Urteil vom Sozialgericht Hannover (32. Kammer) - S 32 EG 29/08

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 2008 wird dahingehend abgeändert, dass der Klägerin für den dritten Lebensmonat ihrer Tochter H. 1.625,80 €, für den Zeitraum 13.01.2008 bis 12.08.2008 monatlich 1.800,00 € und für die Zeit vom 13.08. bis 31.08.2008 1.103,23 € Elterngeld bewilligt werden.

2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Bewilligung höheren Elterngeldes für den Zeitraum vom 13. Dezember 2007 bis zum 31. August 2008.

2

Die Klägerin übte im Jahr 2006 und im Jahr 2007 bis zum Mutterschutz sowohl eine selbständige als auch eine nicht selbständige Tätigkeit aus. Am 13. Oktober 2007 ist sie Mutter ihrer Tochter I. geworden und am 3. Dezember 2007 stellte sie bei der Beklagten einen Antrag auf Bewilligung von Elterngeld für das erste Lebensjahr ihrer Tochter. Die Klägerin ist Gesellschafterin in einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Verwaltungs-GmbH) drei Kommanditgesellschaften (J.) und einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (K. Grundstücks GbR). Die Verwaltungs GmbH betreibt sie zusammen mit ihrem Bruder. Beide sind allein vertretungsberechtigte Geschäftsführer. Die Verwaltungs GmbH ist jeweils persönlich haftende Gesellschafterin der drei Kommanditgesellschaften, an denen die Klägerin ebenfalls jeweils als Kommanditistin beteiligt ist. Auch die GbR betreibt sie zusammen mit ihrem Bruder. Die zeitliche Tätigkeit für die einzelnen Gesellschaften legte sie mit Schreiben vom 5. März 2008 (Bl. 110 der Verwaltungsakte) dar. Darüber hinaus war sie vor der Geburt ihrer Tochter in zwei Betrieben (L. Transportgesellschaft mbH und M. Dienstleistungs- und Management GmbH) nichtselbständig beschäftigt. Belege über Einkommen vor und nach der Geburt legte die Klägerin genauso vor, wie vier Protokolle der Kommanditgesellschaften und der GbR (Bl. 95 bis 98 der Verwaltungsakte), in denen jeweils beschlossen wurde, dass die Klägerin für die Dauer des Mutterschutzes und der mit den jeweiligen Beschlüssen vereinbarten Elternzeit von 12 Monaten keine praktische Tätigkeit in den Unternehmen ausüben wird. Des Weiteren wird jeweils festgestellt, dass ein Anspruch auf Zuweisung von Gewinnanteilen im vorbesagten Zeitraum nicht besteht.

3

Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 3. März 2008 vorläufig Elterngeld in Höhe von 31,05 € für den zweiten Lebensmonat, in Höhe von 908,96 € für den dritten Lebensmonat und in Höhe von 1.006,35 € für den 4. bis 12. Lebensmonat ihrer Tochter (Bl. 106 ff. der Verwaltungsakte) und forderte die Gesellschafterverträge, eine Mitteilung über den Umfang der Mitarbeit vor der Geburt sowie die Lohnsteuerbescheide für die Jahre 2007 und 2008 an. Mit Schreiben vom 5. März 2008 teilte die Klägerin den Umfang ihrer Tätigkeit pro Woche in den vier Unternehmen mit (Bl. 110 der Verwaltungsakte) mit und übersandte die Gesellschafterverträge für die Kommanditgesellschaften und die GbR.

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Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 10. Juli 2008 mit, dass das Elterngeld für die ersten beiden Lebensmonate ihrer Tochter auf 0,- €, für den dritten Lebensmonat auf 270,97 € und für den Zeitraum vom vierten bis zwölften Lebensmonat auf den Sockelbetrag in Höhe von 300,- € endgültig festgesetzt werde. Gleichzeitig forderte die Beklagte von der Klägerin einen Betrag in Höhe von 4.007,14 € für überzahltes (vorläufig gezahltes) Elterngeld zurück. In der Auflistung der Elterngeldanteile auf der ersten Seite waren die Zahlen des Ursprungsbescheides aufgeführt. Die niedrigere endgültige Festsetzung begründete die Beklagte mit Einkommen nach der Geburt der Tochter der Klägerin. Die Klägerin habe zumindest nicht auf die Zuweisung eines Gewinnanteils in Höhe von 44.000,- € aus Kapitalverzinsung aufgrund ihres Anteiles an der N. GmbH & Co KG verzichten dürfen. Soweit dies von den Gesellschaftern vereinbart worden sei, liege eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung vor, die bei der Bemessung des Elterngeldes keine Berücksichtigung finden dürfe. Hiergegen erhob die Klägerin am 7. August 2008 Widerspruch, den sie mit Schreiben vom 19. August 2008 sinngemäß damit begründete, dass ihre Arbeit in den Unternehmen durch andere habe geleistet werden müssen, und für die dementsprechend ihr Gewinnanteil benötigt wurde. Gewinnanteile gäbe es nur für geleistete Arbeit, die sie während der Elternzeit nicht geleistet habe.

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Die Beklagte legte den Widerspruch der Region Hannover zur Entscheidung vor. Die Region Hannover korrigierte mit Widerspruchsbescheid vom 3. November 2008 die Zahlen der ersten Seite im Ausgangsbescheid vom 10. Juli 2008 und wies den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Klägerin habe im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. August 2007 an der O. GmbH & Co KG Gesellschaftsanteile in Höhe von 44,78 % gehabt (Bl. 59 der Verwaltungsakte). Der Unternehmenswert werde auf 550.000,- € geschätzt, der mit 8 % zu verzinsen sei, sodass sich ein Gewinnanteil in Höhe von 44.000,00 € ergäbe. Auf diesen habe die Klägerin im Verhältnis zur Elterngeldstelle nicht wirksam verzichten können. Mangels eines anderweitigen objektiven Grundes sei von einer rechtsmissbräuchlichen Gestaltung zu Lasten der Elterngeldstelle auszugehen. Gleiches gelte für die P. Grundstücks GbR. Hier sei auch ohne eigene Arbeitsleistung ein Jahreseinkommen in Höhe von 6.600,- € zu unterstellen, sodass aufgrund des sich hieraus ergebenden Gesamteinkommens in Höhe von 50.600,- € letztlich Elterngeld nur in Höhe des sog. Sockelbetrages, nämlich in Höhe von 300,- € zu leisten sei.

6

Hiergegen hat die Klägerin am 3. Dezember 2008 beim hiesigen Gericht Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, dass ihr höheres Elterngeld zustehe. Der Ausschluss von den Gewinnanteilen sei nicht rechtsmissbräuchlich. Die Klägerin hat mittlerweile den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 vorgelegt, aus dem sich Einkünfte der Klägerin in Höhe von 5.684,- € ergeben. Diese Einkünfte seien in der Zeit von September bis Dezember 2008 erzielt worden. Die Klägerin habe wieder arbeiten müssen, da sie kein Elterngeld erhalten habe.

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Die Klägerin beantragt,

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1. den Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 2008 aufzuheben, und

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2. die Beklagte zu verurteilen, ihr Elterngeld für die Zeit vom 13. November 2007 bis zum 31. August 2008 zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie bezieht sich auf ihre Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid und vertritt weiter die Auffassung, dass der Klageanspruch nicht bestünde. Alleine im Zeitraum von Januar bis August 2007 habe die Q. GmbH & Co. KG durchschnittlich 67.652,11 € für Löhne und Gehälter gezahlt. Der Umsatz belaufe sich auf ca. 2,5 Millionen € und der Gewinn auf ca. 160.000,- €. Aus diesen Zahlen ergebe sich, dass die Klägerin nicht nur für ihre geleistete Arbeit, sondern auch für ihre Kapitaleinlagen Gewinnzuweisungen erhalte bzw. hätte erhalten müssen, die bei der Berechnung des Elterngeldes zu berücksichtigen seien.

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Die Kammer hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 24. August 2011 persönlich angehört. Hinsichtlich des Inhaltes der Anhörung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der dem Gericht vorliegenden Verwaltungsakte und den Inhalt der Prozessakte, insbesondere auf den Inhalt der näher bezeichneten Schriftstücke Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

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Die zulässige Klage ist begründet.

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Der Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 2008 ist rechtswidrig, soweit der Klägerin für die Zeit vom 13. Dezember 2007 bis zum 31. August 2008 zu niedrig bemessenes Elterngeld bewilligt worden ist.

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Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Elterngeld für die Zeit vom 13. Dezember 2007 bis zum 12. Januar 2008 in Höhe von 1.625,80 €, für den Zeitraum vom 13. Januar 2008 bis zum 12. August 2008 in Höhe von monatlich 1.800,00 € und für die Zeit vom 13. August bis 31. August 2008 in Höhe von 1.103,23 €.

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Sie ist berechtigt im Sinne von § 1 des Gesetzes zum Elterngeld und zur Elternzeit (BEEG), da sie ihren Wohnsitz in Deutschland hat, mit ihrer Tochter R. in einem Haushalt lebt, diese Tochter im vorgenannten Zeitraum auch betreute und in dieser Zeit auch keine volle Erwerbstätigkeit ausübte. Für die Zeit ab dem 1. September 2008 steht der Klägerin kein Anspruch auf Elterngeld mehr zu. Für diesen Zeitraum hat sie keinen Antrag gestellt, da sie hier wieder erwerbstätig war.

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Für die Bemessung des Elterngeldes war gem. § 2 Abs. 1 BEEG der Zeitraum von Oktober 2006 bis September 2007 zu Grunde zu legen. Nach den im Verwaltungsverfahren vorgelegten Erklärungen zum Einkommen (Bl. 22 ff. und Bl. 59 ff. der Verwaltungsakte) belief sich das Einkommen im Zeitraum Oktober bis Dezember 2006 auf einen Betrag in Höhe von 6.959,63 € und im Zeitraum Januar bis September 2007 auf einen Betrag in Höhe von 62.087,80 €. Diese Beträge sind trotz der im Klageverfahren für den Zeitraum Januar bis August 2007 vorgetragenen Einnahmen in Höhe von 14.841,- € aus Gewerbebetrieb gem. § 2 Abs. 8 BEEG zu Grunde zu legen. § 2 Abs. 9 BEEG, wonach der Steuerbescheid für das Jahr 2006 zu Grunde zu legen gewesen wäre, findet keine Anwendung, da die Klägerin ihre Tätigkeiten nicht gleichbleibend ausgeübt hat. Sie hat das Einzelunternehmen „Bürodienstleistungen“ erst ab Oktober 2006 betrieben. Auch ohne Hinzurechnung des Verdienstes hieraus in Höhe von 7.701,30 € im Zeitraum Oktober 2006 bis September 2007 (Bl. 22 der Verwaltungsakte) ergibt sich ein durchschnittliches monatliches Einkommen in Höhe von mehr als 2.700,00 €, welches gem. § 2 Abs. 3 Satz 2 BEEG maximal zu Grunde gelegt werden durfte. Gem. § 2 Abs. 1 BEEG kann insofern auch nur Elterngeld in Höhe von maximal 1.800,00 € pro Monat bewilligt werden.

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Die Höhe der monatlichen Elterngeldbeträge ergibt sich aus den Anteilen am jeweiligen Monat. Bezüglich der ersten beiden Lebensmonate von S. wird gem. § 136 Abs. 3 SGG auf die Begründung der angefochtenen Entscheidungen Bezug genommen. Der Anspruch war hier aufgrund des Bezuges von Mutterschaftsgeld ausgeschlossen. Für den Zeitraum vom 13. Dezember 2007 bis zum 12. Januar 2008 war der Bezug von Mutterschaftsgeld für drei Tage zu berücksichtigen. Im Zeitraum vom 13. Januar bis zum 12. August 2008 war der Klägerin der Höchstbetrag in Höhe von monatlich 1.800,00 € zu gewähren, da die Klägerin - wie zuvor dargestellt - im Bemessungszeitraum über ein monatliches Einkommen in Höhe von mehr als 2.700,- € verfügte. Schließlich war der Bezugszeitraum auf den 31. August 2008 zu begrenzen, da hier die Anspruchsberechtigung nach § 1 BEEG entfallen ist. Die Klägerin ist ab September wieder ihrer Erwerbstätigkeit nachgegangen.

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Soweit die Beklagte nach § 2 Abs. 3 BEEG wegen rechtsmissbräuchlicher Gestaltung der Gesellschaftsverhältnisse Einkommen aus selbständiger Tätigkeit nach der Geburt in Höhe von 4.216,66 € anrechnen will, folgt die Kammer diesem Ansatz im Ergebnis nicht. Grundsätzlich ist die Kammer ebenfalls der Auffassung, dass Vertragsgestaltungen, die einen Verzicht auf Ansprüche beinhalten, die bei Erhalt den etwaigen Anspruch auf Elterngeld gemindert oder ausgeschlossen hätten, als rechtsmissbräuchlich mit der Folge anzusehen sind, dass sie gegenüber der jeweiligen Elterngeldstelle als unwirksam zu betrachten sind. Eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung kann hierbei allerdings erst angenommen werden, wenn bei einer Betrachtung der Gesamtumstände der Verzicht entweder allein oder zumindest überwiegend dem Ziel dient, durch den Verzicht die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Elterngeld zu schaffen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

21

Aufgrund der Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass der Ausschluss der Ausschüttung ihrer Gewinnanteile nicht einmal überwiegend dem Erhalt von Elterngeld diente. Die Klägerin hatte aufgrund der internen Absprachen mit ihrem Bruder keinen Anspruch auf Zahlung von Gewinnanteilen. Intern war insoweit abgesprochen, dass Gewinnanteile nur nach Arbeitsanteilen vergeben werden. Nach der rechtlichen Form handelt es sich bei dem Unternehmen zwar nunmehr um Kapitalgesellschaften, aber der in der OHG vormalige Grundsatz der Gewinnverteilung nach Arbeit wurde fortgeführt. Die Klägerin hat insofern glaubhaft angegeben, dass sie auf die rechtliche Umgestaltung des Betriebes bestanden habe, da sie sich rechtlich habe absichern wollen. Es handele sich aber nach wie vor um ein Familienunternehmen, dessen Gewinne nach dem Arbeitsanteil verteilt würden. Die Klägerin hat nach ihren Angaben (Schreiben vom 5. März 2008, Bl. 110 der Verwaltungsakte) 18 Stunden pro Woche mit ihren Qualifikationen als Steuerfachangestellte und Diplom-Juristin für die Gesellschaften gearbeitet und durchschnittliche Gewinne in Höhe von ca. 2.900,- € pro Monat entnommen. Angesichts der Qualifikationen steht die Höhe dieser Entnahmen nicht außer Verhältnis zur geleisteten Arbeit. Es ist insofern auch nachvollziehbar, dass das Familienunternehmen die vormalig an die Klägerin ausgegebenen Gewinnanteile nunmehr für die Beschäftigung einer Vertretung benötigte. Die Gewinnanteile waren in diesem Umfang auch nicht mehr zur Verteilung vorhanden. Soweit ggf. Zweifel an der Höhe der Entnahmen und den durch die Vertretung verursachten Kosten aufkommen könnten, geht die Kammer nach den glaubhaften Angaben der Klägerin davon aus, dass der Grundsatz, ohne Arbeit kein Gewinn, in den Gesellschaften tatsächlich auch „gelebt“ und umgesetzt wurde.

II.

22

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 


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