Urteil vom Sozialgericht Reutlingen - S 3 SO 1225/05

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Tatbestand

 
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin Leistungen für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Kaltmiete für die Monate Januar bis Juni 2005 zu erbringen hat.
Die im Jahr ... geborene Klägerin erhielt seit Juli 1994 Hilfe zum Lebensunterhalt von der Beklagten. Sie lebt in einer im November 1993 angemieteten „Zwei-Zimmer-Studio-Komfort-Wohnung“ im Gebäude ... in ... Die Wohnung hat eine Fläche von 59 m 2 . Sie wurde im Jahr 1993 erstmals bezugsfertig. Der Mietzins betrug bei Einzug DM 1075 zusätzlich DM 80 für eine Garage. Zwischenzeitlich beträgt der Mietzins EUR 590,54. Bereits im Jahr 1994 wurde die Klägerin von der Beklagten darauf hingewiesen, sie solle sich um einen kostengünstigeren Wohnraum bemühen, da die tatsächlichen Unterkunftskosten nur noch für einen Zeitraum von 6 Monaten berücksichtigt werden könnten. Dieser und nachfolgenden Aufforderungen ist die Klägerin nicht nachgekommen. Ab Februar 1995 übernahm die Beklagte nur noch die „angemessenen Unterkunftskosten“. Im Rahmen einer Überprüfung im Juli 1998 teilt die Klägerin, nachdem sich die Beklagte fragte, wie sie angesichts der hohen Mietdifferenz ihren Lebensbedarf decke, mit, sie erhalte finanzielle Unterstützungen durch ihren Bruder sowie Unterstützungen mit Lebensmitteln von Bekannten. Aus einem Aktenvermerk der Beklagten vom August 1998 geht hervor, dass bei der Klägerin körperliche Beeinträchtigungen (Unterleibstumor) vorlagen und sie auch psychisch stark angeschlagen zu sein schien. Ferner wurden auf Probleme im Hinblick auf Veränderungen der Lebenssituation im Zusammenhang mit einer Scheidung beschrieben.
Mit Bescheid vom ... wurden der Klägerin ab dem 01.01.2005 Leistungen nach dem SGB II bewilligt. Bei der Berechnung der Leistungen wurde eine angemessene Höchstkaltmiete mit EUR 300 zugrunde gelegt. Die anfallenden Nebenkosten wurden in voller Höhe als Bedarf berücksichtigt. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom ... zurückwies. Die ortsüblich angemessene Miete, die als Bedarf anerkannt werden könne, betrage in ... lediglich EUR 300. Dieser Mietbetrag sei in Anlehnung an das Wohngeldgesetz errechnet worden. Auch wenn der aktuelle Mietspiegel der Stadt ... herangezogen werde, ergebe sich, dass die von der Klägerin angemietete Wohnung sozialhilferechtlich nicht angemessen sei. Es könne nicht erwartet werden, dass die Kosten einer Komfortwohnung im Rahmen der Gewährung von Sozialleistungen finanziert wird. Für einen Empfänger von Sozialleistungen sei es zumutbar, in einer Altbauwohnung mit einer mittleren Ausstattung zu leben. Nur aufgrund der ab dem 01.01.2005 neuen Bewilligungsgrundlage bestehe kein Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Kosten für 6 Monate, wenn bereits im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt die Höchstmiete berücksichtigt worden sei und zudem ein Wechsel der Wohnung zu Zeiten des Bezugs von Leistungen nach dem BSHG zuzumuten gewesen wäre.
Deswegen hat die Klägerin am ... Klage erhoben. Sie trägt vor, die von ihr bewohnte Wohnung sei keine Komfort-Wohnung. Es handle sich um eine völlig durchschnittliche Zwei-Zimmer-Wohnung, deren einziger Komfort darin bestehe, dass sie über eine Einbauküche verfüge. Bislang habe sie Sozialhilfe in Höhe von EUR 338,00 zuzüglich Kleidergeld und Wohngeld sowie monatliche Unterhaltszahlungen in Höhe von EUR 409,03 bezogen. Mit Hilfe des Kleidergeldes und des Wohngeldes sei sie gerade zurecht gekommen. Die angegriffenen Bescheide würden zu einer erheblichen Reduktion des Einkommens führen. Sie sei dadurch nicht mehr in der Lage, neben den Mietzahlungen den Lebensbedarf zu decken. Sie habe eine mehrere Jahre hinweggehende „Scheidungs-Odyssee“ hinter sich. Die Wohnung sei ihr einziger Halt. Ferner sei sie schwer erkrankt. Schon aus gesundheitlichen Gründen sei ein Umzug nicht möglich. Zudem könnte Sie auch die Umzugskosten nicht aufbringen. In der mündlichen Verhandlung trägt die Klägerin ergänzend vor, zum 01.01.2005 sei eine völlig neue rechtliche Lage entstanden. Eine ausdrückliche Übergangsregelung für Sozialhilfeempfänger, bei denen bislang nicht die vollen tatsächlichen Unterkunftskosten berücksichtigt worden seien, sei nicht ersichtlich. Von dem her müsse ab dem 01.01.2005 die gesetzliche Regelung, wonach auch nicht angemessene Kosten zumindest vorübergehend zu übernehmen seien, von Neuem angewandt werden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom ... i.d.G. des Widerspruchsbescheids vom ... zur Gewährung der tatsächlichen Unterkunftskosten für die Monate Januar 2005 bis Juni 2005 zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält an der getroffenen Entscheidung fest und hält die Auffassung der Klägerin, ab dem 01.01.2005 seien losgelöst von der Vergangenheit auch unangemessene Unterkunftskosten übergangsweise zu berücksichtigen für unrichtig.
10 
Ein Antrag der Klägerin auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz wurde mit Beschluss vom 12.02.2005 abgelehnt (S 3 SO 1142/05 ER).
11 
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und weiterer Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten im Hauptsache- und ER-Verfahren, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung wurden, verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
12 
Die form- und fristgerecht beim sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Reutlingen erhobene Klage ist zulässig. Richtige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs-/Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
13 
Die Klage hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten von Januar 2005 bis Juni 2005 zu. Die angefochtene Entscheidung der Beklagten erweist sich als rechtmäßig. Die Klägerin wird dadurch nicht in ihren Rechten verletzt.
14 
Nach § 22 Abs. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf des alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für 6 Monate.
15 
Die tatsächlichen Mietaufwendungen der Klägerin sind nicht angemessen. Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei der von der Klägerin bewohnten Wohnung um eine „Komfort-Wohnung“ handelt. Die Wohnung ist jedenfalls nach der Wohnfläche und vor allem nach dem Mietzins nicht als angemessen anzusehen. Für Alleinstehende sind Wohnflächen von 45 bis 50 m 2 als angemessen zugrunde zu legen (Berlit in LPK SGB II § 22 Randnr. 26). Die von der Klägerin bewohnte Wohnung übersteigt diese Fläche um 9 m 2 (knapp 20 %). Selbst wenn diese Abweichung noch als geringfügig angesehen würde, ist jedenfalls der Mietzins zu hoch. Die Kammer hat keine Bedenken gegen den von der Beklagten zugrunde gelegten angemessenen Mietzins in Höhe von EUR 300. Es wird davon ausgegangen, dass in R. und in den umliegenden Teilorten Wohnungen auf diesem Preisniveau zu haben sind. Bereits aufgrund einer kurzen Internet-Recherche konnte der Vorsitzende im parallel anhängigen Verfahren zur Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz feststellen, dass in P. eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit 67 m 2 zu EUR 360, in R.-M. eine möblierte Ein-Zimmer-Wohnung mit 32 m 2 zu EUR 300 und in Wannweil eine Eineinhalb-Zimmer-Erdgeschoss-Wohnung mit 51,65 m 2 zu EUR 355,00 angeboten werden. Somit bestehen keine Zweifel daran, dass bei einer intensiveren Suche auch unter Berücksichtigung privater Vermietungsangebote in Kleinanzeigen eine Wohnung zu EUR 300 gefunden werden könnte. Damit steht fest, dass die Wohnung der Klägerin nur aufgrund unangemessener Aufwendungen bewohnt werden kann.
16 
Eine ausnahmsweise Übernahme der tatsächlichen Wohnkosten nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II kommt nicht in Betracht. Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass allein die gesetzliche Neuregelung zum 01.01.2005 nicht dazu führt, dass eine zuvor auf die angemessenen Wohnkosten beschränkte Leistungsgewährung nun wiederum für 6 Monate auf die tatsächlichen Wohnkosten ausgedehnt werden müsste. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II knüpft inhaltlich an § 3 der Verordnung zur Durchführung des § 22 des Bundessozialhilfegesetzes (Regelsatzverordnung) in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung an. Nach § 3 Abs. 1 Regelsatzverordnung wurden laufende Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gewährt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang überstiegen, waren sie als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 11 Abs. 1 des Gesetzes zu berücksichtigen sind, solange anzuerkennen, als es diesen Personen nicht möglich oder nicht zuzumuten war, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken. Die Entstehungsgeschichte des § 22 SGB II enthält keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber eine qualitative Änderung des Sozialhilferechts beabsichtigte (Berlit in LPK-SGB II § 22 Randnr. 4).
17 
Die Klägerin übersieht bei ihrer Behauptung, ab dem 01.01.2005 sei die Übergangsfrist nach § 22 SGB II neu zu berücksichtigen, zum einen, dass das SGB II zusammen mit dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) an die Stelle des bisherigen BSHG getreten ist. Die Regelungen des SGB II und des SGB XII knüpfen an die Regelungen des BSHG und damit auch an § 3 der Regelsatzverordnung, dessen Inhalt nunmehr in das Gesetz direkt übernommen wurde, an. Es kann als ausgeschlossen angesehen werden, dass der Gesetzgeber beabsichtigte, Sozialhilfeempfänger, bei denen bis zum 31.12.2004 nicht die tatsächlichen Unterkunftskosten der Bedarfsberechnung zugrunde gelegt wurden, allein aufgrund der gesetzlichen Neuregelung eine nochmalige Übergangsfrist zu gewähren. Dagegen spricht, dass eine inhaltliche Neuregelung nicht erfolgte. Die in § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II enthaltene befristete Bestandsschutzregelung gilt grundsätzlich nur für Hilfeempfänger, die bei Leistungsbeginn in einer unangemessen teuren Unterkunft leben und in Fällen, in denen während des Leistungsbezuges eine zunächst kostenangemessene Unterkunft ohne Wohnungswechsel unangemessen teuer wird, etwa durch eine Mieterhöhung (Berlit aaO § 22 Randnr. 44). Der Leistungsbezug der Klägerin ab 01.01.2005 kann bei sachgerechter Auslegung nicht als „Leistungsbeginn“ gewertet werden. Zwar wurde ab diesem Tag erstmals das sogenannte Arbeitslosengeld II (Alg II) bezogen. Dieser Bezug knüpfte jedoch nahtlos an die zuvor bezogene Sozialhilfe an und ist an deren Stelle getreten. Die Anwendung der befristeten Bestandsschutzregelung wäre aber nur dann gerechtfertigt, wenn ein Leistungsbeginn aufgrund einer neu eingetretenen Bedürftigkeit vorliegen würde. Dies ist nicht der Fall gewesen, da bei der Klägerin durchgängig Bedürftigkeit gegeben war.
18 
Doch selbst wenn entsprechend der Argumentation der Klägerin angenommen werden würde, dass mit dem Inkrafttreten des SGB II zwingend eine Neuüberprüfung der Angemessenheit der Unterkunftskosten und im Zweifel eine übergangsweise Übernahme von unangemessenen Unterkunftskosten auch bei vorangegangenem Sozialhilfebezug möglich sein sollte, trägt der Wortlaut des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II das von der Klägerin gewünschte Ergebnis nicht. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II sieht nicht zwingend vor, dass in jedem Fall für 6 Monate unangemessene Unterkunftskosten zu übernehmen wären. Die Frist von 6 Monaten ist nur eine Regelfrist, die unter Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände sowohl unter- als auch überschritten werden kann. Maßgeblich sind die Zumutbarkeit und die Möglichkeit der Senkung der Kosten. Die Möglichkeit, die Kosten durch einen Umzug in eine kostenangemessene, zumutbare Unterkunft zu senken, ist bei zutreffender Bestimmung der Angemessenheitsgrenze - wie hier der Fall (siehe oben) - stets gegeben. Zwar wird in der Regel eine überschaubare Frist für den Umzug einzuräumen sein. Darauf kann sich die Klägerin jedoch nicht mehr berufen. Sie hat sei 1995 aus eigener Entscheidung hingenommen, dass ihre Wohnkosten von der Beklagten nicht voll übernommen werden.
19 
Soweit sie nunmehr aufgrund anderweitiger Leistungskürzungen sich nicht mehr in der Lage sieht, ihren Lebensunterhalt wegen der zu großen Differenz zwischen der tatsächlichen und den als angemessen anzusehenden Mietkosten zu sichern, kann dies nicht dazu führen, dass nunmehr die tatsächlichen Mietkosten zu übernehmen wären. Anzumerken ist, dass die bisherige Mitfinanzierung der Mietdifferenz durch das Kleidergeld Bedenken weckt, da diese Leistungen damit nicht für den eigentlichen Zweck gebraucht wurden und wohl nicht erbracht hätten werden dürfen. Angesichts der zeitlichen Entwicklung und vor dem Hintergrund, dass die Neuregelungen zum 01.01.2005 für die Klägerin auch nicht gänzlich überraschend kamen, ergibt sich zwangsläufig, dass die nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II einzuräumende Frist sich hier gleichsam „auf Null“ reduzierte.
20 
Auch an der Zumutbarkeit des Umzugs hat die Kammer keine Zweifel. Sie verkennt nicht, dass ein Umzug regelmäßig beschwerlich ist und bei einer länger bestehenden Mietdauer eine Bindung an die Wohnung entstehen kann. Festzuhalten ist, dass jedoch jeder Mieter grundsätzlich damit rechnen muss, dass ein Mietverhältnis endet. Zwar bewohnt die Klägerin die Wohnung nunmehr seit gut 11 Jahren. Dies stellt jedoch keinen so erheblichen Zeitraum dar, dass ein Wohnungswechsel gänzlich ausgeschlossen erscheinen würde. Hätte sich die Klägerin zeitnah zu den Hinweisen der Beklagten um eine Wohnung bemüht, hätte sich zum einen keine solch starke Bindung an die jetzige Wohnung ergeben, zum anderen hätte sie sich schon lange an eine neue Wohnung, die ihr einen neuen Halt hätte vermitteln können, gewöhnen können. Nicht nachvollziehbar ist, weswegen aus gesundheitlichen Gründen ein Umzug unzumutbar sein sollte. Das vorgelegte Attest von Dr. ... entbehrt jeglicher Begründung und Erklärung. Es wird nicht einmal die Erkrankung näher genannt. Zwar geht aus der Verwaltungsakte hervor, dass in der Tat eine schwerwiegende Erkrankung bei der Beklagten vorliegt und möglicherweise auch eine psychische Erkrankung gegeben ist. Es ist jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass hier eine solch spezifische Erkrankung vorliegt, die einen Wohnungswechsel unmöglich machen würde. Gegen eine solch schwere Erkrankung spricht auch, dass die Klägerin Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhält. Bei gegebener Erwerbsfähigkeit muss auch ein Wohnungswechsel möglich sein.
21 
Der Hinweis, die Klägerin könne die Kosten eines Umzugs nicht aufbringen, ist bedeutungslos. Aus § 22 Abs. 3 SGB II ergibt sich, dass Umzugskosten bei vorheriger Zustimmung durch den kommunalen Träger übernommen werden könnten. Zwar mag von der Klägerin wohl nicht zu erwarten sein, den Umzug selbst vorzunehmen. Gleichwohl muss sie sich selbst, gegebenenfalls mit Hilfe ihrer Angehörigen oder der Bekannten, die ihr bislang unterstützend zur Seite standen, um eine neue Wohnung kümmern.
22 
Die Klage war nach alledem in vollem Umfang abzuweisen.
23 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe

 
12 
Die form- und fristgerecht beim sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Reutlingen erhobene Klage ist zulässig. Richtige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs-/Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
13 
Die Klage hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten von Januar 2005 bis Juni 2005 zu. Die angefochtene Entscheidung der Beklagten erweist sich als rechtmäßig. Die Klägerin wird dadurch nicht in ihren Rechten verletzt.
14 
Nach § 22 Abs. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf des alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für 6 Monate.
15 
Die tatsächlichen Mietaufwendungen der Klägerin sind nicht angemessen. Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei der von der Klägerin bewohnten Wohnung um eine „Komfort-Wohnung“ handelt. Die Wohnung ist jedenfalls nach der Wohnfläche und vor allem nach dem Mietzins nicht als angemessen anzusehen. Für Alleinstehende sind Wohnflächen von 45 bis 50 m 2 als angemessen zugrunde zu legen (Berlit in LPK SGB II § 22 Randnr. 26). Die von der Klägerin bewohnte Wohnung übersteigt diese Fläche um 9 m 2 (knapp 20 %). Selbst wenn diese Abweichung noch als geringfügig angesehen würde, ist jedenfalls der Mietzins zu hoch. Die Kammer hat keine Bedenken gegen den von der Beklagten zugrunde gelegten angemessenen Mietzins in Höhe von EUR 300. Es wird davon ausgegangen, dass in R. und in den umliegenden Teilorten Wohnungen auf diesem Preisniveau zu haben sind. Bereits aufgrund einer kurzen Internet-Recherche konnte der Vorsitzende im parallel anhängigen Verfahren zur Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz feststellen, dass in P. eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit 67 m 2 zu EUR 360, in R.-M. eine möblierte Ein-Zimmer-Wohnung mit 32 m 2 zu EUR 300 und in Wannweil eine Eineinhalb-Zimmer-Erdgeschoss-Wohnung mit 51,65 m 2 zu EUR 355,00 angeboten werden. Somit bestehen keine Zweifel daran, dass bei einer intensiveren Suche auch unter Berücksichtigung privater Vermietungsangebote in Kleinanzeigen eine Wohnung zu EUR 300 gefunden werden könnte. Damit steht fest, dass die Wohnung der Klägerin nur aufgrund unangemessener Aufwendungen bewohnt werden kann.
16 
Eine ausnahmsweise Übernahme der tatsächlichen Wohnkosten nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II kommt nicht in Betracht. Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass allein die gesetzliche Neuregelung zum 01.01.2005 nicht dazu führt, dass eine zuvor auf die angemessenen Wohnkosten beschränkte Leistungsgewährung nun wiederum für 6 Monate auf die tatsächlichen Wohnkosten ausgedehnt werden müsste. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II knüpft inhaltlich an § 3 der Verordnung zur Durchführung des § 22 des Bundessozialhilfegesetzes (Regelsatzverordnung) in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung an. Nach § 3 Abs. 1 Regelsatzverordnung wurden laufende Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gewährt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang überstiegen, waren sie als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 11 Abs. 1 des Gesetzes zu berücksichtigen sind, solange anzuerkennen, als es diesen Personen nicht möglich oder nicht zuzumuten war, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken. Die Entstehungsgeschichte des § 22 SGB II enthält keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber eine qualitative Änderung des Sozialhilferechts beabsichtigte (Berlit in LPK-SGB II § 22 Randnr. 4).
17 
Die Klägerin übersieht bei ihrer Behauptung, ab dem 01.01.2005 sei die Übergangsfrist nach § 22 SGB II neu zu berücksichtigen, zum einen, dass das SGB II zusammen mit dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) an die Stelle des bisherigen BSHG getreten ist. Die Regelungen des SGB II und des SGB XII knüpfen an die Regelungen des BSHG und damit auch an § 3 der Regelsatzverordnung, dessen Inhalt nunmehr in das Gesetz direkt übernommen wurde, an. Es kann als ausgeschlossen angesehen werden, dass der Gesetzgeber beabsichtigte, Sozialhilfeempfänger, bei denen bis zum 31.12.2004 nicht die tatsächlichen Unterkunftskosten der Bedarfsberechnung zugrunde gelegt wurden, allein aufgrund der gesetzlichen Neuregelung eine nochmalige Übergangsfrist zu gewähren. Dagegen spricht, dass eine inhaltliche Neuregelung nicht erfolgte. Die in § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II enthaltene befristete Bestandsschutzregelung gilt grundsätzlich nur für Hilfeempfänger, die bei Leistungsbeginn in einer unangemessen teuren Unterkunft leben und in Fällen, in denen während des Leistungsbezuges eine zunächst kostenangemessene Unterkunft ohne Wohnungswechsel unangemessen teuer wird, etwa durch eine Mieterhöhung (Berlit aaO § 22 Randnr. 44). Der Leistungsbezug der Klägerin ab 01.01.2005 kann bei sachgerechter Auslegung nicht als „Leistungsbeginn“ gewertet werden. Zwar wurde ab diesem Tag erstmals das sogenannte Arbeitslosengeld II (Alg II) bezogen. Dieser Bezug knüpfte jedoch nahtlos an die zuvor bezogene Sozialhilfe an und ist an deren Stelle getreten. Die Anwendung der befristeten Bestandsschutzregelung wäre aber nur dann gerechtfertigt, wenn ein Leistungsbeginn aufgrund einer neu eingetretenen Bedürftigkeit vorliegen würde. Dies ist nicht der Fall gewesen, da bei der Klägerin durchgängig Bedürftigkeit gegeben war.
18 
Doch selbst wenn entsprechend der Argumentation der Klägerin angenommen werden würde, dass mit dem Inkrafttreten des SGB II zwingend eine Neuüberprüfung der Angemessenheit der Unterkunftskosten und im Zweifel eine übergangsweise Übernahme von unangemessenen Unterkunftskosten auch bei vorangegangenem Sozialhilfebezug möglich sein sollte, trägt der Wortlaut des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II das von der Klägerin gewünschte Ergebnis nicht. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II sieht nicht zwingend vor, dass in jedem Fall für 6 Monate unangemessene Unterkunftskosten zu übernehmen wären. Die Frist von 6 Monaten ist nur eine Regelfrist, die unter Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände sowohl unter- als auch überschritten werden kann. Maßgeblich sind die Zumutbarkeit und die Möglichkeit der Senkung der Kosten. Die Möglichkeit, die Kosten durch einen Umzug in eine kostenangemessene, zumutbare Unterkunft zu senken, ist bei zutreffender Bestimmung der Angemessenheitsgrenze - wie hier der Fall (siehe oben) - stets gegeben. Zwar wird in der Regel eine überschaubare Frist für den Umzug einzuräumen sein. Darauf kann sich die Klägerin jedoch nicht mehr berufen. Sie hat sei 1995 aus eigener Entscheidung hingenommen, dass ihre Wohnkosten von der Beklagten nicht voll übernommen werden.
19 
Soweit sie nunmehr aufgrund anderweitiger Leistungskürzungen sich nicht mehr in der Lage sieht, ihren Lebensunterhalt wegen der zu großen Differenz zwischen der tatsächlichen und den als angemessen anzusehenden Mietkosten zu sichern, kann dies nicht dazu führen, dass nunmehr die tatsächlichen Mietkosten zu übernehmen wären. Anzumerken ist, dass die bisherige Mitfinanzierung der Mietdifferenz durch das Kleidergeld Bedenken weckt, da diese Leistungen damit nicht für den eigentlichen Zweck gebraucht wurden und wohl nicht erbracht hätten werden dürfen. Angesichts der zeitlichen Entwicklung und vor dem Hintergrund, dass die Neuregelungen zum 01.01.2005 für die Klägerin auch nicht gänzlich überraschend kamen, ergibt sich zwangsläufig, dass die nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II einzuräumende Frist sich hier gleichsam „auf Null“ reduzierte.
20 
Auch an der Zumutbarkeit des Umzugs hat die Kammer keine Zweifel. Sie verkennt nicht, dass ein Umzug regelmäßig beschwerlich ist und bei einer länger bestehenden Mietdauer eine Bindung an die Wohnung entstehen kann. Festzuhalten ist, dass jedoch jeder Mieter grundsätzlich damit rechnen muss, dass ein Mietverhältnis endet. Zwar bewohnt die Klägerin die Wohnung nunmehr seit gut 11 Jahren. Dies stellt jedoch keinen so erheblichen Zeitraum dar, dass ein Wohnungswechsel gänzlich ausgeschlossen erscheinen würde. Hätte sich die Klägerin zeitnah zu den Hinweisen der Beklagten um eine Wohnung bemüht, hätte sich zum einen keine solch starke Bindung an die jetzige Wohnung ergeben, zum anderen hätte sie sich schon lange an eine neue Wohnung, die ihr einen neuen Halt hätte vermitteln können, gewöhnen können. Nicht nachvollziehbar ist, weswegen aus gesundheitlichen Gründen ein Umzug unzumutbar sein sollte. Das vorgelegte Attest von Dr. ... entbehrt jeglicher Begründung und Erklärung. Es wird nicht einmal die Erkrankung näher genannt. Zwar geht aus der Verwaltungsakte hervor, dass in der Tat eine schwerwiegende Erkrankung bei der Beklagten vorliegt und möglicherweise auch eine psychische Erkrankung gegeben ist. Es ist jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass hier eine solch spezifische Erkrankung vorliegt, die einen Wohnungswechsel unmöglich machen würde. Gegen eine solch schwere Erkrankung spricht auch, dass die Klägerin Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhält. Bei gegebener Erwerbsfähigkeit muss auch ein Wohnungswechsel möglich sein.
21 
Der Hinweis, die Klägerin könne die Kosten eines Umzugs nicht aufbringen, ist bedeutungslos. Aus § 22 Abs. 3 SGB II ergibt sich, dass Umzugskosten bei vorheriger Zustimmung durch den kommunalen Träger übernommen werden könnten. Zwar mag von der Klägerin wohl nicht zu erwarten sein, den Umzug selbst vorzunehmen. Gleichwohl muss sie sich selbst, gegebenenfalls mit Hilfe ihrer Angehörigen oder der Bekannten, die ihr bislang unterstützend zur Seite standen, um eine neue Wohnung kümmern.
22 
Die Klage war nach alledem in vollem Umfang abzuweisen.
23 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen

This content does not contain any references.