Urteil vom Sozialgericht Hannover (12. Kammer) - S 12 KN 1/08

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Witwenrente für vor dem 1. Juli 1977 geschiedene Ehegatten (sog. Geschiedenenwitwenrente) in Form der großen Witwenrente aus der Versicherung ihres ehemaligen Ehegatten H..

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Die am 7. Oktober 1937 geborene Klägerin war seit dem 3. August 1956 mit dem am 17. Mai 1935 geborenen und am 16. September 2004 verstorbenen Versicherten H. verheiratet. Der verstorbene Versicherte war bei der Beklagten gesetzlich rentenversichert. Aus der Ehe ging die am 1. März 1958 geborene Tochter I. hervor. Die Ehe wurde durch Urteil des Landgerichts J. vom 6. März 1964 rechtskräftig geschieden. Beide Parteien - die Klägerin und der verstorbene Versicherte - sind an der Scheidung für schuldig erklärt worden. Auf eine Feststellung eines überwiegenden Verschuldens hatten beide seinerzeit verzichtet. Der verstorbene Versicherte bezog zuletzt eine Altersrente in Höhe von monatlich 1.708,27 Euro. Die Klägerin bezieht ebenfalls eine Altersrente.

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Die Klägerin ist bei der K. gesetzlich rentenversichert. Bezüglich der Kindererziehung sind im Versicherungsverlauf der Klägerin Kindererziehungszeiten vom 1. April 1958 bis zum 31. März 1959 und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung vom 1. März 1958 bis zum 29. Februar 1968 anerkannt worden.

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Weder die Klägerin noch der verstorbene Versicherte haben nach der Scheidung wieder geheiratet.

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Am 25. Januar 2007 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf einen „Rentenausgleich“. Sie sei aufgrund der Kindererziehung von Mitte 1958 bis zum 31. Dezember 1963 nicht in der Lage gewesen, einer Berufstätigkeit nachzugehen und damit Rentenansprüche zu erwerben. Hierfür müsse ihr ein Ausgleich gewährt werden.

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Die Beklagte legte dies als Antrag auf Gewährung einer großen Witwenrente aus und lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 25. Juni 2007 ab. Der verstorbene Versicherte habe keine Unterhaltsleistungen erbracht. Ein Anspruch habe auch nicht bestanden, da die Klägerin im Zeitpunkt der Scheidung einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei. Im Übrigen seien beide - die Klägerin und der verstorbene Versicherte - an der Scheidung schuldig erklärt worden. Damit bestehe nur ein Anspruch auf Unterhaltsbeitrag nach § 60 Ehegesetz (EheG). Die Voraussetzungen für die Gewährung eines solchen Unterhaltsbeitrages lägen nicht vor.

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Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 2007 zurückgewiesen.

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Am 2. Januar 2008 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Hannover Klage erhoben.

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Sie meint, dass die Beklagte ihr eine Geschiedenenwitwenrente in Form einer großen Witwenrente zu gewähren habe. Schließlich habe sie das gemeinsame Kind erzogen. Auf die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruches habe sie seinerzeit stillschweigend verzichtet. Hintergrund seien die persönlichen Verhältnisse des Versicherten gewesen, die eine Durchsetzung eines Unterhaltsanspruches nicht erfolgreich haben erscheinen lassen. Dies berühre jedoch nicht die Frage des Bestehens eines solchen Unterhaltsanspruches. Gemäß § 60 EheG sei der Unterhaltsanspruch auch von den Verwandten des verstorbenen Versicherten zu erfüllen gewesen. Die Tatsache, dass sie den Unterhaltsanspruch nicht geltend gemacht habe, lasse die Frage unberührt, ob dieser Anspruch entstanden sei. Die damaligen Verhältnisse, insbesondere die offenkundig fehlerhafte Rechtsberatung und ihre Rücksichtnahme auf die persönlichen Verhältnisse des verstorbenen Versicherten, führten nicht dazu, dass der Anspruch als nicht existent anzusehen wäre. Die Beklagte könne sich nicht zu eigen machen, dass das Scheidungsurteil keine Feststellungen zu einem überwiegenden Verschulden am Scheitern der Ehe getroffen habe.

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Die Klägerin beantragt,

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1. den Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 2007 aufzuheben und

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2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Witwenrente für vor dem ersten Juli 1977 geschiedene Ehegatten in Form der großen Witwenrente in gesetzlichem Umfang zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

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Der Kammer haben neben den Prozessakten auch die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.

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Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Witwenrente für vor dem 1. Juli 1977 geschiedene Ehegatten gemäß § 243 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).

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Ein Anspruch auf Gewährung einer großen Witwenrente nach § 243 Abs. 2 SGB VI besteht für geschiedene Ehegatten, wenn die Ehe vor dem 1. Juli 1977 geschieden worden ist (Nr. 1), diese nicht wieder geheiratet haben (Nr. 2), der Berechtigte im letzten Jahr vor dem Tode des geschiedenen Versicherten Unterhalt von diesem erhalten hat oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tode einen Anspruch hierauf hatte (Nr. 3), der Berechtigte das 45. Lebensjahr vollendet hat (Nr. 4b) und der Versicherte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat und nach dem 30. April 1942 gestorben ist.

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Die Voraussetzungen des § 243 Abs. 2 Nr. 1 bis 2 sowie Nr. 4b SGB VI liegen vor. Denn die Ehe der Klägerin mit dem verstorbenen Versicherten ist durch Urteil des Landgerichts Essen am 6. März 1964 - also vor dem 1. Juli 1977 - geschieden worden, und die Klägerin hat danach auch wieder nicht geheiratet. Ebenso hat die Klägerin bereits das 45. Lebensjahr vollendet. Unstreitig hatte der Versicherte auch die erforderliche Wartezeit zurückgelegt und ist am 16. September 2004 - nach dem 30. April 1942 - gestorben.

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Die Voraussetzungen von § 243 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI sind jedoch nicht erfüllt. Denn der verstorbene Versicherte hat an die Klägerin keinen Unterhalt gezahlt und sie hatte gegen ihn auch keinen Unterhaltsanspruch im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor seinem Tode.

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Eine - etwaige - gesetzliche Unterhaltspflicht des verstorbenen Ehegatten richtet sich nach den vor dem 1. Juli 1977 geltenden Vorschriften des EheG; diese haben gemäß Art. 12 Nr. 3 Abs. 2 Erstes Eherechtsreformgesetz vom 14. Juni 1976 (BGBl. I S. 1421) hinsichtlich ihrer unterhaltsrechtlichen Regelungen weiter Geltung. Nach dem hier bei der Ehescheidung aus beiderseitigem Verschulden Anwendung findenden § 60 EheG wird einem geschiedenen Ehegatten, der sich nicht selbst unterhalten kann, ein Beitrag zu seinem Unterhalt zugebilligt, wenn insoweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des anderen Ehegatten und der Unterhaltspflicht gegen Verwandten des Bedürftigen der Billigkeit entspricht. Voraussetzung für einen derartigen Anspruch ist zunächst also, dass der Unterhaltsberechtigte - hier die Klägerin - im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten sich nicht hätte selbst unterhalten können.

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Hiervon ist indes im vorliegenden Fall nicht auszugehen. Dabei sind die unterschiedlichen Maßstäbe der §§ 58, 59 EheG - die einschlägig sind, wenn ein Ehegatte allein oder überwiegend für an der Scheidung schuldig erklärt worden ist - und § 60 EheG nicht erst bei der Höhe des gegebenenfalls zu gewährenden Unterhaltes, sondern vielmehr schon bei der Frage zu berücksichtigen, ob überhaupt ein Anspruch auf Unterhalt besteht (vgl. Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 13. Oktober 1999 - L 3 RA 10/98, Rn. 37 nach juris). Ein Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag nach § 60 EheG besteht aus Billigkeitserwägungen. Dabei ist nicht auf einen (deutlichen) Unterschied in den Einkommensverhältnissen der beiden Ehegatten abzustellen. Vielmehr darf der Unterhaltsfordernde nicht in der Lage sein, sich selbst zu unterhalten, der Unterhaltsfordernde muss bedürftig sein. Die Billigkeitserwägungen haben sich auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des anderen Ehegatten, gegebenenfalls auch auf die seiner minderjährigen unverheirateten Kinder und seines zweiten Ehegatten, ferner aber auch auf die unterhaltspflichtigen Verwandten des Bedürftigen, zu erstrecken (Dr. Lauterbach in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 23. Auflage, § 60 EheG, Nr. 3). Entgegen der Auffassung der Klägerin ist ein etwaiger Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag keinesfalls von den Verwandten des gegebenenfalls Unterhaltsverpflichteten zu leisten. Denn Sinn und Zweck von § 60 EheG ist es, dass ein Unterhaltsbeitrag nicht geleistet werden muss, wenn sich der (bedürftige) Ehegatte nicht selbst unterhalten kann.

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Die Klägerin ist jedoch im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten angesichts der Höhe des ihr zur Verfügung stehenden Einkommens in der Lage gewesen, sich selbst zu unterhalten. Dabei ist es unerheblich, ob dabei als letzter wirtschaftlicher Dauerzustand die Zeit ab Bezug der Altersrente oder die Jahresfrist vor dem Tod des Versicherten (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 12. Juni 2001 - B 4 RA 37/00 R, Rn. 26 nach juris m. w. N.) zu Grunde gelegt wird; in beiden Fällen war das monatliche Einkommen etwa gleich hoch. Die Klägerin bezieht seit dem 1. November 1997 durchgängig eine Altersrente für Frauen. Die monatlichen Zahlbeträge lagen für die Zeit vom 1. November 1997 bis zum 30. Juni 1998 bei 2.397,31 DM, für die Zeit vom 1. Juli 1998 bis zum 31.12.1998 bei 2.412,24 DM, für die Zeit vom 01.01.1999 bis zum 30. Juni 1999 bei 2.423,50 DM, für die Zeit vom 1. Juli 1999 bis zum 30. Juni 2000 bei 2.460,10 DM, für die Zeit vom 1. Juli 2000 bis zum 31. Dezember 2000 bei 2.485,32 DM, für die Zeit vom 1. Januar 2001 bis zum 30. Juni 2001 bei 2.485,32 DM, für die Zeit vom 1. Juli 2001 bis zum 31. Dezember 2001 bei 2.532,90 DM, für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 31. März 2002 bei 1.295,05 Euro, für die Zeit vom 1. April 2002 bis zum 30. Juni 2002 bei 1.113,92 Euro, für die Zeit vom 1. Juli 2002 bis zum 30. Juni 2003 bei 1.134,86 Euro, für die Zeit vom 1. Juli 2003 bis zum 31. März 2004 bei 1.146,71 Euro und für die Zeit vom 1. April 2004 bis zum 30. Juni 2005 bei 1.136,15 Euro.

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Daran ändert auch nichts, dass in Anbetracht der Höhe der Altersrente des verstorbenen Versicherten (zuletzt 1.708,27 Euro) ein rentenrelevanter Unterhaltsanspruch nach §§ 58, 59 EheG bestanden hätte. Denn angesichts dessen, dass ein Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag eine Bedürftigkeit des Unterhaltsfordernden voraussetzt, erscheint das Ergebnis auch nicht unbillig. Schließlich sind beide Ehegatten - die Klägerin und der verstorbene Versicherte - für schuldig an der Ehe erklärt worden. Auch nach dem Vortrag der Klägerin hat eine Bedürftigkeit ihrerseits niemals vorgelegen. Sie hat selbst ausgeführt, Unterhaltsansprüche nicht geltend gemacht zu haben, da sie auf die Verhältnisse des verstorbenen Versicherten habe Rücksicht nehmen wollen. Auch der Umstand, dass die Klägerin ursprünglich nur einen - nicht umsetzbaren - Ausgleich für die Zeiten der Kindererziehung aus der Versicherung des verstorbenen Versicherten haben wollte, spricht dafür, dass die Klägerin über die ganze Zeit in der Lage war, sich selbst zu unterhalten. Etwaige Beratungsfehler des damaligen Prozessbevollmächtigten sind insoweit nicht relevant.

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Demzufolge besteht auch kein Anspruch auf eine Geschiedenenwitwenrente in Form der kleinen Witwenrente, da die Voraussetzung von § 243 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI (gleicher Wortlaut wie § 243 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI) nicht vorliegt.

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Dass der Klägerin kein Anspruch auf die Gewährung einer Geschiedenenwitwenrente zusteht, entspricht letztendlich auch dem Sinn und Zweck von § 243 SGB VI. Der Gesetzgeber hat die Gewährung einer Geschiedenenwitwenrente an unterhaltsrechtliche Voraussetzungen geknüpft, da Hinterbliebenenrenten das Ziel haben, die Versorgung des Hinterbliebenen sicherzustellen - sofern zuvor der Versicherte für diese gesorgt hat. Hat der Hinterbliebene keinen Anspruch gegen den Versicherten auf Unterhalt gehabt und ist der Hinterbliebene auch nicht vom Versicherten versorgt worden, besteht kein Anlass für die Gewährung einer Hinterbliebenenrente.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 


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