Urteil vom Sozialgericht Köln - S 40 R 1832/13
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Zugunstenverfahren darüber, ob dem Kläger ein Anspruch auf Neufeststellung seiner Erwerbsminderungsrente unter Berücksichtigung einer Anrechnungszeit für die Zeit vom 29.10.1979 bis 15.07.1980 wegen Teilnahme an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme zusteht.
3Der am 15.03.1962 geborene Kläger siedelte am 01.08.1979 von der Türkei dauerhaft in die Bundesrepublik Deutschland über. Mit Rentenbescheid vom 08.07.2010 in der Fassung des Bescheides vom 22.11.2010 bewilligte die Beklagte ihm für den Zeitraum 01.11.2009 bis 31.03.2012 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Mit Rentenbescheid vom 14.12.2011 erfolgte eine Verlängerung der vollen Rente wegen Erwerbsminderung auf Zeit bis zum 31.03.2015 und mit Bescheid vom 15.12.2014 erfolgte die Gewährung der Erwerbsminderungsrente als Dauerrente.
4Mit Schreiben vom 06.02.2013 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er im Jahre 1979 für die Erlangung der Arbeitserlaubnis über acht Monate in U auf Veranlassung der Stadt O einen Deutschkurs belegt habe. Er bitte insoweit um Mitteilung, ob aus diesem Grunde rentenbedeutsame Zeiten entstünden. Nachfolgend reichte der Kläger bei der Beklagten eine Bescheinigung der F e.V. vom 29.10.1979 zu den Akten. Darin finden sich folgende Ausführungen:
5„Bescheinigung
6Z, geb. 00.00.1962, wohnhaft in O, nimmt z.Z. an einem Kurs im Rahmen der Maßnahmen zur sozialen und beruflichen Eingliederung ausländischer Jugendlicher (MSBE) teil. Der Kurs wird vom Sprachverband Deutsch für ausländische Arbeitnehmer, Mainz, getragen und von der F organisiert. Der Kurs endet mit dem Schuljahr 1979/1980.“
7Mit Bescheid vom 19.07.2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie sein Schreiben als Antrag auf Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) gegen den Rentenbescheid vom 08.07.2010 ansehe. Diesem Antrag auf erneuter Überprüfung könne die Beklagte nicht entsprechen. Zeiten des Besuchs eines Sprachkurses könnten nicht anerkannt werden. Aus der Bescheinigung des J e. V. gehe weder das Beginn- und Enddatum des Kurses, noch der zeitliche Umfang hervor. Diese Bescheinigung reiche zum Nachweis einer Anrechnungszeit wegen Schulausbildung nicht aus.
8Dagegen erhob der Kläger am 31.07.2013 Widerspruch. Mit der Bescheinigung werde ausdrücklich bestätigt, dass der Kläger ab dem 29.10.1979 an dem Deutschkurs für ausländische Arbeitnehmer, als Voraussetzung für die Chance über das Arbeitsamt einen Arbeitsplatz zu bekommen, teilgenommen habe. Der Kläger habe den Kurs bis zum Ende des Schuljahres 1978/1980, d.h. bis zum 15.07.1980 besucht.
9Mit Widerspruchsbescheid vom 12.11.2013 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Anrechnungszeittatsachen im Sinne des § 58 Ab. 1 S. 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) seien nur dann anzuerkennen, wenn sie nachgewiesen würden. Der Beweis könne durch alle geeigneten Unterlagen und durch Zeugen geführt werden. Die vorgelegte Bescheinigung sei zum Nachweis der tatbestandlichen Voraussetzungen im Sinne des § 58 SGB VI nicht geeignet; aus dieser Bescheinigung gehe weder das Beginn- und Enddatum des Kurses noch der zeitliche Umfang hervor.
10Hiergegen richtet sich die am 11.12.2013 erhobene Klage. Aus der Bescheinigung sei klar und eindeutig zu sehen, dass spätestens am 29.10.1979 der Kurs begonnen habe und zum Ende des Schuljahres 1980 beendet worden sei. Das Schuljahr 1980 habe am 15.07.1980 geendet. Der Kläger sei am gleichen Tag mit dem Schulleiter zusammen zum Arbeitsamt gefahren, um seine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Der Kläger habe dann ab dem 06.10.1980 gearbeitet.
11Der Kläger beantragt,
12die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.07.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2013 zu verpflichten, den Rentenbescheid vom 08.07.2010 nebst Folgebescheide zurückzunehmen und seine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit unter Berücksichtigung einer zusätzlichen Anrechnungszeit vom 29.10.79 bis 15.07.1980 neu zu berechnen.
13Die Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Sie führt aus, dass sich aus der vorliegenden Bescheinigung nicht ergebe, dass der Kläger in der Zeit vom 29.10.1979 bis Ende des Schuljahres 1979/1980 an dem Kurs teilgenommen habe und in welchem Umfang der Kurs stattgefunden hat.
16Das Gericht hat sich schriftlich an den J e.V. gewandt und um Mitteilung gebeten, ob noch Unterlagen bezüglich der Teilnahme des Klägers an dem damaligen Kurs vorhanden sind, oder auf anderweitigem Wege Informationen darüber, etwa durch Benennung der Adresse des damaligen Kurslehrers Herrn X, erfragt werden könnten. Mit Schreiben vom 19.02.2014 teilte der J e.V. mit, dass keine Unterlagen über den Kläger mehr vorliegen und man in dieser Angelegenheit nicht weiterhelfen kann. Auf Nachfrage des Gerichts nach anderweitigen Beweismitteln hat der Kläger mitgeteilt, selbst nochmal bei F angefragt zu haben. Dies jedoch auch ohne positives Ergebnis.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte Bezug genommen, die der Kammer bei Entscheidung vorgelegen haben.
18Entscheidungsgründe:
19Die zulässige Klage ist unbegründet.
20Der Bescheid der Beklagten vom 19.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Zu Recht hat die Beklagte es abgelehnt, die Rente des Klägers unter Berücksichtigung einer zusätzlichen Anrechnungszeit vom 29.10.1979 bis 15.07.1980 neu zu berechnen. Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Anrechnungszeit sind in dem genannten Zeitraum nicht nachgewiesen.
21Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die Rücknahme des Bescheides vom 08.07.2010 sowie der Folgebescheide bei gleichzeitiger Anerkennung der Zeit vom 29.10.1979 bis 15.07.1980 als Anrechnungszeit wegen einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI. Gemäß § 44 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Vorliegend ist bei Erlass des Bescheids vom 08.07.2010 sowie der Folgebescheide zu Recht davon ausgegangen worden, dass die Zeit vom 29.10.1979 bis 15.07.1980 nicht als Anrechnungszeit wegen einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI anzuerkennen ist. Nach dieser Vorschrift sind Anrechnungszeiten Zeiten, in denen Versicherte nach dem vollendeten 17. Lebensjahr eine Schule, Fachschule oder Hochschule besucht oder an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme teilgenommen haben, insgesamt jedoch höchstens bis zu acht Jahren. Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen sind gemäß § 58 Abs. 1 S. 2 SGB VI alle beruflichen Bildungsmaßnahmen, die auf die Aufnahme einer Berufsausbildung vorbereiten oder der beruflichen Eingliederung dienen, sowie Vorbereitungslehrgänge zum nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses und allgemeinbildende Kurse zum Abbau von schwerwiegenden beruflichen Bildungsdefiziten. Mit Blick darauf, dass Anrechnungszeiten Beiträge ersetzen sollen, die aus besonderen in der Person des Versicherten liegenden Umständen nicht gezahlt werden konnten, kann eine schulische Ausbildung nur dann als solche berücksichtigt werden, wenn der Versicherte wegen der zeitlichen Inanspruchnahme durch die Ausbildung daran gehindert war, eine ansonsten zumutbare versicherte Beschäftigung auszuüben, wofür regelmäßig ein Zeitaufwand von 20 Wochenstunden anzusetzen ist (vgl. Dankelmann in Kreikebohm, 4. Auflage 2013, § 58, Rn 34) Vorliegend kommt eine Anerkennung der begehrten Anrechnungszeit nicht in Betracht, da diese nicht nachgewiesen ist.
22Der Nachweis einer behaupteten Tatsache ist erbracht, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 128, Rn 3 b). Entsprechende Nachweise hat der Kläger nicht erbracht. Wenngleich nach dem Vorbringen des Klägers und der Aussage der Zeugin unter Berücksichtigung der vorgelegten Bescheinigung eine Teilnahme des Klägers an der Maßnahme denkbar ist, vermochte das Gericht sich nicht in dem erforderlichen Umfang des Vollbeweises, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von der Teilnahme des Klägers an der Maßnahme im Zeitraum 29.10.1979 bis 15.07.1980 in einem Zeit und Arbeitskraft überwiegend beanspruchenden Umfang, d.h. von mindestens 20 Stunden pro Woche zu überzeugen.
23Aus der vorgelegten Bescheinigung vom 29.10.1979 geht lediglich hervor, dass der Kläger am 29.10.2979 an dem Kurs teilnimmt und der Kurs bis zum Ende des Schuljahres andauern soll. Nicht entnehmen kann man der Bescheinigung, seit wann der Kläger hieran teilnimmt, ob er den Kurs bis zum Ende besucht hat und in welchem zeitlichen Umfang der Kurs stattgefunden hat. Auch der Kläger selbst konnte sich an konkrete Daten nicht erinnern und hat den begehrten Beginnzeitpunkt der Anrechnungszeit der Bescheinigung und den Endzeitpunkt allgemeinen Unterlagen über das Schuljahr 1979/1980 entnommen, das im Übrigen mit den Sommerferien am 19.06.1980 und nicht am 15.07.1980 endete.
24Auch die Zeugin konnte sich – nachvollziehbarerweise - an konkrete Daten und den zeitlichen Umfang der Maßnahme nicht erinnern. Weitere Nachweise liegen nicht vor und lassen sich auch nicht ermitteln.
25Den von dem Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen war nicht nachzugehen, weil der als Zeuge benannte Dolmetscher, der den Kläger nach seinem Vorbringen nicht persönlich kannte, sondern lediglich früher als Deutschlehrer bei dem Verein Eirene tätig war, keinerlei Aussage über Beginn, Ende und Umfang des Kurses des Klägers sowie die Teilnahme des Klägers hieran hätte treffen können.
26Im Übrigen hatte der Kläger persönlich bereits hinreichend Gelegenheit, zu den hier maßgeblichen Tatsachen, die auch bereits schriftlich von Seiten der Beklagten thematisiert wurden, Stellung zu beziehen.
27Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
28Rechtsmittelbelehrung:
29Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
30Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim
31Landessozialgericht
32Nordrhein-Westfalen,
33Zweigertstraße 54,
3445130 Essen,
35schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
36Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem
37Sozialgericht Köln,
38An den Dominikanern 2,
3950668 Köln,
40schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
41Die Berufungsschrift muss bis zum Ablauf der Frist bei einem der vorgenannten Gerichte eingegangen sein. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
42Die Einreichung in elektronischer Form erfolgt durch die Übertragung des elektronischen Dokuments in die elektronische Poststelle. Diese ist über die Internetseite www.sg-koeln.nrw.de erreichbar. Die elektronische Form wird nur gewahrt durch eine qualifiziert signierte Datei, die den Maßgaben der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei den Sozialgerichten im Lande Nordrhein-Westfalen (ERVVO SG) vom 07.11.2012 (GV.NRW, 551) entspricht. Hierzu sind die elektronischen Dokumente mit einer qualifizierten Signatur nach § 2 Nummer 3 des Signaturgesetzes vom 16.05.2001 (BGBl. I, 876) in der jeweils geltenden Fassung zu versehen. Die qualifizierte elektronische Signatur und das ihr zugrunde liegende Zertifikat müssen durch das Gericht überprüfbar sein. Auf der Internetseite www.justiz.nrw.de sind die Bearbeitungsvoraussetzungen bekanntgegeben.
43Zusätzlich wird darauf hingewiesen, dass einem Beteiligten auf seinen Antrag für das Verfahren vor dem Landessozialgericht unter bestimmten Voraussetzungen Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann.
44Gegen das Urteil steht den Beteiligten die Revision zum Bundessozialgericht unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn sie von dem Sozialgericht auf Antrag durch Beschluss zugelassen wird. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Köln schriftlich zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen.
45Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.
46Die Einlegung der Revision und die Zustimmung des Gegners gelten als Verzicht auf die Berufung, wenn das Sozialgericht die Revision zugelassen hat.
47Haas
48Richterin am Sozialgericht
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