Beschluss vom Sozialgericht Hannover (16. Kammer) - S 16 KA 654/08 ER

Tenor

1. Der sofortige Vollzug des Bescheides des Antragsgegners zu 1. vom 09. Juli 2008 wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin zu 2. trägt die Kosten.

Gründe

I.

1

Der Antragsgegner zu 1. bestimmte mit Bescheid vom 09. Juli 2008 die Antragstellerin zur ambulanten Erbringung der Leistung: Diagnostik und Versorgung von Patienten mit multipler Sklerose. Gegen diesen Bescheid hat die Antragsgegnerin zu 2. Klage erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 16 KA 343/08 bei dem SG Hannover geführt wird.

2

Mit dem am 19. Dezember 2008 bei dem Sozialgericht Hannover eingegangenen Antrag begehrt die Antragstellerin die Anordnung des Sofortvollzuges der Genehmigung vom 09. Juli 2008.

3

Der Antragsgegner zu 1. äußert sich im Sinne der Antragstellerin zu deren Vorbringen, stellt jedoch keinen Antrag. Die Antragsgegnerin zu 2. hält den Antrag für unzulässig, soweit er sich gegen sie selbst richtet und den Antrag für unbegründet, soweit er sich gegen den Antragsgegner zu 1. richtet.

II.

4

Die Antragstellerin hat mit ihrem Antrag im Ergebnis Erfolg. Zwar ist ihr Antrag, soweit er sich gegen die Antragsgegnerin zu 2. richtet, unzulässig. Denn der Antragsgegnerin zu 2. fehlt, da sie an dem Erlass der streitbefangenen Genehmigung nicht beteiligt war, die Passivlegitimation.

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Der Antrag richtet sich zutreffender Weise gegen den Antragsgegner zu 2. als denjenigen, der den streitbefangenen Bescheid erlassen hat.

6

Der Antragsgegner zu 1. bestimmte als Krankenhausplanungsbehörde das durch die Antragstellerin betriebene zugelassene Krankenhaus nach § 116b Abs. 2 SGB V, die Diagnostik und Versorgung von Patienten mit multipler Sklerose ambulant zu erbringen. Die gegen diesen Genehmigungsbescheid gerichtete Anfechtungsklage, die am 25. Juli 2008 bei dem Sozialgericht Hannover anhängig gemacht wurde und unter dem Aktenzeichen S 16 KA 343/08 geführt wird, entfaltet in Ermangelung einer speziellen gesetzlichen Regelung (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG) aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 1 SGG).

7

Der Suspensiveffekt der Anfechtungsklage tritt unabhängig von der Zulässigkeit der von der Antragsgegnerin zu 2. erhobenen Klage ein. Die Zulässigkeit der Anfechtungsklage könnte in Frage zu stellen sein, wenn die Antragstellerin durch die streitbefangene Genehmigung nicht in ihren Rechten verletzt wird und sie deshalb ein eigenes Rechtsschutzbedürfnis nicht geltend machen kann. Ob dies der Fall ist, bedarf in diesem Verfahren keiner Prüfung. Denn die aufschiebende Wirkung tritt grundsätzlich unabhängig davon ein, ob ein Rechtsbehelf zulässig oder begründet ist.

8

Der durch einen Rechtsbehelf bewirkte Suspensiveffekt schützt den Betroffenen bis zur endgültigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren. Durch die Verschiebung des Zeitpunktes, ab dem die getroffene Regelung wirksam wird, soll zum Schutz des Betroffenen die Überprüfung der Rechtslage ermöglicht werden. Nach diesem Sinn und Zweck der aufschiebenden Wirkung entfällt diese auch dann nicht, wenn die im Klageverfahren geltend gemachten Rechte unter Zugrundelegung des Klagevorbringens nicht bestehen oder dem Kläger nicht zustehen können, eine Verletzung subjektiver Rechte des Klägers also nicht in Betracht kommt (vgl. Keller in: Meyer/Ladewig, SGG, 9. Aufl., § 86a, Rd.-Nr. 10 m. w. N., Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 80, Rd.-Nr. 50). Die aufschiebende Wirkung tritt auch bei Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs ein. Denn die Gebote der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit erfordern, dass für die an einem Verwaltungsvorgang Beteiligten unmittelbar erkennbar sein muss, ob eine aufschiebende Wirkung eingetreten ist. Diese Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ist nur dann gewährleistet, wenn auf den formalen Vorgang der Einlegung des Rechtsbehelfes bzw. des Rechtsmittels abgestellt wird. Ob dies auch dann gilt, wenn der Rechtsbehelf offensichtlich für jedermann erkennbar unzulässig ist, kann hier dahingestellt bleiben, denn ein solcher Fall der offensichtlichen Unzulässigkeit liegt im Fall der Klageerhebung durch die Antragsgegnerin zu 2. nicht vor (vgl. Beschl. des VGH Mannheim v. 03. Juni 2004 – 6 S 30/04 – Juris –).

9

Dem Begehren der Antragstellerin ist zu entsprechen, denn die streitbefangene Genehmigung erweist sich nach der gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig. Sie verletzt offensichtlich nicht Rechte Dritter, insbesondere nicht die Rechte der Antragsgegnerin zu 2.

10

Die vertragsärztliche Versorgung kann neben zugelassenen Ärzten und medizinischen Versorgungszentren auch durch ermächtigte Ärzte und ärztlich geleitete Einrichtungen wahrgenommen werden. Zwar obliegt die Versorgung der gesetzlich Versicherten in erster Linie den niedergelassenen, in eigener Praxis tätigen Vertragsärzten. Fachärzte in Krankenhäusern können jedoch nach § 116 SGB V und der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte von den Zulassungsgremien zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten ermächtigt werden. Zur Ergänzung dieser vertragsärztlichen Versorgung kann nach § 116b Abs. 2 und 3 SGB V ein Krankenhaus zur ambulanten Behandlung der in dem Katalog hochspezialisierten Leistungen, seltenen Erkrankungen und Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen berechtigt werden, wenn und soweit es im Rahmen der Krankenhausplanung des Landes auf Antrag des Krankenhausträgers als geeignet dazu bestimmt worden ist. Dieser weiteren Versorgungsmöglichkeit von Versicherten räumt der Gesetzgeber durchaus Bedeutung ein. Denn er übertrug die Befugnis zur Bestimmung dieser geeigneten Krankenhäuser in den Bereich der Krankenhausplanung, weil nach den Feststellungen des Gesetzgebers die Krankenkassen die Rechte aus den §§ 116b Abs. 2 a. F. nicht hinreichend ausgeschöpft haben (vgl. BT-Drucks. 16/3100, B. besonderer Teil zu Art. 1 zu Nr. 85, S. 139). In dieser Gesetzesbegründung ist ausdrücklich aufgeführt, dass die Entscheidung über die Zulassung des Krankenhauses im Rahmen der Krankenhausplanung getroffen wird. Abgestellt werden soll im Wesentlichen auf die Eignung für die ambulante Erbringung der im Katalog genannten Leistungen. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich ausgeführt, dass eine Bedarfsprüfung nicht erfolgt.

11

Der Antragsgegner zu 1. durfte die Genehmigung auch ohne Einvernehmen mit der Antragsgegnerin zu 2. erteilen. Zwar fordert § 116b Abs. 2 im letzten Satz, dass eine einvernehmliche Bestimmung mit den an der Krankenhausplanung unmittelbar Beteiligten anzustreben ist. Zu diesem Kreis gehört die Antragsgegnerin zu 2. jedoch in Niedersachsen nicht. Denn nach § 9 Abs. 1 des Niedersächsischen Gesetzes zum Krankenhausfinanzierungsgesetz (Nds. KHG) gehört die Klägerin nicht zu den an der Krankenhausplanung unmittelbar Beteiligten.

12

Auch der Sicherstellungsauftrag der Antragsgegnerin zu 2. wird durch das in § 116b Abs. 2 SGB V festgelegte Genehmigungsverfahren nicht berührt. Zwar wirkt sich die dem Antragsteller erteilte Genehmigung insoweit aus, als er in den Katalogbereichen als weiterer Wettbewerber neben den niedergelassenen Fachärzten zur Verfügung steht. Möglicherweise beeinflusst die streitbefangene Genehmigung auch die Zulassungspraxis der Zulassungsgremien. Durch dieses Auftreten weiterer Anbieter, die an der ambulanten ärztlichen Versorgung in den Katalogbereichen teilnehmen, wird jedoch der Sicherstellungsauftrag der Antragsgegnerin zu 2. nicht unmittelbar berührt (so auch Landessozialgericht Hamburg, Beschl. v. 11. Februar 2008 – L 2 B 485/07 ER KA –).

13

Der Antragsgegner zu 2. hat in seinem Genehmigungsbescheid die materielle Rechtslage zutreffend und hinreichend dargelegt. Das Gericht kann daher im Wesentlichen gem. § 136 Abs. 3 SGG auf die Darlegung in diesem Bescheid Bezug nehmen.

14

Die Kosten hat grundsätzlich die unterlegene Partei zu tragen. Für die Kostenfrage kann auch bedeutsam sein, wer Anlass für den Rechtsstreit gegeben hat. Im konkreten Fall haben sowohl der Antragsteller als auch der Antragsgegner zu 2. keine rechtlichen Bedenken gegen den streitbefangenen Genehmigungsbescheid. Der Antragsgegner zu 1. war lediglich an einem Anerkenntnis gehindert, da ausschließlich das Gericht gem. § 86b Abs. 1 Nr. 1 SGG zur Anordnung der sofortigen Vollziehung befugt ist.

15

Das Gericht weist kostenmäßig nicht gesondert aus, dass der Antrag des Antragstellers gegen die Antragsgegnerin zu 2. ist unzulässig ist, da die Antragsgegnerin zu 2. nicht am Erlass der streitbefangenen Genehmigung beteiligt war. Richtigerweise hätte die Antragsgegnerin zu 2. zu dem Verfahren beigeladen werden müssen. Da es sich jedoch um ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren handelt, in dem eine zügige Entscheidung geboten ist, hat das Gericht auf eine Beiladung verzichtet. Denn auch als – zugegebenerweise unrichtig passiv Legitimierte – hatte die Antragsgegnerin zu 2. die Möglichkeit, sich in dieses Verfahren einzubringen.

16

Für die Kostenentscheidung ist maßgebend, dass die Antragsgegnerin zu 2. durch ihre Klageerhebung zu dem Aktenzeichen S 16 KA 343/08 den Antragssteller zur Einleitung dieses Verfahrens veranlasst hat. Dadurch, dass die Antragsgegnerin zu 2. unberechtigterweise passiv legitimiert wurde, sind ihr keine gesonderten Kosten entstanden. Das Gericht hat daher keine Bedenken, ihr die gesamten Kosten aufzuerlegen.

17

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.

 


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