Urteil vom Sozialgericht Stade (29. Kammer) - S 29 KR 38/15

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerinnen 245.361,33 EUR zu zahlen nebst 8 Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 19. August 2014 bis zum Zeitpunkt einer Vorbehaltsleistung.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der Streitwert wird endgültig auf 245.361,33 EUR festgesetzt.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten um die Begleichung einer nachträglich im Korrekturwege erhobenen Rabattforderung betreffend das Jahr 2013 in Höhe von 245.361,33 EUR. Die Klägerinnen sind gesetzliche Krankenkassen. Die  K GmbH ist eine Arbeitsgemeinschaft und ein Gemeinschaftsunternehmen der Klägerinnen. Die Klägerinnen haben die  K GmbH zum Abschluss von Arzneimittel-Belieferungsverträgen und in diesem Rahmen von Rabattvereinbarungen mit verschiedenen pharmazeutischen Unternehmen beauftragt, unter anderem mit der hiesigen Beklagten. Im Rahmen der vertraglichen Beziehungen der Beteiligten zueinander sind Apotheken-Abrechnungsdaten maßgeblich für die Ermittlung der den Klägerinnen jeweils geschuldeten Rabattbeträge. Die Rabattbeträge werden jährlich ermittelt. Die  K GmbH bedient sich zur Durchführung dieser Ermittlungen der C. Service GmbH. Die Rechenzentren der Krankenkassen übermitteln der C. Service GmbH die Arzneimitteldaten (sogenannte TP 3-Daten). Die C. Service GmbH bereitet die TP 3-Daten auf und stellt sie in einem zentralen sogenannten Datawarehouse der  K GmbH zur Verfügung. Ausgelöst wurde der vorliegende Nachberechnungsfall durch ein Versehen der C. Service GmbH. Die C. Service GmbH stellte von Ende November 2013 bis Ende Februar 2014 einzelne aufbereitete Arzneimitteldaten nicht in das Datawarehouse ein. Sie tat dies erst nachträglich am 5. März 2014, zu einem Zeitpunkt, zu dem die  K GmbH die Daten zur Erstellung der Jahresendabrechnung bereits abgerufen hatte. So lagen der Jahresendabrechnung der  K GmbH vom 7. März 2014 ungeachtet der zwischenzeitlich schon erfolgten Ergänzung unvollständige Arzneimitteldaten zu Grunde. Die  K GmbH erhielt erst im Nachgang zu der Jahresendabrechnung vom 7. März 2014 durch die Klägerin zu 35., die Deutsche BKK, Kenntnis von der Datenabweichung. Die Deutsche BKK hatte eine Differenz zwischen den sie betreffenden eigenen Daten und den Daten der  K GmbH bemerkt. Die  K GmbH ermittelte daraufhin umfassend und korrigierte unter dem 2. Juli 2014 die bisherigen Jahresendabrechnungen, wobei es gegenüber den betroffenen pharmazeutischen Unternehmen zu einem Gesamt-Korrekturvolumen von ca. 2,5 Millionen EUR kam. Der Beklagten des vorliegenden Verfahrens stellte die  K GmbH den hier streitigen Betrag von 245.361,33 EUR in Rechnung. Während die ansonsten betroffenen pharmazeutischen Unternehmen die sie betreffenden Nachforderungen erfüllten, verweigerte die Beklagte den Klägerinnen gegenüber die nachträgliche Zahlung. Am 10. Februar 2015 ist die den streitigen Betrag betreffende Klage beim erkennenden Gericht eingegangen. Zwischenzeitlich - so tragen die Klägerinnen vor - habe die Beklagte sich ohne nähere Begründung bereit erklärt, einen Teilbetrag von 180.000 EUR zu zahlen.

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Die Klägerinnen beantragen sinngemäß nach ihrem Vortrag im schriftlichen Verfahren,

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die Beklagte zu verurteilen, an sie 245.361,33 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 19. August 2014 zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

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die Klage abzuweisen.

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Die Beklagte macht geltend, a) es liege gar kein Abrechnungsfehler vor, b) die mit den Klägerinnen geschlossenen Rabattvereinbarungen schlössen schon grundsätzlich Nachforderungen wie die streitgegenständliche aus und schließlich c) stehe der Grundsatz von Treu und Glauben einer Nachforderung entgegen. Im weiteren Verlauf hat die Beklagte den streitgegenständlichen Betrag ohne Anerkennung einer diesbezüglichen Rechtspflicht auf das Konto der  K GmbH überwiesen. Im Verlaufe der Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten hat die Beklagte in wirtschaftlicher Hinsicht vorgetragen, im Anschluss an die Abrechnung vom 7. März 2014 sämtliche Rückstellungen in ihrer Bilanz aufgelöst und die Gelder anderweitig verwendet zu haben. Die Beteiligten haben sich in ihren Schriftsätzen vom 2. und vom 30. Mai 2016 mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung nach Aktenlage einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und wegen des weiteren Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten der Klägerinnen verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Kammer konnte über den Rechtsstreit ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten zuvor mit einer solchen Verfahrensweise einverstanden erklärt hatten, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die im Rahmen eines Gleichordnungsverhältnisses der Beteiligten erhobene Zahlungsklage ist zulässig und in der Sache auch begründet. Zu verstehen ist das Zahlungsverlangen im Zusammenhang mit der vom Gesetz den Krankenkassen aufgetragenen Verpflichtung, die gesetzlich Krankenversicherten unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsprinzips mit Arzneimitteln zu versorgen. Innerhalb des solchermaßen vorbestimmten Versorgungsauftrags erfüllen die Rabattverträge den Zweck, die Möglichkeiten von Vergünstigungen aus Anlass der Abnahme großer Mengen zu nutzen, § 130a Abs. 8 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Berechtigt ist die im hiesigen Streitfall von den Klägerinnen geltend gemachte Nachforderung auf der Grundlage des in der Jahresendabrechnung vom 7. März 2014 aufgetretenen Berechnungsfehlers, der am 2. Juli 2014 in zulässiger, richtiger und vollständiger Weise korrigiert worden ist. Weder standen die vertraglichen Abreden zwischen den Beteiligten der Korrektur der Jahresendabrechnung entgegen, noch war die Nachforderung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ausgeschlossen: a) Die Korrespondenz zwischen der B. und der C. Service GmbH belegt hinreichend sicher das Vorliegen eines Abrechnungsfehlers mit einem Gesamt-Korrekturvolumen von etwa 2,5 Mio. EUR und mit der im vorliegenden Rechtsstreit befangenen Nachforderung der Klägerinnen. Die Kammer lässt in diesem Zusammenhang offen, inwieweit der Hinweis der Beklagten zutrifft, das von den Klägerinnen eingeschaltete Rechenzentrum sei bereits am 7. März 2014 in der Lage gewesen, eine ordnungsgemäße Abrechnung vorzunehmen. Für die Annahme eines korrigierbaren und nach den Abreden zwischen den Beteiligten auch zu korrigierenden Fehlers genügt es, die hinreichend sichere Überzeugung vom tatsächlichen Vorliegen der Rechnungsdifferenzen zu gewinnen. Das wird letztlich auch durch den Vortrag der Beklagtenseite vom 6. Oktober 2015 nicht in Frage gestellt. Es geht eher um die Frage der richtigen Zuordnung der tatsächlich erkannten Differenzen. So drängt sich aus dem Vortrag der Beklagten ein Eindruck auf, die für das Jahr 2013 nicht in die Endabrechnung eingestellten Kontingente von Arzneimittelpackungen dem Jahr 2014 zuzuordnen, anstatt eine Nachberechnung für 2013 durchzuführen. Ein solches Vorgehen würde jedoch offenbar einerseits den Absprachen zwischen den Beteiligten widersprechen, andererseits im Ergebnis zu keiner Abweichung führen. Einen gewichtigen Anhaltspunkt für das tatsächliche Vorliegen eines zu korrigierenden Abrechnungsfehlers entnimmt die Kammer im Übrigen dem mitgeteilten Verhalten der 71 anderen und ebenfalls von dem vorliegenden Sachverhalt betroffenen pharmazeutischen Unternehmen. Die Klägerinnen haben insoweit unwidersprochen mitgeteilt, alle anderen Unternehmen hätten die Nachforderungen beglichen. Offen lässt die Kammer die Frage, wie in diesem Zusammenhang auch das Angebot der Beklagten vom 11. September 2014 zu werten ist, einen Abschlag in Höhe von 180.000,00 EUR zu zahlen. Nur ergänzend anzufügen war in diesen Kontext der Vortrag der Beklagtenseite vom 21. Oktober 2015, wonach - zur Vermeidung des Auflaufens weiterer Verzugszinsen - der streitgegenständliche Betrag von 245.361,33 EUR im Verlaufe der 46. Kalenderwoche des Jahres 2015 zugunsten der Klägerinnen ohne Anerkennung einer diesbezüglichen Rechtspflicht überwiesen werde. b) Der Nachforderung der Klägerinnen steht keine ausdrückliche vertragliche Abrede zwischen den Beteiligten entgegen. Der Gebrauch des Wortes "Jahresendabrechnung" könnte zwar im Sinne einer Endgültigkeit verstanden werden. Tatsächlich sieht die Kammer allein darin aber kein Hindernis für eine Nachberechnung wie im vorliegenden Fall. Denn den Beteiligten der Rabattvereinbarung stand in erster Linie vor Augen, die schon geleisteten Rabatt- und Abschlagszahlungen mit dem für das vergangene Kalenderjahr zu zahlenden Gesamtbetrag zum Ende des Jahres hin zu verrechnen und den sich daraus ergebenen Restbetrag geltend zu machen bzw. eine sich ergebende Überzahlung zu erstatten. Die Größenordnung und die Komplexität der Abrechnungen bergen von vornherein eine Gefahr des Auftretens von Fehlern. Dabei kann dahinstehen, ob durch die Auslagerung in mit Selbständigkeit versehene Rechenzentren sachgerechte Vorkehrungen getroffen worden sind, die Anfälligkeit für Fehler möglichst zu minimieren. Unabhängig davon ist keine Bestimmung des maßgeblichen Rabattvertrages ersichtlich, wonach eine Jahresendabrechnung einer nachträglichen Korrektur unter keinen Umständen zugänglich sein könnte. Die Klägerinnen haben zutreffend § 5 Abs. 7 Satz 3 der Rabattvereinbarung als Fälligkeitsregelung eingeordnet, die sich auf den geltend gemachten Zahlungsanspruch beziehe, nicht jedoch als Ausschlussfrist für das Erstellen einer Korrekturabrechnung gewertet werden könne. Des Weiteren vermag die Kammer dem Vortrag der Beklagten im Hinblick auf § 6 Abs. 3 der Rabattvereinbarung nicht beizutreten. Denn es geht in dieser Klausel lediglich um die dem Rechnungsempfänger eingeräumte Prüffrist. Dem jeweiligen pharmazeutischen Unternehmen wird aufgegeben, die Abrechnung binnen einer Frist von drei Monaten zu prüfen. Nach Ablauf der Dreimonatsfrist gelte der Rechnungsbetrag als korrekt. Dabei ist auf die Einschränkung in Halbsatz 2 des Satzes 2 der Vorgabe aufmerksam zu machen, wonach die Pflicht zum unverzüglichen Ausgleich der Rechnung dann nicht durchgreift, wenn substantiierte Einwendungen seitens des pharmazeutischen Unternehmers erfolgt sind. Abgesehen davon hätte es einer ausdrücklichen Regelung bedurft, diese Dreimonatsfrist auf die Möglichkeit, weitere Rabattbeträge in Rechnung zu stellen, zu beziehen. Eine analoge Anwendung scheitert am Vorliegen nicht vergleichbarer Sachverhalte. Während sich nämlich die angeordnete Rechtsfolge des Laufs einer Dreimonatsfrist auf das zugegangene Abrechnungswerk bezieht, handelt es sich in dem hier in Rede stehenden und nicht geregelten Fall um die Vorstufe, nämlich den zwar zur Abrechnung geeigneten und vorgesehenen, tatsächlich aber noch gar nicht in eine Abrechnung aufgenommenen Sachverhalt. Auch die weiteren, von der Beklagten angeführten Klauseln der Rabattvereinbarung vermögen dem Zahlungsbegehren der Klägerinnen nicht erfolgreich entgegengehalten werden. Denn sie beziehen sich jeweils auf ebensowenig analogiefähige Sachverhalte wie § 7 Abs. 3 des Rabattvertrages. c) Und auch aus dem übergeordneten und hier zudem ggf. analog über § 69 Abs. 1 SGB V anwendbaren Grundsatz von Treu und Glauben, § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), vermag die Beklagte dem Zahlungsbegehren der Klägerinnen keinen durchgreifenden Einwand entgegenzusetzen. Der Abschluss der Rabattverträge kann für sich kein besonderes Vertrauen darauf begründen, im Zusammenhang mit den Jahresendabrechnungen keiner Nachforderung ausgesetzt zu werden. Ebensowenig ist dafür der Umstand heranzuziehen, wonach es in den vorangegangenen Abrechnungszeiträumen, nämlich in den Jahren 2010 bis 2012, zu keinen Nachforderungen seitens der Klägerinnen gekommen war. Eher gegen ein derartiges Vertrauen spricht im Übrigen der Umstand der Bildung von Rückstellungen in der Bilanz der pharmazeutischen Unternehmen und so auch in der Bilanz der Beklagten. Die Beklagte hat zwar weitergehend vorgetragen, die Rückstellung mit ihrem Jahresabschluss 2013 aufgelöst und anderweitig verbraucht zu haben, dies betrifft aber lediglich die Handhabung im Nachgang, nicht jedoch die grundsätzliche Vorkehrung gegen von vornherein für denkbar gehaltene Rechnungsberichtigungen. Auch aus dem Kontext mit ersichtlichen Regelungen betreffend Korrekturmöglichkeiten bei Dauer-Abrechnungsbeziehungen kann das Gericht keine genügenden Gesichtspunkte entnehmen für einen dem vorgetragenen Vertrauen der Beklagten entsprechenden Rechtssatz. Der Gesetzgeber hat besondere Konstellationen wie diejenige der Architektenabrechnung oder - dem vorliegenden Fall näher kommend - der Krankenhausabrechnungen besonderen gesetzlichen Regelungen zugeführt in dem Sinne, für diese besonderen Konstellationen das Recht zur Nachberechnung einzuschränken. Soweit er dies nicht getan hat, spricht zunächst vieles dafür, die Durchsetzbarkeit von Nachforderungen der hier in Rede stehenden Art lediglich als durch die Vorschriften über die Verjährung, §§ 195 ff. BGB, sowie durch das Rechtsinstitut der Verwirkung als Sonderfall des Grundsatzes von Treu und Glauben begrenzt zu sehen. Daran gemessen ist entscheidend, dass die Forderungen der Klägerinnen weder verjährt sind noch Anhaltspunkte dafür vorliegen, die Klägerinnen hätten ein Nachforderungsrecht verwirkt. Es ist kein Verhalten zutage getreten oder von der Beklagten hinreichend sicher aufgezeigt worden, aus dem der Schluss abzuleiten wäre, die Klägerinnen würden in Kenntnis des nachträglich offenbar gewordenen Sachverhalts von vornherein von einem Recht zur Erhebung von Nachforderungen Abstand nehmen.

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Der Anspruch auf den von den Klägerinnen geltend gemachten Zinssatz ergibt sich aus den vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Beteiligten, § 5 Abs. 4 der Rabattvereinbarung iVm §§ 247 u. 288 Abs. 2 BGB. Auszusprechen war der Nebenanspruch für die Zeit seit dem 19. August 2014 bis zum Zeitpunkt einer Vorbehaltsleistung. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Denn sie ist im tenorierten Umfang verurteilt worden und damit im Sinne der §§ 197 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) unterlegen. Die Entscheidung über den Streitwert ergeht auf der Grundlage der §§ 197 a SGG iVm 52 Gerichtskostengesetz (GKG). Nach § 52 Abs. 1 GKG ist in Verfahren unter anderem vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, soweit nichts Anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bei der hier auf einen festen Betrag gerichteten Zahlungsklage sah sich die Kammer veranlasst, die Summe - unter Ausklammerung des Zinsanspruchs, § 43 Abs. 1 GKG - für die Höhe des Streitwerts zu übernehmen.

 


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