Urteil vom Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern - 7/07
Tenor
1. Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
2. Die Entscheidung ergeht kostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
A.
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Die am 15. November 2007 erhobene Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen
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a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock vom 08. Oktober 2007, Aktenzeichen 2 Ss (OWi) 284/07 I 177/07, zugestellt am 15. Oktober 2007, und
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b) das Urteil des Amtsgerichts Schwerin vom 15. Juni 2007, Aktenzeichen 35 OWi 763/06, zugestellt am 27. Juni 2007.
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Gerügt wird die Verletzung des Grundrechts auf Schutz der persönlichen Daten gemäß Art. 6 Abs. 1 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern (LV).
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Die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen sind im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens ergangen, in dem der Beschwerdeführer wegen eines Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 150,00 EUR und einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt worden ist. Grundlage der gerichtlichen Sachverhaltsfeststellung ist die Auswertung einer ohne Anfangsverdacht erstellten Videoaufnahme.
I.
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1. Dem Beschwerdeführer wurde vorgeworfen, am 24. Februar 2006 um 10.16 Uhr mit dem Pkw IN-WT 821 in Schwerin die Kreuzung Stellingstraße überquert zu haben, als die Lichtzeichenanlage bereits 1,738 Sekunden auf Rot geschaltet gewesen sei. Zu diesem Vorwurf ließ er sich dahingehend ein, dass er am 24. Februar 2006 um 10.16 Uhr mit dem Pkw ... in Schwerin im Bereich der Stellingstraße unterwegs gewesen sei. Er gehe inzwischen davon aus, dass die Ampel zu diesem Zeitpunkt umgeschaltet gewesen sei, wisse nicht wie lange, meine jedoch, es habe nicht länger als 1 Sekunde gedauert.
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Mit dem angegriffenen Urteil des Amtsgerichts Schwerin vom 15. Juni 2007 ist der Beschwerdeführer wegen fahrlässiger Missachtung des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage, wobei die Rotphase bereits länger als 1 Sekunde angedauert habe, zu einer Geldbuße von 150,00 EUR und einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt worden. Das Amtsgericht hat zum Beweis der Dauer der Zeit von der Umschaltung der Lichtzeichenanlage auf Rot bis zur Überquerung der Kreuzung durch den Beschwerdeführer eine von der Polizeidirektion Schwerin erstellte Videoaufnahme verwertet, auf Grund derer ein Sachverständiger diese Zeitspanne mit 1,738 Sekunden berechnet hat. Die betreffende Videoaufnahme wurde durch eine bereits vor dem dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Rotlichtverstoß laufende Videokamera, welche in einem mit zivilen Kennzeichen am Straßenrand abgestellten Passat verborgen war, aufgezeichnet.
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Der Beschwerdeführer hatte gerügt, dass eine solche Videoaufnahme ohne Anfangsverdacht unzulässig sei und deshalb ein entsprechendes Beweisverwertungsverbot bestehe. Darüber hinaus hatte er eine Sperrung der so unzulässig erhobenen Daten gemäß § 25 DSG M-V verlangt.
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Das Amtsgericht ist in seinem Urteil davon ausgegangen, dass die Videoaufnahme möglicherweise bereits vor dem Rotlichtverstoß - ohne Anfangsverdacht - begonnen worden und dann unzulässig erfolgt sei (UA S. 5 f.). Gemäß § 100 f Abs. 1 Nr. 1 StPO (seit 1. Januar 2008:
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§ 100 h Abs. 1 Nr. 1 StPO) dürften ohne Wissen des Betroffenen außerhalb von Wohnungen nur Bildaufnahmen hergestellt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten auf andere Weise weniger Erfolg versprechend oder erschwert wäre. Dies gelte gemäß § 46 Abs. 1 OWiG sinngemäß für das Bußgeldverfahren. § 32 Abs. 1, Abs. 3 SOG M-V lasse Bildaufzeichnungen zu, wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, dass Straftaten begangen wurden. Da insoweit in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Bürgers eingegriffen werde, ergebe sich, dass diese Regelungen abschließenden Charakter hätten.
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Hieraus folge jedoch nicht, dass ein unzulässig aufgenommener Videofilm nicht verwertet werden dürfe. Ob ein Verstoß gegen ein Verbot bei der Beweiserhebung auch ein Verwertungsverbot begründe, müsse im Wege der Einzelprüfung danach beurteilt werden, ob die Verletzung den Rechtskreis des Betroffenen wesentlich berühre oder ob sie für ihn nur von untergeordneter oder keiner Bedeutung sei. Das Verwertungsverbot habe den Zweck, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Bürgers hinsichtlich staatlicher Filmaufnahmen zu schützen. Zwar sei der Beschwerdeführer bei der Teilnahme im anonymen Straßenverkehr gefilmt worden, er selbst sei auf der Filmaufnahme jedoch nicht erkennbar. Dem gegenüber stehe das Interesse, einen Verstoß im Straßenverkehr aufzuklären, der wegen der Missachtung von Rotlicht um mehr als 1 Sekunde doch ein gewisses Gewicht gehabt habe. Dieses Interesse wertete das Amtsgericht vorliegend als wichtiger als das Datenschutzinteresse des Beschwerdeführers. Bei der Abwägung ergebe sich, dass ein Verwertungsverbot nicht bestehe. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die Polizei gegen das Verbot von Filmaufnahmen ohne Anfangsverdacht nicht etwa in Kenntnis der Verbotsnorm systematisch verstoßen habe. Vielmehr habe eine nachvollziehbare Unkenntnis des Verbots vorgelegen.
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2. Die gegen diese Entscheidung am 21. Juni 2007 erhobene Rechtsbeschwerde hat das Oberlandesgericht Rostock mit Beschluss vom 08. Oktober 2007, zugestellt am 15. Oktober 2007, ohne nähere Begründung als unbegründet verworfen.
II.
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Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 1 LV.
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I. Die Verfassungsbeschwerde sei zulässig, da die Voraussetzungen des Art. 53 Nr. 7 LV und der §§ 58 ff. LVerfGG vorlägen. Das Bundesverfassungsgericht sei für eine Prüfung der Verletzung von Art. 6 Abs. 1 LV nicht zuständig. Zwar gewährleiste auch das Grundgesetz das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Bürgers als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Allerdings gewähre Art. 6 Abs. 1 LV dem Bürger originär ein Recht auf Schutz seiner persönlichen Daten, der über den durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung gewährten Schutz hinausgehe. Insbesondere seien an die Feststellung eines Eingriffs in den Schutzbereich geringere Anforderungen zu stellen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 u.a. - (NJW 2008, 1505) komme es bei Datenerfassungen in sog. Nichttrefferfällen nicht zu einem Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, soweit zusätzlich rechtlich und technisch gesichert sei, dass die Daten anonym blieben und sofort spurenlos und ohne die Möglichkeit, einen Personenbezug herzustellen, gelöscht würden. Daraus werde deutlich, dass das Bundesverfassungsgericht in solchen Fällen eine Eingriffsermächtigung nicht für notwendig erachte. Auf diese Eingriffsdefinition beziehe sich offensichtlich auch das Amtsgericht, das ein Verwertungsverbot allein danach beurteile, ob die Verletzung den Rechtskreis des Betroffenen wesentlich berühre oder für ihn nur von untergeordneter oder keiner Bedeutung sei. Eine Ermächtigungsgrundlage für die Verwertung von Daten mit derart untergeordneter Bedeutung halte das Amtsgericht offenkundig nicht für erforderlich. Art. 6 Abs. 1 LV schütze jedoch schon nach seinem Wortlaut schlichtweg vor jeder Erfassung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe personenbezogener Daten ohne eine ausreichende verfassungsgemäße Grundlage, ohne dabei schon bei der Frage, ob ein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts vorliege, eine Abwägung zwischen Grundrecht und Gemeinwohlinteresse bzw. berechtigten Interessen Dritter vorzunehmen.
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Das Datenschutzrecht nach Art. 6 Abs. 1 LV unterliege ferner abweichenden formellen Bestimmungen für zulässige Eingriffe bzw. stelle an die Verfassungsmäßigkeit des staatlichen Eingriffs weitergehende Anforderungen als das Grundgesetz. Das aus dem Grundgesetz hergeleitete Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleiste nur den Schutz des absolut geschützten Persönlichkeitsbereichs vor schlechthin jedem Zugriff der öffentlichen Gewalt. Ein Gesetzesvorbehalt für schlichtweg jeden Eingriff in dieses Grundrecht sei nicht vorgesehen. Beispielsweise müsse nicht jede Datenübermittlung von einer Behörde zur anderen in allen Einzelheiten gesetzlich geregelt sein. Es sei von einer eingriffsbezogenen Schrankensystematik auszugehen, nach der nur wesentliche Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage bedürften. Dagegen sehe Art. 6 Abs. 4 LV für jeden Eingriff in den Schutz der persönlichen Daten nach Art. 6 Abs. 1 LV unabhängig von seiner Intensität einen formellen Gesetzesvorbehalt vor, der dem Zitiergebot unterliege.
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2. Die Verfassungsbeschwerde sei auch begründet, weil die Entscheidungen des Amtsgerichts Schwerin und des Oberlandesgerichts Rostock den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 6 Abs. 1 LV verletzten. Sowohl das Amtsgericht Schwerin als auch das Oberlandesgericht Rostock hätten ihre Entscheidung auf die Auswertung der Videoaufzeichnung gestützt und diese als Beweis verwertet. Datenschutzbegrifflich stelle sich diese Beweisverwertung als Datenverarbeitung in der Form der Datennutzung dar.
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Diese Datennutzung sei ein Eingriff in das mit Art. 6 Abs. 1 LV geschützte Recht des Beschwerdeführers zum Schutz seiner personenbezogene Daten. Der Regelungsgehalt des Art. 6 Abs. 1 LV sei so zu verstehen, dass der Beschwerdeführer, wie jeder Einzelne, das Recht habe, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Dies werde ihm durch die von ihm nicht genehmigte Nutzung der Videoaufnahme durch das Amtsgericht und das Oberlandesgericht für die Entscheidungsfindung verwehrt.
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Der Eingriff des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts in das so beschriebene Datenschutzrecht des Beschwerdeführers sei rechtswidrig, weil die Nutzung der personenbezogenen Daten in der gerichtlichen Entscheidungsfindung - wie schon ihre Erhebung - ohne seine Einwilligung und ohne gesetzliche Ermächtigungsgrundlage erfolgt sei, obwohl hier nach Art. 6 Abs. 4 LV ein Gesetzesvorbehalt gelte. Eine Ermächtigungsgrundlage für die Datenerhebung ergebe sich nicht - wie das Amtsgericht richtig festgestellt habe - aus § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 100 f Abs. 1 Nr. 1 StPO. Auch nach § 32 SOG M-V sei eine solche Videoaufnahme nicht zulässig.
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Dies gelte auch für die spätere Nutzung der so erhobenen Daten durch die Verwertung als Beweismittel. Zwar löse die fehlerhafte Beweiserhebung nicht zwangsläufig ein Verwertungsverbot aus. Hier liege jedoch mit Art. 6 Abs. 1 LV ein ausdrückliches gesetzliches bzw. verfassungsrechtliches Beweisverwertungsverbot vor. Danach werde eine einfachgesetzliche Ermächtigungsgrundlage für eine solche Beweisverwertung gefordert, die nicht ersichtlich sei.
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Das Amtsgericht verkenne darüber hinaus auch, dass in § 7 DSG M-V in Konkretisierung des Schutzrechts aus Art. 6 Abs. 1 LV ein weiteres ausdrückliches Beweisverwertungsverbot enthalten sei. Angesichts des Gesetzesvorbehalts nach Art. 6 Abs. 4 LV und der Regelung in § 7 DSG M-V könne die hiernach "zwingend vorausgesetzte" gesetzliche Verarbeitungserlaubnis nur für rechtmäßig erhobene Daten angenommen werden.
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Der Eingriff des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts sei darüber hinaus unverhältnismäßig.
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Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 LV finde das Datenschutzrecht seine Grenzen in den Rechten Dritter und den überwiegenden Interessen der Allgemeinheit. Rechte Dritter seien von dem Geheimhaltungsinteresse des Beschwerdeführers an den hier betroffenen Daten nicht berührt. Aber auch überwiegende Interessen der Allgemeinheit seien vorliegend nicht erkennbar.
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Dem durch die originäre Aufnahme in die Landesverfassung hervorgehobenen Grundrecht auf Datenschutz komme keine so geringe Bedeutung zu, dass dieses Grundrecht - wie das Amtsgericht offenbar meine - hinter dem Verfolgungsinteresse an einer bloßen Ordnungswidrigkeit (hier sogar ohne konkrete Gefährdung Dritter) zurückstehen müsse. Ein gerechter Ausgleich dieses Spannungsfeldes könne - auch unter Berücksichtigung der Rechtswidrigkeit des Eingriffs - nur durch ein Zurücktreten des ohne eine konkrete gesetzliche Ermächtigungsgrundlage hier geltend gemachten Verfolgungsanspruchs des Staates erreicht werden. Nur in Fällen schwerer Kriminalität oder zumindest erheblicher Straftaten sei dem staatlichen Verfolgungsinteresse Vorrang vor dem in Art. 6 Abs. 1 LV garantierten Grundrecht auf Datenschutz zu geben (unter Hinweis auf BVerfGE 34, 238; BVerfGE 80, 367). Demgegenüber stelle die Verfolgung bloßen Verwaltungsunrechts ohne konkrete Gefährdung von Schutzrechten Dritter im Massenordnungswidrigkeitenverfahren mit einer relativ geringen Regelgeldbuße kein überwiegendes Gemeinwohlinteresse dar. Wenn schon ein schwacher Anfangsverdacht im Ordnungswidrigkeitenverfahren eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung gebiete (unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 29.04.2007 - 2 BvR 532/02 -, juris), möge dies erst recht für den hier vorliegenden Fall gelten, in dem zur Zeit der Beweiserhebung nicht einmal ein Anfangsverdacht vorgelegen habe.
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Die Unverhältnismäßigkeit der Datenverwertung werde auch deutlich, wenn man sich vor Augen führe, dass die vom Gericht angenommene Verwertbarkeit der so erhobenen Daten zu einer völligen Umgehung der Beweismethodenverbote des § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 100 f Abs. 1 Nr. 1 StPO führe. Bei Feststehen eines Anfangsverdachts - für den hier vorgeworfenen Rotlichtverstoß nach einem Zeitraum von mehr als einer Sekunde - wäre ein sinnvoller Start der Videoaufnahme zum Zwecke des Nachweises des Andauerns der Rotlichtschaltung angesichts der äußerst knappen Überschreitung der 1-Sekunden-Grenze ohne besondere technische Vorkehrungen von Hand nicht mehr möglich gewesen. Eine solche Videoaufnahme sei also bei rechtmäßiger Anwendung generell nicht zum Beweis des Andauerns der Rotlichtschaltung geeignet. Wolle man ihre Beweiseignung herbeiführen, sei dies nur unter Hinnahme des ständigen Verstoßes gegen § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 100 f Abs. 1 Nr. 1 StPO bei der Beweiserhebung möglich.
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Die Verwendung solcher nur durch Rechtsbruch zu erlangenden Daten führe demnach zu einer völligen Aushebelung des Beweismethodenverbots.
III.
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Das Justizministerium hat zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen. Es hält sie nach Art. 53 Nr. 7 LV für unzulässig, weil eine Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts gegeben sei.
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Entscheidend sei, dass der Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV nicht über den Schutzbereich des in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG niedergelegten Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung hinausgehe. Vielmehr stimmten beide Grundrechte in ihrem Schutzbereich überein. Darauf deute schon das Urteil des Landesverfassungsgerichts M-V vom 21. Oktober 1999 - LVerfG 2/98 - (LVerfGE 10, 339) hin.
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Das Justizministerium vertritt die Auffassung, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV habe den Schutzbereich des in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG enthaltenen Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung übernommen. Die Entstehungsgeschichte lasse keinen anderen Schluss zu. Der Unterschied zum Grundrechtsschutz des Grundgesetzes bestehe allein darin, dass der Verfassunggeber des Landes Mecklenburg-Vorpommern das Grundrecht ausdrücklich normiert habe. Ein inhaltlicher Unterschied im Schutzbereich des Grundrechts sei damit jedoch nicht verbunden.
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Für einen solchen Unterschied fehle in Wortlaut und Entstehungsgeschichte des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV jeglicher Anhaltspunkt.
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Die Beschwerdebegründung führe zu keinem anderen Ergebnis. Wenn der Beschwerdeführer vortrage, dass Art. 6 Abs. 1 LV dem Bürger "originär" ein Recht auf Schutz seiner persönlichen Daten gewähre, während das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung "allein durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung" vermittelt werde, könne dem nicht gefolgt werden; denn auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung werde vom Schutzbereich normierter Grundrechte, nämlich Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, umfasst. Es läge auch nicht in der Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts, ein Grundrecht außerhalb der Vorschriften des Grundgesetzes zu entwickeln.
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Soweit der Beschwerdeführer ausführe, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung in seiner Ausformung durch das Bundesverfassungsgericht schütze "nur den absolut geschützten Persönlichkeitsbereich vor schlechthin jedem Zugriff der öffentlichen Gewalt" ... "während Art. 6 Abs. 4 LV für jeden Eingriff in den Schutz der persönlichen Daten nach Art. 6 Abs. 1 LV einen formellen Gesetzesvorbehalt" vorsehe, könne mit dieser Argumentation nicht begründet werden, dass die Schutzbereiche der beiden Grundrechte nicht übereinstimmen sollten. Der Beschwerdeführer vergleiche auf diese Weise den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 LV nicht mit dem Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, sondern mit dem Kernbereich der Persönlichkeit als demjenigen Teil des Schutzbereichs, in den jeglicher Eingriff - ob auf gesetzlicher Grundlage oder nicht - unzulässig sei (unter Hinweis auf BVerfGE 103, 21, 31). Beides seien grundrechtsdogmatisch aber unterschiedliche und daher nicht miteinander vergleichbare Kategorien.
B.
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Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
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Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht der Grundsatz der Subsidiarität nach Art. 53 Nr. 7 LV, § 58 Abs. 3 LVerfGG entgegen. Es war dem Beschwerdeführer möglich, vergleichbaren verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz vor dem Bundesverfassungsgericht gegen eine mögliche Grundrechtsbeeinträchtigung durch die beanstandeten fachgerichtlichen Entscheidungen zu suchen.
I.
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1. Nach Art. 53 Nr. 7 LV entscheidet das Landesverfassungsgericht "über Verfassungsbeschwerden, die jeder mit der Behauptung erheben kann, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner in Artikel 6 bis 10 dieser Verfassung gewährten Grundrechte verletzt zu sein, soweit eine Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts nicht gegeben ist." Eine dem letzten Halbsatz entsprechende Regelung enthält einfachgesetzlich § 58 Abs. 3 LVerfGG.
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Danach ist die Landesverfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht gegen Akte der rechtsprechenden Gewalt nur eröffnet, wenn der Beschwerdeführer sich auf ein Landesgrundrecht aus Art. 6 bis 10 LV beruft, das eine weitergehende Grundrechtsgewährleistung enthält als die Bundesgrundrechte. Erschöpft sich die Landesverfassung hingegen darin, die mit Art. 5 Abs. 3 LV erfolgte dynamische Verweisung auf die im Grundgesetz verbürgten Grundrechte auszuformulieren, verbleibt es bei der alleinigen Entscheidungszuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG. In diesem Sinne wird auch formuliert, die Landesverfassungsbeschwerde sei dann zulässig, wenn für sie auf Bundesebene kein in etwa vergleichbarer Prüfungsmaßstab bereitstehe (Classen in: Litten/Wallerath [Hrsg.], Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, 2007, Art. 53 Rn. 40; zustimmend Bull, NordÖR 2008, 49, 52), bzw. dann unzulässig, wenn inhaltsgleiche Grundrechte des Grundgesetzes in derselben Sachverhaltskonstellation im Streit stünden (Wallerath, NdsVBl. 2005, 43, 50). Dass damit für die Landesverfassungsbeschwerde nur ein beschränkter Anwendungsbereich verbleibt, steht diesem Verständnis nicht entgegen (so aber März, Landesverfassungsgericht und Bundesverfassungsgericht - Konkurrenz oder Kooperation beim Grundrechtsschutz?, in: Koch [Hrsg.],
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Recht zwischen Verfahren und materieller Wertung, 2005, S. 93, 100, der eine "nahezu vollständige Aushöhlung der Prüfungsbefugnis" bemängelt; offener nunmehr ders., Zwölf Jahre Verfassungsgerichtsbarkeit in Mecklenburg-Vorpommern, 2008, S. 19 f.). Die Beschränkung entspricht dem Zweck der Vorschrift wie auch dem Willen des Verfassunggebers .
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2. Das Grundrecht auf Schutz der persönlichen Daten gemäß Art. 6 Abs. 1 LV, auf das der Beschwerdeführer sich beruft, gewährt keinen über das Grundgesetz hinausgehenden Grundrechtsschutz.
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Art. 6 Abs. 1 LV lautet: "Jeder hat das Recht auf Schutz seiner personenbezogenen Daten. Dieses Recht findet seine Grenzen in den Rechten Dritter und in den überwiegenden Interessen der Allgemeinheit." Nach Art. 6 Abs. 4 LV regelt das Nähere ein Gesetz.
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Mit Art. 6 Abs. 1 LV ist für Mecklenburg-Vorpommern das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, so wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209 u.a./83 - (BVerfGE 65, 1) aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG entnommen hat, als eigenständiges Grundrecht herausgestellt worden. Satz 1 der Norm enthält in der gedrängten, dem spezifischen Sprachgebrauch einer Verfassung entsprechenden Form die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, dass die freie Entfaltung der Persönlichkeit unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraussetzt. Dem Satz 2 liegt die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts zu Grunde, dass grundsätzlich der Einzelne Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit hinnehmen muss (LVerfG, Urt. v. 21.10.1999 - LVerfG 2/98 - , LVerfGE 10, 337, 348).
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Das Recht auf Schutz der persönlichen Daten ist damit zwar in Art. 6 Abs. 1 LV als besonderes Landesgrundrecht verankert worden; sein Inhalt ist aber über Art. 5 Abs. 3 LV ohnehin Bestandteil der Verfassung und unmittelbar geltendes Recht (vgl. Kohl in: Litten/Wallerath [Hrsg.], Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, 2007, Art. 6 Rn. 1, 4; Classen a.a.O. Art 53 Rn. 41; März in: Koch [Hrsg.], a.a.O., S. 100 mit Fn. 14; ders., Zwölf Jahre Verfassungsgerichtsbarkeit in Mecklenburg-Vorpommern, 2008, S. 19 f.).
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Auch die Entstehungsgeschichte des Art. 6 LV zeigt, dass es sich bei dieser Vorschrift um eine "datenschutzrechtliche Ausformulierung des aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz vom Bundesverfassungsgericht abgeleiteten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung" handelt (LT-Drs. 1/3100, S. 87).
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Das Landesverfassungsgericht vermag deshalb auch nicht der Auffassung des Beschwerdeführers zu folgen, an die Feststellung eines Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 LV seien geringere Anforderungen zu stellen als bei einem solchen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Der Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. März 2008 (1 BvR 2074/05 u.a., NJW 2008, 1505) trägt diesen Schluss nicht. In der Tat hat das Bundesverfassungsgericht angenommen, dass es bei Datenerfassungen in sog. Nichttrefferfällen nicht zu einem Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung komme, soweit zusätzlich rechtlich und tatsächlich gesichert sei, dass die Daten anonym blieben und sofort spurenlos und ohne die Möglichkeit, einen Personenbezug herzustellen, gelöscht würden. Das weicht jedoch nicht von der landesverfassungsrechtlichen Rechtslage ab. Diese schützt keineswegs vor jeder "Erfassung personenbezogener Daten". Weder im Hinblick auf die Beeinträchtigungsmodalitäten noch im Hinblick auf das Erfordernis der gesetzlichen Rechtfertigung dieses Eingriffs bestehen Unterschiede im Gewährleistungsgehalt von bundesverfassungsrechtlich und landesverfassungsrechtlich garantiertem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Insbesondere bleibt der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 65, 1, 43 f.; 100, 313, 359 ff.; 115, 320, 344 f.) näher ausgeformte allgemeine Gesetzesvorbehalt nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG nicht hinter den durch Art. 6 Abs. 1 Satz 2 sowie Abs. 4 LV gezogenen Schranken zurück (LVerfGE 10, 337, 348; LVerfGE 11, 265, 297; zu Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG Gurlit, DVBl. 2003, 1119, 1122 m.w.N.). Für die Annahme eines Zitiergebots, wie es der Beschwerdeführer geltend macht, ist in beiden Fällen kein Raum.
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Der Umstand, dass der Verfassunggeber das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in die Landesverfassung ausdrücklich aufgenommen hat, verleiht diesem keinen weiterreichenden normativen Gehalt. Deshalb kann Art. 6 Abs. 1 LV auch in der Abwägung mit anderen Rechtsgütern nicht mehr Gewicht beigelegt werden als dem in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Zwar mag Art. 6 Abs. 3 LV mit der Gewährleistung des Rechts auf Zugang zu Umweltinformationen einen zusätzlichen Grundrechtsschutz verschaffen. Art. 6 Abs. 1 LV geht indes nicht weiter als das beschriebene Bundesgrundrecht (ebenso März in: Koch [Hrsg.], a.a.O., S. 100 mit Fn. 14; ders., JöR n.F. 54 (2006), 175, 207 m.w.N.; s.a. - allgemein - Kloepfer, Informationsrecht, 2002, § 3 Rn. 151). Die ausdrückliche Regelung ändert nichts an dem Gewährleistungsgehalt.
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3. Die Landesverfassung geht in Art. 53 Nr. 7 LV, § 58 Abs. 3 LVerfGG davon aus, dass es auch im Bereich der landesspezifisch ausgeformten Grundrechte (Art. 6 bis 10 LV) entsprechende grundrechtliche Gewährleistungen geben kann, die einem Rechtsschutz durch das Landesverfassungsgericht entgegenstehen. Mit der Begrenzung des Zugangs zum Landesverfassungsgericht bei Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts will der Verfassunggeber bewusst für Individualverfassungsbeschwerden gegen Akte der rechtsprechenden oder vollziehenden Gewalt ausschließen, dass in derselben Sache sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch das Landesverfassungsgericht befasst werden (vgl. auch Classen a.a.O. Art. 53 Rn. 41). Es geht also um die Vermeidung von Normkonflikten, die im Rahmen einer Rechtskontrolle des Bundesverfassungsgerichts einerseits und des Landesverfassungsgerichts andererseits entstehen können (s.a. BVerfGE 96, 345 ff.).
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Das Landesverfassungsgericht hat erwogen, ob die Subsidiaritätsklausel nach Art. 53 Nr. 7 LV, § 58 Abs. 3 LVerfGG nicht im Wege einer teleologischen Auslegung auf Fälle zu beschränken ist, in denen ein durch die Landesverfassung gewährleisteter Grundrechtsschutz seine Entsprechung in einem durch das Grundgesetz ausdrücklich benannten Grundrecht findet. In diesem Fall wäre der Rechtsschutz durch das Landesverfassungsgericht nicht ausgeschlossen, wenn sich die grundgesetzliche Garantie - wie bei dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung - erst aus einer Gesamtschau des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ergibt. Der Beschwerdeführer führt hierfür den besonderen Nachdruck des Schutzes an, den der Verfassunggeber mit der ausdrücklichen Verankerung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung in Art. 6 Abs. 1 LV verbunden hat.
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Indes entspräche eine solche, einengende Deutung der Subsidiaritätsklausel weder dem Zweck der Vorschrift noch dem Willen des Verfassunggebers. Das Ziel, Konflikte bei der Auslegung von Grundrechten zu vermeiden, die bei einer doppelgleisigen Rechtsschutzgarantie drohen, hat seine Berechtigung unabhängig davon, wie das jeweilige Grundrecht rechtstechnisch ausgestaltet ist. Wenn der Verfassunggeber in Kenntnis der jeweils unterschiedlichen Ausformung von Bundes- und Landesgrundrechten wie auch des jeweiligen verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes allgemein die Zulässigkeit der Landesverfassungsbeschwerde nach Art. 53 Nr. 7 LV gegen Akte der öffentlichen Gewalt unter den Vorbehalt gestellt hat, "soweit eine Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts nicht gegeben ist", hat er deutlich gemacht, dass sich die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde vor dem Landesverfassungsgericht ausschließlich nach der Reichweite der jeweiligen bundesverfassungs- bzw. landesverfassungsrechtlichen Grundrechtsgarantie bestimmen sollte. Das ergibt sich auch aus den Materialien zur Verfassunggebung.
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Die Regelungen des Art. 53 LV sind Gegenstand intensiver Beratungen der Verfassungskommission, namentlich im Hinblick auf Individualverfassungsbeschwerden gegen Akte der Zweiten und Dritten Gewalt, gewesen (LT-Drs. 1/3100, S. 149 ff.).
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Die Verfassungskommission hatte den ursprünglich in der Fassung der Sachverständigen Prof. Dr. von Mutius und Prof. Dr. Starck nur aus fünf Nummern bestehenden Art. 53 des Entwurfs im Laufe der Kommissionsberatungen erheblich erweitert.
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Der Sachverständige Peters hatte angeregt, die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden zu erörtern. Er hielt es für erforderlich, zusätzlich zur Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht eine Individualbeschwerde vor dem Landesverfassungsgericht zu ermöglichen. Hintergrund hierfür seien zum Beispiel die im Verfassungsentwurf enthaltenen Sondergrundrechte wie etwa das Datenschutzrecht.
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Der Sachverständige Prof. Dr. von Mutius gab zu bedenken, dass die unbeschränkte Zulassung von Landesverfassungsbeschwerden zu einer Parallelität zwischen Landes- und Bundesverfassungsgerichtskompetenz führen könne. Dies solle man vermeiden. Er schlug daher folgende Formulierung vor: "Das Landesverfassungsgericht entscheidet über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, in einem durch diese Landesverfassung vorgesehenen Grundrecht verletzt zu sein." Der Sachverständige Prof. Dr. Starck ergänzte, dass seiner Auffassung nach eine konkrete Aufzählung der in der Landesverfassung zusätzlichen und über die Grundrechte hinaus gehenden Verbürgungen notwendig sei. Man solle daher formulieren: "in einem seiner in Artikel 6 bis 8a gewährten Grundrechte".
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Diese Überlegungen der 19. Sitzung fanden ihren Niederschlag in Art. 51 Nr. 5 der in Drucksache 1/2000 enthaltenen Fassung, die folgenden Wortlaut hatte: "... über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner in Artikel 6 bis 9 gewährten Grundrechte verletzt zu sein ...".
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Im Rahmen ihrer Schlussberatungen erörterte die Verfassungskommission nochmals die Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichts. Während der 24. Sitzung trug der Sachverständige Prof. Dr. Starck zu Nr. 6 vor, dass mit der Formulierung im Zwischenbericht Kompetenzschwierigkeiten verbunden seien. Er schlage daher vor, sich an der sachsen-anhaltinischen Verfassung zu orientieren, die eine Landesverfassungsbeschwerde nur gegen Landesgesetze zulasse (vgl. Art. 75 Nr. 6 LVerfLSA).
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Dieser Vorschlag des Sachverständigen wurde mehrheitlich gegen die Stimmen der Fraktion der LL/PDS sowie der Vertreterin des Regionalausschusses und des Vertreters der Bürgerbewegung angenommen.
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Während der 25. Sitzung wurde die getroffene Entscheidung zu Art. 53 Nr. 6 des Entwurfs erneut aufgerufen. Die Fraktion der SPD setzte sich dafür ein, die Individualverfassungsbeschwerde aufzunehmen.
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Der Sachverständige Prof. Dr. Starck erinnerte daran, dass in der 24. Sitzung beschlossen worden sei, die Verfassungsbeschwerde nur gegen Landesgesetze zuzulassen. Diese solle dann sowohl hinsichtlich der Verletzung von im Grundgesetz als auch von in der Landesverfassung gewährten Grundrechten möglich sein. Man könne diese Verfassungsbeschwerde sowohl beim Landesverfassungsgericht als auch beim Bundesverfassungsgericht erheben. Eine sachgerechte Zuständigkeitsabgrenzung müsse man im Landesverfassungsgerichtsgesetz treffen.
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Der Sachverständige Prof. Dr. von Mutius warnte davor, dass eine allgemeine Verfassungsbeschwerde zu Kompetenzschwierigkeiten führen würde. Bei ihrer Annahme stünden Landes- und Bundesgerichtsbarkeit in ständiger Konkurrenz. Der Sachverständige schlug daher folgende Formulierung vor:
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"... über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können,
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a) durch ein Landesgesetz unmittelbar in seinen Grundrechten oder staatsbürgerlichen Rechten verletzt zu sein,
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b) durch die öffentliche Gewalt in einem seiner in Artikel 6 bis 9 gewährten Grundrechte verletzt zu sein, soweit eine Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts nicht gegeben ist."
- 60
Diese Fassung der Nr. 6 wurde während der 25. Sitzung vorbehaltlich redaktioneller Änderungen beschlossen. Die Redaktionskonferenz der Verfassungskommission schlug der Kommission schließlich vor, die beiden "Jedermann-Verfassungsbeschwerden" getrennt als Nummern 6 und 7 aufzunehmen. So wurde es denn auch vom Landtag beschlossen.
- 61
Im Ergebnis entsprechend ist auch die früher im Saarland geltende Subsidiaritätsklausel gemäß § 55 Abs. 3 SaarlVerfGHG a.F. ("Ist wegen der gleichen Verletzung die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht zulässig, so kann Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof nicht erhoben werden.") verstanden worden. Danach konnte der Verfassungsgerichtshof nur angerufen werden, wenn das Grundgesetz das vom Beschwerdeführer als verletzt behauptete Recht nicht schützte, also wenn die Verfassung des Saarlandes einen weiteren Grundrechtsschutz vermittelte als das Grundgesetz (SaarlVerfGH, Beschl. v. 14.02.1985 - Lv 4/84 -, NJW 1986, 916, betreffend die in Art. 110 Satz 1 und Art. 111 Satz 2 SaarlVerf garantierte Unversetzbarkeit des Richters gegen seinen Willen, die gemäß Art. 33 Abs. 5 i.V.m.
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Art. 97 GG auch mit der Bundesverfassungsbeschwerde geltend gemacht werden könne; ebenso Schumann, Verfassungsbeschwerde zu den Landesverfassungsgerichten, in: Starck u.a. [Hrsg.], Landesverfassungsgerichtsbarkeit, Teilbd. 2, S. 149, 191).
II.
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Steht die Subsidiarität der Landesverfassungsbeschwerde nach Art. 53 Nr. 7 LV einer Überprüfung der angegriffenen Entscheidungen durch das Landesverfassungsgericht entgegen, kommt es nicht mehr auf die Frage an, ob und inwieweit Entscheidungen, die in einem bundesrechtlich geregelten Verfahren vor Gerichten des Landes ergehen, nicht nur an die Grundrechte des Grundgesetzes, sondern auch an die Grundrechte des Landes gebunden sind, und inwieweit die Einhaltung dieser Bindung durch das Landesverfassungsgericht überprüft werden kann (vgl. BVerfGE 96, 345, 374 f.; siehe auch BVerfGK 8, 169; Gärditz, Das Strafrecht in der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte, AöR 129 [2004], 584, 591; vgl. auch Wallerath NdsVBl. 2005, 43, 50).
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 33 Abs. 1, § 34 Abs. 2 LVerfGG.
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