Urteil vom Sozialgericht Köln - S 11 RJ 171/00
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 15.12.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.05.2000 wird insoweit aufgehoben, als darin Nachforderungen betreffend den Beigeladenen zu 1) in Höhe von 26.415,10 DM geltend gemacht werden. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers und des Beigeladenen zu 1) trägt die Beklagte. Ansonsten sind Kosten nicht zu erstatten.
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Tatbestand:
2Streitig ist, ob der Beigeladene zu 1) bei dem Kläger von Januar 1995 bis November 1999 als Student versicherungs- und beitragspflichtig beschäftigt war und die Beklagte berechtigt war, deswegen Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 26.415,10 DM nachzufordern.
3Der Kläger betreibt als Einzelkaufmann in C einen Veranstaltungsservice. Er erhält von unterschiedlichen Auftraggebern in unregelmäßigen Abständen den Auftrag, Veranstaltungen für den jeweiligen Auftraggeber durchzuführen. Dabei handelt es sich im wesentlichen um Bewirtungsaufträge, die auch Kellner-Service umfassen. Dabei setzt der Kläger Aushilfskräfte ein. Einer dieser Aushilfskräfte war der am 00.00.1958 geborene Beigeladene zu 1). Dieser war bereits ab 1987 für den Kläger tätig. Das Arbeitsverhältnis endete Ende 1998. Der Beigeladene zu 1) war seinerzeit Jurastudent an der Universität C. Im Jahre 1998 befand er sich im 31. Fachsemester.
4Im Dezember 1999 führte die Beklagte beim Kläger eine Betriebsprüfung durch. Der Prüfzeitraum umfasste die Zeit von Januar 1995 bis November 1999.
5Nach Durchführung der Betriebsprüfung erließ die Beklagte unter dem 15.12.1999 einen Bescheid und machte eine Nachforderung vom Sozialversicherungsbeiträgen gegenüber dem Kläger von 30.238,04 DM geltend. Davon entfielen auf den Beigeladenen zu 1) 26.415,10 DM. Zur Begründung der Nachforderung machte die Beklagte geltend, bei dem Beigeladenen zu 1) könne nicht von einer Ernsthaftigkeit seines Studiums ausgegangen werden. Er sei deshalb nicht sozialversicherungsfrei.
6Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 21.12.1999 Widerspruch ein, den er auf die geltend gemachte Nachforderung bzgl. des Beigeladenen zu 1) beschränkte. Er wies darauf hin, dass der Beigeladene zu 1) durchaus ernsthaft studiert habe. Er habe bereits zweimal versucht, das 1. Juristische Staatsexamen abzulegen. Ein erster Versuch sei im Jahre 1988 gescheitert, da ist der Beigel. zu 1) durch die Prüfung gefallen. Ein zweiter Versuch sei abgebrochen worden. Derzeit bereite er sich auf eine erneute Prüfung vor. Wegen seines Studiums habe der Beigeladene zu 1) darüber hinaus öfter Veranstaltungen, die er eigentlich betreuen sollte, nicht wahrnehmen können. Die wöchentliche Arbeitszeit habe auch lediglich 10 Stunden betragen. Schon dies zeige, dass der studienbedingte Aufwand im Vordergrund gestanden habe.
7Nachdem die Beklagte die Akte des Arbeitsgerichts C (Az.: 0 Ca 000/00) betreffend einen Rechtsstreit zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen zu 1) beigezogen und ausgewertet hatte, hat sie mit Widerspruchsbescheid vom 16.05.2000, auf den Bezug genommen wird, den Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.
8Hiergegen richtet sich die am 16.06.2000 erhobene Klage.
9Der Kläger ist nach wie vor der Ansicht, im Prüfungszeitraum von 1995 bis 1999 sei der Beigeladene zu 1) versicherungsfrei bei ihr tätig geworden. Er habe sein Studium ernsthaft betrieben. Dieses sei die Hauptsache, die Arbeit beim Kläger hingegen lediglich die Nebensache gewesen.
10Der Kläger beantragt,
11den Bescheid der Beklagten vom 15.12.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.05.2000 insoweit aufzuheben als darin Nachforderungen betreffend den Beigeladenen zu 1) geltend gemacht worden sind.
12Die Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Sie hält ihre Entscheidung für zutreffend.
15Die Beigeladenen zu 1) und 2) haben im Termin keinen Antrag gestellt.
16Die Beigeladene zu 3) war im Termin zur mündlichen Verhandlung von dem sie ordnungsgemäß unterrichtet worden ist nicht vertreten.
17Im Erörterungstermin vom 09.03.2001 hat das Gericht den Beigeladenen zu 1) vernommen. Seine Aussage ergibt sich aus der Anlage I zur Sitzungsniederschrift vom 09.03.2001. Hierauf wird verwiesen.
18Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend im vollem Umfang auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagte über den Kläger Bezug genommen. Alle Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
19Entscheidungsgründe:
20Das Gericht hat verhandeln und entscheiden können, obwohl die Beigeladene zu 3) in der Verhandlung nicht vertreten gewesen ist. Auf diese Möglichkeit ist nämlich in der Terminsmitteilung ausdrücklich hingewiesen worden.
21Die Klage, die sich - nur - gegen die Feststellung der Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) und die Nachforderung eines Betrages von 26.415,10 DM ist zulässig und auch begründet.
22Der Beigeladene zu 1) war im streitigen Zeitraum bei dem Kläger abhängig beschäftigt. Es handelte sich auch nicht nur um eine geringfügige Beschäftigung, denn er hat ganzjährig beim Kläger gearbeitet. Auch lag das Arbeitsentgelt regelmäßig über den Grenzen des § 8 Abs. 1 Ziffer 1 SGB IV. Daher bestand grundsätzlich Versicherungspflicht. Die Beschäftigung war aber wegen des Studentenstatus des Klägers versicherungs- und beitragsfrei (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 SGB V, § 169 b Ziffer 2 AFG bzw. § 27 Abs. 4 Nr. II SGB III, § 5 Abs. 3 SGB VI a.F. in Verbindung mit § 230 Abs. 4 SGB VI, § 20 SGB XI). Versicherungs- und beitragsfrei ist wer während der Dauer seines Studiums als ordentlich Studierender einer Hochschule gegen Entgelt beschäftigt ist. Die Voraussetzungen für dieses Werkstudentenprivileg hat das Bundessozialgericht dahingehend zusammengefasst, dass die Beschäftigung neben dem Studium ausgeübt werden , diesem also nach Zweck und Dauer untergeordnet sein müsse. Das Studium müsse die Hauptsache die Beschäftigung die Nebensache sein, d. h. Zeit und Arbeitskraft müssten überwiegend durch das Studium beansprucht werden. Überwiege demgegenüber das "Erscheinungsbild" eines Beschäftigten, sei die Beschäftigung trotz gleichzeitigem Studiums nicht versicherungsfrei. Die Beurteilung ist aufgrund aller erheblichen Umstände des Einzelfalles in vorausschauender Betrachtungsweise vorzunehmen. In Konkretisierung der o. a. Grundsätze sieht das Bundessozialgericht in der Überschreitung einer Arbeitszeit von 20 Stunden während des Semesters ein wesentliches Beweisanzeichen für Versicherungspflicht im Rahmen einer Beschäftigung. Während der - nach Meinung des Bundessozialgerichts - von Studienanforderungen weitgehend freien Vorlesungszeit ist sogar eine vollschichtige Beschäftigung möglich. Dabei soll aber nicht die Dauer der wöchentlichen Arbeitsbelastung allein über die Frage der Versicherungspflicht entscheiden. Wenn sich die Arbeitszeit den Erfordernissen des Studiums anpasst und unterordnet, kann eine Arbeitnehmertätigkeit selbst bei verhältnismäßig langer Dauer noch hinter das Studium zurücktreten. Von wesentlicher Bedeutung ist dabei auch, ob der Student die Möglichkeit hat, nicht nur über die Verteilung der Beschäftigungszeit sondern auch über die Gesamtdauer frei zu entscheiden oder ob sich bei fester Vereinbarung die Arbeitszeit an den Lehrveranstaltungen orientiert. Das Bundessozialgericht hat zudem eine Beschäftigungsdauer von mehr als 26 Wochen in einem Jahr als weiteren Richtwert für eine Obergrenze der Beschäftigung genannt und gemeint, wenn alle Obergrenzen (vollschichtige Beschäftigung während der Semesterferien, halbschichtige Tätigkeit während des Semesters 26 Wochen pro Jahr) über eine längere Zeit ausgeschöpft würden, werde sich dies kaum noch mit einem ordnungsgemäßen Studium vereinbaren lassen. Zugleich wurde die Auffassung vertreten, bei einer mehr als halbschichtigen Beschäftigung während des Semesters verpflichte dieses Indiz für die Arbeitnehmereigenschaft den Arbeitgeber solche Personen der Einzugsstelle zu melden und bis auf weiteres Beiträge abzuführen.
23Von diesen Grundsätzen ausgehend, lässt sich hier eine Versicherungs- und Beitragsfreiheit des Beigeladenen zu 1) feststellen. Er hat zwar ab 1987 kontinuierlich im Betrieb des Klägers gearbeitet. Der Umfang seiner Tätigkeit betrug, wie sich aus den aus der Akte des Arbeitsgerichts C befindlichen Stundenzetteln ergibt, z. B. im Jahre 1998 monatlich etwa 40 Stunden. Dies bedeutet, dass der Beigeladene zu 1) im Durchschnitt wöchentlich zwischen 9 und 10 Stunden gearbeitet hat. Auch ist die Kammer davon überzeugt, dass er nach wie vor sein Studium ernsthaft betreibt und dieses gegenüber der Tätigkeit beim Kläger im Vordergrund gestanden hat. Zwar war der Beigeladene zu 1) im Sommersemester 1999 im 33. Fachsemester. Hieraus erfolgt jedoch nicht zwingend, dass er sein Studium nicht mehr mit der erforderlichen Ernsthaftigkeit betrieben hätte. In diesem Zusammenhang ist auch ohne Belang, dass der Beigeladene zu 1) in der Vernehmung am 09.03.2001 angegeben hat, er sei "zur Zeit so etwa im 35. Semester". Aus dieser mehr oder minder vagen Angabe ergibt sich nicht zwangsläufig, dass er sein Studium nicht mehr ernst nimmt. Angesichts der (objektiv) hohen Semesterzahl kann durchaus angenommen werden, dass der Beigeladene zu 1) nicht 100 %-ig weiß, im wievielten Semester er sich befindet. Im übrigen ist es für die Entscheidung des Rechtsstreits auch unerheblich, ob er nun im 33., 34. oder 35. Semester ist. Wie er weiter angegeben hat, hat er in den Jahren 1995 bis 1998 im wesentlichen das Examensrepetitorium in diversen Fächern sowie mehrere Klausurenkurse besucht. Entsprechende Veranstaltungen hat er auch belegt. Zwar hat er mitgeteilt, er habe an den Klausurenkursen unterschiedlich oft teilgenommen, manchmal habe er eine Klausur im Monat, manchmal auch 3 Klausuren im Monat geschrieben. Geht man von einer mittleren Klausurenfrequenz von 2 Stück im Monat aus, so ergibt sich bei einer 5-stündigen Dauer eine monatliche Belastung von 10 Stunden. Berücksichtigt man noch, dass der Kläger wie er glaubhaft versichert hat, auch an der späteren Besprechung der Klausur teilgenommen hat und sich auch auf die Arbeiten vorbereitet hat ergibt sich ein wöchentlicher Aufwand für das Studium der erheblich über der Arbeitszeit beim Kläger liegt. Hinzu kommt, das er die Repetitoriumskurse, die an der Uni stattfinden "häufig" besucht hat. Nähere Angaben zu den Repetitoriumskursen hat der Beigeladene zu 1) zwar nicht gemacht. Die von ihm geschilderten studentischen Aktivitäten deuten aber darauf hin, dass er durchaus nach wie vor willens ist, sein Studium das zugegebenermaßen schon sehr lange dauert, auch irgendwann einmal abzuschließen. Dass die Dauer des Studiums auch angesichts des fortschreitenden Alters des Beigeladenen zu 1) nicht dazu angetan ist, seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern steht wohl außer Zweifel. Zu beachten ist aber auch, dass er bereits einmal durch das erste Examen durchgefallen ist. Ein weiterer Versuch wurde abgebrochen. Nach einem zweiten gescheiterten Versuch bestehen keine weiteren Möglichkeiten mehr das erste Examen zu absolvieren. Nachvollziehbar ist, wenn der Beigeladene zu 1) insoweit von einer "psychischen Sperre" spricht, sich noch einmal zum Examen zu melden. Wenn man unter diesen Umständen versucht, durch Klausurenkurse ein endgültiges Scheitern zu verhindern ist dies verständlich. Hinzu kommt, dass dem Beigeladenen zu 1) nach dem ersten Scheitern im Examen die Auflage gemacht wurde zwei große Scheine zu wiederholen. Ausweislich der von ihm vorgelegten Bescheinigung hat er im Sommersemester 1994, das heißt kurz vor Beginn des Prüfzeitraumes den großen BGB Schein bestehend aus einer Hausarbeit und einer Klausur bestanden. Dass er die Auflagen für einen erneuten Examensversuch gemacht hat, spricht ebenfalls dafür, dass der Beigeladene zu 1) sein Studium zum Abschluss bringen will.
24In seiner persönlichen Anhörung im Termin vom 09.03.2001 hat er auch dargelegt, dass es ihm durchaus möglich gewesen ist, seine Arbeitszeit im Betrieb des Klägers an die studentischen Erfordernisse anzupassen. Glaubhaft hat er versichert, dass er während seiner Tätigkeit beim Kläger auch schon einmal Termine absagen musste, weil er an der Uni Verpflichtungen hatte. Der Gebrauch des Wortes "Verpflichtungen" stellt nach Ansicht des Gerichts im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten kein Widerspruch dazu dar, dass der Beigeladene zu 1) davon gesprochen hat, die Teilnahme an dem Klausurenkurs bzw. dem Examensrepetitorium sein keine Pflicht gewesen. Man kann durchaus den Besuch von Lehrveranstaltungen als Verpflichtung betrachten ohne dass hierzu eine rechtliche Pflicht bestehen würde. Hatte der Beigeladene aber zu 1) die Möglichkeit, Termine hinsichtlich der vom Kläger organisierten Veranstaltungen abzusagen, so zeigt dies, dass er seine Arbeitszeit durchaus flexibel gestalten und diese den studentischen Aktivitäten anpassen konnte. Betrachtet man sich die in den Akten befindlichen Stundenzettel über die einzelnen Tätigkeiten des Beigeladenen zu 1) beim Beklagten im Jahre 1998, so zeigt sich, dass diese zu den unterschiedlichsten Tageszeiten stattgefunden haben. Manchmal waren sie vormittags, manchmal nachmittags, teilweise auch abends. Äußerst selten fand eine Tätigkeit an mehreren Tagen hintereinander oder den ganzen Tag über statt. Auch dies deutet nach Ansicht des Gerichts darauf hin, dass neben dem Beschäftigungsverhältnis durchaus noch genügend freie und flexibel zu gestaltende Zeit zur Vorbereitung auf die Repetitoriumsveranstaltungen bzw. die Klausurenkurse blieb.
25Alles in allem hat sich aufgrund einer Würdigung der Gesamtumstände für die Kammer ergeben, dass im fraglichen Zeitraum für den Beigeladenen zu 1) sein Studium im Vordergrund gestanden hat. Im Hinblick auf seine Tätigkeit bei dem Kläger ist demnach von einer Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) in dem hier Rede stehenden Zeitraum nicht auszugehen. Es bestand demnach kein Anspruch auf die geforderten Sozialversicherungsbeiträge. Der Bescheid vom 15.12.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.05.2000 war daher insoweit aufzuheben, als darin Sozialversicherungsbeiträge für den Beigeladenen zu 1) in Höhe von 26.415,10 DM geltend gemacht wurden.
26Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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