Urteil vom Sozialgericht Mainz (7. Kammer) - S 7 KR 66/06

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten um die Anwendbarkeit von § 17 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) auf einen in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) pflichtversicherten, mitreisenden Familienangehörigen eines im Ausland beschäftigten Versicherten.

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Die Ehefrau des am … 1934 geborenen Klägers ist bei dem Beigeladenen beschäftigt. Ihr Arbeitsort ist derzeit Kiew/Ukraine . Sie ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Der Kläger ist in der KVdR pflichtversichert. Er hält sich zur Aufrechterhaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft ebenfalls regelmäßig in Kiew auf. Ihren Wohnsitz haben der Kläger und seine Ehefrau in Mainz.

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Mit einem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 10.01.2006 legte der Kläger eine Abtretungserklärung über die Erstattungsansprüche gem. § 17 Abs. 2 SGB V des Beigeladenen an ihn vor. Er bat die Beklagte, ihm mitzuteilen, inwieweit sie von der Anwendbarkeit des § 17 SGB V auf ihn ausgehe, da er nicht familienversichert sei. Falls die Beklagte seine Meinung, dass § 17 SGB V anwendbar ist, nicht teile, biete er an, seine Versicherung in der KVdR zu unterbrechen.

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Mit Bescheid vom 16.01.2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass § 17 SGB V keine Anwendung auf ihn findet, da er nicht familienversichert sei. Die Mitgliedschaft in der KVdR sei gegenüber der Mitgliedschaft in der Familienversicherung vorrangig. Die Mitgliedschaft in der KVdR ende aber nur, wenn er seinen Wohnsitz in die Ukraine verlege.

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Hiergegen legte der Kläger 31.01.2006 Widerspruch ein. Er sei nicht bereit seinen Wohnsitz in die Ukraine zu verlegen, da dies unüberschaubare Auswirkungen auf seine Rentenhöhe, die Konkurrenz zweier Rechtssysteme im Familien- und Erbrecht und das Steuerrecht habe.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 03.03.2006 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und führte die Gründe des Ausgangsbescheids näher aus.

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Dagegen hat der Kläger am 03.04.2006 Klage vor dem Sozialgericht Mainz erhoben.

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Der Kläger meint, § 17 SGB V sei analog auf ihn anwendbar. Es könne nicht sein, dass er als beitragszahlendes Mitglied der KVdR schlechter gestellt werde als ein beitragsfrei familienversichertes Krankenversicherungsmitglied. Dies führe zu der absurden Folge, dass er nur dann im Ausland Leistungen erhalte, wenn er willentlich seine beitragspflichtige Mitgliedschaft in der KVdR beende und so beitragsfrei würde.

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Das Gericht hat mit Beschluss vom 17.01.2008 das G. als Arbeitgeber der Ehefrau des Klägers beigeladen.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 16.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.03.2006 aufzuheben und festzustellen, dass die Beigeladene gem. § 17 SGB V leistungsverpflichtet ist.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie meint, § 17 SGB V sei bereits nach seinem Wortlaut nur auf familienversicherte Angehörige anwendbar. Familienversicherte seien regelmäßig besonders schutzwürdig, weil sie nicht oder nur geringfügig über ein eigenes Einkommen verfügten und daher nicht in der Lage wären, sich selbst im Ausland gegen Krankheiten zu versichern.

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Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.

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Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer , SGG, 8. Aufl., 2005 § 55 Rn. 3). Der Kläger verfügt über das erforderliche Feststellungsinteresse. Streitig ist das Bestehen von zukünftigen Erstattungsansprüchen gem. § 17 Abs. 2 SGB V des Beigeladenen gegen die Beklagte und damit einhergehend Leistungsansprüche des Klägers gegen den Beigeladenen.

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Die Klage ist aber nicht begründet.

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Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden. § 17 SGB V ist nicht auf den Kläger anwendbar.

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Gem. § 17 SGB V erhalten Mitglieder, die im Ausland beschäftigt sind und während dieser Beschäftigung erkranken, die ihnen nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zustehenden Leistungen von ihrem Arbeitgeber. Dies gilt entsprechend für die nach § 10 SGB V versicherten Familienangehörigen, soweit sie das Mitglied für die Zeit dieser Beschäftigung begleiten oder besuchen. Die Krankenkasse hat dem Arbeitgeber die ihm dabei entstandenen Kosten bis zu der Höhe zu erstatten, in der sie ihr im Inland entstanden wären.

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Der Kläger ist nicht gem. § 10 SGB V familienversichert, weshalb eine unmittelbare Anwendung des § 17 SGB V ausscheidet.

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Auch eine analoge Anwendung des § 17 SGB V kommt nicht in Betracht (a.A. Noftz in Hauck/Noftz , SGB V, EL. 8/08 K § 17 Rn. 6a – das dort zitierte Urteil des BSG vom 9.3.1982 – 3 RK 64/80 – bezieht sich nicht auf die gültige Rechtslage) . Hierzu fehlt es an den Voraussetzungen für eine Analogie. Eine planwidrige Regelungslücke ist nicht gegeben. Es liegt kein eigentlich regelungsbedürftiger Fall vor, der systemwidrig nicht mit in die bestehende Regelung einbezogen wurde ( Zippelius , Juristische Methodenlehre, 6. Aufl., 1994 S. 59; Larenz/Canaris , Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl., 1995 S. 191).

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Nach Auffassung der Kammer erfolgte der Ausschluss von anderen als familienversicherten Angehörigen aus der Regelung des § 17 SGB V durch den Gesetzgeber bewusst und aus sachlichen, systemimmanenten Gründen.

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Die Kammer zieht zur Begründung dieser Einschätzung insbesondere die Gesetzesentwicklung heran. Die Einbeziehung der versicherten Familienangehörigen in die Rechtsfolge des § 17 SGB V war zunächst vom Gesetzgeber nicht geplant. Der Anwendungsbereich der Vorschrift war in der Fassung des Regierungsentwurfs (BT-Drucksache 11/2237 – B. – zu Art. 1 § 17 Abs. 1, S. 64; BT-Drucksache 11/3320 S. 19) auf „Mitglieder“ beschränkt. Die dann doch erfolgte Aufnahme von familienversicherten Angehörigen erfolgte offenbar unter dem Eindruck einer Stellungnahme der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände von Juni 1998, die den Leistungsausschluss für Angehörige kritisierte, weil diese für die Dauer des Auslandsaufenthalts gezwungen seien, eine private Krankenversicherung abzuschließen (vgl. Noftz in Hauck/Noftz , SGB V, EL. 8/08 K § 17 Rn. 6; BT-Drucksache 11/3480 zu Art. 1 § 17 Abs. 1, S. 88).

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Eine analoge Anwendung des § 17 SGB V auf einen erweiterten Personenkreis neben den Familienversicherten ist auch nicht durch die Verfassung geboten.

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Die Beschränkung des § 17 SGB V auf Familienversicherte verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Familienversicherte und beitragspflichtige Mitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherung – insbesondere solche in der KVdR - bilden keine gemeinsame Vergleichsgruppe. Sie unterscheiden sich darin, dass beitragsfrei familienversicherte Mitglieder aufgrund der Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB V kein oder nur ein geringes eigenes Einkommen haben. Beitragspflichtige Mitglieder der KVdR verfügen demgegenüber über ein Renteneinkommen. Während also regelmäßig von Familienversicherten aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation auf der Einkommensseite nicht verlangt werden kann, eine weitere (Auslands-) Krankenversicherung privat abzuschließen, ist Rentenbezieher dies regelmäßig möglich. Dass dies, aufgrund einer evtl. geringen Rentenhöhe, auch einem Mitglied der KVdR nicht möglich sein kann, konnte der Gesetzgeber akzeptieren, da er in einer abstrakt-generellen Betrachtungsweise beim Erlass des Gesetzes pauschalisierend den typischen Fall und nicht atypische Einzelfälle zugrunde legen durfte.

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Auch ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Danach stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Regelungen die Ehepaare und Familien gegenüber anderen Mitgliedern der Gesellschaft benachteiligen sind – im Sinne eines besonderen Gleichheitssatzes – aufgrund dieser Vorschrift zu vermeiden. Dieser Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG ist aber im vorliegenden Fall nicht eröffnet. Der Nachteil des Klägers, nicht in den Genuss der Privilegierung des § 17 SGB V zu gelangen, erfolgt nicht aufgrund der ehelichen Beziehung zum im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer, sondern aufgrund seines Rentenbezugs. § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB V dient ganz im Gegenteil in typischen Fällen sogar dem Schutz der ehelichen Lebensgemeinschaft und der Familie, in dem er einkommenslose bzw. gering verdienende Angehörige in die Privilegierung durch § 17 Abs. 1 Satz 1 SGB V mit einbezieht.

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Die Kammer ist entgegen der Ansicht des Klägers der Auffassung, dass eine analoge Anwendung des § 17 SGB V auf andere als familienversicherte Mitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherung gerade zu gleichheitswidrigen Ergebnissen führen würde. Die Kammer sieht es als einen Grundsatz der Gesetzlichen Krankenversicherung an, dass ein Versicherungsschutz im Ausland grundsätzlich nicht besteht. Der Leistungsanspruch ruht gem. § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Hintergrund der Ruhensanordnung ist das Sachleistungsprinzip als Strukturmerkmal der Gesetzlichen Krankenversicherung. Sachleistungen können im Ausland regelmäßig nicht erbracht werden. Eine nachträgliche Kostenerstattung wäre mit – im Vergleich zur Sachleistung im Inland – deutlich höheren Kosten für die Solidargemeinschaft der Versicherten verbunden.

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Eine Ausnahme zu diesem Grundsatz lässt der Gesetzgeber nur aus europa- oder abkommensrechtlichen Gründen zu, wenn der Versicherte sich im EU-Ausland oder einem Staat aufhält mit dem ein diesen Fall regelndes Sozialversicherungsabkommen besteht.

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Die einzige weitere Ausnahme bildet § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB V durch die Privilegierung von familieversicherten Angehörigen. Diese Besserstellung ist – wie oben bereits dargestellt – aufgrund der Einkommenssituation dieser Versicherten einerseits und dem Schutz von Ehe und Familie andererseits gerechtfertigt.

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Die Zulassung weiterer Ausnahme würde demgegenüber nicht nur nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen. Sie wäre nach der oben getätigten Darstellung auch systemwidrig.

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Da eine analoge Anwendung des § 17 SGB V auf den Kläger nicht in Betracht kommt, hat sich die Kammer an den Wortlaut der Vorschrift zu halten.

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Der Beigeladene ist daher nicht zugunsten des Klägers gem. § 17 Abs. 1 SGB V leistungsverpflichtet. Er hat auch keinen Erstattungsanspruch gem. § 17 Abs. 2 SGB V. Die Klage konnte deshalb keinen Erfolg haben.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

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