Urteil vom Sozialgericht Speyer (19. Kammer) - S 19 KR 49/16

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger mit einer Magenbypass-Operation gemäß dem Antragsschreiben vom 05.06.2013 als Sachleistung zu versorgen.

2. Der Bescheid vom 26.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2016 wird aufgehoben.

3. Die Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Magenbypass-Operation als Sachleistung.

2

Der 1972 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er hatte bereits im Jahr 2011 eine bariatrische Operation bei der Beklagten beantragt, die diese wegen der fehlenden Ausschöpfung konservativer Therapien abgelehnt hatte.

3

Unter Vorlage einer ärztlichen Stellungnahme des Chefarztes der Chirurgischen Abteilung des Krankenhauses S. (F.), Prof. Dr. W. und der Fachärztin für Chirurgie Dr. S. vom 05.06.2013, bei der Beklagten eingegangen am 28.06.2013, beantragte der Kläger die „Genehmigung eines laparoskopischen R-Y-Magenbypasses“. Prof. Dr. W. gab in diesem Schreiben an, der Kläger leide unter einer morbiden Superadipositas (BMI 56,4 kg/m²), zudem unter einer ausgeprägten Herzinsuffizienz mit Cardiomyopathie bei Zustand nach Myocarditis 2003, einer Fettstoffwechselstörung, Hypertonie, NIDDM II, Schlafapnoe-Syndrom sowie Depression und Angststörung. Der Kläger habe seit der Ablehnung des ersten Antrages im Jahr 2011 weiter an Gewicht zugenommen. Er sei bereits bei der Beklagten selbst in einer Ernährungsberatung gewesen, zudem habe er Weight Watchers und Slimfast versucht. Beim Kläger läge der Sonderfall einer primären Indikation vor, da er aufgrund seiner sehr schweren Herzerkrankung vital von einer Gewichtsreduktion abhängig sei. Die Vorgaben eines multimodalen Konzeptes seien nicht angemessen, da er weder groß körperliche Bewegung durchführen könne, noch die Belastung des Herzens und die entsprechend notwendige Mehrleistung der Pumpfunktion einen zeitlichen Aufschub dulden würden. Durch das massive Übergewicht des Klägers sei zu erwarten, dass seine Herzleistung massiv eingeschränkt und damit seine Lebenserwartung drastisch verkürzt werde. Es werde daher nochmals gebeten, die Ultima-ratio-Situation mit primärer, medizinisch dringlicher Indikation bei einem BMI von 56.4 kg/m² schnellstmöglich zu prüfen und die Kostenübernahme für die bariatrische Operation zuzusagen.

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Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 01.07.2013 wegen seines „Antrags auf Kostenübernahme der Magenbypass-Operation“ mit, ein adipositaschirurgischer Eingriff könne nur übernommen werden, wenn die konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft wurden und nicht den gewünschten Erfolg erzielt hätten. Um den Antrag zu prüfen, bat die Beklagte den Kläger um Darlegung, ob bereits eine leitliniengerechte Therapie stattgefunden habe bzw. eingeleitet worden sei. Zudem sollte der Kläger den beigefügten Fragebogen beantworten, auch wenn die Informationen teilweise vom Kläger schon geliefert worden seien. Zudem verlangte die Beklagte eine Dokumentation der Eigenversuche zur Gewichtsreduktion innerhalb der letzten fünf Jahre, ein Ernährungstagebuch, das über 14 Tage geführt werden solle und eine fachpsychiatrische Bescheinigung bezüglich der vom Krankenhaus S. erwähnten Depression und Angststörung. Die Beklagte kündigte an, sobald alle angeforderten Informationen eingegangen seien, werde der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) um eine gutachterliche Stellungnahme zur beantragten Leistung gebeten.

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Hierauf reagierte für den Kläger zunächst Prof. Dr. W. mit Schreiben an die Beklagte vom 19.07.2013, in dem er auf die Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands des Klägers und dessen weitere Gewichtszunahme seit dem Erstantrag aus dem Jahr 2011 hinwies. Die von der Beklagten in Bezug genommene Leitlinie der Deutschen Adipositas-Gesellschaft sei schon seit Jahren abgelaufen. Die in der aktuellen S III-Leitlinie der Chirurgie der Adipositas formulierten Indikationen aber lägen beim Kläger vor. Es werde im Interesse des Klägers, der nunmehr einer ganz schweren Entwicklung seiner Krankheiten entgegensehe, dringend gebeten, die Genehmigung für die letzte Möglichkeit einer drastischen Gewichtsreduktion zu erteilen.

6

Der Kläger selbst übersandte ein Schreiben vom 18.09.2013, in dem er ausführte, ihm sei nach einer Rücksprache der Ärztin Dr. S. mit den Mitarbeitern der Beklagten in N. und dem Medizinischen Dienst ein „positives Ergebnis“ vermittelt worden. Allerdings seien versehentlich die Antrags- und Befundunterlagen nicht an die Geschäftsstelle der Beklagten in N., sondern nach M. gesandt worden. Er übersende daher den kompletten ihm bekannten Schriftverkehr und bitte um Rücksprache mit dem MDK.

7

Mit Schreiben vom 02.10.2013 wies die Beklagte darauf hin, dass die mit Schreiben vom 01.07.2013 angeforderten Unterlagen noch fehlen würden. Erst bei deren Vorliegen könne der MDK eingeschaltet werden. In einem Schreiben vom 23.10.2013 an den mittlerweile beauftragten Bevollmächtigen des Klägers teilte die Beklagte mit, dass der MDK um eine gutachterliche Stellungnahme gebeten und über den Antrag entschieden würde, sobald der Kläger seiner Mitwirkungspflicht nach § 60 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) nachkomme.

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Mit Schreiben vom 27.10.2013 machte daraufhin der Klägerbevollmächtigte geltend, dass der Antrag vom 05.06.2013 nunmehr gemäß § 13 Abs. 3a SGB V als genehmigt gelte, nachdem hierüber nicht innerhalb der Fünf-Wochen-Frist entschieden worden sei. Er bat um Übersendung einer Kostenübernahmeerklärung.

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Mit Schreiben vom 29.10.2013 entgegnete die Beklagte hierauf, dem Kläger sei durch die Anforderung der notwendigen Unterlagen gemäß der Mitwirkungspflicht nach § 60 SGB I ein hinreichender Grund mitgeteilt worden, wodurch die Fünf-Wochen-Frist gehemmt worden sei. Die Beklagte setzte dem Kläger in diesem Schreiben eine Frist bis zum 15.11.2013, die mehrfach angeforderten Unterlagen zukommen zu lassen. Nach Fristablauf werde die Beklagte „einen ablehnenden Bescheid erlassen und diesen auch konsequent fortführen“.

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Eine im November 2013 erhobene Klage des Klägers auf Feststellung des Eintritts der Genehmigungsfiktion hat das Sozialgericht Speyer mit Urteil vom 14.09.2015 – S 7 KR 1051/13 - abgewiesen. Zwar sei die Feststellungsklage zulässig, jedoch sei die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V nicht eingetreten. Die Beklagte sei ihren Mitteilungspflichten nach § 13 Abs. 3a Sätze 2 und 5 SGB V in ausreichendem Maße nachgekommen, indem sie mit Schreiben vom 01.07.2013 diverse Unterlagen einschließlich eines ausgefüllten Fragebogens beim Kläger anforderte und gleichzeitig ankündigte, den MDK einzuschalten, sobald die Unterlagen vollständig vorlägen. Der Kläger hingegen sei seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen, so dass er den „hinreichenden Grund“ für die Nichteinhaltung der Frist selbst gesetzt habe. Im anschließenden Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (L 5 KR 221/15) hat der Kläger auf einen gerichtlichen Hinweis, dass die Klage wegen der begehrten „Elementenfeststellung“ unzulässig und die Frage der Genehmigungsfiktion auch im Anfechtungsklageverfahren gegen die mittlerweile vorliegende Entscheidung der Beklagten geltend zu machen sei, die ursprüngliche Klage am 06.02.2016 zurückgenommen.

11

Im Rahmen dieses Klageverfahrens hatte die Beklagte letztlich den MDK um eine gutachtliche Stellungnahme gebeten. Am 25.07.2014 erstellten die Ärzte im MDK K. und H. ein sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage. Sie gaben an, eine medizinische Ausnahmeindikation sei aus den Unterlagen nicht zwingend abzuleiten. Ob konservative Therapiemöglichkeiten als ausgeschöpft anzusehen oder weiterhin vorrangig durchzuführen seien, oder ob eine primäre Indikation vorliege, bleibe der Vorlage von Befundberichten/Arztbriefen der diese Erkrankungen behandelnden Ärzte vorbehalten.

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Mit Bescheid vom 26.08.2014 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme für die Magenbypass-Operation unter Hinweis auf das MDK-Gutachten vom 25.07.2014 mit der Begründung ab, dass eine nachgewiesene medizinische Indikation hierfür nicht bestätigt werden könne. Eine Ultima-ratio-Situation sei nicht ausreichend belegt. Auch im Rahmen der Anhörung habe der Kläger keine Stellungnahme abgegeben.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 19.01.2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 26.08.2014 zurück. Der Kläger sei seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Da eine medizinische Indikation für die begehrte Leistung vom MDK nicht bestätigt werden konnte, sei diese abgelehnt worden. Die auf Feststellung der Genehmigungsfiktion gerichtete Klage sei durch Urteil vom 14.09.2015 zurückgewiesen worden. Danach sei die Beklagte ihren Mitteilungspflichten in ausreichendem Maße, der Kläger seinen Mitwirkungspflichten jedoch nicht nachgekommen. Die Beklagte verwies auf die weiteren Begründungen des Urteils des SG Speyer (S 7 KR 1051/13).

14

Hiergegen hat der Kläger am 08.02.2016 die vorliegende Klage erhoben. Er macht geltend, oberhalb eines BMI von 50 Punkten sei eine konservative Therapie – multimodal oder nicht – ohne Aussicht auf Erfolg. Es bestehe bei ihm daher eine primäre Operationsindikation im Sinne der S3-Leitlinie „Chirurgie der Adipositas“ (2010) und im Sinne der S3-Leitlinie „Prävention und Therapie der Adipositas“ (2014). Bereits im vorangegangenen Klageverfahren hatte der Kläger geltend gemacht, die Beklagte habe die 5-Wochen-Frist nicht eingehalten. Eine schriftliche Mitteilung der Beklagten hierüber sei gegenüber dem Kläger zu keinem Zeitpunkt erfolgt. Als Folge hiervon trete die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V ein. Fehlende Mitwirkung könne mit einer ablehnenden Entscheidung sanktioniert werden (§ 66 SGB I), nicht jedoch mit Nichtstun. Eine automatische Hemmung der in § 13 Abs. 3a SGB V normierten Fristen trete wegen fehlender Mitwirkung nicht ein.

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Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

16

den Bescheid der Beklagten vom 26.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger gemäß seinem Antrag vom 05.06.2013 eine minimalinvasive adipositaschirurgische Operation als Sachleistung zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

18

die Klage abzuweisen.

19

Nach einem gerichtlichen Hinweis, dass die Genehmigungsfiktion eingetreten sein dürfte, führte die Beklagte aus, nach wie vor sehe der MDK keine Indikation, da den jetzt vorliegenden Unterlagen das Ausmaß der Erkrankungen mangels Belegen und Befunden nicht zu entnehmen sei. Der Kläger überspanne die nach § 13 Abs. 3a SGB V zu erfüllenden Voraussetzungen, da durch die Anforderung weiterer Unterlagen beim Kläger doch klar gewesen sein müsse, dass keine Fristen eingehalten werden können. Die Beklagte beruft sich weiterhin auf das Urteil vom 14.09.2015 im vorangegangenen Verfahren S 7 KR 1051/13.

20

Das Gericht hat nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten bei dem Hausarzt des Klägers Dr. E., bei der Fachärztin für Innere Medizin/Kardiologie Dr. L. und bei der Psychologischen Psychotherapeutin F. Dr. E. gab in seinem Befundbericht vom 28.05.2016 an, dass der Kläger mittlerweile einen BMI 59 aufweise. Er hielt die begehrte Operation für medizinisch notwendig und verneinte Kontraindikationen.

21

Die Beklagte legte daraufhin ein weiteres Sozialmedizinisches Gutachten des MDK vom 26.09.2016 vor. Hierin gab die Ärztin im MDK Dr. T. an, zum Zeitpunkt der Antragstellung im Jahr 2013 sei eine Indikation (ultima-ratio-Situation bei erfolglos ausgeschöpfter konservativer Therapie) nicht belegt gewesen. Mittlerweile sei allerdings eine weitere Gewichtszunahme zu verzeichnen. Damit seien zum jetzigen Zeitpunkt strukturierte multimodale konservative Anstrengungen zur Gewichtsreduktion wenig erfolgversprechend. Es werde daher eine erneute Antragstellung empfohlen mit einer aktuellen Vorstellung in einem Adipositas-Zentrum. Es seien ein kardiologisches Gutachten und ein aktuelles psychiatrisches Gutachten erforderlich, um Kontraindikationen auszuschließen. Eine Ernährungsberatung solle begleitend durchgeführt und eine behandlungsbedürftige endokrinologische Ursache der Adipositas ausgeschlossen werden.

22

Bezugnehmend auf dieses Gutachten sah die Beklagte gleichwohl „nach wie vor keine Indikation“, da den jetzt vorliegenden Unterlagen das Ausmaß der Erkrankungen nicht zu entnehmen sei.

23

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte zu diesem und zum Verfahren S 7 KR 1051/13 sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage, verbunden mit einer Anfechtungsklage zulässig und begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung der begehrten Operation als Sachleistung wegen der eingetretenen Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V). Vor diesem Hintergrund wird er durch den Bescheid der Beklagten vom 26.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2016 im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert.

I.

25

Das Klagebegehren des Klägers war bei verständiger Würdigung seines Vorbringens in diesem und dem vorangegangenen Klageverfahren dahingehend auszulegen, dass er eine minimalinvasive adipositaschirurgische Operation von der Beklagten als Sachleistung erstrebt. Dieses Ziel hat er zunächst mittels der Geltendmachung der Genehmigungsfiktion verfolgt. Nachdem nunmehr auch eine ablehnende Entscheidung der Beklagten hierzu vorliegt, begehrt er zudem deren Aufhebung.

26

Zulässige Klageart ist bei Berufung auf eine Genehmigungsfiktion die allgemeine Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG. Denn bei Eintritt der Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V muss ein Verwaltungsakt nicht (mehr) ergehen. Die beantragte Leistung gilt als genehmigt. Dem entspricht in prozessualer Hinsicht das Begehren, das aus einem bereits ergangenen Bewilligungsbescheid geltend gemacht werden kann, nämlich eine Verurteilung der Beklagten zur tatsächlichen Leistungserbringung. Einer Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG bedarf es jedenfalls in den Fällen des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V nicht, in denen die Gewährung der Sachleistung begehrt wird. Die Feststellungsklage ist zur Leistungsklage subsidiär. Ob ein (besonderes) Feststellungsinteresse in Frage kommt, wenn ein Versicherter sich im Sinne des § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V die Leistung selbst beschaffen möchte, um dann die Kostenerstattung zu verlangen, kann hier offenbleiben. In einem solchen Fall könnte ein Interesse an der Feststellung des „Ablaufs der Frist“ bzw. der übrigen Voraussetzungen für den Kostenerstattungsanspruch, nicht aber auf Eintritt der Genehmigungsfiktion bestehen, denn eine Genehmigung ist nur Voraussetzung für die Sachleistung, nicht aber für die Kostenerstattung.

27

Die vorliegende Klage ist bereits im Hinblick auf die geltend gemachte Genehmigungsfiktion als allgemeine Leistungsklage zulässig. Darüber hinaus ist auch die Anfechtungsklage gegen den mittlerweile ergangenen Bescheid vom 26.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2016 zulässig. Die allgemeine Leistungsklage konnte zulässigerweise mit der Anfechtungsklage verbunden werden, denn der Kläger hat ein Rechtsschutzinteresse daran, den der eingetretenen Genehmigung scheinbar entgegenstehenden ablehnenden Verwaltungsakt klarstellend zu beseitigen.

28

Das Urteil des SG Speyer vom 14.09.2015 (S 7 KR 1051/13) steht der erneuten Entscheidung über den Eintritt der Genehmigungsfiktion nach der Rücknahme der Klage in der Berufungsinstanz nicht mehr entgegen, da es keine Rechtskraft erlangt hat (Leitherer in: Meyer-Ladewig, SGG, 11. Auflage 2014, § 102 Rn. 9).

II.

29

Die Klage ist in vollem Umfang begründet. Die Beklagte war auf Grund der eingetretenen Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V zur Versorgung des Klägers mit einer Magenbypass-Operation gemäß dem Antragsschreiben vom 05.06.2013 als Sachleistung zu verurteilen (1.). Zudem konnte der Kläger die Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides vom 26.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2016 beanspruchen, denn dieser Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (2.). Dem Bescheid steht die eingetretene Genehmigungsfiktion entgegen. Zudem dürften weder die Voraussetzungen für eine Versagung der begehrten Leistung aufgrund fehlender Mitwirkung des Klägers noch für eine endgültige Ablehnung der begehrten Leistung vorgelegen haben, was hier jedoch offen bleiben konnte.

30

1. Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers auf Versorgung mit der begehrten Operation ist Satz 6 des § 13 Abs. 3a SGB V. Nach § 13 Abs. 3a SGB V (eingefügt durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.02.2013, BGBl. I, 277) hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (Satz 1). Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und den Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (Satz 2). Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (Satz 3). Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (Satz 7). Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14, 15 des Neunten Buches zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbst beschaffter Leistungen (Satz 9).

31

Auch wenn es sich nach Auffassung der Kammer bei der begehrten Leistung als ärztliche Behandlung bei bestehender Behinderung durch die schwere Adipositas um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation im Sinne des § 26 Abs. 2 Nr. 1 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) handelt (vgl. SG Speyer, Urteil vom 18.11.2016 – S 19 KR 329/16), steht Satz 9 des § 13 Abs. 3a SGB V möglicherweise der Anwendbarkeit des Satzes 7, nicht aber der des Satzes 6 der Vorschrift entgegen. § 13 Abs. 3a SGB V enthält eine klare Unterscheidung zwischen dem in Satz 6 geregelten Sachleistungsanspruch und dem in Satz 7 geregelten Kostenerstattungsanspruch (so schon SG Lüneburg, Urteil vom 17.02.2015 - S 16 KR 96/14 -; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 20.01.2016 - L 5 KR 238/15 B ER –, Rn. 25; alle Entscheidungen im Folgenden zitiert nach juris). Soweit das BSG in seinem Urteil vom 08.03.2016 (B 1 KR 25/15 R, Rn. 19) einen „Erstattungsanspruch aufgrund Genehmigungsfiktion“ annimmt, wird diese klare Trennung der Tatbestände mit unterschiedlichen Rechtsfolgen übersehen. Die Genehmigungsfiktion führt zu einem Sachleistungsanspruch, die Selbstbeschaffung „nach Fristablauf“ hingegen zu einem Erstattungsanspruch. Die Genehmigung der Leistung ist für einen Erstattungsanspruch gerade keine Voraussetzung, wie auch ein Vergleich mit den Kostenerstattungsregelungen des § 13 Abs. 3 SGB V oder § 15 Abs. 1 SGB IX zeigt.

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In diesem Sinne erfolgt der Verweis auf die Vorschriften des SGB IX für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in Satz 9 ausdrücklich nur hinsichtlich der Zuständigkeitsklärung und für die (von Satz 7 geregelten) Fälle der Kostenerstattung bei Selbstbeschaffung durch den Versicherten (SG Speyer, Gerichtsbescheid vom 08.04.2016 – S 19 KR 479/14 –, Rn. 27). Die Fälle des Sachleistungsanspruchs (Satz 6) werden von diesem Verweis nicht erfasst. Es verbietet sich daher, die Norm des Satz 9 trotz der ausdrücklichen Nennung der zwei Regelungsbereiche („Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbst beschaffter Leistungen“) auf die vom Wortlaut nicht erfassten Fälle der Sachleistung wegen Genehmigungsfiktion auszudehnen.

33

Vorliegend macht der Kläger keinen Kostenerstattungsanspruch, sondern den Anspruch auf Gewährung der beantragten Sachleistung gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 1 und 5 SGB V (Versorgung mit der begehrten Operation) geltend.

34

Die Gewährung der beantragten minimalinvasiven adipositaschirurgischen Operation als Sachleistung gilt vorliegend gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt, so dass der Kläger die Beklagte aus dieser (fingierten) Genehmigung auf Versorgung in Anspruch nehmen kann.

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Sofern das BSG in seinem Urteil vom 08.03.2016 (B 1 KR 25/15 R, Rn. 16 ff.) den Begriff der medizinischen Rehabilitation „funktionsadäquat“ auszulegen versucht, erschließen sich der Kammer die Abgrenzungskriterien aus der dort vorgenommenen Begründung nicht. Möglicherweise soll dort die Differenzierung danach erfolgen, ob es sich um Leistungen in Einrichtungen im Sinne (insbesondere) der §§ 40 f. SGB V handelt. Eine derartige Abgrenzung könnte mit einem aus der Systematik des SGB V abzuleitenden Begriff der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in einem weiteren und in einem engeren Sinne begründet werden. Die in den §§ 40, 41 SGB V beschriebenen Leistungen wären demgemäß solche Leistungen zur medizinischen Rehabilitation „im engeren Sinne“. Im weiteren Sinne gehören hierzu alle anderen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, die im Sinne des § 26 Abs. 1 SGB IX erbracht werden, um Behinderungen einschließlich chronischer Krankheiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug von laufenden Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern oder Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit und Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern, eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug von laufenden Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern. Auch nach dieser Abgrenzung würde aber die Anwendbarkeit des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V vorliegend nicht wegen des Verweises in Satz 9 derselben Norm entfallen, da die Versorgung mit der adipositaschirurgischen Operation keine Leistung nach den §§ 40, 41 SGB V und damit keine Leistung zur medizinischen Rehabilitation „im engeren Sinne“ darstellt.

36

Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V sind erfüllt. Der hinreichend bestimmte Antrag des Klägers auf „Genehmigung eines laparoskopischen R-Y-Magenbypasses“ mittels Vorlage der ärztlichen Stellungnahme des Chefarztes der Chirurgischen Abteilung des Krankenhauses S. Prof. Dr. W. und der Fachärztin für Chirurgie Dr. S. vom 05.06.2013 ist bei der Beklagten ausweislich des Verwaltungsvorganges am 28.06.2013 eingegangen. Die wegen der mitgeteilten Einschaltung des MDK laufende Fünf-Wochen-Frist endete daher am 02.08.2013.

37

Zu dieser Zeit lag weder eine Entscheidung der Beklagten über den Antrag vor, noch eine Mitteilung darüber, dass die Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V nicht gewahrt werden kann. § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V lautet:

38

„Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit.“

39

An eine die Genehmigungsfiktion verhindernde Mitteilung sind also mehrere Anforderungen zu stellen, nämlich dass sie schriftlich erfolgt, die Nichteinhaltung der Frist zum Gegenstand hat und dass ein Grund für die Nichteinhaltung benannt wird, der mit Blick auf Satz 6 der Norm zudem ein hinreichender Grund sein muss. Sofern das BSG darüber hinaus eine taggenau anzugebende Dauer des Bestehens zumindest eines solchen Grundes und erforderlichenfalls sogar eine Wiederholung dieser taggenauen Prognosen verlangt (BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R –, Rn. 20; dem folgend LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 03.11.2016 - L 5 KR 197/15 -), lässt sich dies mit dem Gesetzestext nicht begründen. Die Kammer vermag auch kein Bedürfnis für eine derartige Verschärfung der Anforderungen an die Mitteilung der Krankenkasse zu erkennen. Vorliegend hat die Beklagte allerdings keinerlei schriftliche Mitteilung über die Nichteinhaltung der Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V veranlasst.

40

Sofern die Beklagte sich, gestützt auf das durch die Klagerücknahme gegenstandslos gewordene Urteil des SG Speyer vom 14.09.2015 (S 7 KR 1051/13), auf den Standpunkt stellt, sie sei ihren Mitteilungspflichten nach § 13 Abs. 3a Sätze 2 und 5 SGB V in ausreichendem Maße nachgekommen, indem sie mit Schreiben vom 01.07.2013 diverse Unterlagen einschließlich eines ausgefüllten Fragebogens beim Kläger angefordert und gleichzeitig angekündigt habe, den MDK einzuschalten, sobald die Unterlagen vollständig vorlägen, werden hierdurch die gesetzlichen Anforderungen an eine Mitteilung gemäß § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V offensichtlich nicht erfüllt. Denn die Nichteinhaltung der Frist des Satz 1 der Norm wird in diesem Schreiben nicht thematisiert.

41

Der Umstand, dass der Kläger möglicherweise seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen ist, vermag die schriftliche Mitteilung gemäß § 13 Abs. 3a Satz 5 hinsichtlich der Nichteinhaltung der Frist nicht zu ersetzen oder obsolet zu machen.

42

Zutreffend weist der Klägerbevollmächtigte darauf hin, dass aus einer vermeintlich fehlenden Mitwirkung im Sinne des § 60 SGB I zwar die Versagung der beantragten Leistung folgen kann (vgl. aber zu den Voraussetzungen § 66 Abs. 1 und 3 SGB I), die von § 13 Abs. 3a SGB V verlangte fristgemäße Entscheidung oder aber die schriftliche Mitteilung über die Nichteinhaltung der Frist hat zur Vermeidung des Eintritts der Genehmigungsfiktion aber gleichwohl zu erfolgen. Eine fehlende Mitwirkung führt nicht zur „Hemmung“ der genannten Fristen.

43

Rechtsfolge der Fristversäumnis der Beklagten ist nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V, dass die beantragte Leistung als genehmigt gilt. Es handelt sich um einen fingierten Verwaltungsakt, der einem ausdrücklichen Bewilligungsbescheid der Beklagten gleichsteht. Dies hat zur Folge, dass die Beklagte die Sachleistung nunmehr auch zu erbringen hat (wie hier zuletzt Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 20.01.2016 – L 5 KR 238/15 B ER – und LSG Saarland vom 17.06.2015 – L 2 KR 180/14 -; BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R –, Rn. 25: Naturalleistungsanspruch; ebenso LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 03.11.2016 - L 5 KR 197/15 -). Aufgrund der (fiktiven) Genehmigung kann der Kläger von der Beklagten die begehrte Versorgung beanspruchen (vgl. nur SG für das Saarland, Gerichtsbescheid vom 11.08.2014 – S 23 KR 563/14 –, Rn. 28; LSG für das Saarland, Urteil vom 17.06.2015 – L 2 KR 180/14 –, Rn. 22 mit Nachweisen zur der hierzu ergangenen Rechtsprechung). Hieraus folgt zugleich, dass die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V unabhängig davon eintritt, ob die Voraussetzungen der als genehmigt geltenden Leistung im konkreten Fall vorliegen. Nach Ablauf der Frist ist der geltend gemachte Anspruch von der Krankenkasse zu erfüllen (SG Speyer, Gerichtsbescheid vom 08.04.2016 – S 19 KR 479/14 –, Rn. 30; SG Speyer, Urteil vom 14.07.2016 – S 13 KR 245/15 –, Rn. 32).

44

Ob von der Fiktionswirkung nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V von vornherein nur solche Leistungen erfasst werden, die grundsätzlich von der Kasse innerhalb des Systems der GKV geschuldet werden (so LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.05.2014 – L 16 KR 154/14 B ER, L 16 KR 155/14 B –, Rn. 26) bzw. die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegen (so BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -, Rn. 21), kann vorliegend offengelassen werden, da adipositaschirurgische Operationen jedenfalls zum Leistungsspektrum der Krankenkassen gehören. Der Wortlaut des § 13 Abs. 3a SGB V (Antrag auf „Leistung“) legt jedenfalls eine Begrenzung des Anwendungsbereichs der Norm nicht nur auf Sach- und Dienstleistungen (§ 13 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 SGB V), sondern zudem auf die in § 11 SGB V aufgeführten Leistungsarten nahe.

45

Das Bestehen des materiellen Anspruchs auf die begehrte Leistung im Einzelfall ist keine tatbestandliche Voraussetzung des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V. Anders als § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V stellt Satz 6 auch nicht darauf ab, dass die Leistung „erforderlich“ ist (vgl. SG Speyer, Urteil vom 14.07.2016 – S 13 KR 245/15 –, Rn. 28; so schon SG Speyer, Urteil vom 09.07.2015 – S 17 KR 327/14 –, Rn. 56). Die hierdurch entstehende Diskrepanz zu der Kostenerstattungsregelung ist vor dem Hintergrund der noch ausstehenden Versorgung und der (bis zu deren Abschluss bzw. der Rechtskraft eines zur Sachleistung verpflichtenden Urteils) bestehenden Möglichkeit der Rücknahme der (fiktiven) Genehmigung, sofern diese rechtswidrig sein sollte, hinnehmbar.

46

Hingegen vermag die Begrenzung der Genehmigungsfiktion auf solche Leistungen, die der Versicherte subjektiv für erforderlich halten durfte (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -, Rn. 25 ff.; kritisch hierzu auch SG Speyer, Urteil vom 14.07.2016 – S 13 KR 245/15 –, Rn. 29), die Kammer nicht zu überzeugen. Weder ist eine solche subjektive Komponente des Anspruchs aus dem Gesetzeswortlaut herzuleiten, noch lässt sich überzeugend begründen, warum die Reichweite des aus § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V ableitbaren Sachleistungsanspruchs je nach Vorkenntnissen bzw. persönlichen Einschätzungen des Versicherten differieren sollte. Daher kommt es nach hier vertretener Auffassung nicht darauf an, ob ein Versicherter die Leistung für erforderlich hielt (worauf sein Antrag hindeuten dürfte), noch ob er möglicherweise Kenntnis vom Fehlen der materiellen Anspruchsvoraussetzungen hatte (anders wohl BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -, Rn. 25 ff.). Gerichtliche Ermittlungen dazu, welche (Rechts-)Kenntnisse hinsichtlich der Voraussetzungen der begehrten Leistung, welche konkreten Vorstellungen oder Absichten ein Versicherter im Zeitpunkt der Antragstellung jeweils hatte, sind daher nicht veranlasst.

47

Der Auffassung, § 13 Abs. 3a SGB V regele ausschließlich einen Kostenerstattungsanspruch (so - unter Berufung auf Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft – für „Auslegungsoffenheit“ werbend, aber zugleich mit der Aufforderung, die „suggestive Wirkung der Wortwahl“ des Satzes 6 dürfe nicht den Blick für die Notwendigkeit einer „einschränkenden Auslegung“ trüben Helbig in: jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 13 SGB V, Rn. 70 f.: „Die Genehmigungsfiktion kann nur eintreten, wenn die Leistung nach dem Ablauf der Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V beschafft worden ist“; dem folgend Hessisches LSG, Urteil vom 10.12.2015 – L 1 KR 413/14 –, Revision derzeit noch anhängig beim BSG - B 3 KR 4/16 R -; Bayerische LSG, Urteil vom 07.09.2016 - L 20 KR 597/15 -, Rn. 28 ff.), steht der Wortlaut des Satz 6 erkennbar entgegen. Selbst wenn dieser „schlicht missglückt“ sein sollte (so Hessisches LSG, Urteil vom 10.12.2015 – L 1 KR 413/14 –, Rn. 34; Helbig a.a.O.), ist der wirksam in Kraft gesetzte Gesetzestext verbindlich und von den Gerichten bei ihrer Entscheidung zu beachten (anderer Ansicht offenbar SG Dortmund, Urteil vom 08.06.2016 – S 40 KR 1454/14 –, Rn. 33: Gerichte seien im Rahmen der „teleologischen Reduktion“ befugt, den Wortlaut von Vorschriften „zu korrigieren“). Welche Motive bei der Entstehung der Norm eine Rolle gespielt haben, kann allenfalls ergänzend bei der Auslegung des geltenden Normtextes berücksichtigt werden, wenn und soweit der Wortlaut dem nicht entgegensteht. Insofern ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm lediglich, dass zwar zunächst im Entwurf des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 15.08.2012 (BT-Drucks. 17/10488, S. 7) lediglich ein Kostenerstattungsanspruch für erforderliche Leistungen nach Fristsetzung und Selbstbeschaffung durch den Patienten vorgesehen war (vergleichbar den im SGB IX enthaltenen Regelungen, vgl. BT-Drucks. 17/10488 S, 32). Bei der Überarbeitung des Gesetzentwurfs im Gesundheitsausschuss wurde dann mit dem Satz 6 die Genehmigungsfiktion bei Nichteinhaltung der Fristen neben der nun in Satz 7 geregelten Kostenerstattung aufgenommen (BT-Drucks. 17/11710, S. 11). Der Satz 6 enthält die ausdrückliche Formulierung „gilt die Leistung ... als genehmigt“. Eine abweichende Auslegung ist ungeachtet möglicher gesetzgeberischer Intentionen für die Einfügung dieses Satzes nicht möglich. Sollte eine gesetzliche Regelung die Regelungsabsicht nicht zutreffend zum Ausdruck bringen („missglücken“), ist sie durch die gesetzgebenden Organe zu korrigieren, nicht mittels einer für besser gehaltenen, abweichenden Anwendung durch Behörden und Gerichte „umzudeuten“ (so aber wohl Helbig in: jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 13 SGB V, Rn. 72, der aufgrund der „scheinbare(n) Klarheit“ des Wortlautes den „Zirkelschluss“ befürchtet, der Gesetzgeber habe die Worte mit einer spezifischen Bedeutung verwendet und der deshalb ein beschränktes Normverständnis im Sinne der – nicht erforderlichen - Erlaubnis zur Selbstbeschaffung der Leistung befürwortet). Gerade eine konsequente Anwendung der (wenn auch für missglückt gehaltenen) Norm ruft den Gesetzgeber auf den Plan, falls hierbei ungewünschte Ergebnisse eintreten (so schon SG Speyer, Gerichtsbescheid vom 08.04.2016 – S 19 KR 479/14 -).

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Die Regelung des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V begründet insofern ausdrücklich eine gesetzliche Genehmigungsfiktion und führt damit dem „reinen Wortlaut nach“ zu einer Sachleistungspflicht, die die Selbstbeschaffung mit Kostenerstattungsfolge obsolet macht. Dies räumt auch das Hessische LSG im Urteil vom 10.12.2015 (L 1 KR 413/14, Rn. 34) ein. Derartige Fiktionen sind auch an anderer Stelle im Sozialrecht zu finden (vgl. nur § 88 Abs. 5 Satz 2 SGB IX, § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX, 67; 6 Abs. 3 Satz 2 SGB VI, § 17 Abs. 2 Satz 2 SGB XI, § 18b Abs. 3 Satz 2 SGB XI; speziell für das Krankenversicherungsrecht vgl. etwa § 32 Abs. 1a Satz 3 SGB V, § 110 Abs. 2 Satz 5 - neu Satz 4 - SGB V). Eine Legaldefinition findet sich in § 42a Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Danach gilt eine beantragte Genehmigung nach Ablauf einer für die Entscheidung festgelegten Frist als erteilt (Genehmigungsfiktion), wenn dies durch Rechtsvorschrift angeordnet und der Antrag hinreichend bestimmt ist.

49

Gerade die für die abweichende Auffassung (zuletzt etwa Bayerisches LSG, Urteil vom 07.09.2016 – L 20 KR 597/15 –, Rn. 29; dem zustimmend Helbig in: jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 13 SGB V, Rn. 71.4; vgl. auch SG Koblenz, Urteil vom 02.11.2016 – S 11 KR 163/15 –, Rn. 18; Koppenfels-Spies, NZS 2016, 601) als Argument angeführte Entstehungsgeschichte der Norm spricht gegen ein „Hineinlesen“ des Satzes 7 in den Satz 6 des § 13 Abs. 3a SGB V. Denn für die Rechtsfolge der von vorn herein beabsichtigten Kostenerstattungsmöglichkeit wäre die (nachträglich erfolgte) Einfügung des Satzes 6 mit der darin formulierten Folge „gilt die Leistung ... als genehmigt“ nicht erforderlich gewesen. Der Verzicht auf die zunächst vorgesehene Fristsetzung durch den Versicherten hätte ohne die Fiktion einer Genehmigung erfolgen können. Solange die Regelung des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V nicht aufgehoben oder geändert wird, ist sie mit dem in Kraft gesetzten Inhalt anzuwenden. Die Leistung gilt demnach als genehmigt und ist zu erbringen, als wäre sie tatsächlich durch Verwaltungsakt genehmigt worden, solange die (fiktive) Genehmigung von der Behörde nicht nach den Vorschriften des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) zurückgenommen oder aufgehoben wurde (so auch BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -).

50

Im hier zu beurteilenden Fall hat die Beklagte die in Form eines fiktiven Verwaltungsaktes vorliegende Genehmigung nicht gemäß § 45 SGB X zurückgenommen oder nach § 48 SGB X aufgehoben. Insbesondere wurde eine solche Entscheidung nicht mit dem Bescheid vom 26.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2016 getroffen.

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2. Der Bescheid vom 26.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2016 war aufzuheben, da er schon aufgrund der entgegenstehenden (fiktiven) Genehmigung rechtswidrig war.

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Zwar kann auch eine fingierte Genehmigung zurückgenommen oder aufgehoben werden. Hierbei sind die Voraussetzungen der §§ 45 ff. SGB X jedoch zu berücksichtigen. Eine Rücknahme der fingierten Genehmigung ist nach § 45 SGB V dann möglich, wenn auch ein tatsächlich ergangener Verwaltungsakt mit einem entsprechenden bewilligenden Inhalt rechtswidrig ergangen und daher rücknehmbar wäre. Es kann hingegen nicht darauf ankommen, ob die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion vorlagen (anders BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R –, 4. Leitsatz sowie Rn. 32; SG München, Urteil vom 08.11.2016 – S 44 KR 218/16 –, Rn. 34 m.w.N.; dem zustimmend auch SG Detmold, Urteil vom 11.11.2016 – S 24 KR 539/15 –, Rn. 43). Soweit das BSG seiner Entscheidung ausdrücklich den vierten Leitsatz voranstellt: „Eine Krankenkasse kann eine fingierte Leistungsgenehmigung nur zurücknehmen, widerrufen oder aufheben, wenn die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion von Anfang an nicht vorlagen oder später entfallen sind.“, wird der zu Grunde liegende Zirkelschluss offensichtlich. Denn wenn die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion nicht vorlagen, konnte sie nicht eintreten. Einer Rücknahme bedarf es in einem solchen Fall folglich nicht. Ein späteres Entfallen der Voraussetzungen für die Genehmigungsfiktion (hinreichend bestimmter Antrag, fehlende fristgemäße Entscheidung bzw. Mitteilung) ist denklogisch ausgeschlossen.

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Auch im allgemeinen Verwaltungsrecht erstreckt sich die Fiktion im Sinne des § 42a VwVfG allein auf die Wirksamkeit des fingierten Verwaltungsaktes, nämlich auf dessen verfügenden Teil (vgl. Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Auflage 2014, § 42a Rn. 3a), nicht aber auf dessen Rechtmäßigkeit (Schemmer in: BeckOK VwVfG, § 42a Rn. 8). Aufschlussreich hierfür ist insofern die Begründung zu § 42 a VwVfG (BT-Drs. 16/10493, Seite 16): „Im Übrigen entfaltet die Genehmigungsfiktion die gleiche Wirkung wie ein entsprechend ordnungsgemäß zustande gekommener und bekannt gegebener Verwaltungsakt. Nicht fingiert wird ... dessen Rechtmäßigkeit. Somit gelten die Regelungen über Nichtigkeit, Rücknahme, Widerruf oder Erledigung eines Verwaltungsaktes entsprechend.“ Dies muss ebenso für die in § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V normierte Genehmigungsfiktion gelten. Der Umstand, dass ein Verwaltungsakt in § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V fingiert wird, führt lediglich dazu, dass eine Rechtslage entsteht, als wäre ein entsprechender Verwaltungsakt tatsächlich erlassen worden. Daher ist der fingierte auch wie ein tatsächlich erlassener Verwaltungsakt zu behandeln und im Falle seiner Rechtswidrigkeit unter den gleichen Voraussetzungen rücknehmbar. Die Regelung des § 13 Abs. 3a SGB V wird hierdurch nicht wirkungslos, sondern führt zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast. Denn in einem sich möglicherweise anschließenden Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit der Rücknahme hätte die Krankenkasse die Rechtswidrigkeit der (fingierten) Genehmigung zu belegen.

54

Im hier zu beurteilenden Fall hat die Beklagte die in Form eines fiktiven Verwaltungsaktes vorliegende Genehmigung nicht gemäß § 45 SGB X zurückgenommen oder nach § 48 SGB X aufgehoben. Insbesondere wurde eine solche Entscheidung nicht mit dem Bescheid vom 26.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2016 getroffen. Dieser Bescheid war daher schon wegen der Nichtberücksichtigung der eingetretenen und bislang nicht beseitigten Genehmigungsfiktion rechtwidrig und daher klarstellend aufzuheben.

55

Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Bescheid auch ohne den Eintritt der Genehmigungsfiktion rechtswidrig ergangen sein dürfte. Denn es handelt sich offenbar um eine (endgültige) Ablehnung der beantragten Leistung, die wegen einer fehlenden Mitwirkung des Klägers erfolgte, ohne dass wiederum die Voraussetzungen für eine Versagung vorlagen. Eine Versagung hätte nur unter den Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 und 3 SGB I rechtmäßig erfolgen können. Nach § 66 Abs. 1 SGB I ist insofern nicht schon ausreichend, dass ein Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt, sondern die Aufklärung des Sachverhalts muss hierdurch erheblich erschwert werden.

56

Hier ist schon fraglich, ob die vom Kläger geforderte Darlegung, ob bereits eine leitliniengerechte Therapie stattgefunden hat oder eingeleitet wurde, das Ausfüllen des Fragebogens, „auch wenn die Informationen teilweise … schon geliefert“ wurden, die Dokumentation der Eigenversuche zur Gewichtsreduktion innerhalb der letzten fünf Jahre, das Ernährungstagebuch und eine fachpsychiatrische Bescheinigung tatsächlich noch erforderlich waren oder ob nicht eine Aufklärung des maßgeblichen Sachverhaltes durch eine körperliche Untersuchung durch die Ärzte des MDK hätte erfolgen können. Denn für den Kläger war ausdrücklich das Vorliegen einer „primären Operationsindikation“ geltend gemacht worden, weil ihm nach Ansicht seiner Ärzte das Absolvieren eines multimodalen Konzeptes nicht mehr zumutbar war.

57

Zudem dürften die Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 SGB I nicht vorgelegen haben, wonach Sozialleistungen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt werden dürfen, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist. Zwar hat die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 29.10.2013 eine Frist bis zum 15.11.2013 gesetzt, ihr die mehrfach angeforderten Unterlagen zukommen zu lassen. Die zugleich erfolgte Mitteilung der Beklagten, nach Fristablauf einen ablehnenden Bescheid zu erlassen und „diesen auch konsequent fortführen“, dürfte aber schon mangels eines Bezuges zu der fehlenden Mitwirkung nicht den Anforderungen des § 66 Abs. 3 SGB I genügen.

58

Jedenfalls fehlt es aber – selbst wenn die Voraussetzungen für eine Versagungsentscheidung bejaht würden - an der Ausübung des Ermessens bei der nach § 66 Abs. 1 SGB I möglichen Versagungsentscheidung. Nach dieser Norm „kann“ der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung versagen, wenn die genannten Tatbestandsvoraussetzungen gegeben sind. Der Leistungsträger hat über die Versagung der Leistung daher nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei hat er die Möglichkeit, die Leistung „ohne weitere Ermittlungen“ zu versagen, er kann sich aber auch für die Durchführung weiterer Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts entscheiden (Hase in: BeckOK SozR/ SGB I, Stand: 01.06.2014, § 66 Rn. 7), etwa eine körperliche Untersuchung veranlassen.

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Der Bescheid vom 26.08.2014 lässt eine Ermessensausübung der Beklagten im Sinne einer Versagung nach § 66 Abs. 1 SGB I gänzlich vermissen. Dieser Bescheid nimmt auf die vermeintlich fehlende Mitwirkung des Klägers auch keinen ausdrücklichen Bezug mehr, sondern gibt als Grund für die (endgültige) Ablehnung der Leistung an, der MDK habe eine nachgewiesene medizinische Indikation nicht bestätigen können und der Kläger habe von der Möglichkeit zur Stellungnahme nach § 24 SGB X keinen Gebrauch gemacht. Der Widerspruchsbescheid vom 19.01.2016 wird zwar (auch) mit der fehlenden Mitwirkung des Klägers begründet, eine Begründung dafür, dass gerade diese fehlende Mitwirkung die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert hätte und eine Ermessensausübung dazu, ob deshalb eine Versagung erfolgen soll, fehlen wiederum. Vielmehr stützt sich die Begründung des Widerspruchsbescheides letztlich auf die Annahme, dass eine Genehmigungsfiktion nicht eingetreten sei.

60

Dass der Antrag des Klägers wegen des tatsächlichen Fehlens der Anspruchsvoraussetzungen abgelehnt werden sollte, ergibt sich hingegen weder aus dem Bescheid vom 26.08.2014, noch aus dem Widerspruchsbescheid vom 19.01.2016. Dies wäre aber Voraussetzung für eine endgültige Ablehnung der beantragten Leistung. Insofern ergeben sich nicht zuletzt aus dem im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Sozialmedizinischen Gutachten des MDK vom 26.09.2016 deutliche Hinweise auf das Bestehen einer „primären OP-Indikation“. Die Ärztin im MDK Dr. T. hielt auf Grund der weiteren Gewichtszunahme „strukturierte multimodale konservative Anstrengungen zur Gewichtsreduktion“ mittlerweile für wenig erfolgversprechend. Der BMI des Klägers war zuletzt mit 59 angegeben worden.

61

Da das Bestehen des materiellen Anspruchs auf die begehrte Leistung im Einzelfall aber – wie ausgeführt – gerade keine tatbestandliche Voraussetzung des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V ist, kann der Kläger im vorliegenden Fall die minimalinvasive adipositaschirurgische Operation gemäß dem Antragsschreiben vom 05.06.2013 bereits auf Grund der eingetretenen Genehmigungsfiktion als Sachleistung beanspruchen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.

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