Urteil vom Sozialgericht Stade (29. Kammer) - S 29 KR 183/12

Tenor

Die über das Teilanerkenntnis vom 16. Oktober 2015 hinausgehende Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin 1/4 ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Weitere Kosten sind nicht zu übernehmen.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten um medizinische Eingriffe im Nachgang zu einem kosmetischen Brustaufbau und zu nachfolgenden ersten Implantatwechseln. Die 1954 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gegen das Risiko der Krankheit versichert. Sie ließ im Jahre 2001 in Polen - auf eigene Kosten - eine sogenannte Brustaugmentation durchführen (operative Einpflanzung von Gewebe bzw. Kunststoff zur Vergrößerung der weiblichen Brust; im vorliegenden Fall mit Hydrogel-Implantaten). Im Jahre 2009 traten Beschwerden in Gestalt einer abszedierenden Mastitis rechts (eiterige Entzündung der rechten Brustdrüse) sowie einer Kapselfibrose (Bindegewebsvermehrung) links auf. Im Elbeklinikum E-Stadt wurden daraufhin eine Abszessspaltung mit Implantatentfernung rechts, sodann eine Neueinlage des Implantats rechts sowie ein Implantatwechsel links vorgenommen. Die Beklagte erklärte mit ihrem Bescheid vom 7. September 2009 die Kostenübernahme. Zum vorliegenden Rechtsstreit führte ein im Mai 2011 über die D-Stadt gestellter Antrag, einen zweiten Implantatwechsel beiderseits nebst Ausgleich einer Anisomastie, also einer ungleichen Größe bzw. Ausbildung der weiblichen Brüste, vorzunehmen. Die Klägerin habe bei ihrer Vorstellung am 20. April 2011 erklärt, unter einer Verhärtung links mit Schmerzen im oberen inneren Quadranten zu leiden, ferner unter einer Volumendifferenz von ca. 30 bis 40 Millilitern zu Lasten der rechten Seite. Die Beklagte schaltete den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein. Für den MDK erklärte Dr. G. unter dem 5. Juli 2011, die Induration (Gewerbeverhärtung) sei ambulant behandelbar. Die Größendifferenz der Brüste sei zwar in unbekleidetem Zustand sichtbar, wirke aber nicht entstellend und sei problemlos durch das Tragen eines Schalen- bzw. Push-Up-BHs zu verdecken. Die Beklagte lehnte es daraufhin durch ihren Bescheid vom 11. Juli 2011 ab, die Kosten für einen Implantatwechsel nebst Korrektur der Größendifferenz zu übernehmen. Übernahmefähig sei demgegenüber ein chirurgischer Eingriff zur Beseitigung der Druckschmerzhaftigkeit der linken Brust.

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Die Klägerin erhob Widerspruch und trug vor, im Elbeklinikum E-Stadt im Jahre 2009 fehlerhaft behandelt worden zu sein. Die Schmerzen ergäben sich nicht nur aus der Verhärtung der linken Brust, sondern auch aus einer Beule unter der Operationsnarbe, die beim Tragen eines BH zu einer Drucksituation führe. Die Beklagte beauftragte erneut den MDK, für den der Sachverständige K. die Auffassung des L. unter dem 13. März 2012 bestätigte. Eine Fibrose sei nicht feststellbar. Die geringfügige Asymmetrie der Brüste stelle keinen Befund von Krankheitswert dar. Die Beklagte wies den Widerspruch daraufhin durch ihren Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2012 zurück. Es stünden kosmetische Defizite im Raum, zu deren Behebung die Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung nicht vorgesehen seien.

3

Dagegen richtet sich die am 16. Juli 2012 beim erkennenden Gericht eingegangene Klage. Zu deren Begründung vertieft die Klägerin ihren Vortrag. Sie hebt hervor, selbst mit einem Push-Up-BH komme die rechte Brustwarze zum Vorschein. Sie traue sich nicht mehr, zum Baden einen Bikini anzuziehen.

4

Die Kammer hat den Sachverhalt ergänzend aufgeklärt und Befundberichte des Dr. D. vom 3. Dezember 2012 sowie des Facharztes E. vom 21. Dezember 2012 beigezogen. Ferner hat die Oberärztin und Privatdozentin Frau Dr. B., , , unter dem 6. August 2015 ein Gutachten erstattet.

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Am 16. Oktober 2015 hat die Beklagte unter Würdigung der Ausführungen der Frau Dr. B. anerkannt, die Kosten für eine Entnahme des Implantats links zu übernehmen. Die Klägerin hat unter dem 25. Oktober 2015 dazu ausgeführt, eine vollständige Erledigung des Rechtsstreits komme auf einer solchen Basis für sie nicht in Betracht. Ohne Neuimplantat (links) und ohne die weiteren Maßnahmen zum Implantatwechsel beiderseits nebst Ausgleich der Anisomastie fühle sie sich in ihrer Lebensqualität dauerhaft eingeschränkt.

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Die Klägerin beantragt sinngemäß nach ihrem Vortrag im schriftlichen Verfahren noch,

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1. den Bescheid der Beklagten vom 11. Juli 2011 und den Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2012 in der Gestalt des Teilanerkenntnisses vom 16. Oktober 2015 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen,

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2. über die Übernahme der Kosten für eine Prothesenexplantation links hinaus die Kosten für einen Implantatwechsel an beiden Brüsten sowie die Korrektur der bestehenden Größendifferenz durch die Einlage unterschiedlich großer Implantate zu übernehmen.

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Die Beklagte beantragt,

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die über das Teilanerkenntnis vom 16. Oktober 2015 hinausgehende Klage abzuweisen.

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Die Beklagte sieht ihre im Verwaltungsverfahren getroffene Entscheidung als durch die Ermittlungen des Gerichts bestätigt an. Die von der Klägerin erstrebten Maßnahmen des beiderseitigen Implantatwechsels und der Behebung der Größendifferenz der Brüste seien dem Sektor der Schönheitsoperationen zuzuordnen, nicht jedoch den Maßnahmen der Krankenbehandlung im Sinne des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und wegen des weiteren Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung, zu der die Klägerin nicht erschienen ist, der Beratung und der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist statthaft und zulässig. Die Klage war in dem noch streitigen Umfang, also bezogen auf die Neuversorgung mit einem Implantat links, auf die Entnahme des Implantats rechts nebst Neuversorgung sowie auf die Größenangleichung, als unbegründet abzuweisen. Die angefochtenen Bescheide haben sich in der Gestalt, die sie durch das Teilanerkenntnis vom 16. Oktober 2015 erfahren haben, als rechtmäßig erwiesen. Ausgangspunkt für die rechtliche Beurteilung ist die Bestimmung des § 27 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), wonach Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung haben, sofern die Behandlung notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder aber Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung setzt demnach das Bestehen einer "Krankheit" voraus. Umschrieben wird mit dem Begriff der Krankheit ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder - hier nicht relevant - den Versicherten arbeitsunfähig macht. Nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit kommt Krankheitswert im Rechtssinne zu. Vielmehr liegt eine Krankheit nur dann vor, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (vgl. BSG-Urteil vom 28. Februar 2008, Az.: B 1 KR 19/07 R). Eine - schmerzbedingte - Beeinträchtigung der Klägerin in ihren Körperfunktionen vermag die Kammer lediglich in Bezug auf die von der Beklagten anerkannte Entfernung des Implantats links nachzuvollziehen. Frau Dr. B. hat unter dem 6. August 2015 ua ausgeführt, der aktuell von ihr in der ambulanten Untersuchung am 29. Juli 2015 festgestellte Zustand der Schmerzhaftigkeit lasse eine Entfernung des Implantats links als geboten erscheinen. Näheres zu den denkbaren Maßnahmen kann dahinstehen, weil insoweit im Anschluss an das Teilanerkenntnis vom 16. Oktober 2015 offenbar kein Streit mehr zwischen den Beteiligten besteht. Nicht zu befinden hatte die Kammer im Übrigen über den operativen Eingriff, der zur Beseitigung der in der linken oberen Brust aufgetretenen Druckschmerzhaftigkeit vorgesehen ist. Die Beklagte hatte ihre Leistungspflicht bereits unter dem 11. Juli 2011 zugunsten der Klägerin festgestellt. In Bezug auf die Implantatsituation links vermag die Kammer zunächst nachzuvollziehen, dass die Klägerin die durch das Teilanerkenntnis vom 16. Oktober 2015 ausgesprochene Kostenübernahme für eine Entnahme quasi automatisch mit einer Verpflichtung der Krankenkasse verbindet, gleichzeitig auch die Kosten für ein entsprechendes Neuimplantat zu übernehmen. Ein derartiger Automatismus kann allerdings nicht bejaht werden. Prothesenentnahme und -neueinsetzung sind nicht im Sinne einer Behandlungseinheit miteinander verbunden, sondern getrennt durchführbar und getrennt zu beurteilen. Die Leistungspflicht der Beklagten ist nicht hinreichend damit begründbar, nach der Entnahme links werde eine neue Asymmetrie der Brüste entstehen, die offenbar über die ohnehin festgestellte Anisomastie nebst Volumendifferenz von 30 bis 40 Millilitern hinausgehe. Zur Leistungspflicht der Beklagten kann der Zustand nach dem Gesagten nur führen, wenn die Klägerin in ihren Körperfunktionen beeinträchtigt sein wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirken dürfte. Da die Folge einer Beeinträchtigung von Körperfunktionen fern liegt, hatte die Kammer die Variante einer entstellenden Wirkung zu prüfen, die ausnahmsweise ohne funktionelle Beeinträchtigung eine Leistungspflicht des Krankenversicherungsträgers begründen könnte. Eine derartige Entstellung müsste eine erhebliche Auffälligkeit beinhalten, verbunden mit Neugier oder Betroffenheit als naheliegenden Reaktionen der Mitmenschen. Es müsste zu erwarten sein, dass die Klägerin ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung anderer wird und dass sie sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen droht. Das körperliche Defizit müsste bereits bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen, also schon "im Vorbeigehen", bemerkbar sein (vgl. BSG-Urteil vom 28. Februar 2008, Az: B 1 KR 19/07 R). Die Kammer kann - zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt - nicht hinreichend sicher vermuten, dass sich eine derartige erhebliche Auffälligkeit im Anschluss an eine Entfernung des Implantats links zeigen wird. Vielmehr erwartet die Kammer, eine einseitige Implantatentnahme werde die Schwelle zum Entstehen einer Entstellung nicht überschreiten. Frau Dr. B. hat dazu ausgeführt, es werde sich zwar ein kosmetisch nicht zufriedenstellendes Ergebnis zeigen, es sei aber Restdrüsengewebe vorhanden. Von einer medizinischen Indikation sei nicht auszugehen, jedenfalls sei dies nicht sicher. Die Klägerin vermöge sich einen Ausgleich mittels eines entsprechenden BH´s zu verschaffen. In einem vergleichbaren Fall hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz darauf abgestellt, im Rahmen der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft seien die Brüste regelmäßig durch Kleidung bedeckt. Notfalls vermöge sich die Betroffene im Wege einer Einlage zu behelfen, die unter einem Badeanzug getragen werden könne (Urteil vom 5. August 2010, Az.: L 5 KR 59/10). Für die Kammer kommt zu alledem erschwerend der Hinweis der Frau Dr. B. hinzu, bei Einsetzung eines neuen Implantats bestehe wiederum die Gefahr des Auftretens der Beschwerden. Eine Verpflichtung zur Kostenübernahme folgt auch nicht aus dem Bewilligungsbescheid vom 7. September 2009. Vielmehr hat die Krankenkasse bei jeder Nachfolgeleistung ohne Bindung an die frühere Entscheidung auf neuer Grundlage zu prüfen, ob eine Leistungsverpflichtung besteht (vgl. BSG-Urteil vom 3. September 2003, Az.: B 1 KR 9/02 R). Die Ausführungen der Kammer zur Neuimplantation links gelten sinngemäß für den Implantatwechsel rechts sowie die beantragten Maßnahmen zur Behebung der Anisomastie. Betreffend die rechte Seite hat Frau Dr. B. schon keine Beschwerden im Sinne erheblicher Schmerzen nennen können, die die Durchführung eines Eingriffs rechtfertigen könnten. Die Sachverständige hat auch keine medizinische Indikation für eine Ausgleichung der Größendifferenz formuliert. In den erheblichen Punkten hat sie vielmehr die MDK-Gutachten vom 5. Juli 2011 und vom 13. März 2012 bestätigt. Die Kostenentscheidung folgt aus der Anwendung des § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

 


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