rechtfertigen sind (3).

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(1) Nimmt ein Versicherter einen Zahnarzt in Anspruch, der auf seine Zulassung nach Abs. 1 verzichtet hat, zahlt die Krankenkasse gemäß § 95b Abs. 3 SGB V die Vergütung mit befreiender Wirkung an den Zahnarzt. Der Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse ist auf das 1,0fache des Gebührensatzes der Gebührenordnung für Zahnärzte beschränkt. Ein Vergütungsanspruch des Zahnarztes gegen den Versicherten besteht nicht. Gem. § 95b Abs. 1 SGB V ist mit den Pflichten eines Vertrags(zahn)arztes nicht vereinbar, in einem mit anderen Ärzten aufeinander abgestimmten Verfahren oder Verhalten auf die Zulassung als Vertrags(zahn)arzt zu verzichten (§ 95b Abs. 1 SGB V). Die Klägerin hat – wie das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit in seinem Bescheid vom 03. Juni 2004 ausführlich begründet hat – in einem mit anderen Zahnärzten aufeinander abgestimmten Verfahren oder Verhalten auf die Zulassung als Vertragszahnarzt verzichtet. Indizien für das abgestimmte Verhalten sind insbesondere, dass, anders als in den vorangegangenen Jahren, wo lediglich eine Anzahl von ein bis zwei Zahnärzten in Niedersachsen das vertragszahnärztliche System verlassen haben im Jahr 2004 insgesamt 44 niedersächsische Kieferorthopäden oder kieferorthopädisch tätige Zahnärzte mit Wirkung zum 30. Juni 2004 bzw. zum 30. und 31. März 2004 auf ihre Zulassung verzichtet haben. Dies Verhalten der Kieferorthopäden kann in einen Gesamtzusammenhang eingestellt werden mit den im Bescheid des Landes aufgeführten „KfO for future-Newsletter 1/2004" des BDK, wo ein gemeinsames Handeln von den Kieferorthopäden gefordert wurde, um eine Kostenerstattung für alle Patienten ab dem 01. Januar 2004 zu erreichen. Dementsprechend wurden von den Kieferorthopäden, die auf ihre Zulassung verzichtet hatten, an die Versicherten inhaltsähnliche, standardisierte Schreiben verschickt, wonach aufgrund einer Absprache der Kieferorthopäden untereinander eine Privatliquidation für die Patienten nicht teurer werde. In der Gesamtschau lässt somit das zeitliche, inhaltsgleiche und massenhafte Zusammentreffen der Zulassungsverzichte sowie die zahlreichen, gemeinsam von den Kieferorthopäden und den zahnärztlichen und fachzahnärztlichen Berufsvertretungen öffentlichkeitswirksam im Allgemeinen und gegenüber den betroffenen Patienten im Besonderen erkennbar gewordenen Erklärungen und Meinungsäußerungen die Annahme zu, dass das Verhalten der Kieferorthopäden als ein aufeinander abgestimmtes Verhalten zu bewerten ist. Nach dem Sinn und Zweck des § 95b Abs. 1 SGB V sind darunter gelenkte kollektive Aktionen von Vertragszahnärzten in großer Zahl zu verstehen, die darauf angelegt sind, die Sicherstellung und Durchführung der vertragszahnärztlichen Versorgung zu gefährden bzw. die Funktionsfähigkeit des vertragszahnärztlichen Systems in Frage zu stellen, zu destabilisieren oder gar zu zerstören (Klückmann in Hauck-Haines, § 95b, Rd.-Nr. 11). Diese Voraussetzungen konnten hier festgestellt werden. Nach dem objektiven Erscheinungsbild des massenhaften Auftretens sowie der begleitenden Erklärung der Klägerin als BDK-Landesvorsitzende vom 26. Mai 2004, wonach man die Zulassung zurückgegeben habe, um dem Druck, der im GMG und der dort vorgesehenen „unsinnigen" Kostenerstattung zu entgehen, kann von einer gelenkten kollektiven Aktion mit einer Beteiligung von Vertragszahnärzten in großer Zahl ausgegangen werden. Bei der Bestimmung der großen Zahl ist auf den Zweck der Vorschrift abzustellen, die Sicherstellung und Durchführung der vertragszahnärztlichen Versorgung zu gewährleisten. Soweit das Verhalten der Vertragszahnärzte geeignet ist, die vertragszahnärztliche Versorgung zu gefährden, kann auch bei einer kleinen – wie hier aus 41 Kieferorthopäden bestehenden – Gruppe von einer großen Zahl ausgegangen werden. Dies gilt dann, wenn die Gruppe der als Fachzahnarzt tätigen Zahnärzte so klein ist, dass bereits bei dem Ausscheiden von 41 Personen zumindest in Teilbereichen die Funktionsfähigkeit des Versorgungssystems nicht sichergestellt ist. Dies kann hier vorliegend angenommen werden. Denn die Kieferorthopäden haben schwerpunktmäßig auf ihre Zulassung in bestimmten Zulassungsbezirken verzichtet, in denen dadurch ein Versorgungsengpass eingetreten ist. Demgegenüber erfolgten keine Zulassungsverzichte in Planungsbereichen, in denen aufgrund der Versorgungssituation in der Vergangenheit neue Zulassungsanträge abgelehnt werden konnten.

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§ 95b Abs. 3 SGB V regelt, dass die Krankenkasse die Vergütung mit befreiender Wirkung an den Zahnarzt zahlt. Sie ist damit inhaltsähnlich gestaltet wie § 85 Abs. 1 SGB V. Dort ist geregelt, dass an die Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung „mit befreiender Wirkung" eine Gesamtvergütung geleistet wird. Die Leistung an die Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung „mit befreiender Wirkung" schließt dort direkte Ansprüche der an der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung Teilnehmenden gegen die Krankenkasse aus (Hess, in: Kasseler Kommentar, § 85 SGB V Rdnr. 7). Die Leistung entfaltet somit Erfüllungswirkung auch außerhalb des Rechtsverhältnisses, auf das geleistet wird. Soweit bei § 95b SGB V die Krankenkasse an den Arzt mit befreiender Wirkung zahlt, kann dies wie in § 85 SGB V nicht auf eine eigene Schuld gegenüber dem Arzt geleistet sein, sondern auf eine Schuld des Versicherten. Der Versicherte befindet sich in einem zivilrechtlichen Rechtsverhältnis, dem Dienstvertrag (§ 611 BGB).

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Die Norm begründet somit keinen Anspruch des Vertragszahnarztes auf Vergütung von Leistungen, die von Versicherten in Anspruch genommen wurden. Die Norm regelt lediglich die Erfüllung der Verbindlichkeit des Versicherten aus dem mit dem Zahnarzt geschlossenen Dienstvertrag (§ 611 Abs. 1 BGB), der den anderen Teil zur Erfüllung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Der § 95b Abs. 3 S. 1 SGB V regelt die Zahlung der Vergütung durch die Krankenkasse, die nicht Schuldnerin der Vergütungspflicht aus dem Dienstvertrag ist. Soweit die Norm regelt, dass die Krankenkasse mit befreiender Wirkung zahlt folgt daraus, dass im Verhältnis zum Versicherten mit der Leistung der Vergütung durch die Krankenkasse Erfüllung eingetreten ist.

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Unklar ist, ob § 95b Abs. 3 SGB V die Leistung durch einen Dritten (§ 69 S. 3 SGB V i. V. m. § 267 Abs. 1 BGB) oder eine Schuldübernahme (§ 69 S. 3 SGB V i. V. m. § 414 BGB) regelt. Für eine Schuldübernahme spricht § 95b Abs. 3 S. 2 SGB V, der einen „Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse" voraussetzt, der aus einer übernommenen Schuld resultiert. Auch der Umstand, dass gemäß § 95b Abs. 3 S. 3 SGB V kein Vergütungsanspruch gegen den Versicherten seitens des Zahnarztes besteht, spricht für eine Schuldübernahme. Die Krankenkasse zahlt damit die Vergütung auf eine übernommene Schuld des Versicherten auf Vergütung der zahnärztlichen Leistung aus § 611 BGB und erfüllt damit diese Schuld, auch wenn der Gesetzeswortlaut des § 95 b Abs. 3 S. 1 SGB V eher für eine Leistung durch einen Dritten spricht. Für die Wertung als Schuldübernahme spricht zudem die Anwendbarkeit der GOZ auf die Leistung der Krankenkasse.

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(2) Der Wortlaut der Norm trifft keine Regelung über die Voraussetzungen der Schuldübernahme. Die Gesetzessystematik gebietet jedoch eine Schuldübernahme nur dann anzunehmen, wenn im Rechtsverhältnis des Versicherten zur Krankenkasse eine Leistungspflicht der Krankenkasse für die kieferorthopädische Leistung besteht. § 76 Abs. 1 S. 1 SGB V konkretisiert in diesem Rechtsverhältnis den Anspruch des Versicherten auf zahnärztliche Behandlung soweit es um die Auswahl der behandelnden Ärzte geht. Auch die Auswahl des Vertrags(zahn)arztes ist teil des Leistungsanspruchs des Versicherten gegen die Krankenkasse, nur insoweit kann dem Grunde nach ein Leistungsanspruch bestehen.

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Die Inanspruchnahme von Nichtvertragszahnärzten zu Lasten der Krankenkassen ist im Regelfall ausgeschlossen. Solche Ärzte können gem. § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V nur in Notfällen in Anspruch genommen werden. In diesen Fällen hat der Versicherte keinen Sachleistungs-, sondern nach § 13 Abs. 3 SGB V einen Erstattungsanspruch gegen die Krankenkasse. Diese gesetzliche Regelung wird in § 95b Abs. 3 SGB V zum Schutz des Versicherten dahingehend geändert, dass die Krankenkasse diese Schuld übernimmt. Diese Vorschrift trägt der besonderen Schutzsituation des Versicherten Rechnung. Dieser hat in der Erwartung, einen Sachleistungsanspruch zu erwerben, laufend Beitragszahlungen gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht. Die Krankenkasse hat u. U. durch Verwaltungsakt (§ 29 Abs. 3 Sa. 2 SGB V) die Durchführung einer kieferorthopädischen Behandlung genehmigt oder sie ist aufgrund des kollektiven Verzichts von Zahnärzten nicht in der Lage, eine Krankenbehandlung als Sachleistung dem Versicherten zu gewähren. Soweit in diesen Fällen für den Versicherten unvorhersehbar die Situation eintritt, dass er aufgrund einer Erklärung seines Zahnarztes in ein privatrechtliches Dienstverhältnis zum Zahnarzt mit entsprechenden Vergütungsansprüchen gegenüber dem Versicherten hineingerät, wäre der Versicherte einer doppelten Leistungspflicht gegenüber der Krankenkasse und dem Zahnarzt ausgesetzt. Die gegenüber der Krankenkasse erbrachten Beitragszahlungen würden nachträglich und für den Versicherten unvorhersehbar entwertet. Denn die Krankenkasse wäre nicht in der Lage, den Anspruch auf Sachleistung zu befriedigen. Um den Versicherten vor dieser doppelten Leistungspflicht zu schützen, stellt § 95b Abs. 3 SGB V den Versicherten von jeder Leistungspflicht frei.

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Darüber hinaus fordert § 95b Abs. 3 SGB V, dass ein Versicherter einen Zahnarzt in Anspruch genommen hat. Mit dem Begriff der „Inanspruchnahme" weicht der Gesetzgeber im Hinblick auf kollektiv verzichtende Zahnärzte in § 95b Abs. 3 Satz 1 SGB V bereits sprachlich von dem in § 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V begründeten Recht des Versicherten zur freien Wahl unter den Vertragszahnärzten bzw. ermächtigten Zahnärzten ab (Klückmann in Hauck Haines § 95b, Rd.-Nr. 21). Der Begriff der Inanspruchnahme ist dem Gesetz jedoch nicht fremd. Gemäß § 76 Abs. 1 S. 2 SGB V dürfen andere Ärzte nur in Notfällen in Anspruch genommen werden. Hier liegt ein wesentlicher Anwendungsbereich des § 95b Abs. 3 SGB V vor. Der Versicherte hat kein Recht i. S. d. § 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V auf freie Wahl eines Zahnarztes, der auf seine Zulassung verzichtet hat. Ein solches Recht folgt auch nicht aus § 95b Abs. 3 SGB V. Diese Norm trifft keine Regelung im Hinblick auf das Leistungsbestimmungsrecht des Versicherten. Eine Erweiterung seines Wahlrechtes über § 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V mit der Beschränkung auf zugelassene bzw. ermächtigte Vertragszahnärzte hinaus sowie § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V, wonach lediglich in Notfällen andere Zahnärzte in Anspruch genommen werden können, ist in § 95b Abs. 3 SGB V nicht geregelt. Soweit somit ein Versicherter nicht berechtigt ist, Zahnärzte, die aus der vertragszahnärztlichen Versorgung ausgeschieden sind, in Anspruch zu nehmen, ist ein Vergütungsanspruch dieser Zahnärzte gegen die Krankenkasse von vornherein ausgeschlossen.

29

Ein Anspruch des Zahnarztes gegen die Krankenkasse auf Vergütung zahnärztlicher Leistungen im Falle eines Kollektivverzichtes stünde zudem in einem Wertungswiderspruch zu § 72 a Abs. 3 S. 3 SGB V. Danach können die Krankenkassen, denen auf Grund eines kollektiven Verzichts von Zahnärzten der Sicherstellungsauftrag übertragen wurde, keine Verträge zur Erfüllung eben dieses Sicherstellungsauftrages mit den kollektiv verzichtenden Zahnärzten abschließen. In den Verträgen nach § 72 a Abs. 4 Satz 2 SGB V sind Vereinbarungen über die Höhe der Vergütung zu treffen. Soweit danach die kollektiv verzichtenden Zahnärzte von einer vertraglich geregelten Inanspruchnahme zur Durchführung des Sicherstellungsauftrages ausgeschlossen sind, wäre ein vertraglich ungeregelter – lediglich in der Höhe begrenzter - Vergütungsanspruch aus § 95 b Abs. 3 SGB V unerklärbar. Nach den Gesetzmäßigkeiten der Logik ließe sich dieser Konflikt nur dergestalt auflösen, dass wenn schon kein Vergütungsanspruch nach den strengen Voraussetzungen des § 72 a Abs. 3 SGB V existiert, ein solcher Vergütungsanspruch erst Recht nicht aus § 95 b SGB V hergeleitet werden kann. Dies Ergebnis wird bestätigt durch § 13 Abs. 2 Satz 6 SGB V, wonach ein Kostenerstattungsanspruch bei Versicherten, die Kostenerstattung gewählt haben, nicht besteht, soweit ein Leistungserbringer nach § 95 b SGB V in Anspruch genommen wird. Da diese Gruppe nicht vor den Folgen einer für sie unvorhersehbaren Leistungspflicht gegenüber dem Arzt geschützt werden muss, weil diese Rechtsfolge den Normalfall der Leistungsbeziehung zum Arzt darstellt, kann diese Vorschrift nur derart ausgelegt werden, dass die Versicherten kein Leistungswahlrecht dergestalt haben, Leistungserbringer nach § 95 b Abs. 3 Satz 1 SGB V in Anspruch zu nehmen. Dies wird bestätigt durch die systematische Stellung der Vorschrift nach den Sätzen 4 und 5 des § 13 Abs. 2 SGB V, der die Inanspruchnahme von Leistungserbringern regelt. Wenn aber die Versicherten, die Kostenerstattung gewählt haben, Leistungserbringer nach § 95 b Abs. 3 SGB V nicht in Anspruch nehmen dürfen, würde ein unerklärbarer Wertungswiderspruch bestehen, wenn bei Versicherten mit einem Sachleistungsanspruch ein solches Wahlrecht und daraus resultierend ein Vergütungsanspruch bestünde.

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Auch aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 12/3608, S. 94 ff.) lässt sich ein Anspruch des kollektiv verzichtenden Zahnarztes gegen die Krankenkasse losgelöst von den Bindungen des Vertragsarztrechtes nicht herleiten. Dort wird ausdrücklich betont, dass die Vorschrift sicherstellen soll, dass Vertragszahnärzte den mit dem kollektiven Verzicht verfolgten Zweck nicht auf Kosten des Versicherten erreichen dürfen. Der Vertragszahnarzt müsse sich in nachgehender Verantwortlichkeit zu seiner Mitgliedschaft in der vertragszahnärztlichen Versorgung eine Behandlung der Versicherten zu Bedingungen gefallen lassen, die dem Interesse der Versicherten wie auch dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität nicht abträglich sind. Die Sicherung der finanziellen Grundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung sowie die schutzwerten Interessen der Versicherten würden es erforderlich machen, dass die Bestrebungen kollektiv ausstiegswilliger Vertrags(zahn)ärzte erfolglos bleiben.

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Würde man mit der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen diesen Zahnärzten einen von den Regeln des Vertragsarztrechts freigestellten Anspruch auf Vergütung gewähren, wären sowohl die finanziellen Grundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung bei unbudgetierten Vergütungsansprüchen gefährdet, wie auch die Interessen der Versicherten, da die auf Qualitätssicherung gerichteten Normen und vertraglichen Beziehungen die Nichtvertrags(zahn)ärzte nicht binden. Dies würde entgegen dem Regelungszweck das Ende des vertragsärztlichen Versorgungssystems darstellen, da der Widerspruch zwischen unbudgetierten Ansprüchen kollektiv ausgeschiedener Zahnärzte und der begrenzten Ansprüche der Vertragsärzte das System auf längere Zeit nicht aushalten würde.

32

Bei der Interpretation der Norm ist unbedingt der Entstehungsanlass zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber sah sich durch im Herbst 1992 von zahnärztlichen Berufsverbänden irritierten Unternehmungen, durch „den massenhaften Ausstieg von zugelassenen Vertragszahnärzten aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherung" eine Abkehr vom Abrechnungsmodus des vertragszahnärztlichen Systems" zu erreichen (BT-Drucks. 13/3608, S. 95) genötigt, auf den daraus resultierenden vertragszahnärztlichen Versorgungsnotstand zu reagieren. Dementsprechend ist der Gesetzgeber vom Notfall nach § 76 Abs. 1 S. 2 SGB V als typischen Anwendungsfall des § 95b SGB V ausgegangen. Hier liegt der vom Gesetzgeber gewollte Anwendungsbereich, nicht darin für Zahnärzte, die gemäß § 95b SGB V auf ihre Zulassung verzichtet haben, ein eigenes Vergütungssystem neben dem vertrags(zahn)ärztlichen System aufzubauen.

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Auch der Zweck der Norm steht der Auslegung des LSG Niedersachsen-Bremen entgegen. Zweck der Regelung ist der Schutz von Versicherten, die bei kollektiv verzichtenden Zahnärzte in Behandlung sind. Die Versicherten haben gegen die Krankenkasse mit der Beitragszahlung einen Sachleistungsanspruch erworben, der nicht durch einseitige Handlungen des Zahnarztes entwertet werden darf. Die Norm gebietet jedoch keine Privilegierung von Versicherten, die bei kollektiv verzichtenden Zahnärzten in Behandlung sind gegenüber Versicherten, die bei sonstigen Nichtvertragszahnärzten in Behandlung sind. Die erstrebte Schutzfunktion der Norm gegenüber den Versicherten wird dadurch erreicht, dass die Krankenkasse in den Fällen, in denen der Versicherte unvorhersehbar durch den kollektiven Verzicht des Zahnarztes zum Schuldner wird, in dessen Schuld eintritt.

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Weiterer Zweck des § 95b SGB V ist die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens der kollektiv aus dem vertrags(zahn)ärztlichen Versorgungssystem ausgeschiedenen Zahnärzte. Beispielhaft für diesen Zweck ist die sechsjährige Zahlungssperre in § 95b Abs. 2 SGB V, die in ihrer Härte als Sanktionsnorm beispiellos ist (Hess, in: Kasseler Kommentar, § 95b SGB V Rdnr. 4). Der Gesetzeszweck würde bei einer Interpretation des § 95b Abs. 3 SGB V als Anspruchsnorm in sein Gegenteil verkehrt, da nicht der Pflichtenkreis des kollektiv ausscheidenden Zahnarztes erweitert würde, sondern seine Rechtsposition.

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(3) Gegen die Auslegung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen sprechen zudem verfassungsrechtliche Bedenken, die ihre Grundlage in Art. 3 Abs. 1 GG haben. Die vom LSG Niedersachsen-Bremen gewählte Auslegung des § 95 b Abs. 3 SGB V als Anspruchsnorm für einen Vergütungsanspruch gegen die gesetzlichen Krankenkassen würde die kollektiv aus dem vertragszahnärztlichen System ausgeschiedenen Zahnärzte ohne nachvollziehbaren sachlichen Grund gegenüber Zahnärzten privilegieren, die das vertragszahnärztliche System einzeln und damit rechtmäßig verlassen. Dies Ergebnis gebietet es die Vorschrift im o. g. Sinne als Schuldübernahme auszulegen, da diese Auslegung nach dem Gesetzeswortlaut nahe liegt, sie jedoch nicht zu der oben beschriebenen Benachteiligung der sich pflichtgemäß verhaltenden Zahnärzte gegenüber den sich nach § 95b Abs. 1 SGB V pflichtwidrig verhaltenden Zahnärzte führt, soweit die Leistungspflicht der Krankenkasse gegenüber dem Zahnarzt davon abhängig gemacht wird, dass die Krankenkasse im Verhältnis zum Versicherten zur Leistung verpflichtet ist. Darüber hinaus ist kein sachlicher Grund erkennbar, der solchen Versicherten, die bei sich pflichtwidrig verhaltenden Zahnärzten (§ 95b Abs. 1 SGB V) in Behandlung befinden, Ansprüche gewährt, die die übrigen Versicherten nicht haben. Die Norm würde derart ausgelegt nicht nur für die Versicherten nicht auflösbare Gleichbehandlungsprobleme begründen. Sie würde Gleichbehandlungsprobleme insbesondere zu Lasten der Zahnärzte begründen, die im vertragsärztlichen System verbleiben. Während diese den vielfachen vertraglichen und gesetzlichen Regelungen des vertragsärztlichen Systems unterworfen sind, insbesondere aufgrund der begrenzten Gesamtvergütung einer strikten Budgetreglementierung unterworfen sind, könnten sich pflichtwidrig verhaltende Zahnärzte ohne mengensteuernde Regelungen und ohne sonstige Bindungen des vertragsärztlichen Systems der Behandlung Sozialversicherter widmen. Angesichts des einzigen Differenzierungsmerkmals, des pflichtwidrigen Verhaltens des aus der vertragszahnärztlichen Versorgung ausgeschiedenen Zahnarztes, ließe sich diese Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen. Die Pflichtwidrigkeit lässt allenfalls Nachteile der pflichtwidrig ausgeschiedenen Gruppe der Vertragszahnärzte gegenüber den sonstigen Vertragszahnärzten rechtfertigen. Ein solcher Nachteil liegt nicht allein in der in der Regel geringere Vergütung der einzelnen Leistung nach der GOZ. Denn die Vergütung der einzelnen Leistung ist nur ein Teilaspekt des Vergütungsanspruchs. Weder ist der kollektiv verzichtende Zahnarzt den mengensteuernde Regelungen der §§ 85 Abs. 4 S. 6, 8 Abs. 4b SGB V unterworfen noch der die Art der Behandlung bestimmenden Regeln der Richtlinien für die kieferorthopädische Behandlung (KfO-Richtlinien). Soweit das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen den Vergütungsanspruch davon abhängig gemacht hat, dass dem Versicherten dem Grunde nach ein entsprechender Leistungsanspruch zusteht, bleibt sowohl unklar, wann dies nach Auffassung des LSG der Fall ist, wie auch, woraus sich in § 95b SGB V diese Einschränkung des Leistungsbestimmungsrechts des Versicherten und daraus folgend des Vergütungsanspruchs des Zahnarztes ergibt.

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Unter diesen Umständen ist eine verfassungsgemäße Auslegung der Vorschrift dahingehend vorzunehmen, dass § 95b Abs. 3 SGB V nur dann den Schuldübergang zu Lasten der Krankenkasse regelt, wenn ein Notfall i. S. d. § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V vorliegt. Zur Überzeugung der Kammer liegt ein solcher Notfall nicht vor, da im Umkreis von 55 km um die Gemeinde B. weitere 14 Fachzahnärzte für Kieferorthopädie oder KFO-Erklärer zur kieferorthopädischen Behandlung bereit stehen. Anfahrtswege von bis zu 55 km sind in ländlichem Raum nicht unüblich und deshalb noch zumutbar. Unter dem Begriff des Notfalls sind auch solche Fälle zu subsumieren, wo die kieferorthopädische Behandlung seitens der Krankenkasse bereits genehmigt wurde (§ 29 Abs. 3 S. 2 SGB V), bevor der Zahnarzt aus dem vertragszahnärztlichen Versorgungssystem ausgeschieden ist. Dies kann auch dann gelten, wenn sich die Behandlung über mehrere Jahre erstreckt, da in diesen Fällen dem Versicherten nicht zugemutet werden kann, die einmal aufgenommene Behandlung abzubrechen und bei einem anderen Zahnarzt fortzusetzen. Diese Auslegung gebietet der mit § 95b Abs. 3 SGB V bezweckte Schutz des Versicherten. Sie folgt weiter aus § 76 Abs. 1 S. 1 SGB V. Denn im Zeitpunkt des Behandlungsbeginns war das Wahlrecht des Versicherten nicht derart eingeschränkt, dass er eine Behandlung bei der Klägerin nicht beginnen konnte, denn diese war noch ermächtigte Zahnärztin. Das vom Gesetzgeber bei typisierender Betrachtung gesehene Bedürfnis, die bei einem auf die Zulassung nach § 95b Abs. 1 SGB V verzichtenden Zahnarzt in Behandlung befindlichen Versicherten zu schützen (s.o.) begründet den entscheidenden Unterschied zu der Entscheidung des BSG (Urt. vom 18. Januar 1996, Az. 1 RK 22/95). Dort hatte der Arzt ohne Abstimmung mit anderen auf seine Zulassung verzichtet, weshalb zu Gunsten des Versicherten § 95b SGB V keine Anwendung fand.

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Da die Leistungsklage ohne Erfolg ist, musste auch die Feststellungsklage ohne Erfolg bleiben. Sie hat dieselben Voraussetzungen wie die Leistungsklage, deren Voraussetzungen konnte hier die Kammer jedoch nicht feststellen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz i. V. m. § 154 VwGO.

 


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