Urteil vom Sozialgericht Magdeburg (8. Kammer) - S 8 U 205/13

Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

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Zwischen den Beteiligten ist die die Anerkennung einer Brustkrebserkrankung als Berufskrankheit (BK) umstritten.

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Die am ... geborene Klägerin hat den Beruf der Krankenschwester erlernt und in diesem Beruf bis August 2012 im Drei-Schicht-System gearbeitet, als sie an einem Brustkrebs erkrankte.

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Die Fachärztin für Allgemeinmedizin und Arbeitsmedizin Dipl.-Med ... zeigte der Beklagten am 27. Mai 2013 den Verdacht einer BK an. Der Brustkrebs sei durch Schichtarbeit entstanden. Die Beklagte zog den Entlassungsbericht der im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung vom 8. bis zum 29. November 2012 durchgeführten Rehabilitation bei. Danach fand am 17. Oktober 2012 eine subkutane Mastektomie beiderseits statt. Die Beklagte teilte der Klägerin im Sinne einer Beratung mit, dass die Erkrankung nicht in der BK-Liste geführt sei und auch keine medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse bestünden, wonach eine Erkrankung durch besondere Einwirkungen verursacht werde, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in besonderem Maße erheblich belastet seien. Die Beklagte fügte die BK-Liste bei. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, worauf die Beklagte mitteilte, dass dies gegen eine Beratung nicht möglich sei.

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Die Beklagte befragte die Landesgewerbeärztin Dr ... Diese führte unter dem 9. Juli 2013 aus, die wissenschaftliche Belastbarkeit für einen kausalen Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und Brustkrebs werde als beschränkt bewertet. Eine generelle Häufung von Krebserkrankungen bei Schichtarbeit sei in epidemiologischen Studien nicht beobachtet worden. Die Tendenz weise auf einen Forschungsbedarf hin, für einen möglichen Mechanismus, der einen Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und Brustkrebs erklären könne, gebe es theoretische Überlegungen. Eine hinreichende Klärung gebe es indes nicht. Insgesamt lasse sich aus den vorliegenden Studien kein erhöhtes Risiko für den Menschen aufgrund von Schichtarbeit belegen. Deswegen werde die Anerkennung eines Mammakarzinoms als BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII nicht empfohlen. Die im DGUV-Report 1/2012 veröffentliche Studie der IARC (International Agency für Research on Cancer) fügte die Landesgewerbeärztin bei.

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Mit Bescheid vom 15. Juli 2013 lehnte es die Beklagte ab, die Brustkrebserkrankung der Klägerin als BK anzuerkennen, da sie nicht in der BK-Liste geführt sei. Außerdem lägen keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, dass eine Tätigkeit als Krankenschwester im Schichtdienst zu einer gehäuften Anzahl von Brustkrebserkrankungen führe. Die Klägerin legte Widerspruch ein, den sie trotz Aufforderung nicht begründete. Mit Widerspruchsbescheid vom 4. September 2013 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück und verblieb bei ihrer Argumentation.

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Mit ihrer hiergegen am 26. September 2013 beim Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Brustkrebserkrankung sei als BK anzuerkennen. Die Beklagte habe sich nicht mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinandergesetzt. Nur weil es für sie finanziell günstig sei, habe sie sich auf den § 9 Abs. 1 SGB VII beschränkt. Der Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und Krebserkrankungen sei mittlerweile anerkannt. Dies würden Aufsätze belegen, die die Klägerin beigefügt hat. Dies sind folgende:

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Im Ärzteblatt (Internet) wurde beschrieben, die IARC habe bei Tierversuchen den Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und Krebsrisiko als wahrscheinlich eingestuft, bei Menschen seien die Belege begrenzt. Im Ergebnis sollten belastbare epidemioligische Studien durchgeführt werden.

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In der Zeitschrift DGUV-Forum 4/2011 wird unter der Überschrift "Neue Studien – Schichtarbeit und Krebs?" erklärt, der Zusammenhang werde als beschränkt bewertet. Insgesamt ließe sich aus den gegenwärtig vorliegenden Studien kein erhöhtes Krebsrisiko für den Menschen aufgrund von Schichtarbeit belegen.

9

In der Zeitschrift Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Umweltmedizin 7/2010 wird unter der Überschrift "Schichtarbeit und Krebs" auf die IARC-Studie verwiesen, wonach ein Zusammenhang nur als beschränkt bewertet worden ist. Zusammenfassend wurde festgehalten, dass, obwohl in Studien ein leicht erhöhtes Brustkrebsrisiko mit langjähriger Nachtschichtarbeit assoziiert wurde, die derzeit vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht, eine krebserzeugende Wirkung von Nachtschichtarbeit als gesichert zu halten.

10

In einem Journal der Ruhr-Universität Bochum ohne Datum unter der Überschrift "Gesundheitliche Risiken durch Schichtarbeit?" wird festgehalten, dass eine krebserzeugende Wirkung nicht gesichert sei.

11

Ferner hat die Klägerin auf Zeitungsartikel hingewiesen, in denen auf eine Forschungsgruppe der Universität Köln hingewiesen worden ist. Dort wird der Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und Krebs als biologisch plausibel bewertet, Studien, die einen kausalen Zusammenhang belegen würden, fehlten jedoch bislang. Bei der zugrunde liegenden Studie handelt es sich um die bereits im Ärzteblatt (s.o.) erwähnte Arbeit.

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Die Klägerin beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 15. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. September 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Mammakarzinom als Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen.

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Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

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Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung der Kammer.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben worden und damit zulässig.

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Sie ist aber nicht begründet.

18

Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). ZU Recht hat es die Beklagte abgelehnt, das Mammakarzinom als Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen.

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Voraussetzung für die Anerkennung einer so genannten Wie-BK ist zunächst der Nachweis der Versicherteneigenschaft und der Nachweis einer Gesundheitsstörung. Beides ist hier zu unterstellen.

20

Hinzu muss folgendes kommen (Zitat aus dem Urteil des BSG vom 18. Juni 2013, B 2 U 6/12 R):

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Nach § 9 Abs 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind (sog Öffnungsklausel für Wie-BKen). Die Feststellung einer Wie-BK nach dieser Vorschrift ist ua vom Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als BK nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen abhängig (zuletzt BSG vom 13.2.2013 - B 2 U 33/11 R - mwN, auch zu den weiteren Voraussetzungen einer Wie-BK - SozR 4-2700 § 9 Nr 21 RdNr 17). Diese allgemeinen Voraussetzungen sind erfüllt, wenn bestimmte Personengruppen infolge einer versicherten Tätigkeit nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII (§§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO) in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sind, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft eine Krankheit hervorrufen. Die insoweit in früheren Entscheidungen des Senats verwendeten Begriffe der Gruppentypik, generellen Geeignetheit und gruppentypischen oder -spezifischen Risikoerhöhung dienten allein der Erläuterung oder Umschreibung der aufgezeigten Voraussetzungen, ohne dass damit andere Anforderungen an die Anerkennung einer Wie-BK gestellt werden sollten (BSG vom 27.4.2010 - B 2 U 13/09 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 18 RdNr 15 mwN).

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Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin nicht vor. Die Klägerin hat mehrere wissenschaftliche Arbeiten vorgelegt, die, sofern erkennbar, alle auf die 2012 veröffentlichte Studie der IARC zurückgehen. Danach wird eine generelle Häufung von Krebserkrankungen bei Schichtarbeit bislang nicht beobachtet. Dies spiegelt sich in den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen wider, die allesamt nur einen beschränkten Aussagewert des Ergebnisses der Studien des IARC an Tieren auf Menschen erkennen. Damit kann ein neuer medizinischer Kenntnisstand für einen Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und einer Krebserkrankung indes nicht belegt werden.

23

Im Ergebnis ist die Klage abzuweisen.

24

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.


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