Urteil vom Sozialgericht Köln - S 26 KR 650/12
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind unter den Beteiligten nicht zu erstatten.
1
Tatbestand:
2Streitig ist, ob die 1959 geborene Klägerin zu Lasten der Beklagten eine Brustverkleinerungs-Operation beanspruchen kann. Am 07.07.2011 beantragte sie unter Vorlage ärztlicher Atteste die Kostenübernahme für eine operative Brustverkleinerung (3 – 5 Tage Krankenhausdauer).
3Die Beklagte holte ein sozialmedizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Nordrhein (MDK) ein, prüfte den Sachverhalt und lehnte dann den Antrag mit Bescheid vom 13.07.2011 ab. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und machte geltend, durch eine Reduktionsplastik beider Brüste könnten die bei ihr bestehenden Schmerzen auf orthopädischem Gebiet gestoppt und teure physiotherapeutische Behandlungen vermieden werden.
4Mit Widerspruchsbescheid vom 12.07.2012 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Rechtsbehelf der Klägerin zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung sei ein über kosmetische Defizite hinausgehender regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedürfe. Nicht jeder Unregelmäßigkeit komme Krankheitswert im Rechtssinne zu. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) habe diese Grundvoraussetzung für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht vielmehr dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliege, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt werde oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirke. Nach den schlüssigen sozialmedizinischen Feststellungen des MDK aufgrund einer Auswertung der Befundberichte und ärztlichen Stellungnahmen liege eine behandlungsbedürftige Erkrankung an den Brüsten selbst nicht vor. Daher sei eine Brustkorrektur medizinisch nicht notwendig. Ergänzend habe der MDK festgestellt, dass die Klägerin mit einem BMI von 30 übergewichtig sei und die Größe der Brüste mit dem Gewicht korreliere. Eine Asymmetrie der Brüste liege nach Ansicht des MDK nicht vor. Dieser empfehle eine Gewichtsreduzierung bis zum Normgewicht. Es sei nicht nachvollziehbar, wie etwa 1,4 kg Resektion der Brüste einen wesentlichen Einfluss auf die Wirbelsäule haben könne. Der MDK habe in einem weiteren Gutachten von Mai 2012 die Feststellungen des Erstgutachters bestätigt. Anhand der Fotodokumentation sei festgestellt worden, dass bei der Klägerin eine Mammahypertrophie mit deutlicher Ptosis vorliege. Ob die von der Klägerin angegebenen Beschwerden seitens des Bewegungsapparates überhaupt auf das Brustlastgewicht zurückzuführen sei, bleibe fraglich, zumal ein Zustand nach OP eines Bandscheibenvorfalls im Bereich der Halswirbelsäule bekannt sei. Es gebe bisher keine wissenschaftlichen Untersuchungen – im Sinne evidenzbasierter Medizin, die eine erhebliche Verbesserung oder Heilung von Erkrankungen der Wirbelsäule durch eine Korrektur der Brüste belegen könne. Die Ptosis selbst sei als Normvariante zu beurteilen. Daher liege kein krankheitswerter Befund vor und es ergebe sich auch keine Indikation für eine Operation.
5Gegen diesen am 18.07.2012 bei ihr eingegangenen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 14.08.2012 Klage erhoben.
6Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, nur durch die geplante Brust-OP könnten die orthopädischen Veränderungen gestoppt und teure physiotherapeutische Behandlungen vermieden werden. Seit 10 Jahren leide sie unter sehr starken Dauerkopfschmerzen, ausgelöst durch Bewegung der Halswirbelsäule, Schultern, Arm, Brustkorb. Ferner liege eine Muskelverspannung, LWS, BWS, HWS, Facettensyndrom, Muskel- und Gelenkschmerzen, regelmäßige Wirbelblockaden, Schlafstörungen, Schwindel, Wetterfühligkeit und Steifheit vor. Seit 2002 befinde sie sich in orthopädischer Behandlung und sei mit Heißluft, Strecken der HWS etc. behandelt worden. Von 2003 bis 2010 sei sie in einer Schmerzambulanz in Bonn in Behandlung gewesen. Seit 2010 werde sie von einem Neurochirurgen betreut. Dort seien ihr Schmerzmittel mit Hilfe eines Röntgengerätes in die HWS gespritzt worden. Da die Behandlung ohne Erfolg verlaufen sei, sei die HWS vereist worden. Auch diese Behandlung habe keine Linderung gebracht. Im November 2011 sei ein Bandscheibenvorfall operiert und eine Titanplatte eingesetzt worden. Von August 1994 bis Dezember 2008 habe sie regelmäßig physiotherapeutische Behandlungen verschiedener Art erhalten. Zudem besitze sie seit 2003 ein Tensgerät. Von November 2003 bis Januar 2004 habe sie eine ambulante Rehamaßnahme in Hennef absolviert. Danach sei im Rehazentrum Bonn eine FBZ-Maßnahme über 40 Einheiten durchgeführt worden. Seit Juni 2009 besuche sie regelmäßig zweimal wöchentlich das Fitness-Studio XXXXXXXXXXX. Dort trainiere sie an Geräten, welche von Physiotherapeuten über den Computer speziell für sie eingestellt worden seien. Zusätzlich gehe sie einmal wöchentlich zu dem Kurs Bauch/Beine/Po. Durch die große Brust sei die Muskulatur im Rücken und der HWS stets total verhärtet. Gleichzeitig habe sie oft Knoten in der Brust, welche ebenfalls Muskelverhärtungen seien.
7Die Klägerin beantragt,
8die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.07.2011
9in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2012 zu ver-
10urteilen, die Kosten für eine Brustreduktions-OP an beiden
11Brüsten der Klägerin zu übernehmen.
12Die Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Sie weist darauf hin, dass die Klägerin die unmittelbaren Maßnahmen zur Behandlung der orthopädischen Beschwerden nicht ausgeschöpft habe. Seit 2009 sei keine orthopädische Behandlung und keine Heilmitteltherapie mehr feststellbar. Chronische Erkrankungen des Brustbewegungsapparates seien durch die Brustoperation nicht zu verbessern.
15Nach der Rechtsprechung des BSG bedürfe jede nur mittelbare Behandlung einer Erkrankung einer speziellen Rechtfertigung. Wenn die therapeutischen Bemühungen dort ansetzen, wo für sich genommen eine Behandlung nicht erforderlich sei, müsse eine besonders umfassende Abwägung zwischen voraussichtlichen medizinischem Nutzen und möglichem Schaden erfolgen. Noch strengere Anforderungen müssten dann gelten, wenn die Behandlung eine gezielte Verletzung gesunder Körpersubstanz voraussetze, was bei der Brust-OP der Fall sei. Das Abwägungsproblem zwischen Heilungschance und Verschlimmerungsrisiko stelle sich in den Fällen eines bewussten körperlichen Eingriffs mit besonderer Schärfe. Der teure therapeutische Nutzen der angestrebten OP sei nicht ausreichend gesichert. Bei der Frage, mit welchem Grad von Gewissheit ein Erfolg zu erwarten sein müsse und aus welchen Umständen auf die erforderlichen Erfolgsaussichten geschlossen werden dürfe, sei § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V zu beachten. Danach müssten Qualität und Wirksamkeit der Leistungen der Krankenversicherung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Daraus habe das BSG gefolgert, dass ein nur möglicher Behandlungserfolg grundsätzlich nicht geeignet sei, die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht zu begründen. Vielmehr sei dazu in der Regel erforderlich, dass sich die Behandlung in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Fällen als erfolgreich erwiesen habe und dies durch wissenschaftlich einwandfrei geführte Statistiken belegt sei. Daran fehle es bis heute. Bislang sei ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule und dem Brustgewicht nach wissenschaftlichen Kriterien nicht belegt. Eine Entlastung der Wirbelsäule sowie des Hüft- und Kniegelenkes sei vielmehr durch eine allgemeine Gewichtsreduktion erreichbar und bedürfe keines chirurgischen Eingriffs in ein gesundes Organ. Wirbelsäulen- und Gelenkserkrankungen seien in der Bevölkerung außerordentlich verbreitet, ohne dass eine Mammahypertrophie vorliege. Somit könne nicht davon ausgegangen werden, dass die orthopädischen Gesundheitsstörungen mit ausreichender Wahrscheinlichkeit allein durch das erhöhte Brustgewicht verursacht seien. Es gebe keine evidenzbasierten Studien über den Kausalzusammenhang zwischen der Brustgröße und Brustlast einerseits und orthopädischen Erkrankungen andererseits. Sofern die Klägerin seit Februar 2015 eine konservative Behandlung mittels Heilmitteln begonnen habe, bleibe deren Ausschöpfung und Behandlungsergebnis zunächst ohnehin abzuwarten. Üblicherweise könnten durch Physiotherapie orthopädische Beschwerden gelindert werden. Es sei nicht ersichtlich, warum dies im Fall der Klägerin nicht ebenfalls möglich sein könne.
16Das Gericht hat von Amts wegen Befundberichte von dem Neurochirurgen Dr. XXXX und dem Orthopäden Dr. XXXXXXXXX eingeholt.
17Sodann wurde ein Sachverständigengutachten bei dem Orthopäden/Chirurgen/Unfall-chirurgen Dr. XXXXXXXXXX gemäß § 106 SGG in Auftrag gegeben, welcher die Klägerin am 07.11.2013 untersucht hat.
18Dieser Sachverständige stellte folgende Diagnosen:
19- chronisch schmerzhaftes Nacken-Schulter-Arm-Syndrom bei Verschleiß
20der HWS und Status nach operativer Behandlung
21- Status nach operativer Behandlung bei Verschleißschäden der Schulter-
22gelenke beidseits
23- Status nach Nervendekompressions-OP am rechten Handgelenk
24- generalisiertes Schmerzsyndrom bei Fibromyalgie
25- skoliotische Fehlhaltung der Rumpfwirbelsäule mit Verschleiß
26- Gelenkverschleiß der unteren Extremitäten.
27Im Bereich der Brüste stellte der Sachverständige eine sogenannte Makromastie mit Ptose fest. Organbezogen liege hier jedoch keine Krankheit vor; die Beschaffenheit der Brüste führe nicht zu einer wie auch immer gearteten Beeinträchtigung der Körperfunktion. Die Brustverkleinerungs-OP sei aus medizinischer bzw. ärztlicher Sicht nicht indiziert. Für die chronisch vorhandene Schmerzproblematik auf dem Boden der dokumentierten Verschleißschäden solle neben einer anzustrebenden Gewichtsreduktion das erkrankungstypische Konzept der medico-physikalischen Dauertherapie fortgeführt werden, bedarfsorientiert begleitet durch entsprechende Schmerzmedikation bzw. durch Anwendung des Tens-Gerätes.
28Es gebe keine wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse hinsichtlich der tatsächlich nachweisbaren Kausalität zwischen einer Makromastie und einem schmerzhaften Nacken-Schulter-Arm-Syndrom. Die zahlreichen Einzelinformationen zu den unterschiedlichen Erkrankungstatbeständen im Bereich des Nackens, des Schultergürtels und der Schultergelenke sowie der Rumpfwirbelsäule erklärten für sich allein bereits hinlänglich das chronisch-schmerzhafte HWS-Syndrom. Ferner sei auf die OP der Halswirbelsäule im November 2011 zu verweisen. Jede operative Intervention an der eigentlich organisch gesunden Brust hinterlasse notwendigerweise Narbenfelder, die in Zukunft jedwede Mamma-Diagnostik erschwerten, abgesehen vom üblichen und typischen Operationsrisiko im Sinne von potenziell auftretenden Nachblutungen bzw. Infekten. Auch sei darauf hinzuweisen, dass das jeweils avisierte Resektionsgewicht von je 700 g pro Seite in Relation zur allgemeinen Übergewichtigkeit von aktuell 88 kg bei einer Größe von 1,67 m und in Relation zu den umfänglich degenerativen Veränderungen der Hals- und Rumpfwirbelsäule keine entscheidende Größe sein würde.
29Auf Antrag der Klägerin ist dann gemäß § 109 SGG ein weiteres Gutachten von dem Facharzt für Chirurgie, plastische und ästhetische Chirurgie, Handchirurgie Dr. XXXXXXX eingeholt worden, welcher die Klägerin am 24.07.2014 untersucht hat.
30Dieser Gutachter hat folgende Gesundheitsstörungen bei der Klägerin festgestellt:
31- chronische Kopfschmerzen
32- Polyarthrose
33- Muskelschmerzen
34- Fibromyalgie
35- generalisiertes Schmerzsyndrom
36- degenerative Veränderungen der Wirbelsäule
37- degenerative Bandscheibenschäden
38- Nervenwurzelreizung
39- Skoliose
40- Lymphödem
41- Krampfadern der Beine
42- Hüftgelenksverschleiß bds.
43- Kniegelenksverschleiß bds.
44- Schulter Bewegungsstörungen rechts.
45Im Bereich der Brust hat der Sachverständige folgende Erkrankungen festgestellt:
46- Mammahypertrophie
47- Mastodynie
48- Mammaptose Grad IV (Ptose).
49Durch diese Beschwerden sei die Klägerin in Körperfunktionen beeinträchtigt, z. B. verminderte körperliche Belastbarkeit, insbesondere bei der Ausübung von Sport, Einschränkung des Schlafverhaltens und Verstärkung der Schmerzen im Schulter-Nacken-Bereich. Es bestehe eine medizinische Indikation zur Brustoperation bei der Klägerin. Hierdurch komme es zu einer Entlastung der Wirbelsäule mit konsekutiver Schmerzreduktion im Bereich der bereits geschädigten Brustwirbelsäule sowie des Nacken-Schulter-Bereichs. Ferner werde die körperliche Belastbarkeit, das Selbstwertgefühl und das Schlafverhalten verbessert. Nicht operative Maßnahmen, wie sie von Dr. XXXXXXX vorgeschlagen worden seien, seien von der Klägerin bereits weitestgehend durchgeführt worden. Durch eine alleinige Gewichtsreduktion werde die krankhaft asymmetrische Verteilung des Brustgewichtes nicht beeinflusst. Der BMI von 31 ziehe sich durch die gesamte Akte als Gegenargument für eine OP. Dies sei in mehreren Studien entkräftet worden. Die Mammahypertrophie sei eine eigene Erkrankung, die bei der Klägerin bereits als junger normgewichtiger Frau mit entsprechenden Sekundärbeschwerden aufgetreten sei. Allein durch die Korrektur der Brustmasse werde der bereits geschädigte Halteapparat im Bereich Brust- und HWS nennenswert entlastet. Daher sei durch eine Brustreduktion die krankhafte Vergrößerung des Brustdrüsengewebes korrigierbar.
50In einer in einem orthopädischen Journal veröffentlichten Studie von 2012 hätten 339 Frauen einen Fragebogen beantwortet. Es sei die Brustgröße, die BH-Größe, Schulter- und Armschmerzen erfragt worden. Es habe sich eine signifikante positive Korrelation zwischen Schulter-Nacken-Schmerzen und Cup-Größe ergeben. Die Irrtumswahrscheinlichkeit habe bei unter 5 Prozent gelegen. Auch andere Literaturquellen zeigten einen negativen Einfluss einer großen Brust auf die Haltung und damit Position der Wirbelsäule oder eine Verbesserung eben dieser negativen Einflüsse nach einer OP. Im kanadischen Journal für plastische Chirurgie sei eine signifikante Reduktion der Schmerzen im Nacken-Rücken-Schulter und Armbereich nach erfolgter Brustreduktion nachgewiesen. Bei den Probanden sei es durch die Brustverkleinerung zu einer Verbesserung der Körperhaltung gekommen. Insbesondere durch eine bessere Ausrichtung von Schulter, Körper und Becken. Dadurch sei es zu einer Verminderung der Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule und der oben Extremität gekommen. Die Quelle stamme aus dem Jahr 2013.
51Anschließend hat das Gericht von Amts wegen gemäß § 106 SGG ein weiteres Gutachten von dem Facharzt für Orthopädie Dr. XXXXXXXX eingeholt, der die Klägerin im Februar 2015 untersucht hat.
52Dieser hat bei der Klägerin auf orthopädischem Fachgebiet chronisch rezidivierende Cervicalgien und Dorsalgien bei myostatischer Insuffizienz und degenerativen Veränderungen des Achsenorgans festgestellt. Die bei der Klägerin im Bereich des Rückens, des Nackens und der Schulter sowie im Bereich der Brust vorliegenden Gesundheitsstörungen stellten einen regelwidrigen Körperzustand dar, welcher die Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung der Klägerin bzw. die Beeinträchtigung von Körperfunktionen zur Folge habe. Die gewünschte OP stelle eine Behandlung dar, die unmittelbar an der Krankheit ansetze. Sie sei auch zur Behandlung dieser Erkrankung erforderlich. Sie sei auch wirtschaftlich, als damit zu rechnen sei, dass eine Reduktion der verordneten physikalisch-medizinischen Behandlungsmaßnahmen mittelfristig möglich sei und die Klägerin mehr zu Therapien übergehen könne, die sie selbständig zu Hause durchführe.
53Die Makromastie stehe nicht mit der Stammadipositas in Verbindung, sondern bestehe eigenständig. Die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule bzw. der inzwischen voroperierte cervicale Bandscheibenvorfall stünden also nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der bestehenden Makromastie. Es werde immer wieder darauf hingewiesen, dass es keinen wissenschaftlich untermauerten Beweis dafür gebe, dass die Makromastie mit Beschwerden und Verspannungen im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule zusammenhänge. Es sei richtig, dass bei Gewichtung der entsprechenden wissenschaftlichen Untersuchungen eine Evidenzklasse 1 oder 2 bei Betrachtung der diesbezüglichen Studien nicht vergeben werden könne. Dies treffe jedoch auf die meisten orthopädischen Behandlungsmethoden zu. Die Evidenzklasse im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Makromastie und Beschwerden in der Hals- und Brustwirbelsäule sei auf 3 einzustufen, bewege sich also ungefähr auf dem Niveau der Evidenzklasse der in der Orthopädie allgemein verbreiteten Akupunkturbehandlung. Zur Stellung der diesbezüglichen Operationsindikation (Brustverkleinerung) reiche die Evidenzklasse 3 aus orthopädischer Sicht vollständig aus. Es entspreche der allgemeinen fachärztlichen Erfahrung in der Orthopädie, dass durch eine Brustverkleinerung in geeigneten Fällen praktisch immer eine deutliche Verbesserung der das Schmerzbild unterhaltenden Verspannungen und der Folgen einer myostatischen Insuffizienz möglich sei, sofern postoperativ auch weiterhin physikalisch-therapeutische Behandlungsmaßnahmen durchgeführt würden. Das von Dr. XXXXXXXXXXXXX errechnete Reduktionsgewicht bewirke auch schon aus mechanischen Gründen eine Entlastung des Schultergürtels.
54Nach Kritik der Beklagten an diesem Gutachten hat der Sachverständige Dr. XXXXXXXXXX ergänzend ausgeführt, bei der Klägerin seien konkurrierende Faktoren zur Entstehung des Beschwerdebildes auszuschließen, so dass dies den Pathomechanismus bestätige, der über die Schwerpunktverlagerung nach ventral durch die Makromastie zu einer Überlastung des muskulären ligamentären Halteapparates der Hals- und Brustwirbelsäule führe. In der gesamten einschlägigen Literatur sei kein einziger Artikel zu finden, der einen Kausalzusammenhang zwischen einer Makromastie und einem cervicalen und dorsalen Schmerzsyndrom von vornherein ausschließe. Es sei lediglich so, dass nach den Regeln des EBM noch keine Studien vorlägen, die dem höchsten wissenschaftlichen Standard entsprächen. Was die Ausschöpfung der konservativen Behandlung mittels Heilmittel angehe, so könnten durch Physiotherapie orthopädische Beschwerden zwar gelindert werden. Unter optimalen Bedingungen sei auch damit zu rechnen, dass die Beschwerden der Klägerin sich durch intensive physikalisch-therapeutische Behandlungsmaßnahmen zunächst kurzzeitig bessern könnten. Die krankheitsauslösende Ursache, nämlich die Fehlstatik durch Verlagerung des Körperschwerpunktes nach vorne, könne hierdurch jedoch nicht beeinflusst werden; eine solche Besserung, sofern sie eintrete, werde deshalb nur von kurzer Dauer sein, so dass die Indikation zur Mammareduktionsplastik nicht berührt werde.
55Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den gesamten Inhalt der Gerichtsakte sowie der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten nebst ärztlichen Unterlagen verwiesen.
56Entscheidungsgründe:
57Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zwar zulässig, jedoch nicht begründet. Denn die angefochtenen Bescheide der Beklagten entsprechen im Ergebnis der Sach- und Rechtslage und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
58Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Durchführung einer Brustverkleinerungs-OP im stationären Rahmen auf Kosten der Beklagten.
59Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Satz 2 Nr. 5 dieser Vorschrift umfasst die Krankenbehandlung unter anderem auch die Krankenhausbehandlung. Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann.
60Wie die übrigen Behandlungsformen müssen auch solche im Krankenhaus den in §§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 28 Abs. 1 SGB V für die gesamte gesetzliche Krankenversicherung festgelegten Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitskriterien genügen. § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V bestimmt allgemein, dass die Leistungen der Krankenversicherung nach Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Den Qualitätskriterien des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V entspricht eine Behandlung, wenn die „große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler)“ die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dies setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein. Als Basis für die Herausbildung eines Konsenses können alle international zugänglichen einschlägigen Studien dienen; in ihrer Gesamtheit kennzeichnen diese den Stand der medizinischen Erkenntnisse (vgl. BSG, Urteil vom 21.03.2013 – B 3 KR 2/12 R m.w.N.).
61Der Anspruch auf Krankenhausbehandlung erfordert jedoch auch dann, wenn der GBA – wie hier zur Frage von Brustverkleinerungs-OP´s zur Behandlung von orthopädischen Leiden- noch nicht über die Zulässigkeit der Behandlungsmethode im Krankenhaus entschieden hat, dass die angewandte Methode zur Zeit der Behandlung vom Qualitätsgebot des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse oder den Voraussetzungen grundrechtsorientierter Leistungsauslegung genügt. Nur insoweit entspricht der Vergütungsanspruch des Krankenhauses dem Anspruch der Versicherten auf stationäre Behandlung. Sind die praktischen Möglichkeiten erzielbarer Evidenz eingeschränkt, können sich allerdings auch die Anforderungen an das Evidenzniveau des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse vermindern (BSG Urteil vom 17.12.2013 – B 1 KR 70/12 R ). Die einzige Ausnahme bildet nach § 137 Abs. 2 Satz 2 SGB V die – hier nicht einschlägige – Durchführung klinischer Studien. Behandlungen im Rahmen solcher Studien waren und sind daher zur Förderung des medizinischen Fortschrittes stets zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abrechenbar.
62Die rechtstechnisch unterschiedliche Gestaltung einerseits von § 135 Abs. 1 SGB V als „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“ für die ambulante vertragsärztliche Versorgung und andererseits von § 137 c Abs. 1 SGB V als „Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt“ für die stationäre Versorgung im Krankenhaus sowie Wortlaut und Regelungszweck von § 137 c Abs. 1 SGB V gebieten es nicht, bereits im Rahmen der Prüfung, ob Nachweise zur Wirksamkeit der Methode bei der beanspruchten Indikation vorliegen, unterschiedliche Maßstäbe zur Beurteilung der therapeutischen Wirksamkeit einer Behandlungsmethode im ambulanten oder stationären Versorgungsbereich zur Anwendung zu bringen. Trotz der andersartigen Normstruktur und des unterschiedlichen Wortlautes von § 135 Abs. 1, 137 c Abs. 1 SGB V ist die Methodenbewertung im SGB V prinzipiell bereichsübergreifend angelegt (vgl. Urteil des BSG vom 06.05.2009 – B 6 A 1/08 R = BSGE 103, 106 – 134).
63Derzeit können zur Qualität und Wirksamkeit von Brustresektions-OP´s zur Bekämpfung von orthopädischen Beschwerden im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V keine zuverlässigen, wissenschaftlich nachprüfbaren Aussagen gemacht werden. Es fehlen wissenschaftlich einwandfrei durchgeführte Studien über die Wirksamkeit der Methode.
64Die Kammer folgt insoweit den übereinstimmenden Feststellungen der Gutachter Dr. XXXXXXXX und Dr. XXXXXXXX. Auch letzterer räumt ein, dass Studien der Evidenzklasse 1+2 diesbezüglich nicht vorliegen. Aus einer Vielzahl entschiedener Parallelfälle ist der Kammer bekannt, dass die Kausalität zwischen einem hohen Brustgewicht und orthopädischen Leiden (insbesondere bei einem gleichzeitig bestehenden Übergewicht) unter Orthopäden heftig umstritten ist; ein Konsens in der Fachwelt besteht insoweit nicht.
65So führten auch die Landessozialgerichte Niedersachsen- Bremen (Urteil vom 07.10.2013- L 4 KR 477/11-) und NRW (Urteil vom 17.09.2013 –L 1 KR 625/11-) nach umfassender Recherche aus, es gebe keine wissenschaftlichen Erkenntnisse zu einem ursächlichen Zusammenhang zwischen orthopädischen Gesundheitsstörungen und der Brustgröße. Auch für die Kammer ist nicht nachvollziehbar, inwieweit eine Resektion von 1,4 kg Brustgewebe bei einem gleichzeitigen Übergewicht von etwa 15 kg einen entscheidenden und wesentlichen Einfluss auf die bei der Klägerin bestehenden mannigfaltigen orthopädischen Beschwerden haben kann.
66Im Übrigen hält der orthopädische Sachverständige Dr. XXXXXXXX auch nach der begehrten Brust-OP zunächst weiterhin physikalisch-medizinische Behandlungsmaßnahmen für erforderlich, die von der Klägerin erst seit Anfang 2015 wieder in Anspruch genommen werden, nach einer mehrjährigen Unterbrechung. Zu Recht hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass derartige Maßnahmen üblicherweise orthopädische Beschwerden lindern und der Erfolg zunächst abzuwarten bleibt.
67Nachvollziehbar hat der Sachverständige Dr. XXXXXXXXX zudem auf die Risiken der gewünschten Brust-OP hingewiesen, die sich hier nicht als Ultima- Ratio-Behandlung darstellt.
68Aus Sicht der erkennenden Kammer kann die Klage deshalb keinen Erfolg haben.
69Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
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