Urteil vom Sozialgericht Speyer (7. Kammer) - S 7 KR 105/02

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die in den Bescheiden vom 7.1.2002 und vom 4.4.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.5.2002 und die in den Bescheiden vom 1.7.2002, 26.9.2002, 19.12.2002, 3.4.2003, 2.10.2003 und 14.1.2004 ausgesprochene Ablehnung der zwei Mal täglichen Blutzuckermessung im Rahmen der häuslichen Krankenpflege rechtswidrig gewesen ist.

2. Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme einer täglichen Blutzuckermessung im Rahmen häuslicher Krankenpflege.

2

Der am …1929 geborene Kläger leidet unter einem Diabetes Mellitus. Vom 24.11.2001-21.12.2001 befand sich der Kläger in stationärer Krankenhausbehandlung.

3

Am 27.12.2001 ging der Beklagten eine Verordnung häuslicher Krankenpflege durch den den Kläger behandelnden Arzt Dr. S. zu. Dieser verordnete für die Zeit vom 21.12.2001-31.12.2001 und vom 1.1.2002-31.3.2002 eine Blutzuckermessung und zwar zwei Mal täglich. Die Beklagte fragte beim MDK wegen der Notwendigkeit der täglichen Blutzuckermessung an. Dieser kam zu dem Schluss, es liege weder eine Neu- oder Ersteinstellung des Blutzuckers noch eine intensivierte Insulintherapie vor. Daher komme eine Kostenübernahme der Blutzuckermessung nach den Richtlinien über die häusliche Krankenpflege nicht in Betracht. Mit Bescheid vom 7.1.2002 bewilligte die Beklagte die Blutzuckermessung bis zum 7.1.2002, lehnte sie aber darüber hinaus ab. Hiergegen wendete sich der Kläger mit Schreiben vom 8.2.2002.

4

Dr. B. verordnete in der Folge für die Zeit vom 1.4.-30.6.2002 weiter die zwei Mal tägliche Blutzuckermessung.  Am 18.3.2002 reichte der Kläger Klage ein.

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Die Blutzuckermessung für die Zeit vom 1.4.-30.6.2002 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4.4.2002 ab.

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Durch Widerspruchsbescheid vom 6.5.2002 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Sie berief sich auf die Richtlinien über die häusliche Krankenpflege, nach denen eine Kostenübernahme nicht möglich sei.

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Zur Klagebegründung trägt der Kläger vor:

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Er sei durch Dr. S. auf eine intensivierte Insulintherapie eingestellt worden. Er werde nach einer Insulintabelle gespritzt, die individuell auf ihn zugeschnitten sei. Da die Werte schwankend seien und entsprechend unterschiedliche Insulinmengen zu spritzen seien, müsse eine Blutzuckerkontrolle durchgeführt werden. Seine Ehefrau könne die Blutzuckermessung nicht mehr vornehmen, da sie Gicht in ihren Händen habe.

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Im Laufe des Klageverfahrens sind dem Kläger weiter Blutzuckermessungen zunächst zwei Mal täglich, ab 2003 dann nur noch ein Mal täglich verordnet worden. Mit Bescheiden vom 1.7.2002 (3.Quartal 2002), 26.9.2002 (4.Quartal 2002), 19.12.2002 (1.Quartal 2003), 3.4.2003 (2.Quartal 2003), 2.10.2003 (4.Quartal 2003) und 14.1.2004 (1.Quartal 2004) hat die Beklagte die Kostenübernahme für die Blutzuckermessung teils ausdrücklich, teils stillschweigend abgelehnt. Mit Bescheid vom 2.7.2003 hat sie die Blutzuckermessung für das 3.Quartal 2003 bewilligt.

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Der Kläger beantragt schriftlich und sinngemäß,

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festzustellen, dass die in den Bescheiden vom 7.1.2002 und vom 4.4.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.5.2002 und die in den Bescheiden vom 1.7.2002, 26.9.2002, 19.12.2002, 3.4.2003, 2.10.2003 und 14.1.2004 ausgesprochene Ablehnung der zwei Mal täglichen Blutzuckermessung im Rahmen der häuslichen Krankenpflege rechtswidrig gewesen ist.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Weder liege eine Erst-/Neueinstellung des Blutzuckers noch eine intensivierte Insulintherapie vor. Nach den verbindlichen Richtlinien über die häusliche Krankenpflege scheide eine Kostenübernahme daher komplett aus.

15

Das Gericht hat Befundberichte bei Dr. S. und den Dres. B. und S. eingeholt. Es hat weiter die Krankenhausunterlagen über den stationären Aufenthalt des Klägers vom 24.11.-21.12.2001 beigezogen. Es hat schließlich ein Sachverständigengutachten nach Aktenlage bei Dr. K. über die Notwendigkeit der Blutzuckermessungen eingeholt.

16

Das Gericht hat mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage in einer mündlichen Verhandlung vom 27.2.2004 ausführlich erörtert. Da zu diesem Zeitpunkt nicht alle Bescheide der Beklagten vorlagen, ist der Rechtsstreit vertagt worden. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gegeben.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 27.2.2004 und der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, § 124 Absatz 2 SGG.

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Die Klage ist zulässig.

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Der Kläger erhebt nach der gebotenen Auslegung seiner prozessualen Erklärung eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 131 SGG. Deren Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor. Als der Kläger am 18.3.2002 Klage eingereicht hat, handelte es sich um eine sog. unechte Leistungsklage, wobei es insoweit unmaßgeblich ist, dass diese wegen des fehlenden Widerspruchsbescheides noch unzulässig war. Das Rechtsinstitut der Fortsetzungsfeststellungsklage ist auf kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklagen entsprechend anzuwenden (BSG, 29.5.1996- 3 RK 26/95-; BSG 7.9.1988 -10 RAr 8/87-; BSG 21.10.1958- 6 RKa 22/55-, BSGE 8, 178). Der Bescheid der Beklagten vom 7.1.2002 hat sich mit Ablauf des 31.3.2002 erledigt, denn er bezog sich erkennbar nur auf den Bewilligungszeitraum 7.1.2002-31.3.2002 und konnte über den 31.3.2002 hinaus keine Rechtswirkungen entfalten, da der häusliche Pflegedienst für die Blutzuckermessungen kein Entgelt vom Kläger verlangt hat und insoweit eine Verurteilung zur Kostenerstattung oder auch –freistellung nicht möglich ist.

21

Der Bescheid der Beklagten vom 4.4.2002 ist nach § 96 SGG in entsprechender Anwendung Verfahrensgegenstand geworden. Er hat sich mit Ablauf des 30.6.2002 erledigt. Gleiches gilt auch für die Bescheide vom 1.7.2002, 26.9.2002, 19.12.2002, 3.4.2003, 2.10.2003 und 14.1.2004, die sich mit Ablauf des jeweiligen Quartals erledigt haben. Für alle genannten Bescheide gilt, dass die Blutzuckermessungen zur Zeit der Entscheidung vom Kläger nicht vergütet worden sind und von ihm eine Vergütung auch nicht verlangt worden ist, infolgedessen eine Verurteilung zur Kostenerstattung oder –freistellung ausscheidet.

22

Das gemäß § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG erforderliche sog. Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr gegeben. Die Frage, ob die die ablehnenden Bescheide der Beklagten tragende Begründung zutreffend ist, dass die Kostenübernahme für die Blutzuckermessung im Rahmen der häuslichen Krankenpflege vom Vorliegen der Voraussetzungen der Richtlinien über die häusliche Krankenpflege abhängt, hat auch für künftige Zeiten wesentliche Bedeutung.

23

Das Feststellungsinteresse kann nicht deshalb in Frage gestellt werden, weil die Entscheidung über die Kostenübernahme auch vom Vorliegen weiterer Voraussetzungen abhängig ist (medizinische Notwendigkeit, ärztliche Verordnung), die Veränderungen unterliegen können. Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist anzuerkennen, wenn sich - wie es vorliegend der Fall ist - eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage mit einiger Wahrscheinlichkeit künftig erneut stellen wird, ungeachtet dessen, dass sich die Lage im Übrigen ändern könnte (vgl. z.B. BSG SozR 3-2500 § 116 Nr. 14 S 75 f m.w.N.; BSG, 14.3.2001- B 6 KA 49/00 R-). Ebenso wenig wird das Feststellungsinteresse dadurch ausgeschlossen, weil sich der Pflegedienst hinsichtlich der Kosten bislang noch nicht an den Kläger gewandt hat. Für die Zukunft kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Pflegedienst die Blutzuckermessungen dem Kläger in Rechnung stellt.

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Die demnach zulässige Klage ist auch begründet.

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Die Bescheide vom 7.1.2002 und vom 4.4.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.5.2002 und die Bescheide vom 1.7.2002, 26.9.2002, 19.12.2002, 3.4.2003, 2.10.2003 und 14.1.2004 sind rechtswidrig gewesen und haben den Kläger in seinen Rechten verletzt. Der Kläger hatte einen Anspruch auf die beantragte und verordnete Blutzuckermessung im Rahmen der häuslichen Krankenpflege. Sein Anspruch hat sich aus § 37 Absatz 2 Satz 1 SGB V ergeben, wonach Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege erhalten, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist.

26

Die Blutzuckerkontrolle ist der Behandlungspflege zuzuordnen (vgl. nur Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24. April 2001- L 16 P 176/98-).

27

Die zwei mal tägliche Blutzuckermessung war für alle streitigen Quartale medizinisch notwendig. Die medizinische Notwendigkeit wird nunmehr auch nicht mehr von der Beklagten bestritten. Sie wird bestätigt durch das kompetente Gutachten des Diabetologen Dr. K., der ausführt, durch die zwei mal tägliche Messung würden Stoffwechselentgleisungen vermieden werden. Damit würde auch ein Ziel der ärztlichen Behandlung erreicht werden.

28

Die Beklagte stützt ihre Ablehnung auch nur noch auf die Richtlinie über die häusliche Krankenpflege (Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von „häuslicher Krankenpflege“ nach § 92 Abs.1 Satz 2 Nr.6 und Abs.7 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vom16.2.2000 (Banz. Nr.91 S.8878). Im für den vorliegenden Fall maßgeblichen Umfang hat diese Richtlinie folgenden Wortlaut:

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I. Grundlagen

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Nr.3:

31

Die in der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähigen Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege sind dem dieser Richtlinie angefügten Leistungsverzeichnis (Anlage) zu entnehmen. Dort nicht aufgeführte Maßnahmen, insbesondere solche der ärztlichen Diagnostik und Therapie (z.B. venöse Blutentnahme, i.v. Injektionen), sind nicht als häusliche Krankenpflege verordnungsfähig und dürfen von der Krankenkasse nicht genehmigt werden.

32

Unter Nr.11 der Anlage findet sich die Blutzuckermessung, zu der es u.a. heißt:

33

Ermittlung und Bewertung des Blutzuckergehaltes kapillaren Blutes mittels Testgerät (z.B. Glucometer)

34

-bei Erst- und Neueinstellung eines Diabetes (insulin- oder tablettenpflichtig)

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-bei Fortsetzung der sog. intensivierten Insulintherapie.

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Beim Kläger lag und liegt weder ein Fall der Erst- und Neueinstellung eines Diabetes, noch ein solcher der intensivierten Insulintherapie vor. Der Kläger wird vielmehr anhand eines seit längerer Zeit bestehenden Planes gespritzt, d.h. abhängig vom gemessenen Blutzucker erhält er eine jeweils angemessene Menge Insulin, so dass von einer Erst- oder Neueinstellung nicht die Rede sein kann. Die intensivierte Insulintherapie beinhaltet im Regelfall die Gabe von Normalinsulin vor jeder Mahlzeit und die Gabe von Verzögerungs- oder Intermediärinsulin weitere 1-3 mal täglich, so dass auch ein solcher Fall beim Kläger nicht vorliegt.

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Obgleich beim Kläger somit die in den Richtlinien über die häusliche Krankenpflege genannten Indikationen nicht vorlagen, hat er einen Anspruch auf die zwei mal tägliche Blutzuckermessung gehabt. Die Richtlinien können den gesetzlich bestehenden Anspruch nicht ausschließen.

38

Die Richtlinie über die häusliche Krankenpflege ist auf der Grundlage des § 92 Absatz 1 Nr.6 SGB V erlassen worden. Für die Richtlinien nach § 92 SGB V hat das BSG den Rechtsnormcharakter bejaht (grundlegend BSG, 16.9.1997 – 1 RK 32/95- und BSG, 20.3.1996- 6 RKa 62/94-). Es hat aber auch Grenzen der Normsetzungsermächtigung erkannt.

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Zu den NUB-Richtlinien hat das BSG in der bereits genannten Entscheidung vom 16.9.1997 ausgeführt, diese würden verbindlich festlegen, welche neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sind. Begrenzt werde die Rechtssetzungsmacht des Bundesausschusses aber einmal durch die gesetzliche Ermächtigung, in besonderer Weise sei er aber an das Gleichbehandlungsgebot gebunden; er habe sich nicht nur von Willkür und sachfremden Erwägungen freizuhalten, sondern dürfe auch keine Differenzierungen vornehmen, die im Ergebnis auf eine Korrektur der Entscheidungen des Gesetzgebers hinauslaufen würden. Ferner habe er sein Verfahren an rechtsstaatlichen Grundsätzen auszurichten, insbesondere die verfügbaren Beurteilungsgrundlagen auszuschöpfen.

40

Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat sich beim Richtlinienerlass nicht innerhalb der Kompetenznorm des § 92 SGB V gehalten.

41

§ 92 SGB V im hier maßgeblichen Umfang bestimmt:

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(1) Die Bundesausschüsse beschließen die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten; dabei ist den besonderen Erfordernissen der Versorgung behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen und psychisch Kranker Rechnung zu tragen, vor allem bei den Leistungen zur Belastungserprobung und Arbeitstherapie. Sie sollen insbesondere Richtlinien beschließen über die

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6. Verordnung von Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, Krankenhausbehandlung, häuslicher Krankenpflege und Soziotherapie,

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(7) In den Richtlinien nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 6 sind insbesondere zu regeln

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1. die Verordnung der häuslichen Krankenpflege und deren ärztliche Zielsetzung und

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2. Inhalt und Umfang der Zusammenarbeit des verordnenden Vertragsarztes mit dem jeweiligen Leistungserbringer und dem Krankenhaus.

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§ 92 Absatz 7 SGB V lässt sich keine Ermächtigung dahin entnehmen, bestimmte Leistungen der häuslichen Krankenpflege auszuschließen oder von bestimmten Voraussetzungen abhängig zu machen. § 92 Absatz 7 Satz 1 Nr.1 SGB V nennt als Regelungsgegenstand die „Verordnung der häuslichen Krankenpflege und deren ärztliche Zielsetzung“. Hätte es der Gesetzgeber beabsichtigt, bestimmte – wie vorliegend – medizinisch notwendige Maßnahmen aus der häuslichen Krankenpflege auszuschließen und damit eine Einschränkung des § 37 SGB V formulieren wollen, so hätte der Wortlaut eindeutiger ausfallen müssen.

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Es wird zwar dagegen ausgeführt, mit der Regelungsmaterie „Ärztliche Zielsetzung“ würden die Richtlinien die Anspruchsvoraussetzungen regeln, die Voraussetzungen also, unter denen häusliche Krankenpflege gewährt wird, die Frage, welche Leistungen bei Vorliegen der Voraussetzungen gewährt werden, dürfe nicht durch die Richtlinien geregelt werden (so Plantholz, NZS 2001, S.177, 181).

49

Diese Auffassung überzeugt nicht, weil sie letztlich doch zum Ausschluss bestimmter Leistungen führt. Für den vorliegenden Fall käme diese Ansicht zu dem Ergebnis, dass die Richtlinien der Ermächtigung entsprechend die Ziele, nämlich die Erst- und Neueinstellung des Diabetes bzw. die intensivierte Insulintherapie, geregelt hätte. Für den Kläger hätte dies die gleiche Konsequenz wie ein teilweiser Leistungsausschluss, wozu die Zieldefinition de facto ja auch führt.

50

Auch die Tatsache, dass nach § 92 Absatz 7 SGB V „insbesondere“ die näher aufgezählten Materien zu regeln sind, führt zu keinem anderen Ergebnis. Dieses „insbesondere“ führt nicht dazu, dass der Bundesausschuss auch bestimmte Maßnahmen aus der häuslichen Krankenpflege ganz oder teilweise ausschließen kann. Das BSG prüft auch, ob die Richtlinienermächtigung den Anforderungen des Art 80 Absatz 1 Satz 2 GG genügt (vgl. BSG, 20.3.1996 – 6 Rka 62/94-; die Frage nach der Bestimmtheit der gesetzlichen Ermächtigungsnorm stellt auch BSG, 16.11.1999 – B 1 KR 9/97 R-). Danach muss das ermächtigende Gesetz selbst hinsichtlich der Richtlinien Inhalt, Zweck und Ausmaß der dem Bundesausschuss erteilten Normsetzungsermächtigung mit hinreichender Bestimmtheit festlegen. Für die BUB-Richtlinien ergebe sich aus den Vorschriften des § 92 Absatz 1 Satz 1 i.V.m. § 2 Absatz 1 und 4, § 12 Absatz 1, § 27 Absatz 1, § 28 Absatz 1, § 70 Absatz 1, § 72 Absatz 2 SGB V ein ausreichend dichtes Normprogramm, welches die gesetzgeberischen Vorgaben für den Umfang ärztlicher Behandlung und die Einbeziehung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in die gesetzliche Krankenversicherung so präzise, wie auf abstrakter Ebene möglich, beschreibe. Diese Feststellung kann nicht auf das Normprogramm die Richtlinien zur häuslichen Krankenpflege betreffend übertragen werden. Die die häusliche Krankenpflege betreffenden Normen ergeben nicht, dass auch medizinisch notwendige Leistungen trotz Fehlens wirtschaftlicherer Alternativen ausgeschlossen sind. In §§ 12 Absatz 1 Satz 1, 70 Absatz 1 Satz 2 und auch 92 Absatz 1 Satz 1 SGB V findet sich je die Vorgabe, dass die Versorgung der Versicherten ausreichend sein muss. Das insbesondere in § 12 SGB V genannte Wirtschaftlichkeitsgebot setzt voraus, dass eine wirtschaftlichere Versorgung möglich ist. Es zeigt sich, dass anerkanntermaßen notwendige Leistungen nicht in der gleichen Weise ausgeschlossen sind wie beispielsweise neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode oder neue Heilmittel, bei denen man im Einzelfall über die Wirksamkeit und damit auch über die Notwendigkeit aus medizinischer Sicht streiten kann. Der Richtlinienauftrag nach § 92 SGB V präzisiert eben vor allem das Wirtschaftlichkeitsgebot (so Kasseler Kommentar-Hess, § 92 SGB V, Rn.3), das aber bei nachgewiesener medizinischer Notwendigkeit nur eine untergeordnete Rolle spielt.

51

Aus systematischer Sicht spricht gegen die Befugnis des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, medizinisch notwendige Leistungen auszuschließen, auch § 132 a Absatz 1 SGB V, welcher bestimmt:

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Die Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsam und einheitlich und die für die Wahrnehmung der Interessen von Pflegediensten maßgeblichen Spitzenorganisationen auf Bundesebene sollen unter Berücksichtigung der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 gemeinsam Rahmenempfehlungen über die einheitliche Versorgung mit häuslicher Krankenpflege abgeben; für Pflegedienste, die einer Kirche oder einer Religionsgemeinschaft des öffentlichen Rechts oder einem sonstigen freigemeinnützigen Träger zuzuordnen sind, können die Rahmenempfehlungen gemeinsam mit den übrigen Partnern der Rahmenempfehlungen auch von der Kirche oder der Religionsgemeinschaft oder von dem Wahlfahrtsverband abgeschlossen werden, dem die Einrichtung angehört. Vor Abschluss der Vereinbarung ist der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Stellungnahmen sind in den Entscheidungsprozeß der Partner der Rahmenempfehlungen einzubeziehen. In den Rahmenempfehlungen sind insbesondere zu regeln:

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1. Inhalte der häuslichen Krankenpflege einschließlich deren Abgrenzung,

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2. Eignung der Leistungserbringer,

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3. Maßnahmen zur Qualitätssicherung und Fortbildung,

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4. Inhalt und Umfang der Zusammenarbeit des Leistungserbringers mit dem

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verordnenden Vertragsarzt und dem Krankenhaus,

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5. Grundsätze der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung einschließlich

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deren Prüfung und

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6. Grundsätze der Vergütungen und ihrer Strukturen.

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Unter systematischem Gesichtspunkt stellt sich die Frage, warum der Gesetzgeber in § 132 a Absatz 1 SGB V derart ausführlich angibt, was in den Rahmenempfehlungen zu regeln ist, während er in § 92 Absatz 7 SGB V nur zwei Gesichtspunkte herausgreift, die „insbesondere“ zu regeln seien. Hätte er auch dem Richtliniengeber die Möglichkeit geben wollen, die „Inhalte der häuslichen Krankenpflege“ im Sinne eines Kataloges verordnungsfähiger Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege zu regeln, hätte er den Wortlaut des § 132 a SGB V insoweit nur übernehmen müssen.

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Insgesamt können die Richtlinien über die häusliche Krankenpflege medizinisch notwendige Leistungen nicht ausschließen. Da vorliegend die zwei mal tägliche Blutzuckermessung medizinisch notwendig war, ergab sich der Anspruch des Klägers für die streitigen Bewilligungszeiträume aus § 37 Absatz 2 Satz 1 SGB V. Der Anspruch war auch nicht wegen § 37 Absatz 3 SGB V ausgeschlossen, weil die Ehefrau des Klägers unstreitig nicht in der Lage war und ist, den Blutzucker des Klägers zu messen.

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Die Ablehnung durch die Beklagte war somit rechtswidrig und hat den Kläger in seinen Rechten verletzt.

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Die Klage hat somit vollen Erfolg.

65

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.

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