Urteil vom Sozialgericht Neubrandenburg (4. Kammer) - S 4 U 79/05

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

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Streitig ist ein Anspruch auf Entschädigung einer Geschwulsterkrankung der Speiseröhre als Berufskrankheit im Sinne der Gesetzlichen Unfallversicherung (Strahlenschaden nach Exposition im Rahmen des Wehrdienstes in der ehemaligen DDR).

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Der im Jahre 1939 geborene Kläger war im Rahmen seines Wehrdienstes bei der Nationalen Volksarmee der ehemaligen DDR (NVA) von Mai 1963 bis November 1994 und im Rahmen einer Wehrübung bei der NVA von März bis Juni 1968 u.a. auf einer Radarstation (P15) als Funkorter eingesetzt. Sein Wohnort befand sich stets in der ehemaligen DDR bzw. nachfolgend im Beitrittsgebiet.

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Mit Schreiben vom 22. Juni 2001 wandte er sich an das Bundesverteidigungsministerium und bat um Prüfung, ob die bei ihm im Jahre 1997 diagnostizierte Speiseröhrenkrebserkrankung im Hinblick auf die Strahlenexposition im Rahmen seines Wehrdienstes als Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden könne.

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Nach Weiterleitung des Vorgangs an die Beklagte stellte diese Ermittlungen zum beruflichen Werdegang des Klägers, seiner Krankheitsgeschichte und zu Art und Umfang der Exposition durch ionisierende und Radarstrahlen an.

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Mit Bescheid vom 3. Mai 2005 lehnte es die Beklagte ab, die Erkrankung des Klägers als entschädigungspflichtige Berufskrankheit anzuerkennen oder wie eine Berufskrankheit zu entschädigen, da nach dem Ergebnis ihrer technischen Ermittlungen weder von einer ausreichenden Exposition durch ionisierende Strahlen im Sinne der Nr. 2402 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung auszugehen sei, um die Entstehung der Erkrankung mit Wahrscheinlichkeit auf die Einwirkung der Röntgenstörstrahlen zurückführen zu können, noch eine etwaige Exposition durch Radarstrahlen (hochfrequente elektromagnetische Wellen) nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand geeignet sei, über den unmittelbaren thermischen Effekt hinaus Langzeitschäden hervorzurufen.

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Hiergegen erhob der Kläger am 19. Mai 2005 Widerspruch mit der Begründung, dass entgegen den Ausführungen der Beklagten von einer erheblichen und ausreichenden Exposition durch (ionisierende) Röntgenstörstrahlen im Rahmen seines Wehrdienstes auszugehen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Widerspruchsbegründung, Bl. 77 ff., der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 5. September 2005 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung wiederholte sie im wesentlichen ihre Ausführungen aus dem Ablehnungsbescheid.

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Hiergegen erhob der Kläger am 30. September 2005 die vorliegende Klage, mit welcher er sein bisheriges Begehren weiter verfolgt.

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Zur Begründung macht er im wesentlichen geltend, dass und warum von einer ausreichenden Strahlenexposition auszugehen sei.

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Der Kläger beantragt (sinngemäß):

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Der Bescheid der Beklagten vom 3. Mai 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. September 2005 wird aufgehoben.

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Die Beklagte wird verurteilt, die Krebserkrankung des Klägers als Wehrdienstbeschädigung, hilfsweise als Berufskrankheit anzuerkennen und durch Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu entschädigen.

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Die Beklagte beantragt:

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Die Klage wird abgewiesen.

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Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihre Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden.

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Das Gericht hat eine Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 8. November 2006 eingeholt, wonach eine gesetzliche Neuregelung dahingehend beabsichtigt sei, den Versicherungsschutz der Wehrdienstleistenden der ehemaligen NVA im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung zu regeln. Hiermit sei für das letzte Quartal 2007 zu rechnen.

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Das Gericht hat die Parteien unter dem 20. November 2006 darauf hingewiesen, dass nach der gegenwärtigen Rechtslage mangels Versicherungsschutz nur eine Abweisung der Klage in Betracht komme, weshalb Anträge auf ein Ruhen des Verfahrens bis zur angekündigten gesetzlichen Neuregelung anzuregen seien.

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Der Kläger hat sich mit Schriftsatz vom 31. Januar 2007 ausdrücklich dagegen ausgesprochen, das Verfahren zum Ruhen zu bringen, da hiermit eine unter Umständen mehrjährige Verzögerung verbunden sei. Auch habe sich die Beklagte zu keinem Zeitpunkt auf den fehlenden Versicherungsschutz berufen, sodass eine Selbstbindung der Verwaltung anzunehmen sei.

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Das Gericht hat den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme zu einer beabsichtigten Entscheidung im Wege des Gerichtsbescheides gegeben. Einwendungen hiergegen wurden nicht erhoben.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht konnte über die Klage gemäß § 105 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden. Voraussetzung für den Erlaß eines Gerichtsbescheides, der die Wirkung eines Urteils haben kann, ist, daß der Rechtsstreit nach Auffassung des Gerichts keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, ferner dass die Parteien zuvor gehört wurden, ohne dass ein ausdrückliches Einverständnis erforderlich wäre.

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Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

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Die Klage ist mit ihrem Hauptantrag bereits unzulässig.

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Soweit der Kläger die Anerkennung seiner Erkrankung als Wehrdienstbeschädigung geltend macht, fehlt es an einer entsprechenden Verwaltungsentscheidung als Sachurteilsvoraussetzung der hier allein in Betracht kommenden Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, § 78 SGG. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten verhalten sich ausschließlich zu einer Entschädigung der Erkrankung des Klägers als oder wie eine Berufkrankheit, nicht jedoch zum Vorliegen einer Wehrdienstbeschädigung.

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Eine solche Entscheidung könnte von der Beklagten als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung auch gar nicht getroffen werden, da es ihr insoweit an der sachlichen Zuständigkeit fehlt. Die Feststellung und Entschädigung einer Wehrdienstbeschädigung obliegt allein den nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) zuständigen Stellen, mithin den vom Bundesministerium der Verteidigung bestimmten Behörden der Bundeswehrverwaltung bzw. nach dem Ausscheiden aus dem Dienst den zur Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden, § 88 SVG.

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Auf die Durchführung eines (Verwaltungs- und) Vorverfahrens kann auch nicht ausnahmsweise gemäß § 75 Abs. 5 SGG verzichtet werden, weil eine Verurteilung eines Beigeladenen nach dieser Vorschrift die Notwendigkeit seiner Beiladung voraussetzt. Eine Beiladung der nach dem SVG zuständigen Behörde ist vorliegend aber nicht im Sinne von § 75 Abs. 2 SGG notwendig, da das SVG nicht auf Soldaten Anwendung findet, die aus einem Wehrdienstverhältnis der ehemaligen Nationalen Volksarmee ausgeschieden sind, Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet B Abschnitt III Nr. 5 lit. b) des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 889, 1146), sodass eine Leistungspflicht der Versorgungsverwaltung nach geltendem Recht nicht in Betracht kommt.

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Mit ihrem Hilfsantrag ist die Klage zwar zulässig, aber unbegründet.

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Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung seiner Erkrankung als oder wie eine Berufkrankheit.

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Berufskrankheiten sind gemäß § 9 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) bzw. § 551 Abs. 1 S. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet hat und die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit erleidet. Unter den gleichen Voraussetzungen ist gemäß dem jeweiligen Abs. 2 eine Krankheit wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, die zwar nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft

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die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 erfüllt sind.

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Die vom Kläger im Gebiet der ehemaligen DDR im Rahmen seines Wehrdienstes bei der NVA verrichtete Tätigkeit, die er als ursächlich für seine Erkrankung anschuldigt, begründete jedoch nach bundesdeutschem Recht keinen Versicherungsschutz. Der Kläger gehörte während der Erfüllung seiner Wehrpflicht nicht zum Kreis der versicherten Personen im Sinne des bis zum Inkrafttreten des SGB VII am 01.01.1997 anzuwendenden § 539 RVO. Insbesondere war er mangels Freiwilligkeit nicht als Beschäftigter im Sinne von § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO anzusehen, sodass es auf die Erwägungen des BSG zur ansonsten anzunehmenden Versicherungsfreiheit nach § 541 Abs. 1 Nr. 2 RVO in seiner Entscheidung vom 10. Oktober 2002, B 2 U 10/02 R, nicht ankommen dürfte.

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Ob die Tätigkeit des Klägers nach den gesetzlichen Bestimmungen der ehemaligen DDR unter gesetzlichem Unfallversicherungsrecht stand, ist im vorliegenden Fall ebenfalls nicht entscheidungserheblich, da die Erkrankung des Klägers einem ab dem 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekanntgeworden ist, sodass ausschließlich bundesdeutsches Recht zur Anwendung kommt, § 215 Abs. 1 SGB VII i. V. m. § 1150 Abs. 2 RVO.

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Wenngleich festzustellen ist, dass durch die oben dargestellte Rechtslage eine sachlich kaum zu begründende Ungleichbehandlung von Wehrdienstleistenden in der ehemaligen DDR bewirkt wird, sieht das Gericht keinen Anlass, das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Die oben aufgezeigten entscheidungserheblichen gesetzlichen Bestimmungen des Unfallversicherungsrechts stehen mit der Verfassung in Einklang. Fraglich ist allenfalls, ob die Ausschließung dieses Personenkreises aus dem Anwendungsbereich des sachnäheren Versorgungsrechts mit dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar ist. Versorgungsrechtliche Bestimmungen sind aber im vorliegenden Verfahren gegen einen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung nicht anzuwenden, sodass es auf deren Verfassungsgemäßheit bei der Entscheidung nicht im Sinne der o.g. Vorschrift ankommt.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.

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Die Statthaftigkeit der Berufung ergibt sich aus § 143 Sozialgerichtsgesetz.

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