Beschluss vom Sozialgericht Hildesheim (43. Kammer) - S 43 AS 1034/07 ER
Tenor
Es wird festgestellt, dass der Widerspruch des Antragstellers vom 23. Juli 2007 gegen den Bescheid der Stadt Göttingen vom 17. Juli 2007 aufschiebende Wirkung hat.
Der Antragsgegner hat dem Antragssteller dessen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
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Der Antragsteller wehrt sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die direkte Auszahlung der nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) übernommenen Unterkunftskosten an seinen Vermieter.
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Der 1966 geborene Antragsteller steht im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II und bewohnt eine 56 qm große Zweizimmerwohnung in D.. Für diese Wohnung zahlt er eine Grundmiete i. H. v. 340,00 Euro sowie Nebenkosten i. H. v. 160,00 Euro je Monat.
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Nach dem Auszug der Ehefrau des Antragstellers aus der gemeinsamen Wohnung im April 2007 erkannte der Antragsgegner zunächst auch für den Folgezeitraum einen Betrag in Höhe von 395 Euro je Monat als angemessene Kosten der Unterkunft (KdU) an. Derzeit gewährt er dem Antragsteller mit Bescheid der herangezogenen Stadt D. vom 20. Juni 2007 monatliche Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 785,78 Euro (Regelleistung: 347 Euro, KdU: 395 Euro, Heizkosten: 48,80 Euro, abzgl. Warmwasseranteil: 5,02 Euro) befristet bis Ende September 2007.
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Unter dem 13. Juli 2007 teilte die von dem Vermieter des Antragstellers beauftragte Hausverwaltung der Stadt Göttingen mit, dass der Antragsteller seit drei Monaten keine Miete gezahlt habe. Daraufhin übersandte die Stadt D. dem Antragsteller unter dem 17. Juli 2007 ein formloses Schreiben, in dem er auf die direkte Auszahlung der im Bewilligungsbescheid ausgewiesenen KdU an die Hausverwaltung des Vermieters für den Zeitraum ab August 2007 hingewiesen wurde.
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Noch vor Erhalt dieses Schreibens teilte der Antragsteller der Stadt D. unter dem 18. Juli 2007 mit, dass er wegen erheblicher Mängel der Mietwohnung ab August 2007 eine Minderung des Mietzinses von 20 Prozent vornehmen werde und daher lediglich 80 Prozent der Unterkunftskosten an ihn angewiesen werden sollten.
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Unter dem 23. Juli 2007 nahm der Antragsteller gegenüber der Stadt D. auf das Schreiben vom 17. Juli 2007 Bezug und führte aus, dass ohne seine schriftliche Genehmigung die Auszahlung des Mietzinses an die Hausverwaltung seines Vermieters nicht erfolgen dürfe; die zweckentsprechende Verwendung der ausgezahlten Leistungen sei bei einer Auszahlung der Leistungen an ihn sichergestellt.
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Seit August 2007 werden die KdU in Höhe von 395 Euro monatlich direkt auf das Konto der Hausverwaltung des Vermieters überwiesen.
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Der Antragsteller hat sich daraufhin am 8. August 2007 mit einem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes an das Sozialgericht Hildesheim gewandt.
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Er trägt vor, dass die von ihm bewohnte Wohnung seit zwei Jahren Wasserschäden aufweise und sich der Vermieter weigere, die Schäden zu beheben. Allein eine Mietminderung von 20 Prozent könne den Vermieter zu einer kurzfristigen Behebung der Mängel bewegen, ohne die ein zwangsläufiger Auszug aus der Wohnung drohe. Eine direkte Zahlung der Unterkunftskosten an seinen Vermieter würde zudem wegen des schlechten Eindrucks auf andere Vermieter die Suche nach einer neuen Unterkunft erschweren.
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Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
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die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 23. Juli 2007 gegen den Bescheid vom 17. Juli 2007 anzuordnen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Er ist der Ansicht, dass dem Antragsteller kein Anordnungsgrund zur Seite stehe, da durch die Überweisung eines geringeren Betrages an Unterkunftskosten als der monatlich geschuldeten Miete bereits eine Mietminderung in Höhe von etwa 17 Prozent vorgenommen werde.
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Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
II.
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Der zulässige Antrag ist begründet.
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Der von dem rechtsunkundigen Antragsteller gestellte Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes war nach § 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und dem darin zum Ausdruck kommenden "Meistbegünstigungsprinzip" (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 7. November 2006, Az.: B 7b AS 8/06 R) dahingehend auszulegen, dass er die Feststellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches vom 23. Juli 2007 gegen die Entscheidung des Antragsgegners vom 17. Juli 2007, die gewährten Unterkunftskosten direkt an die Hausverwaltung des Antragstellers zu zahlen, begehrt.
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Die statthafte Antragsart im vorliegenden Verfahren richtet sich nach § 86 b Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 SGG analog. Nach dieser Norm kann das Gericht in denjenigen Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage gemäß § 86 a Absatz 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 39 SGB II keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Entfaltet ein Widerspruch bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung, hat das Gericht durch Beschluss deklaratorisch auszusprechen, dass der Widerspruch aufschiebende Wirkung hat (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, 2005, § 86b Rn. 15).
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Die hier angegriffene Entscheidung des Antragsgegners, die erstattungsfähigen Unterkunftskosten direkt an den Vermieter des Antragstellers auszuzahlen, ist ein belastender Verwaltungsakt. Sie erfüllt sämtliche Begriffsmerkmale eines Verwaltungsakts im Sinne des § 31 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) und ist der Eingriffsverwaltung zuzuordnen. Denn eine solche in das Ermessen der Behörde gestellte Entscheidung nach § 22 Absatz 4 SGB II ist als Eingriff in das Verfügungsrecht des Hilfeempfängers über die ihm gewährten Leistungen anzusehen (so auch LSG Hamburg, Beschluss vom 9. Juni 2005, Az.: L 5 B 71/05 ER AS; Piepenstock, in: jurisPK-SGB II, 2007, § 22 SGB II, Rn. 131; Berlit in: LPK-SGB II, 2. Auflage, 2007, § 22 Rn. 109; a.A.: wohl VGH Baden-Würtemberg unter Geltung des Bundessozialhilfegesetzes, Beschluss vom 16. April 2002, Az.: 7 S 2670/01 - Erlass einer einstweiligen Anordnung).
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Das Schreiben des Antragstellers vom 23. Juli 2007, das im Wege der Auslegung nur als Widerspruch gegen die Entscheidung vom 17. Juli 2007 angesehen werden kann, entfaltet nach Auffassung des Gerichts aufschiebende Wirkung, da kein Fall des gesetzlich angeordneten Ausfalls der aufschiebenden Wirkung vorliegt und die sofortige Vollziehung der Entscheidung nicht angeordnet wurde.
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Die vom Antragsteller angegriffene Entscheidung nach § 22 Abs. 4 SGB II ist keine Entscheidung über Leistungen im Sinne des § 39 Nr. 1 SGB II, nach dem ein Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung entfaltet.
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In der sozialgerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur werden zu der Auslegung von § 39 Nr. 1 SGB II widerstreitende Meinungen vertreten. Während Stimmen aus der Literatur ein weites Verständnis befürworten (vgl. insb. Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, § 39 SGB II Rn. 44 f.), ist in der Sozialgerichtsbarkeit eine restriktivere Auslegung herrschend (vgl. vor allem zu Rückforderungs- und Erstattungsentscheidungen: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11. November 2005, Az. L 7 AS 292/05 ER und Beschluss vom 23. Februar 2006, Az.: L 9 B 39/06 AS; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 15. Mai 2007, Az.: L 11 B 30/07 AS ER jeweils m. w. N.). Als Hauptargument für eine restriktive Auslegung wird der Ausnahmecharakter der Vorschrift angesehen, nach dem die aufschiebende Wirkung als „fundamentaler Grundsatz des öffentlich-rechtlichen Prozesses“ verdrängt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 1979, Az: 1 BvR 699/77, BVerfGE 51, 268 (284) m. w. N.). So wird auch einem Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt im Sinne des § 15 Absatz 1 Satz 6 SGB II, der die Mitwirkungsobliegenheiten des Betroffenen konkretisiert, aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes zugesprochen, da nach dem Wortlaut des § 39 Nr. 1 SGB II keine Entscheidung über Leistungen vorliege (vgl. etwa SG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 26. Februar 2007, Az.: S 58 AS 1523/06).
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Auch bei § 22 Abs. 4 SGB II werden insoweit Zweifel geäußert, ob durch eine solche Entscheidung über die direkte Auszahlung von Leistungsbezügen an den Vermieter des Hilfebedürftigen in den Bestand des rechtsbegründenden Bewilligungsbescheides nicht insoweit eingegriffen werde, dass der Anspruch als solcher entzogen oder gemindert wird (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. Juli 2007, Az.: L 28 B 1064/07 AS ER). So sieht etwa im Leistungsrecht nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) die vergleichbare Regelung des § 336a Absatz 1 Satz 2 SGB III i.V.m. § 86 a Absatz 2 Nr. 2 SGG vor, dass die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen, entfällt. Die sozialgerichtliche Rechtsprechung hat daher im Recht der Arbeitslosenhilfe z. B. in den Fällen der Abzweigung nach § 48 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) erkannt, dass Widerspruch und Klage aufschiebende Wirkung zukommen (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. Oktober 2004, Az.: L 12 AL 4018/04 ER; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 8. Juni 2004, Az.: L 3 ER 29/04 AL, NZS 2005, 279; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22. November 2002, Az.: L 8 AL 308/02 ER), und diese Rechtsprechung auf das SGB II übertragen (vgl. zur Aufrechnung: LSG Rheinland Pfalz, Beschluss vom 17. Januar 2006, Az.: L 3 ER 128/05 AS; zur Abzweigung: SG Oldenburg, Beschluss vom 15. Juli 2005, Az.: S 47 AS 397/05 ER). Denn durch eine Abzweigung oder Aufrechnung werde lediglich der Zahlungsempfänger, nicht aber der Anspruchsinhaber oder die Höhe des Anspruchs abweichend gesondert geregelt.
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Nach Auffassung des Gerichts ist diese Rechtsprechung auch auf Entscheidungen nach § 22 Abs. 4 SGB II zu übertragen (a. A. wohl LSG Hamburg, Beschluss vom 9. Juni 2005, Az.: L 5 B 71/05 ER AS für den Fall der Auszahlung eines Teils der Leistungen an den Stromversorger). Die direkte Auszahlung der KdU an den Vermieter stellt zwar faktisch eine Minderung der tatsächlich erhaltenen Leistungen dar, lässt jedoch den Anspruch des Hilfebedürftigen inhaltlich unangetastet. Sollten von § 39 Nr. 1 SGB II auch diejenigen Fälle umfasst sein, in denen abweichend ein anderer Zahlungsempfänger bestimmt wird, liefe die Regelung des § 39 Nr. 2 SGB II, die den Übergang von Ansprüchen betrifft, weitestgehend leer (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17. Januar 2006, Az.: L 3 ER 128/05 AS; vgl. auch Conradis, in: LPK-SGB II, 2. Auflage, 2007, § 39 Rn. 8).
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Liegt mithin kein Fall des gesetzlich angeordneten Ausfalls der aufschiebenden Wirkung vor und wurde nicht im Einzelfall die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten angeordnet, so muss es bei der grundsätzlichen aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage verbleiben.
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Das Gericht hat es nicht als erforderlich angesehen, die Beseitigung der Vollzugsfolgen - die Überweisung des Leistungsbetrags für die KdU direkt an die Hausverwaltung des Vermieters für den Monat August und September 2007 rückgängig zu machen - anzuordnen. Unter Abwägung der Interessen der Beteiligten fiel die im Ermessen stehende Entscheidung des Gerichts nach § 86 b Absatz 1 Satz 2 SGG, eine Beseitigung der Vollzugsfolgen anzuordnen, zu Gunsten des Antragsgegners aus. Hierbei hat das Gericht berücksichtigt, dass die Überweisung eines Betrags von 395,00 Euro zur Begleichung des Mietzinses in etwa der von dem Antragsteller begehrten Mietminderung in Höhe von 20 Prozent entspricht. Zugleich droht die Gefahr einer nicht mehr rückgängig zu machenden Überzahlung, da der Antragsteller bereits in Höhe des überwiesenen Betrags von seiner schuldrechtlichen Verpflichtung, den Mietzins zu entrichten, befreit ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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