Urteil vom Sozialgericht Köln - S 23 R 121/09
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 03.07.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2009 ver- pflichtet, die Klägerin für ihre Beschäftigung bei der Beigeladenen in der Zeit vom 01.04.2009 bis 31.10.2010 von der Versicherungs- pflicht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI zu befreien. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte.
1
Tatbestand:
2Umstritten ist eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht wegen Mitgliedschaft im Versorgungswerk der Rechtsanwälte NRW.
3Die Klägerin ist Volljuristin, seit März 2006 Mitglied des Versorgungswerks der Rechtsanwälte im Land Nordrhein-Westfalen. Für eine frühere Tätigkeit bei der Beigeladenen, einer Wirtschaftprüfungsgesellschaft, war die Klägerin mit Bescheid vom 09.08.2006 ab April 2006 von der Rentenversicherungspflicht befreit worden. Die Beklagte führte insoweit ausdrücklich eine Tätigkeit der Klägerin als Rechtsanwältin bei der Beigeladenen im genannten Bescheid an. Im Dezember 2008 beantragte die Klägerin die Befreiung für die Tätigkeit als Rechtsanwältin bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft X. Auf den Inhalt des Antrags und der Bestätigung von X wird Bezug genommen. Mit Bescheid vom 26.01.2009 befreite die Beklagte die Klägerin gleichfalls für die Tätigkeit ab Oktober 2008 bei X von der Rentenversicherungspflicht. Im Mai 2009 wurde ein erneuter Befreiungsantrag gestellt für die wieder aufgenommene Tätigkeit als Rechtsanwältin bei der Beigeladenen ab April 2009. Die Beigeladene bestätigte, dass die Klägerin als Anwältin seit April 2009 ständig tätig sei. Auf den Inhalt der Bestätigung (Bl. 8 VA) wird Bezug genommen. Mit Bescheid vom 03.07.2009 lehnte die Beklagte die erneute Befreiung ab, weil nach der Stellenbeschreibung die Aufgabenfelder "Rechtsentscheidung", "Rechtsgestaltung" und "Rechtsvermittlung" nicht wahrgenommen würden und die Klägerin nicht anwaltlich beschäftigt sei.
4Mit dem Widerspruch wurde vorgetragen, die Klägerin übe dieselbe Tätigkeit aus, für die sie ab April 2006 bereits einmal von der Beklagten befreit worden sei. Vorgelegt wurde eine detaillierte Tätigkeitsbeschreibung der Zeugin Kierdorf. Weiterhin wurde auf Wunsch der Beklagten der Arbeitsvertrag vorgelegt und eine Bestätigung der Zeugin Kierdorf für die Beigeladene, dass die Qualifikation als Rechtsanwältin unabdingbare Voraussetzung für die Einstellung in ihrer Abteilung gewesen sei. Mit Bescheid vom 12.11.2009 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, wegen der Zustimmungspflicht für Nebentätigkeiten nach § 8 des Arbeitsvertrages und Verpflichtung zur Widmung der vollen Arbeitskraft für die Beigeladene sei eine Tätigkeit als Rechtsanwältin ausgeschlossen, weil sie mit den standesrechtlichen Vorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung unvereinbar seien. Rechtsanwälte seien unabhängige Organe der Rechtspflege.
5Mit der noch im November 2009 erhobenen Klage wird eine unwiderrufliche Nebentätigkeitserlaubnis der Beigeladenen für eine Anwaltspraxis der Klägerin von April 2009 vorgelegt. Zur Vermutung der Beklagten, für die Beschäftigung der Klägerin im Arbeitsbereich "Financial Services Tax" dürfte ihre im Briefkopf angegebene Qualifikation als Steuerberaterin/Dipl.-Finanzwirtin maßgebend sei, verweist die Klägerin auf § 5 Rechtsdienstleistungsgesetz. Neben steuerlicher Rechtsberatung erfolge auch allgemeine Rechtsberatung als Nebenleistung z. B. im Bereich Versicherungs-, Aufsichts-, Zivil-, Handels- und Gesellschaftsrecht. Die Klägerin schildert überdies die Bearbeitungsweise in der Abteilung "Financial Services Tax" mit Erstellung eines Gutachtens bzw. Schriftsatzes im behördlichen Verfahren, einer Präsentation und selbständiger Bearbeitung entsprechender Texte. Der abschließende Abstimmungs- und Entscheidungsprozess erfolge zusammen mit einem Prokuristen. Aufgrund des "4-Augen-Prinzips" werde das schriftliche Ergebnis für externen Gebrauch grundsätzlich von einem Prokuristen und dem Verfasser des Textes (in ihrem Fall mit dem Zusatz Rechtsanwältin, Steuerberaterin, Dipl.-Finanzwirtin) unterzeichnet. Hilfsweise begründet sie die Klage mit einer Tätigkeit als Syndikus-Steuerberaterin bei der Beigeladenen. Vorgelegt wird ein Bescheid des Versorgungswerks der Steuerberater vom 11.06.2008 über die Befreiung von der Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk der Steuerberater.
6Die Klägerin beantragt,
7unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 03.07.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2009 die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin die Befreiung von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ab dem 01.04.2009 zu erteilen und mit der Maßgabe die Entscheidung für den Zeitraum vom 01.04.2009 bis 31.10.2010 zu treffen.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Sie hebt hervor, die Klägerin sei nach ihrem Briefkopf auch Steuerberaterin und Dipl.-Finanzwirtin. Für die Tätigkeit im Bereich Financial Services Tax dürfe die Qualifikation als Steuerberaterin, nicht jedoch als Rechtsanwältin entgegen der Angaben der Beigeladenen maßgeblich sein. Tätigkeiten mit anwaltlicher Qualifikation würden von der KPMG Rechtsanwaltsgesellschaft ausgeführt.
11Auch erfülle die Klägerin im Bereich Financial Services Tax nicht das Merkmal der Rechtsentscheidung. Hierfür müsse der Betreffende als rechtskundiger Entscheidungsträger mit Außenwirkung auftreten, wobei eine wesentliche Teilhabe an Entscheidungsprozessen ausreichend sei. Auch müsse der Mitarbeiter den Abstimmungs- und Entscheidungsvorgang im Unternehmen selbst in erheblichem Umfang mitgestaltet haben.
12Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin Kierdorf. Auf den Inhalt der Zeugenaussage und der genannten Unterlagen wird Bezug genommen.
13Entscheidungsgründe:
14Die zulässige Klage ist begründet.
15Die Klägerin ist auch in ihrer erneuten Tätigkeit für die Beigeladene ab 01.04.2009 bis 31.10.2010 als Rechtsanwältin tätig geworden. Unerheblich ist dabei die zusätzliche Qualifikation als Steuerberaterin und Diplom-Finanzwirtin, denn es leuchtet ohne weiteres ein, dass die Angabe solcher zusätzlicher beruflicher Qualifikationen bei Spezialisierung auf das Steuerrecht gerade im Außenbereich den Mandanten eine besondere Kompetenz auf dem Spezialgebiet des Steuerrechts vermittelt. Im Übrigen ist auch für die anwaltliche Tätigkeit eine überwiegend oder ausschließliche Arbeit im Steuerrecht nicht ungewöhnlich, wie sich aus der Bezeichnung "Fachanwalt für Steuerrecht" ergibt. Das Argument der Beklagten bezüglich der Zustimmungspflicht für Nebentätigkeiten hat die Klägerin mit Vorlage der unwiderruflichen Nebentätigkeitserlaubnis widerlegt. Im Übrigen erscheint die Verfahrensweise der Beklagten gemessen an den vorangehenden Befreiungen, insbesondere beim gleichen Arbeitgeber, wenig überzeugend.
16Entscheidend ist die Aussage der Zeugin Kierdorf, welche eine wesentliche Teilhabe an den Entscheidungsprozessen überzeugend dargelegt hat. Die regelmäßig ohne wesentliche Ergänzungen oder Änderungen verwertbaren Entwürfen und eigenständigen Bearbeitungen in steuerrechtlichen Angelegenheiten sind auch nach außen hin erkennbar von der Klägerin als Rechtsanwältin unterzeichnet worden. Plausibel ist dabei die zusätzliche Angabe der weiteren beruflichen Qualifikationen als Diplom-Finanzwirtin und Steuerberaterin, weil dies dem Mandanten regelmäßig auch eine besondere Kompetenz auf dem Gebiet des Steuerrechts vermittelt. Schließlich bestätigt die Zeugin Kierdorf, die Qualifikation als Rechtsanwältin sei unabdingbare Voraussetzung für die Einstellung in ihre Abteilung gewesen und bereits im Vorverfahren vorgelegt worden. Die Zeugin hat insgesamt auch die von der Klägerin im Schriftsatz vom 16.06.2001 (Blatt 51 f. GA) geschilderte Bearbeitung von Aufträgen bestätigt und damit auch die weites gehende Selbständigkeit der Entwürfe mit abschließender Abstimmung zusammen mit der Zeugin oder einem anderen Verantwortlichen. Insoweit ist auch das "Vier-Augen-Prinzip" keine wesentliche Einschränkung der entscheidenden Teilhabe an der Steuerrechtstätigkeit der Klägerin. Auch durch die Unterzeichnung nach dem Vier-Augen-Prinzip wird mit Außenwirkung nicht der Tätigkeitsanteil der Klägerin eingeschränkt, sondern dem Mandanten vermittelt, dass zusätzlich eine weitere Person aus dem Führungsbereich der Beigeladenen die Verantwortung für die entsprechende Entscheidung mitträgt.
17Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.