Urteil vom Sozialgericht Münster - S 2 Ka 134/94
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger hat dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
1
Tatbestand:
2Streitig ist die Entziehung der Zulassung des Klägers zur vertragszahnärztlichen Versorgung.
3Der 1960 geborene Kläger ist niederländischer Staatsbürger. Er legte in O am 31.10.1986 das zahnmedizinische Examen ab. Seit dem 02.11.1987 ist er als Zahnarzt in C-C niedergelassen und in der kassen- und vertragszahnärztlichen (ab 1993 einheitlich: vertragszahnärztlichen) Versorgung tätig.
4Auf Anzeigen des VdAK und der örtlichen Arbeitsgemeinschaft der Primärkrankenkassen nahm die Staatsanwaltschaft Münster im Juni 1991 Ermittlungen gegen den Kläger wegen Betrugsverdachtes auf. Im Oktober 1991 wurden seine Praxis und seine Wohnung durchsucht. Ihm wurde vorgeworfen, daß das Dentallabor L im X in den Niederlanden, mit dem er seit Jahren zusammengearbeitet habe, ihm auf sämtliche Rechnungen für Laborleistungen einen Bonus von mehr als 3 % Skonto gewähre. Entgegen seiner Verpflichtung, diese Bonusleistungen an die Krankenkassen weiterzugeben bzw. den Krankenkassen die Laborkosten nur in der tatsächlich entstandenen Höhe zu berechnen, habe er die Laborrechnungen gegenüber den Krankenkassen zu 100 % abgerechnet.
5Vor der Staatsanwaltschaft Münster erklärte der Kläger am 04.12.1991, daß er seit Ende 1988 mit dem Labor L zusammenarbeite. Auf Empfehlung von Kollegen habe er sich an Herrn L gewandt und diesem zugesagt, daß er bei ihm arbeiten lassen wolle, nachdem er dessen Labor und die damit verbundenen Arbeitsmöglichkeiten im Oktober 1988 gesehen habe. Daraufhin habe ihm Herr L 20 % Rabatt auf den Umsatz angeboten. Kurze Zeit nach Beginn der Zusammenarbeit habe ihm Herr L gesagt, daß er keinen Bonus von 20 % mehr, sondern nur von 10 % gewähren könne. Das habe er, der Kläger, so hingenommen.
6Die 20 % bzw. 10 % verstanden sich als Rabatt vom Nettobetrag des Umsatzes ohne Einfuhrumsatzsteuer. Die Rechnungen waren in DM gehalten. Die Rabatte habe er jedoch in Gulden bekommen, und zwar umgerechnet mit einem Taxwert von 1,1 Gulden zu 1,-DM.
7Er habe die Monatsrechnung jeweils an das Labor in den Niederlanden überwiesen. Wenn das Geld auf dem Konto der Firma angekommen sei, sei er von Herrn L angerufen worden. Dieser habe ihm mitgeteilt, daß er seinen Bonus in X im Labor abholen könne. So sei dies auch zumeist geschehen. Nur zweimal sei das Geld auch mit einer Prothetiklieferung mitgekommen.
8Nach der Durchsuchung seiner Praxis habe er mit Herrn L telefoniert und ihn gebeten, die Bonuszahlungen sofort einzustellen, was auch geschehen sei.
9Am 29.06.1992 erließ das Amtsgericht in Bocholt gegen den Kläger wegen fortgesetzten Betruges einen Strafbefehl über 150 Tagessätze zu je 200,- DM. Das Gericht sah den fortgesetzten Betrug darin, daß der Kläger im Zeitraum von November 1988 bis Juli 1991 unter Berücksichtigung von 3 % Skonto, die er hätte abziehen dürfen, insgesamt über 20.000,- DM an Rabatten von dem Labor L erhalten habe, die er nicht an die Krankenkassen und Patienten weitergeleitet habe. Die Feststellungen wurden aufgrund der Monatsabrechnungen der Firma L für die Zeit von November 1988 - Juli 1991 getroffen.
10Der Strafbefehl des Amtsgerichts Bocholt wurde rechtskräftig.
11Durch Beschluss des Disziplinarausschusses der Beklagten vom 09.12.1992 wurde wegen dieser Verfehlungen eine Geldbuße in Höhe von 20.000,- DM gegen den Kläger festgesetzt.
12Der frühere AOK-Landesverband Westfalen-Lippe, dessen Rechtsnachfolgerin die Beigeladene zu 2) ist, und die Beigeladenen zu 3), 4) und 5) beantragten, dem Kläger die Zulassung zur vertragszahnärztlichen Versorgung zu entziehen. Der Zulassungsausschuß für Zahnärzte für den Zulassungsbezirk Westfalen-Lippe wies aufgrund eines Beschlusses vom 02.06.1993 durch Bescheid vom 20.04.1993 den Antrag der Krankenkassen zurück. Er bewertete zwar das aufgrund des Geständnisses des Klägers im Strafbefehl festgestellte Verhalten als Verletzung vertragszahnärztlicher Pflichten. Die sei aber nicht so gröblich, daß Disziplinarmaßnahmen nicht ausreichten. Der Kläger habe die Geldstrafe von 30.000,- DM bezahlt, den Schaden von über 20.000,- DM wieder gutgemacht und die Geldbuße von 20.000,- DM aufgrund der Disziplinarentscheidung bezahlt. Er habe auch kein Konto in Österreich angelegt, um die Bonuszahlungen darauf einzuzahlen. Deshalb sei den Krankenkassen die weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger zuzumuten, und es sei zu erwarten, daß er sich mit Rücksicht auf die Disziplinarmaßnahme und die anderen Strafen in Zukunft korrekt verhalte.
13Gegen den am 05. bzw. 06.10.1993 zugestellten Bescheid des Zulassungsausschusses wandten sich der frühere AOK-Landesverband Westfalen-Lippe und die Beigeladenen zu 3) bis 5) mit den am 12.10. bzw. 02., 03. und 05.11.1993 eingegangenen Widersprüchen.
14Aufgrund eines Beschlusses vom 09.02.1994 hob der Beklagte durch Bescheid vom 18.07.1994 den Beschluss des Zulassungsausschusses auf und entzog dem Kläger die Zulassung zur vertragszahnärztlichen Tätigkeit.
15Gegen diese Entscheidung hat sich der Kläger mit der Klage S 2 Ka 134/94 gewandt. Da der Bescheid erst mehr als fünf Monate nach Beschlussfassung ausgefertigt und den Beteiligten zugestellt war, hat der Beklagte den Bescheid vom 18.07.1994 aufgehoben.
16Aufgrund eines Beschlusses vom 27.09.1995 hob der Beklagte durch Bescheid vom 06.11.1995 erneut die Entscheidung des Zulassungsausschusses auf und entzog dem Kläger die Zulassung zur vertragszahnärztlichen Versorgung.
17Indem der Kläger von dem Dentallabor L in der Zeit von Ende 1988 bis Juli 1991 Rabatte oder Rückvergütungen erhalten habe, die sich abzüglich eines zulässigen Skontos von 3 % auf rund 20.000,- DM beliefen, bei seinen Abrechnungen jedoch die vollen Rechnungsbeträge geltend gemacht habe, habe er sowohl gegen § 4 Abs. 2 Satz 2 des Gesamtvertrages zwischen der Beigeladenen zu 1) und den Landesverbänden der Krankenkassen, als auch gegen § 11 Abs. 2 des Zahnarzt-Ersatzkassenvertrages (EKV-Z) verstoßen. Nach den Bestimmungen sei das Gewährenlassen von Rabatten unzulässig bzw. seien die gewährten Rückvergütungen an die Vertragskasse weiterzugeben. Etwas anderes gelte nur für Barzahlungsrabatte bzw. Skonti.
18Gegen diese Pflichten habe der Kläger vorsätzlich verstoßen. Es liege auf der Hand, daß der Kläger von den Krankenkassen nicht mehr habe verlangen dürfen, als er selbst bezahlt habe.
19Diese Pflichtverletzung sei gröblich gewesen. Der Schaden, den er den Krankenkassen und den betroffenen Patienten in Höhe von etwa 20.000,- DM zugefügt habe, sei beträchtlich. Indem er die Vertrauensstellung, die er als Kassen- bzw. Vertragszahnarzt inne gehabt habe, mißbraucht und die Rückvergütungen aus Eigennutz behalten habe, habe er schwere charakterliche Mängel erkennen lassen.
20Der Kläger habe das Vertrauensverhältnis zu den Krankenkassen dermaßen gestört, daß es auch durch eine Disziplinarmaßnahme nicht wieder hergestellt werden könne. Zur Wiederherstellung des Vertrauensverhältnisses genüge es nicht, daß der Kläger seit Ende 1991 seine kassen- bzw. vertragszahnärztliche Tätigkeit einwandfrei verrichte. Das sei selbstverständlich. Es genüge nicht, daß er den Krankenkassen und den Patienten Schadensersatz geleistet und daß er sich später bei dem Labor L für die Gewährung von Rabatten eingesetzt habe, die den Krankenkassen zugute kommen. Diese hätten mit ihrer Bitte nicht bekundet, daß sie ihm wieder ihr Vertrauen schenken.
21Mit der am 06.12.1995 bei Gericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen den Bescheid des Beklagten gewandt.
22Er meint, daß der Widerspruch des Beigeladenen zu 4) nicht fristgerecht erhoben sei, weil er nach seiner Behauptung erst am 08.11.1993 eingegangen sei. Deshalb sei eine Beiladung des Beigeladenen zu 4) unzulässig.
23Außerdem behauptet er, daß die Beigeladene zu 1) und die Widerspruchsführer nicht zur Sitzung des Beklagten am 27.09.1995 geladen worden seien. Die Ladung sei auch nicht aufgrund einer schriftlichen Verfügung des Vorsitzenden des Beklagten erfolgt, sondern durch den Geschäftsstellenleiter des Beklagten. Schließlich bezweifelt der Kläger, ob die zahnärztlichen Mitglieder des Beklagten auf wirksamer Satzungsgrundlage der Beigeladenen zu 1) bestellt worden seien, und meint, die einschlägigen Verwaltungsvorgänge seien vom Gericht beizuziehen.
24Materiell-rechtlich sei der Bescheid des Beklagten rechtswidrig, weil es unverhältnismäßig sei, wenn ihm die Zulassung entzogen werde. Vielmehr sei eine Disziplinarmaßnahme vorgreiflich, weil sie das weniger belastende und ebenfalls geeignete Mittel sei. Die Rabatte seien ihm vom Labor L angeboten worden, sie seien nicht vom Kläger gefordert worden. Er habe auch nicht aus Erwerbsstreben gehandelt.
25Außerdem habe er die Rabattnahme freiwillig beendet aufgrund eines Rundschreibens der Beigeladenen zu 1). Das ergebe sich aus den Akten der Staatsanwaltschaft und könne von dem Inhaber des Labors L bestätigt werden.
26Seine Patienten seien mit ihm zufrieden, und die Zusammenarbeit mit den Krankenkassen verlaufe reibungslos, so daß sich die Frage, ob den Kassen eine weitere Zusammenarbeit mit ihm zuzumuten sei, dadurch schon positiv beantwortet habe.
27Schließlich sei zu berücksichtigen, daß er jetzt verheiratet und Vater eines Kindes sei. Er habe den Schaden wieder gutgemacht und nunmehr seit fünf Jahren ohne Beanstandungen gearbeitet.
28Der Kläger beantragt,
29den Bescheid des Beklagten vom 06.11.1995 aufzuheben.
30Der Beklagte und die Beigeladenen zu 2), 3), 4) und 7) beantragen,
31die Klage abzuweisen.
32Sie halten die Entziehung der Zulassung für rechtmäßig.
33Die Beigeladene zu 1) schließt sich dem Antrag des Klägers an. Nach ihrer Meinung war die Disziplinarmaßnahme ausreichend, um den Kläger nachhaltig zur Erfüllung seiner vertragszahnärztlichen Pflichten anzuhalten.
34Die Beigeladenen zu 5) und 6) haben sich im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht vertreten lassen und auch schriftsätzlich nicht geäußert. Sie waren vom Verhandlungstermin ordnungsgemäß mit dem Hinweis benachrichtigt worden, daß im Falle ihres Ausbleibens auch ohne sie verhandelt und entschieden werden könne.
35Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der von ihnen eingereichten Schriftsätze verwiesen. Bezug genommen wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Vorprozeßakten S 2 Ka 134/94 und die Strafakten 8 Cs 44 Js 4007/91 der Staatsanwaltschaft Münster, deren Inhalt, soweit er entscheidungserheblich ist, Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
36Entscheidungsgründe:
37Trotz Ausbleibens der Beigeladenen zu 5) und 6) im Termin zur mündlichen Verhandlung konnte verhandelt und entschieden werden, weil die Beigeladenen in den ordnungsgemäßen Terminsmitteilungen auf diese Möglichkeit hingewiesen worden waren.
38Die gemäß § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Klage ist zulässig, da sie form- und fristgerecht erhoben worden ist.
39Die Klage ist jedoch unbegründet, weil der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 06.11.1995 rechtmäßig ist und den Kläger daher nicht in seinen Rechten verletzt.
40Wesentliche Verfahrensfehler, die den angefochtenen Bescheid rechtswidrig machen könnten, haben nicht vorgelegen.
41Auch der Widerspruch des Beigeladenen zu 4) war zulässig, weil er per Telefax rechtzeitig am 05.11.1993 erhoben war, bevor das Widerspruchsschreiben am 10.11.1993 einging.
42Die Bestellung der zahnärztlichen Mitglieder des Berufungsausschusses durch die Vertreterversammlung der Beigeladenen zu 1) war rechtmäßig. Nach § 97 Abs. 2 Satz 4 des V. Sozialgesetzbuches (SGB V) in Verbindung mit § 96 Abs. 2 Satz 2 SGB V bestimmt die Beigeladene zu 1) die Vertreter der Zahnärzte beim Beklagten. Wie sie das zu tun hat, ist weder in den §§ 96 und 97 SGB V noch in den §§ 34 ff der Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte (ZV-Z) geregelt. Deshalb ist nicht zu beanstanden, daß sie die Wahl durch die Vertreterversammlung, die ein Selbstverwaltungsorgan der Beigeladenen zu 1) im Sinne von § 79 SGB V ist, hat vornehmen lassen. Somit ist die Wahl der zahnärztlichen Mitglieder des Berufungsausschusses rechtmäßig, selbst wenn die dies regelnde Vorschrift von § 15 Abs. 2 Nr. 11 der Satzung der Beigeladenen zu 1) nicht wirksam sein sollte, falls sie, wie der Kläger vermutet, nicht richtig ausgefertigt sein sollte. Mithin brauchte die Satzung der Beigeladenen zu 1) auch vom Gericht nicht überprüft zu werden.
43Die Beigeladene zu 1) und die Krankenkassen sind zur Verhandlung vor dem Beklagten am 27.09.1995 geladen worden. Das ergibt sich zwar nicht aus den Verwaltungsakten. Die Beigeladene zu 1) hat nach ihren Angaben aber eine schriftliche Ladung erhalten und die beigeladenen Krankenkassen haben vorgetragen, daß sie zu Sitzungen der Zulassungsgremien Sammelladungen erhalten. Sie haben nicht bezweifelt, daß sie auch in diesem Fall eine Ladung erhalten haben. Im übrigen waren - nach der Behauptung des Klägers - allenfalls die beigeladenen Krankenkassenverbände und die Beigeladene zu 1) nicht geladen. Sie haben das Fehlen der Ladung, die nach § 37 Abs. 2 Satz 1 ZV-Z in Verbindung mit § 45 Abs. 3 ZV-Z erforderlich ist, nicht gerügt, so daß ein etwaiger Mangel, der in der fehlenden Ladung gelegen hat, nunmehr gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 295 der Zivilprozeßordnung (ZPO) auch nicht mehr gerügt werden kann. § 295 ZPO ist nämlich auch für förmliche Verwaltungsverfahren, wie das Verfahren vor dem Beklagten, anzuwenden (vgl. Zeihe, § 295 ZPO, Rand-Nr. 1e m.w.N.).
44Unerheblich ist, ob der damalige Vorsitzende des Beklagten den Verhandlungstermin schriftlich bestimmt hat, was sich aus den Akten nicht ergibt, oder ob er die Geschäftsstelle mündlich angewiesen hat. § 37 Abs. 2 ZV-Z schreibt zwar eine schriftliche, aber keine Ladung durch den Vorsitzenden vor, und § 36 S. 2 ZV-Z bestimmt nur, daß der Vorsitzende die Sitzung anberaumt. Wie er das zu tun hat, ist in der ZV-Z nicht vorgeschrieben. Auch wenn die Ausschußmitglieder nicht weisungsgebunden sind, so ergibt sich daraus keine Verpflichtung zu einer schriftlichen Terminsbestimmung durch den Vorsitzenden.
45Materiell-rechtlich ist der angefochtene Bescheid rechtmäßig, weil dem Kläger gemäß § 95 Abs. 6 SGB V in der ab 01.01.1993 geltenden Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 22.12.1992 (BGBl. I 2266) die Zulassung zu entziehen ist, denn er hat seine kassen- bzw. vertragszahnärztlichen Pflichten gröblich verletzt.
46Für die Beurteilung des Klagebegehrens sind die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht maßgeblich, obwohl es sich um eine Anfechtungsklage handelt und bei Prüfung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes in der Regel die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zugrunde zu legen ist. Da die Zulassungsentziehung aber noch nicht vollzogen ist, gleicht die Fallgestaltung derjenigen bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung, deren Rechtmäßigkeit auch unter Berücksichtigung der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu beurteilen ist (vgl. BSG SozR 3-2500, § 95 Nr. 4).
47Eine gröbliche Pflichtverletzung im Sinne von § 95 Abs. 6 SGB V liegt nicht nur vor, wenn durch sie das Vertrauen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung und der Krankenkassen in die ordnungsgemäße Behandlung der Versicherten erheblich gestört ist. Vielmehr ist auch dann eine gröbliche Pflichtverletzung in dem o. a. Sinne gegeben, wenn dadurch das Vertrauen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung und der Krankenkassen in die Rechtmäßigkeit der Abrechnungen eines Zahnarztes so gestört ist, daß diesen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Zahnarzt nicht zugemutet werden kann (vgl. BSG a.a.O. m.w.N.).
48Da die Kassenzahnärztliche Vereinigung und die Krankenkassen - solange keine konkreten Verdachtsgründe vorliegen, - kaum die Möglichkeit haben, die abgerechneten Leistungen daraufhin zu überprüfen, ob sie auch tatsächlich erbracht worden sind, müssen sie sich unbedingt auf die Ehrlichkeit des Vertragszahnarztes verlassen können. Eine gewissenhafte, peinlich genaue Abrechnung gehört deshalb zu den Grundpflichten eines jeden Vertragszahnarztes (vgl. BSG a.a.O. und BSG: USK 1972, 117).
49Gegen die Pflicht der peinlich genauen Abrechnung hat der Kläger verstoßen, indem er - wie er selbst eingeräumt hat - für die Zeit von Ende 1988 bis Juli/August 1991 den Krankenkassen gegenüber die Rechnungen des Dentallabors L zu 100 % geltend gemacht hat, obwohl er von dem Labor zuerst Rückvergütungen von 20 % und dann von 10 % erhalten hat.
50Zwar können zahntechnische Laborkosten, wie sich aus Ziff. 4 der Allgemeinen Bestimmungen zum Bema-Z und § 6 des Gebührentarifs C (Anlage 3 zum EKV-Z) ergibt,gesondert berechnet werden. Aus diesen Regelungen ergibt sich aber auch, daß nur die tatsächlich entstandenen Kosten vom Zahnarzt gegenüber den Krankenkassen geltend gemacht werden dürfen. Außerdem haben die Beigeladene zu 1) und die Landesverbände der Krankenkassen hinsichtlich der Abrechnung zahntechnischer Leistungen bei Inanspruchnahme gewerblicher Laboratorien in § 8 Abs. 2 Satz 2 des Gesamtvertrages (in der derzeit gültigen Fassung vom 27.11.1993) bestimmt, daß das Gewährenlassen von Rabatten, Bonifikationen und sonstiger Rückvergütungen unzulässig ist; ausgenommen hiervon sind Skonti. Diese Bestimmung war schon im Gesamtvertrag vom 20.06.1983 (damals als § 6 Abs. 2) sowie in allen folgenden Gesamtverträgen (ab 01.01.1988: § 5 Abs. 2 und ab 01.01.1990: § 4 Abs. 2) zu finden und sowie in allen folgenden Gesamtverträgen (ab 01.01.1988: § 5 Abs. 2 und ab 01.01.1990: § 4 Abs. 2) zu finden und ist gemäß § 95 Abs. 3 Satz 2 SGB V in Verbindung mit § 72 Abs. 1 Satz 2 SGB V für jeden im Bereich der Beigeladenen zu 1) tätigen Kassenzahnarzt bzw. Vertragszahnarzt verbindlich.
51Für die Behandlung von Versicherten der Ersatzkassen ergibt sich ausdrücklich aus § 11 Abs. 2 EKV-Z die Bestimmung, daß die von gewerblichen Laboratorien gewährten Rückvergütungen wie Preisnachlässe, Rabatte, Umsatzbeteiligungen, Bonifikationen und rückvergütungsgleiche Gewinnbeteiligungen mit Ausnahme von Barzahlungsrabatten an die Vertragskasse weiterzugeben sind.
52Gegen diese vertraglichen Bestimmungen hat der Kläger verstoßen. Diese Vertragsverletzungen sind gröbliche Verletzungen kassenzahnärztlicher bzw. vertragszahnärztlicher Pflichten im Sinne des § 95 Abs. 6 SGB V, die zur Entziehung der Zulassung führen. Das ist in der Regel bei falschen Abrechnungen, die den Straftatbestand des Betruges erfüllen, der Fall (vgl. BSG SozR 3-2500, § 95 Nr. 4).
53Die Zulassungsentziehung greift zwar schwerwiegend in die in Artikel 52 des EWG-Vertrages garantierte Niederlassungsfreiheit des Klägers ein, so daß sie unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur ausgesprochen werden darf, wenn sie das einzige Mittel zur Sicherung und zum Schutz der vertragszahnärztlichen Versorgung ist. Das ist hier anzunehmen. Im vorliegenden Fall reichen Disziplinarmaßnahmen nicht aus. Vielmehr ist die Zulassungsentziehung das einzige Mittel zur Sicherung und zum Schutz der vertragszahnärztlichen Versorgung (vgl. BSG SozR 2200, § 368a, Nr. 24), weil die Pflichtverletzung des Klägers nach Art, Dauer und Umfang besonders schwerwiegend war.
54Die unzulässige Rabattnahme erfolgte über einen langen Zeitraum, und zwar über etwa 2 ¾ Jahre, von Ende 1988 bis Juli/August 1991.
55Nach dem Strafbefehl beliefen sich die Rückvergütungen auf über 20.000,- DM nach Abzug eines zulässigen Skonto von 3 %. Der Kläger hat die Höhe nunmehr zwar bezweifelt. Er hält die mit den Kassen vereinbarte Schadensersatzleistung von 11.000,- DM für richtig. Da die Staatsanwaltschaft den Schadensbetrag mit über 20.000,- DM anhand der Laborrechnungen ermittelt hat und bei Material- und Laborkosten von den Patienten 40 oder 50 % zu bezahlen waren, während die 11.000,- DM nur den Schaden der Krankenkassen berücksichtigen, ist doch ein etwa bei 20.000,- DM oder nur geringfügig darunter liegender Schaden anzunehmen.
56Der Verstoß des Klägers gegen seine kassen- bzw. vertragszahnärztlichen Pflichten ist vorsätzlich erfolgt. Das ergibt sich schon daraus, daß er die Preisnachlässe nicht etwa jedesmal von den Rechnungen gleich abgezogen hat, sondern daß er zunächst die vollen Beträge gezahlt hat und sich dann die Rückvergütungen bar in den Niederlanden abgeholt hat. Im übrigen wäre auch sonst nicht verständlich, weshalb er sich nicht gegen die Veruteilung wegen fortgesetzten Betruges in dem Strafbefehl gewehrt hat. Selbst wenn in den Niederlanden eine andere Abrechnungsweise für zahntechnische Leistungen gilt und es dort Festpreise gibt, so wußte er aber, daß er in Deutschland anders abrechnete und daß er dort seine Leistungen und die Laborleistungen einzeln in Rechnung stellte.
57Der Kläger hat sich durch die Einbehaltung der Rabatte genauso verwerflich verhalten wie ein Zahnarzt, der nicht erbrachte Leistungen abrechnet. Wie bei einem Zahnarzt, der nicht erbrachte Leistungen abrechnet, lag auch bei ihm bei jeder Laborrechnung, die er gegenüber der Kassenzahnärztlichen Vereinigung und den Krankenkassen abrechnete, eine von ihm selbst vorgenommene verwerfliche Handlung vor, weil er jedesmal einen höheren Betrag abgerechnet hat als er bezahlen mußte. Unerheblich ist, ob er die Rabatte erhielt, weil sie ihm angeboten wurden.
58Bei den jahrelang andauernden Verstößen handelt es sich daher um Pflichtverletzungen, die das vertragszahnärztliche System empfindlich stören und das Vertrauensverhältnis zu den Krankenkassen nachhaltig beeinträchtigen. Wegen der langen Dauer der unzulässigen Rabattnahme, der beträchtlichen Höhe der einbehaltenen Rabatte und wegen des kriminellen Charakters der Vorgehensweise des Klägers bei dem vorsätzlichen Verstoß gegen die Vertragsbestimmungen hat sich der Kläger als ungeeignet für die Teilnahme an der vertragszahnärztlichen Versorgung erwiesen. Das Fehlverhalten des Klägers hat das Vertrauensverhältnis zu den Krankenkassen so nachhaltig gestört, daß ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger - jedenfalls zur Zeit - nicht zuzumuten ist.
59Das Fehlverhalten des Klägers wiegt auch schwerer als sein Wohlverhalten seit Ende 1991, d.h. seit nunmehr fast fünf Jahren. Zwar ist - wie bereits ausgeführt - auch eine etwaige Änderung der Sachlage bis zum Termin der mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen (vgl. dazu insbesondere BSG SozR 3-2500, § 95 Nr. 4). Der Kläger hat durch sein Verhalten seit Ende 1991 das Vertrauensverhältnis zu den Krankenkassen aber nicht wieder hergestellt. Dazu genügt es nicht, daß er seitdem seine kassen- bzw. vertragszahnärztliche Tätigkeit einwandfrei verrichtet. Vertragsgemäßes Verhalten wird bei allen Vertragszahnärzten als selbstverständlich vorausgesetzt. Ein Wohlverhalten von etwa fünf Jahren unter dem Druck zunächst des Strafverfahrens bzw. unter dem Druck des laufenden Zulassungsentziehungsverfahrens rechtfertigt nicht den Schluß, daß das Vertrauensverhältnis zu den Krankenkassen schon wieder hergestellt ist.
60Entgegen der später von dem Kläger aufgestellten Behauptung ist nicht davon auszugehen, daß er die unzulässige Rabattnahme freiwillig aufgrund dieses Rundschreibens der Beigeladenen zu 1) aufgegeben hat. Er selbst hat vor der Staatsanwaltschaft am 04.12.1991 angegeben, daß er die Verfahrensweise nach der Durchsuchung seiner Praxis aufgegeben habe. Es ist nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich, weshalb die ersten zeitnahen Angaben des Klägers falsch sein sollten. Aus den Strafakten ergibt sich auch kein Anhaltspunkt dafür. Der Inhaber des Labors L kann aus eigenem Wissen keine Angaben dazu machen, weshalb der Kläger die Annahme der Rabatte beendet hat, so daß er vom Gericht dazu nicht als Zeuge gehört zu werden brauchte.
61Im übrigen ist auch zu berücksichtigen, daß es ungerecht wäre, wollte man infolge des Wohlverhaltens während des Zulassungsentziehungsverfahrens eine Wiedererlangung der Eignung des Klägers annehmen. Der Kläger wäre dann viel besser gestellt als ein Zahnarzt, der wegen geringerer Verstöße eine Disziplinarstrafe erhalten und dessen Zulassung tatsächlich geruht hat, während der Kläger bisher ohne Unterbrechung noch zugelassen ist (vgl. BSG SozR 2200, § 368a Nr. 3).
62Der Umstand, daß der Kläger den Betroffenen Schadensersatz geleistet hat, reicht für die Wiederherstellung des Vertrauensverhältnisses auch nicht aus, da der Kläger zur Schadensregulierung verpflichtet war.
63Auch wenn der Kläger nun weiterhin mit dem Labor L zusammenarbeitet und Rabatte dieses Labors nun den Krankenkassen zugute kommen, so genügt das für eine neue Vertrauensbasis nicht. Damit haben die Krankenkassen auch nicht zum Ausdruck gebracht, daß sie weiter mit dem Kläger zusammenarbeiten wollen. Sie hatten vielmehr wegen des laufenden Zulassungsentziehungsverfahrens gar keine andere Möglichkeit.
64Aufgrund der Schwere der Verstöße kann den Krankenkassen die auf einem besonderen Vertrauensverhältnis basierende Zusammenarbeit mit dem Kläger daher nicht mehr zugemutet werden. Deshalb ist die Zulassungsentziehung auch das einzige Mittel. Disziplinarmaßnahmen würden das vertragszahnärztliche System nicht ausreichend schützen. Bei unwirtschaftlicher Behandlungsweise mag eine Disziplinarmaßnahme ausreichend sein (vgl. BSGE 60, 76, 78), aber nicht bei fortgesetztem Betrug.
65Schließlich ist die Zulassungsentziehung auch nicht deshalb ausgeschlossen oder rechtswidrig, weil bereits eine Disziplinarmaßnahme gegen den Kläger festgesetzt worden ist (vgl. BSGE 61, 1 ff). Allenfalls mag der Disziplinarbeschluß wegen der nunmehr erfolgten Zulassungsentziehung aufzuheben sein (vgl. BSGE 61, 1, 3 f).
66Nach alledem ist die angefochtene Entscheidung des Beklagten rechtmäßig.
67Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 193, 183 SGG, insbesondere aus 193 Abs. 4 Satz 2 SGG.
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