Urteil vom Sozialgericht Mainz (6. Kammer) - S 6 KR 313/04


Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 10.10.2003 in Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 07.05.2004 und des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2004 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit des Bescheides der Beklagten vom 10.10.2003 in Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 07.05.2004 und des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2005, mit dem bei der Klägerin eine Betriebsprüfung durchgeführt wurde und Beiträge in Höhe von insgesamt € 1.502,58 zurückgefordert wurden.

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Die Klägerin betreibt ein Unternehmen der Schleiftechnik. Mit Bescheid vom 10.10.2003 führte die Beklagte eine Betriebsprüfung durch und forderte Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung in Höhe von € 6.422,35 im Hinblick auf die Beschäftigung der Arbeitnehmerin B vom 01.09.1999 bis zum 30.09.2000 nach, da die Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht überschritten werde. In dem Protokoll über die Schlussbesprechung über die durchgeführte Betriebsprüfung vom 08.10.2003 wurde festgehalten, dass ein Arbeitsvertrag für die Arbeitnehmerin B nicht habe vorgelegt werden können. Sie sei bis 8/99 als Studentin beschäftig gewesen. Ab 9/99 bzw. nach Beendigung ihres Studiums sei sie weiterhin beschäftigt worden. Die Beiträge seien mit der Begründung in der Beitragsgruppe 0210 geführt worden, dass sie über der JAV liege. Das erzielte Entgelt habe bei DM 6000,-- monatlich und zusätzlich ein Weihnachtsgeld von DM 2000,-- gelegen, welches auch im Jahr 2000 zu erwarten gewesen sei. Die JAV des Jahres 1999 habe bei DM 6375,-- monatlich gelegen und in 2000 bei DM 6450,--. Es seien daher Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nachzufordern.

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Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und führte zur Begründung aus, zur Berechnung des Jahresarbeitsentgelts sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung als Arbeitnehmer maßgebend, wie es im Voraus für das kommende Jahr festzustellen sei. Regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt sei nur solches, das mit hinreichender Sicherheit in den der Beurteilung folgenden 12 Monaten zu erwarten sei (Hinweis auf BSG v. 30.06.1965 - GS 2/64). Einmalzahlungen wie das Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, Tantiemen, etc. würden berücksichtigt, wenn diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit jährlich gezahlt würden. Die Arbeitnehmerin B habe mit Beginn ihrer Tätigkeit am 01.09.1999 einen Anspruch auf 13 Gehälter à 6.000,00 DM = 78.000,00 DM jährlich gehabt. Entsprechend dieser Vereinbarung seien im Kalenderjahr 1999 in der Zeit vom 01.09. bis 31.12. 26.000,00 DM brutto gezahlt worden. Dies entspreche einem durchschnittlichen monatlichen Einkommen von 6.500,00 DM. Darüber hinaus sei im Kalendermonat Dezember 1999 die Zahlung einer betrieblichen Altersversorgung in Höhe von 3.408,00 DM erfolgt. Das bei normalem Ablauf der Dinge zu erwartende Jahresarbeitsentgelt der Mitarbeiterin B habe im Kalenderjahr 2000 - ausgehend von 13 Monatsgehältern à 6.000,00 DM - 78.000,00 DM betragen. Damit habe die Mitarbeiterin auch im Kalenderjahr 2000 über der Jahresarbeitsentgeltgrenze gelegen. Dass das 13. Monatsgehalt im Kalendermonat 2000 nicht zur Auszahlung gelangt sei, liege darin begründet, dass im November 2000, dem Stichtag zur Auszahlung, das Arbeitsverhältnis durch die Mitarbeiterin bereits gekündigt gewesen sei. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Arbeitnehmerin am 30.09.2000 sei nicht vorhersehbar gewesen, und deshalb für die Bemessung der Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht zu berücksichtigen. Eine schriftliche Vereinbarung bzw. ein Arbeitsvertrag habe nicht vorgelegen, da Frau B die langjährige Lebensgefährtin des Geschäftsführers der Klägerin gewesen sei. Auch die Kündigung sei mündlich erfolgt.

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Frau B teilte der Beklagten auf Nachfrage mit, eine schriftliche Vereinbarung liege nicht vor. Ein 13. Monatsgehalt sei vereinbart worden, im ersten Jahr allerdings nur anteilmäßig der Beschäftigungszeit (ab 09/1999). Es sei eine Kündigungsfrist von 3 Monaten vereinbart worden. Die schriftliche Kündigung sei am 28. 06.2000 entgegengenommen worden. Als Studentin habe sie Aushilfstätigkeiten zu verrichten gehabt, während sie ab dem 01.09.1999 als leitende Angestellte beschäftigt gewesen sei.

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Mit Bescheid vom 07.05.2004 half die Beklagte dem Widerspruch der Klägerin daraufhin teilweise ab, in dem sie die Beschäftigung der Frau B im Hinblick auf die Vereinbarung des 13. Monatsgehalts im Zeitraum vom 01.09.1999 bis 27.06.2000 als versicherungsfrei in der Kranken- und Pflegeversicherung wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze beurteilte. Mit der Kündigung am 28.06.2000 habe die Arbeitnehmerin indes den Anspruch auf das Weihnachtsgeld mit der Folge verloren, dass die Jahresarbeitsentgeltgrenze unterschritten worden sei. Ab diesem Zeitpunkt habe die Klägerin Kenntnis davon gehabt habe, dass die Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht länger überschritten werde. Werde die Jahresarbeitsentgeltgrenze im Laufe des Jahres unterschritten, setzte die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung sofort ein. Die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung habe sofort am 28.06.2000 eingesetzt, weshalb Pflichtbeiträge zu zahlen gewesen seien. Die Nachzahlungsbetrag wurde im Hinblick auf diese Feststellungen auf € 1.502,58 reduziert.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 13.07.2004 wies die Beklagten den Widerspruch der Klägerin im übrigen zurück.

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Hiergegen richtet sich die am 06.08.2004 bei Gericht eingegangene Klage.

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Die Klägerin ist der Ansicht,

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die Mitarbeiterin B sei auch ab dem 28.06.2000 nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen, da das voraussichtliche Entgelt für das Jahr 2000 die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschritten habe, wie zwischen den Beteiligten dem Grunde nach unstreitig sei. Die Kündigung vom 28.06.2000 sei nicht vorauszusehen und daher hierbei nicht zu berücksichtigen. Außerdem sei der Klägerin nicht bekannt gewesen, welches Entgelt die Mitarbeiterin B ab dem 01.10.2000 bei dem neuen Arbeitgeber erzielen würde; jedenfalls habe dieses aber über dem monatlichen Bruttoentgelt im Anstellungsverhältnis mit der Klägerin gelegen, da ansonsten keine Eigenkündigung durch die Mitarbeiterin erfolgt wäre.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 10.10.2003 in Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 07.05.2004 und des Widerspruchsbescheides vom 13.07. 2004 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie hält an ihrer Auffassung fest:

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ebenso wie die studentische Beschäftigung bis zum 31.08.1999 getrennt von der Beschäftigung als Maschinenbauingenieurin ab dem 01.09.1999 zu beurteilen gewesen sei, sei auch dieses Arbeitsverhältnis bis zum 30.09.2000 unabhängig von dem ab 01.10.2000 folgenden zu betrachten. Somit habe für den Zeitraum vom 28.06.2000 bis zum 30.09.2000 eindeutig festgestanden, dass die Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht mehr überschritten werden könne. Deshalb sei mit Kenntnis dieser Sachlage sofort Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung eingetreten.

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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und begründet.

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Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig, beschwert die Klägerin und ist daher aufzuheben. Die Angestellte B unterlag auch im Zeitraum vom 28.06. 2000 bis 30.09.2000 nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung, so dass keine Beiträge zu entrichten waren. Die grundsätzliche Versicherungspflicht folgt für abhängig Beschäftigte - wie die frühere Angestellte der Klägerin B - aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Versicherungsfrei sind gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V - in der für den vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung des Art. 4 Nr. 2 des Gesetzes v. 18.12.1989 (BGBl. I, 2261) - hingegen Angestellte, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt (JAE) 75 vom Hundert der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten (Jahresarbeitsentgeltgrenze) übersteigt, im vorliegenden Fall mithin DM 77.400,--. Damit Arbeitnehmer und Arbeitgeber Klarheit darüber gewinnen, ob Versicherungspflicht und damit Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung besteht oder ob etwa der Abschluss eines privaten Krankenversicherungsvertrages in Erwägung gezogen werden sollte, ist vorausschauend zu beurteilen, ob die JAE-Grenze überschritten werden wird (BSG, Urteil vom 07.12.1989 - 12 RK 19/87 - BSGE 66, 124). Hierbei kommt es auf das Entgelt an, auf das der Arbeitnehmer einen Anspruch hat bzw., wenn das Entgelt schwankt, das sich nach bisherigem Erfahrungswerten schätzen lässt. Weihnachtsgeld ist damit in die Berechnung mit einzubeziehen, während Überstundenvergütungen oder Sonderzahlungen, soweit sie nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einmal jährlich zu erwarten sind, außer Betracht zu bleiben haben (BSG, Urteil vom 25.02.1966 - 3 RK 53/63 - BSGE 24, 262). Sinn und Zweck der vorausschauenden Schätzung ist vor allem, einen häufigen Wechsel zwischen Versicherungspflicht und Versicherungsfreiheit zu vermeiden, mithin die Kontinuität des Versicherungsverhältnisses möglichst zu wahren (BSG, Urteil vom 07.12.1989 - 12 RK 19/87 - BSGE 66, 124). Tritt während des laufenden Kalenderjahres eine Änderung des tatsächlichen JAE ein, so ist eine Überprüfung und eventuelle Korrektur der ursprünglichen Beurteilung vorzunehmen. Die Änderung des bezogenen Gehalts ist erst mit Ablauf des Monats zu berücksichtigen, in dem sie eintritt. Wird die Pflichtversicherungsgrenze hierbei überschritten, so endet die Versicherungspflicht mit Ablauf des Kalenderjahres (§ 6 Abs. 4 SGB V); wird die Pflichtversicherungsgrenze hingegen unterschritten, so tritt die Versicherungspflicht sofort ein (BSG, Urteil vom 29.06.1993 - 12 RK 48/91 - BSGE 72, 292).

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Im vorliegenden Fall ist keine Änderung des JAE eingetreten, so dass keine erneute Beurteilung der Versicherungspflicht durch den Arbeitgeber vorzunehmen war. Das von der Angestellten B bezogene Arbeitsentgelt hat sich während des vorliegend zu beurteilenden Zeitraums nicht verändert. Zwar ist der Anspruch auf Weihnachtsgeld infolge der Kündigung des Arbeitsverhältnisses weggefallen, so dass das Einkommen - umgerechnet auf die verbleibenden Beschäftigungsmonate bei der Klägerin - in der Rückschau unterhalb der JAE-Grenze lag. Hierin hat sich indes nur das jeder Schätzung immanente Risiko verwirklicht, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse abweichend entwickeln. Anders als bei einer Erhöhung oder Senkung des Arbeitsentgelts durch eine neue vertragliche Vereinbarung war vorliegend aber von Anfang an klar, dass das Weihnachtsgeld nur dann zu zahlen sein wird, wenn das Arbeitsverhältnis nicht vorzeitig endet; eine nachträgliche Änderung der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen erfolgte hingegen nicht. Da die Beurteilung, ob die Pflichtversicherungsgrenze unter- oder überschritten wird, indes vorausschauend vorzunehmen ist, kommt es - bei mehreren von vornherein absehbaren Verlaufsmöglichkeiten - auf die tatsächliche Entwicklung nicht an. Eine andere Sicht würde auch Sinn und Zweck der vorausschauenden Beurteilung nicht gerecht, die - wie oben dargelegt - vor allem dazu dient, einen häufigen Wechsel zwischen Versicherungspflicht und Versicherungsfreiheit zu vermeiden um die Kontinuität des Versicherungsverhältnisses möglichst zu wahren. Im vorliegenden Fall würde indes - wollte man mit der Beklagten eine rückschauende Korrektur des JAE zulassen - eine kurzfristige Pflichtversicherungszeit entstehen.

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War die Angestellte mithin nicht versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung, so bestand gemäß § 20 Abs.1 SGB XI auch keine Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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