Urteil vom Sozialgericht Hannover (6. Kammer) - S 6 R 407/11

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 13.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2007 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand

1

Der am G. geborene Kläger wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid über 21.578,56 Euro. Er wehrt sich gegen die Anrechnung von Einkommen aus seiner Kommanditistenstellung auf die ihm gezahlte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit in der Zeit vom 01.10.2004 bis zum 31.03.2006.

2

Der Kläger ist als freiberuflicher Journalist. tätig. Zudem ist er Kommanditist der Anteilsgemeinschaft I. GmbH & Co. KG. Die Einnahmen aus dieser GmbH & Co. KG werden steuerrechtlich als Einkommen aus Gewerbebetrieb bewertet. Diese Einnahmen betrugen im Veranlagungsjahr 2004 19.233,00 Euro (Einkommenssteuerbescheid vom 15.12.2005), in 2005 19.185,00 Euro (Einkommenssteuerbescheid vom 13.09.2007), in 2006 6.837,00 Euro (Einkommenssteuerbescheid vom 08.11.2010).

3

Am 08.06.2004 beantragte der Kläger eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Im Rahmen des Antragsverfahrens beantwortete er die Frage, ob er ab Rentenbeginn Arbeitsentgelt oder steuerrechtlichen Gewinn erzielen werde, mit „Ja“. Unter Bemerkungen fügte er hinzu, dass er gegenwärtig noch als selbständiger Journalist tätig sei. Zusätzlich füllte er die „Bescheinigung/Erklärung zum Antrag auf Altersrente vor Vollendung des 65. Lebensjahres“ aus (Formular R230). Hier gab er an, dass der jährliche Verdienst nicht die Jahreshöchstgrenze von 4.830,00 Euro überschreite. Monatliche Einkommensangaben seien ihm nicht möglich, da die selbständige Tätigkeit zeitlich starken Schwankungen unterliege.

4

Mit Schreiben vom 21.06.2004 machte die Beklagte den Kläger darauf aufmerksam, dass die Hinzuverdienstgrenzen auch bei Selbständigen monatlich zu prüfen seien. Dies bedeute, es werde Monat für Monat das im jeweiligen Monat erzielte Arbeitseinkommen aus der selbständigen Tätigkeit den maßgeblichen Hinzuverdienstgrenzen gegenüber gestellt. Daraus ergebe sich, so die Beklagte, dass es nicht ausreiche, wenn er erkläre, das Einkommen würde unterhalb der zulässigen Hinzuverdienstgrenzen bleiben. Vielmehr sei das zukünftige Einkommen gewissenhaft zu schätzen. Der Kläger füllte daraufhin die Bescheinigung/Erklärung zum Antrag auf Altersrente (Formular R230) erneut aus. Unter Ziffer 3 des Formulares heißt es (Zitat):

5

"Erklärung bei steuerrechtlichem Gewinn (bei selbständig Erwerbstätigen)

6

Hiermit erkläre ich, dass ich während des Rentenbezuges einen nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommenssteuerrechtes ermittelten Gewinn erzielen werde. Für die Höhe des voraussichtlichen Gewinns ist eine gewissenhafte Schätzung vorzunehmen (ggf. Bescheinigung des Steuerberaters bitte beifügen). Versorgungsleistungen sind dabei unberücksichtigt zu lassen".

7

Dem folgt eine Tabelle mit den Spaltenüberschriften „Art der Einkünfte“ und „voraussichtliche Höhe monatlich“. In der ersten Spalte in der Zeile „Einkünfte aus der selbständigen Arbeit“ fügte der Kläger „Journalist“ und den Betrag von „340,00 Euro“ ein. Die Zeilen "Einkünfte aus Gewerbebetrieb" und "Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft" füllte der Kläger nicht aus. Beim Ausfüllen des Formulars war ihm Herr J., ein befreundeter Diplomökonom, behilflich.

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Mit Bescheid vom 02.08.2004 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit beginnend ab dem 01.10.2004 in Höhe von 1.822,06 Euro. In Anlage 19 Seite 1 unter der Überschrift "Darstellung der Hinzuverdienstgrenzen" erläutert die Beklagte: "Eine Rente wegen Alters kann bis zum Ablauf des Monats der Vollendung des 65. Lebensjahres bei gleichzeitiger Ausübung einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit nur geleistet werden, wenn das erzielte Einkommen (Bruttoverdienst aus Beschäftigung bzw. Gewinn aus selbständiger Tätigkeit) sich im Rahmen der gesetzlich vorgegebenen Hinzuverdienstmöglichkeiten hält." Die Hinzuverdienstgrenze liege für eine Vollrente bei 345,00 Euro. Das exakte Zugangsdatum des Ausgangsbescheides vom 02.08.2004 ist dem Kläger nicht erinnerlich.

9

Mit Schreiben vom 13.02.2006 wandte sich die Beklagte an den Kläger um den Hinzuverdienst nachzuprüfen.

10

Der Kläger legte daraufhin den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2004 vom 15.12.2005 vor. Aus diesem Bescheid ergaben sich für den Kläger Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 19.233,00 Euro sowie Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 1.600,00 Euro.

11

Auf Nachfrage der Beklagten im Hinblick auf die fehlenden Angaben über das Arbeiteinkommen aus selbständiger Tätigkeit sowie aus Gewerbebetrieb für das Jahr 2005 bis laufend teilte der Kläger mit Schreiben vom 27.03.2006 mit, dass er keinen Gewerbebetrieb besitze. Für seine journalistische Tätigkeit habe er im Jahr 2005 2.304,00 Euro erhalten.

12

Nach Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 08.06.2006 nahm die Beklagte mit Bescheid vom 13.10.2006 den bewilligenden Rentenbescheid vom 02.08.2004 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab 01.10.2004 nach § 45 SGB X zurück. Die entstandene Überzahlung sei von dem Kläger gemäß § 50 SGB X zu erstatten. Vertrauensschutz bestehe nicht. Auch die Ermessensausübung habe zu keinem anderen Ergebnis geführt. Der Kläger habe die Fehlerhaftigkeit des Bescheides erkennen müssen. Zudem habe ein Einkommen zur Minderung des Anspruches geführt. Als Einkommen legte die Beklage dabei sowohl dasjenige aus der Tätigkeit als Journalist zu Grunde, als auch die Gewinne aus der Beteiligung an der Kommanditgesellschaft. Für die Beklagte ergab sich insoweit ein Einkommen für die Monate Oktober bis Dezember 2004 in Höhe von monatlich 1.736,08 Euro, für den Zeitraum vom Januar 2005 bis zum Dezember 2005 in Höhe von monatlich 1.794,75 Euro. Mangels Vorliegen eines Einkommenssteuerbescheides legte die Beklagte im Zeitraum vom Januar bis einschließlich März 2006 ebenfalls ein Einkommen von monatlich 1.794,75 Euro zu Grunde.

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Den am 13.11.2006 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.01.2007 zurück. Ob ein Arbeitseinkommen aus einer selbständigen Tätigkeit im Sinne des § 34 Abs. 2 SGB VI vorliege, richte sich nach § 15 SGB IV. Danach sei Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommenssteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Einkommen sei daher grundsätzlich immer dann als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommenssteuerrecht zu bewerten sei. Nach diesem Grundsatz seien auch Einkünfte, die aus Gewinnanteilen an Gesellschaften bezogen würden, dann als Hinzuverdienst zu berücksichtigen, wenn sie steuerlich als "Einkünfte aus Gewerbebetrieb" behandelt würden. Dies sei bei dem Einkommen des Klägers aus seiner Beteiligung als Kommanditist der Fall.

14

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner am 20.02.2007 vor dem Sozialgericht Hannover erhobenen Klage. Sein Einkommen aus der Beteiligung als Kommanditist dürfe nicht als Hinzuverdienst im Sinne des § 34 SGB VI angesehen werden. Er habe eben gerade keine eigene "aktive" Tätigkeit ausgeübt. Dies sei jedoch maßgeblich dafür, ob ein Einkommen im Rahmen der Regelungen zur Hinzuverdienstgrenze angerechnet werden dürfe oder nicht. Er beruft sich zur Begründung auf die Entscheidung des Bundessozialgerichtes vom 27.01.1999 (B 4 RA 17/98 R). Danach sei Arbeitseinkommen nur dann anrechenbares Einkommen, wenn es aus eigener selbständiger Tätigkeit des Berechtigten selbst herrühre. Dies sei bei ihm nicht der Fall. Die von der Beklagten benannte Entscheidung des Bundessozialgerichtes vom 07.10.2004 (B 13 RJ 13/04 R), sei in seinem Fall nicht einschlägig. Insbesondere sei es dort nicht um Einkünfte aus einer Beteiligung als Kommanditist gegangen, sondern um Einkünfte aus der Verpachtung eines landwirtschaftlichen Betriebes. Er, der Kläger, sei immer davon ausgegangen, dass ein Hinzuverdienst nur dann auf eine vorzeitige Rente anzurechnen sei, wenn das entsprechende Einkommen auch "durch eigener Hände Arbeit" erwirtschaftet worden sei. Er habe sich beim Ausfüllen der Formulare der Unterstützung durch Herrn J. bedient. Auch dieser habe erst nach Erlass des Rücknahme- und Erstattungsbescheides realisiert und mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass nach Auffassung der Beklagten das Einkommen aus der Beteiligung an der Kommanditgesellschaft als Einkommen anzurechnen sei.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 13.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2007 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

19

Sie ist der Auffassung, dass die Frage, ob eine Tätigkeit tatsächlich ausgeübt werde oder nicht, für die Beurteilung, ob es sich um Einkommen handele oder nicht, irrrelevant sei. Es bestehe eine volle Parallelität zwischen dem Steuerrecht und dem Sozialversicherungsrecht, wie sich aus § 15 SGB IV ergebe. § 34 SGB VI setze nicht voraus, dass die eigene Arbeitskraft eingesetzt werde beziehungsweise selbst im Betrieb mitgewirkt werde. Die von dem Kläger benannte Entscheidung des 4. Senates sei nicht einschlägig, da dort das Einkommen des verstorbenen Ehemannes bezüglich einer Witwenrente maßgeblich und zu beurteilen gewesen sei.

20

Nach einem Hinweis der Kammer vom 19.01.2012, ob die Voraussetzungen des § 45 SGB X im Hinblick auf die Einhaltung von Fristen vorlägen, teilte die Beklagte mit, dass sich nach Prüfung des Vorgangs ergeben habe, dass als maßgebliche Korrekturnorm nicht § 45 SGB X sondern § 48 SGB X einschlägig sei. Der Bescheid vom 02.08.2004 sei bei seinem Erlass rechtmäßig gewesen, da ein anzurechnendes Einkommen zunächst nicht vorhanden gewesen sei. Erst durch den am 15.12.2005 erteilten Steuerbescheid für das Jahr 2004 sei der Bescheid der Beklagten vom 02.08.2004 in Widerspruch zur Rechtsordnung getreten. Dabei beruft sich die Beklagte auf die Entscheidung des Landessozialgerichtes Nordrhein-Westfalen vom 25.07.2005 (L 3 RJ 111/04) und des Landesozialgerichtes Niedersachsen-Bremen vom 30.05.2007 (L 2 KN 12/07). Diese Entscheidungen sind rechtskräftig.

21

Vor dem Hintergrund der Entscheidungen des Sozialgerichtes Hildesheim vom 26.09.2008 (S 14 R 63/05) und der darauf folgenden Entscheidung des Landessozialgerichtes Niedersachsen-Bremen vom 01.07.2009 (L 1 R 572/08), die Einkünfte aus einer Kommanditgesellschaft als anrechenbar im Sinne des § 34 SGB VI beurteilten, und dem insoweit zunächst vor dem Bundessozialgericht anhängigen Revisionsverfahren zum Aktenzeichen B 5 R 62/09 R, stellte die Kammer im Einverständnis mit den Beteiligten das Verfahren ruhend. Das Bundessozialgericht verwarf mit Beschluss vom 21.10.2009 die Revision als unzulässig. Die Begründung entspreche nicht den gesetzlichen Anforderungen. Auf Antrag der Beteiligten setzte die Kammer das hiesige Verfahren fort.

22

Wegen des weiteren Sachverhaltes und des Vortrages der Beteiligten wird auf die sozialgerichtliche Akte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die zur Beratung und Entscheidungsfindung vorlagen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und auch begründet.

24

Der Bescheid der Beklagten vom 13.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2007 ist rechtwidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

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1. Entgegen der Auffassung der Beklagten konnten die angefochtenen Bescheide nicht auf § 48 SGB X gestützt werden. Es fehlt bereits an einer Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nach Erlass eines vorausgegangenen Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung im Sinne dieser Vorschrift.

26

Bei dem Bescheid über die Gewährung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder Altersteilzeit vom 02.08.2004 handelt es sich um einen begünstigenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung.

27

Die Kammer lässt ausdrücklich offen, ob Einkommen aus einer Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft als Einkommen im Sinne des § 34 SGB VI zu werten ist, was im Falle des Klägers zu einer Überschreitung der Hinzuverdienstgrenzen und einer Überzahlung führen würde. Unterstellt, dass das Einkommen aus einer Beteiligung als Kommanditist an einer Kommanditgesellschaft als Hinzuverdienst im Sinne des § 34 Abs. 2 SGB VI zu werten ist, ist die Kammer der Auffassung, dass dann der Bescheid vom 02.08.2004 auch von Anfang an rechtswidrig gewesen ist, weil bereits bei seinem Erlass die Hinzuverdienstgrenzen überschritten waren. Die Kammer geht nicht davon aus, dass eine Rechtswidrigkeit erst mit dem Antrag des Klägers auf Erlass eines Einkommenssteuerbescheides oder gar dem Erlass des Einkommenssteuerbescheides vom 15.12.2005 eingetreten ist (so auch LSG Hessen, Urteil vom 17.01.2012, L 2 R 524/10, anhängig BSG, Az: B 5 R 8/12 R; recherchiert in juris). Den Entscheidungen des Landessozialgerichtes Nordrhein-Westfalen vom 25.07.2005 (L 3 RJ 111/04) und des Landessozialgerichtes Niedersachsen-Bremen vom 30.05.2007 (L 2 KN 12/07; auch wohl SG Oldenburg, Urteil vom 07.03.2012, S 81 R 241/11, recherchiert in juris) folgt die Kammer ausdrücklich nicht. Eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen nach Erlass des Verwaltungsaktes vom 02.08.2004 liegt nach Auffassung der Kammer nicht vor. „Wesentlich“ bedeutet in diesem Zusammenhang „rechtserheblich“; vorausgesetzt wird also eine solche Änderung, die zur Folge hat, dass die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den ergangenen Verwaltungsakt (so) nicht hätte erlassen dürfen (Kasseler Kommentar, Steinwedel, § 45 SGB X, Rn. 13, recherchiert in beck-online). Ob bezüglich des aufzuhebenden Verwaltungsaktes eine wesentliche Änderung stattgefunden hat, ist insoweit im Hinblick auf die materielle Anspruchsgrundlage zu prüfen. Dies ist vorliegend § 34 Abs. 2 SGB VI. Gemäß § 34 Abs. 1 und 2 SGB VI besteht ein Anspruch auf eine Rente wegen Alters vor Vollendung des 65. Lebensjahres nur, wenn die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten wird. Sie wird nicht überschritten, wenn das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit im Monat die in § 34 Abs. 3 SGB VI genannten Beträge nicht übersteigt. In ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes ist insoweit anerkannt, dass grundsätzlich von Monat zu Monat zu betrachten ist, ob die Hinzuverdienstgrenze überschritten wird (vgl. BSG, Urteil vom 26.06.2008, B 13 R 119/07 R mit weiteren Nachweisen). Dies gilt auch für Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Auch die Beklagte stellte dies grundsätzlich nicht in Abrede. Sie selbst hatte den Kläger mit Schreiben vom 21.06.2004 darauf hingewiesen, dass die Hinzuverdienstgrenzen auch bei Selbständigen monatlich zu prüfen seien. Die pauschale Erklärung des Klägers, dass sein Einkommen unterhalb der zulässigen Hinzuverdienstgrenzen bleiben würde, reichte ihr gerade nicht aus. Vielmehr sei das künftige Einkommen gewissenhaft zu schätzen.

28

Im Hinblick auf die wesentliche Änderung kommt es weder auf die im ursprünglichen Bescheid genannten noch auf die von der Behörde bei der Bewilligung – oder später – angenommenen Verhältnisse an, sondern auf die in Wirklichkeit vorliegenden Verhältnisse und deren objektive Änderung (Kasseler Kommentar, Steinwedel, § 45 SGB X, Rn. 14 recherchiert in beck-online.de). Eine objektive Änderung der vorliegenden Verhältnisse ergab sich nicht. Nach dem Einkommenssteuerbescheid für 2004 hatte der Kläger im Jahr 2004 Einkünfte von 20.833,00 Euro, in 2005 von 20.951,00 Euro und in 2006 von 10.679,00 Euro. Für 2004 ist damit von einem monatlichen Einkommen von 1.736,08 Euro, für 2005 von 1.745,16 Euro und für das Jahr 2006 von 889,91 Euro auszugehen. Dem Kläger stünde damit für 2004 und 2005 lediglich eine Rente in Höhe von 1/3 zu, für den Zeitraum vom 01.01.2006 bis zum 31.03.2006 eine 2/3-Rente, da die Hinzuverdienstgrenze bei 997,17 Euro lag. Auch in 2004 bestand insoweit von Anfang an nur ein reduzierter Anspruch. Allein die Tatsache, dass die Beklagte lediglich das von dem Kläger benannte Einkommen als freiberuflicher Journalist zu Grunde legte, da sie über weitere Einkommen zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis hatte, führt nicht zu einer Anwendbarkeit des § 48 SGB X. Von diesen Einkünften wusste die Beklagte nichts, so dass sie diese nicht ihrer Prognose zu Grunde legen konnte. Die Unkenntnis über Tatsachen führt jedoch nicht dazu, dass eine wesentliche Änderung i.S.d. § 48 SGB X vorliegt.

29

Die Annahme, dass bzgl. der Einkommenserzielung auf den Zeitpunkt der Vorlage des Steuerbescheides abzustellen sei (LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.) oder aber die Abgabe der Einkommenssteuererklärung (LSG Niedersachsen-Bremen, SG Oldenburg, a.a.O.), würde zudem im Falle des Klägers in der Konsequenz dazu führen, dass die Einkommen aus einer Beteiligung an der Kommanditgesellschaft für die Jahre 2005 und 2006 nicht anzurechnen wären. Die Einkommenssteuerbescheide datieren vom 13.09.2007 und 08.11.2010. Eine Einkommenserzielung wäre somit am 13.09.2007 bzw. 08.11.2010 anzunehmen. Bereits am 18.03.2006 hatte der Kläger jedoch das 65. Lebensjahr erreicht, so dass die Hinzuverdienstgrenzen des § 34 SGB VI für ihn und das diesbezügliche Einkommen keine Bedeutung mehr hatten.

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Das LSG Nordrhein-Westfalen hilft dieser Problematik ab, indem es im Rahmen einer weiterführenden analogen Anwendung auf § 48 Abs. 1 S. 3 SGB X abstellt. Diese Norm sieht für die rückwirkende Bewilligung einer Sozialleistung vor, dass als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraums maßgeblich sei. Dem vermag die Kammer nicht zu folgen.

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2. Die Voraussetzungen der nach Auffassung der Kammer einschlägigen Korrekturnorm des § 45 SGB X liegen nicht vor.

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Danach darf, soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, dieser, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 des § 45 SGB X ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Er darf gemäß § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 S. 2 SGB X).

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Auf Vertrauen kann sich der Begünstige von vornherein nicht berufen, soweit

34

1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,

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2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grobfahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat oder

36

3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 S. 3 SGB X).

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Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach § 45 Abs. 2 SGB X nur bis zum Ablauf von 2 Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 3 S. 1 SGB X). Dies gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen (§ 45 Abs. 3 S. 2 SGB X). Bis zum Ablauf von 10 Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach § 45 Abs. 2 SGB X zurückgenommen werden, wenn

38

1. die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder

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2. der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde (§ 45 Abs. 3 S. 3 SGB X).

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a) Die 2-Jahres-Frist des § 45 Abs. 3 S. 1 SGB X ist abgelaufen. Der Bescheid vom 02.08.2004 ist dem Kläger im Laufe des Augustes 2004 bekannt gegeben worden. Die 2-Jahres-Frist endete damit spätestens im August 2006. Die Beklagte hob den Bescheid am 13.10.2006 auf, und damit verspätet. Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO sind nicht ersichtlich.

41

b) Die Ausnahmegründe des § 45 Abs. 3 S. 2 und 3 SGB X sind nicht gegeben.

42

Der Bescheid ist nicht mit einem zulässigen Widerrufsvorbehalt versehen.

43

Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 oder 3 SGB X liegen nach Auffassung der Kammer nicht vor.

44

Der Verwaltungsakt beruht nicht auf Angaben, die der Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Zwar beruhte der Bescheid auf Angaben des Klägers, die dieser in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat - unterstellt, dass das Einkommen aus einer Beteiligung als Kommanditgesellschafter rentenschädlich im Sinne des § 34 SGB VI wirkt. Nach der von ihm abgegebenen Erklärung vom 08.06.2004 und 28.06.2004 war die Beklagte bei der Rentenfestsetzung davon ausgegangen, dass der Kläger ab Rentenbeginn (01.10.2004) lediglich Einkünfte aus seiner freiberuflichen Tätigkeit als Journalist besaß, jedoch nicht solche aus Gewerbebetrieb. Denn bezüglich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb hatte er das entsprechende Antragsformular nicht ausgefüllt. Die insoweit möglicherweise fehlerhaften Angaben waren indes seitens des Klägers nicht grob fahrlässig gemacht worden. Ausgehend von dem bei § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 HS. 2 SGB X maßgeblichen subjektiven Sorgfaltsmaßstab sind Angaben dann falsch gemacht, wenn dem Versicherten ohne weitere Überlegung klar sein musste, dass er den betreffenden Umstand mitteilen musste (LSG Hessen, Urteil vom 17.01.2012, L 2 R 524/10, zu einer Schätzung durch einen Steuerberater, Rn. 48, nicht rechtskräftig, anhängig BSG, B 5 R 8/12 R, recherchiert in juris).

45

Dieser Vorwurf kann dem Kläger nicht gemacht werden. In dem Vordruck der Beklagten „Erklärung bei steuerrechtlichem Gewinn (bei selbständig Erwerbstätigen)“ (Formular R230) fragte diese nach Angaben zu dem nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermitteltem Gewinn. Unter der Spalte „Art der Einkünfte“ waren „Einkünfte aus Gewerbebetrieb“, „Einkünfte aus selbständiger Arbeit“ und „Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft““ benannt. Eine Erläuterung, was darunter genau zu verstehen ist, war nicht beigefügt. Auch war dem Kläger von der Beklagten kein Informationsmaterial, insbesondere kein Merkblatt, darüber ausgehändigt worden, was unter dem bei den Hinzuverdienstgrenzen zu berücksichtigenden Arbeitseinkommen eines Selbstständigen zu verstehen ist bzw. wonach sich dieses im Einzelnen bemisst. Anhaltspunkte, bei der Beklagten genauer nachzufragen, ergaben sich für ihn ebenfalls nicht. Mit ihrer Darstellung der Hinzuverdienstgrenzen im Bescheid vom 02.08.2004 (Anlage 19) verwies die Beklagte ebenfalls darauf, dass die Rente bei „Ausübung einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit“ nur geleistet werden könne, wenn das Einkommen bestimmte Grenzen nicht überschreite.

46

Zu berücksichtigen ist, dass es sich bei der Auslegung dessen, was unter Arbeitseinkommen oder auch Einkünften aus Gewerbebetrieb mit rentenrechtlicher Relevanz für die Hinzuverdienstgrenzen zu fassen ist, letztlich um die Auslegung von Rechtsbegriffen handelt, die vielfach Gegenstand der Rechtsprechung sind und waren, demzufolge keineswegs eindeutig sind. Gerade die Frage, ob das Einkommen eines Kommanditisten als rentenschädliches Einkommen zu werten ist, ist seitens des BSG noch nicht geklärt. Zudem durfte der Kläger nach Ansicht der Kammer auf Grund der Überschrift im Formular, die ausdrücklich den steuerrechtlichen Gewinn „bei selbständig Erwerbstätigen“ nannte, davon ausgehen, dass eine „aktive“ Tätigkeit im Sinne „eigener Hände Arbeit„ gemeint war. Einen zwingenden Anlass für Nachfragen indes bot die Formulierung der Beklagten nicht. Eine insoweit missverständliche Ausdrucksweise der Beklagten lag nicht vor. Eine solche ginge zudem zu deren Lasten.

47

Insbesondere war zudem weder dem Kläger noch Herrn J., der ihm beim Ausfüllen des Formulares half, bewusst, dass im Hinblick auf das Einkommen aus einer Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft diese im Rentenverfahren als „Einkünfte aus Gewerbebetrieb“ anzugeben seien. Mit der insoweit bestehenden rechtlichen Problematik beschäftigten sie sich erst, nachdem die Beklagte das Anhörungsschreiben zur Aufhebung des Rentenbescheides versandt hatte. Ein besonderes Fachwissen lag insoweit nicht vor.

48

Die aktuellen Formulare der Beklagten enthalten den Zusatz „bei selbständig Erwerbstätigen“ nicht mehr (vgl. Formular R230, recherchiert unter http://www.deutsche-rentenversicherung-bund.de).

49

Aus den gleichen o.g. Gründen liegt bei dem Kläger keine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 02.08.2004 vor.

50

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 


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