Beschluss vom Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz - VGH W 6/20
Tenor
Die Wahlbeanstandung wird als unbegründet zurückgewiesen.
Gründe
A.
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Die Wahlbeanstandung hat die Frage zum Gegenstand, ob der Berufung als Ersatzperson für einen aus dem Landtag ausgeschiedenen Abgeordneten der Umstand entgegensteht, dass der Bewerber nach dem Wahltag nicht durchgängig seine Hauptwohnung in Rheinland-Pfalz hatte und damit nicht durchgängig stimmberechtigt zum Landtag war.
I.
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1. Am 13. März 2016 fand die Wahl zum Landtag Rheinland-Pfalz für die 17. Wahlperiode statt. Der Antragsteller war im Wahlkreis ... für den dortigen Wahlkreisbewerber S, der seinerseits über die Landesliste der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) ein Landtagsmandat errang und dieses auch annahm, als Ersatzbewerber (Nachfolger) auf Platz ... der Landesliste aufgestellt worden. Die 17. Wahlperiode des Landtags begann am 18. Mai 2016.
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Ausweislich der Einträge im Melderegister begründete der noch am Wahltag mit alleiniger Wohnung in H (Rheinland-Pfalz) gemeldete Antragsteller, der in W (Hessen) beruflich beschäftigt ist, am 29. März 2018 eine Nebenwohnung in L (Hessen). Am 13. Februar 2019 gab er seine bisherige Hauptwohnung in H auf, womit die Nebenwohnung in L zu seiner alleinigen Wohnung wurde.
- 4
Am 26. Mai 2019 wurde der Landtagsabgeordnete S zum Mitglied des Europäischen Parlaments für die 9. Wahlperiode gewählt. Sein Landtagsmandat legte er in der Folge zunächst nicht nieder.
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Am 13. Juni 2019 meldete sich der Antragsteller mit Hauptwohnung wieder in H an. Die von ihm in L bewohnte Wohnung wird im Melderegister seitdem als Nebenwohnung geführt.
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Mit Schreiben vom 25. Juni 2019 wandte sich der Antragsteller an den Landeswahlleiter mit der Bitte „um möglichst zeitnahe Bestätigung“, dass „der Grundsatz der Kontinuität der Wählbarkeitsvoraussetzungen allein für amtierende Landtagsabgeordnete“ gelte, nicht aber „für Nachrücker vor ihrem Einzug in den Landtag“. In seinem Falle sei die Voraussetzung der Wählbarkeit durch eine Wohnsitzverlagerung nach außerhalb von Rheinland-Pfalz zwar entfallen. Mittlerweile wohne und lebe er aber wieder in Rheinland-Pfalz und habe dort seinen Lebensmittelpunkt, und zwar „demnächst (Mitte September) länger als drei Monate“, sodass seine Wählbarkeit ab diesem Zeitpunkt wieder gegeben sei. Der Landeswahlleiter wies den Antragsteller mit seinem Antwortschreiben vom 8. Juli 2019 darauf hin, dass er die erbetene Bestätigung nicht vornehmen könne, da er die geäußerte Rechtsauffassung nicht teile. Die Bedingung des Vorliegens der ununterbrochenen Wählbarkeit zum Landtag gelte nicht nur für die Mandatsträger, sondern auch für die vom Wahlausschuss zugelassenen Bewerber, die als Ersatzpersonen in Betracht kämen.
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Mit Schreiben vom 19. September 2019 verzichtete der Landtagsabgeordnete S gegenüber dem Präsidenten des Landtags mit Ablauf des 30. September 2019 auf seine Mitgliedschaft im Landtag Rheinland-Pfalz.
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Daraufhin teilte der Landeswahlleiter dem Antragsteller mit Schreiben vom 26. September 2019 unter Bezugnahme auf sein Schreiben vom 8. Juli 2019 und den weiteren, zwischenzeitlich geführten Schriftverkehr mit, dass er als Ersatzperson (Nachfolger) nicht in Frage komme. Er, der Landeswahlleiter, habe daher festgestellt, dass anhand der von der CDU eingereichten Landesliste nunmehr dem Beteiligten zu 1) als nächster noch nicht berufenen Ersatzperson das Landtagsmandat zustehe. Der Beteiligte zu 1) hat das Mandat angenommen und ist seit dem 1. Oktober 2019 Mitglied des Landtags Rheinland-Pfalz.
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2. Mit Schreiben an den Landtag Rheinland-Pfalz vom 9. Oktober 2019 – dort eingegangen am 14. Oktober 2019 – erhob der Antragsteller Wahlbeanstandung gegen die Berufung des Beteiligten zu 1) als Ersatzperson für den aus dem Landtag ausgeschiedenen Abgeordneten S. Er machte geltend, dass es aus seiner Sicht ausreichend sei, dass er im Zeitpunkt der Berufung als Ersatzperson die Wählbarkeitsvoraussetzungen erfülle. Dies sei auch tatsächlich der Fall, da er seinen ersten Wohnsitz zu diesem Zeitpunkt wieder länger als drei Monate in Rheinland-Pfalz genommen habe, womit er erneut stimmberechtigt bei der Landtagswahl sei. Für seine Position streite die Bestimmung des § 1 Satz 1 Nr. 4 Landeswahlprüfungsgesetz – LWPG –, wonach der Wahlprüfungsausschuss des Landtags auf eine Wahlbeanstandung entscheidet, ob ein nachträglich berufener Abgeordneter „im Zeitpunkt des Erwerbs der Mitgliedschaft im Landtag“ wählbar war und die Voraussetzungen seiner Berufung gegeben waren. Das Prüfungsrecht des Landeswahlleiters sei deshalb konsequent ebenfalls allein auf den Zeitpunkt der Nachfolge im Mandat des Landtagsabgeordneten reduziert. Zur Untermauerung seiner Rechtsauffassung legte er außerdem eine von ihm eingeholte Stellungnahme von Prof. Dr. S (Philipps-Universität Marburg) vor. Danach sei die Annahme, der nicht gewählte Bewerber habe mit der Wahl ein Anwartschaftsrecht erworben, das bei Eintritt des „Nachrückfalles“ zu einem Vollrecht erstarke, irreführend. Vergleiche mit dem zivilrechtlichen Institut des Anwartschaftsrechts verböten sich, da sie die rechtliche Position des Nachfolgers nicht zutreffend erfassten. Denn dieser habe zwar eine rechtlich geschützte Position erworben, aus dieser ergäben sich aber keine Pflichten. Das Erfordernis einer „dauerhaften“ Sesshaftigkeit ergebe sich auch nicht aus dem Wortlaut des Gesetzes, weshalb ein Hineinlesen dieses Erfordernisses in das Gesetz verfassungsrechtlichen Bedenken begegne. In diesem Falle werde nämlich ohne eine ausdrückliche gesetzliche Regelung das passive Wahlrecht des Antragstellers verkürzt. Nach dem Sinn und Zweck des Vorliegens der Wählbarkeitsvoraussetzungen spreche im Ergebnis mehr dafür, dass die Wählbarkeitsvoraussetzungen des Ersatzbewerbers lediglich im Zeitpunkt der Berufung (wieder) vorliegen müssten, ihr dauerhaftes Vorliegen bereits ab dem Zeitpunkt der Wahl im Zusammenhang mit der Berufung einer Ersatzperson aus systematischen und verfassungsrechtlichen Gründen aber „nicht zu verlangen sein dürfte“.
- 10
Der zur Entscheidung über die Wahlbeanstandung berufene Wahlprüfungsausschuss des Landtags teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom 15. Januar 2020 mit, dass über seine Wahlbeanstandung nicht innerhalb von drei Monaten habe entschieden werden können, weshalb er nunmehr die Möglichkeit habe, (unmittelbar) die Entscheidung durch den Verfassungsgerichtshof zu beantragen.
II.
- 11
Mit seinem am 22. Januar 2020 eingegangenen und mit Schreiben vom 27. Januar und vom 28. Februar 2020 näher begründeten Antrag auf gerichtliche Entscheidung verfolgt der Antragsteller sein Anliegen weiter und wiederholt im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen aus dem beim Landtag Rheinland-Pfalz geführten Wahlbeanstandungsverfahren.
III.
- 12
1. Der Verfassungsgerichtshof hat gemäß § 28a Abs. 1 des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof – VerfGHG – i.V.m. § 5 Abs. 3 Satz 1 LWPG den Beteiligten zu 1) bis 10) Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Hiervon haben allein die Beteiligten zu 1) und zu 4) – der anstelle des Antragstellers berufene Abgeordnete Klein und der Landeswahlleiter – Gebrauch gemacht. Die Beteiligten zu 1) und zu 4) haben ihr bisheriges Vorbringen aus dem Wahlbeanstandungsverfahren beim Landtag im Wesentlichen wiederholt und vertieft. Der Beteiligte zu 3) – der Minister des Innern und für Sport – hat von einer eigenen Stellungnahme abgesehen und sich stattdessen der Stellungnahme des Beteiligten zu 4) „vollinhaltlich“ angeschlossen. Die übrigen Beteiligten haben keine Stellungnahmen abgegeben.
- 13
2. Dem Verfassungsgerichtshof haben die Akten des Landtags Rheinland-Pfalz aus dem Wahlprüfungsverfahren WPA 17-7/0111 einschließlich der Akten des Landeswahlleiters (Az.: 11 602.44) vorgelegen.
B.
- 14
Der Antrag auf Entscheidung über die Wahlbeanstandung durch den Verfassungsgerichtshof, über den der Verfassungsgerichtshof gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 VerfGHG mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs in Wahlprüfungsangelegenheiten des Landtags ergibt sich aus Art. 82 Satz 3, Art. 135 Abs. 1 Nr. 8 der Verfassung für Rheinland-Pfalz – LV –, § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 2 LWPG, § 2 Nr. 3 Buchst. b), Nr. 5 VerfGHG. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung über die Wahlbeanstandung ist in diesem Rahmen gemäß Art. 135 Abs. 1 Nr. 8 LV, § 2 Nr. 5, § 13 Abs. 3 Satz 2 LWPG als „Untätigkeitsbeschwerde“ statthaft (vgl. Held, in: Grimm/Caesar [Hrsg.], Verfassung für Rheinland-Pfalz, 2001, Art. 135 Rn. 8; Jutzi, in: Brocker/Droege/Jutzi [Hrsg.], Verfassung für Rheinland-Pfalz, 2014, Art. 135 Rn. 10 m. Fn. 18). Tauglicher Gegenstand der Wahlprüfung ist gemäß Art. 82 Satz 1 LV, § 1 Satz 1 Nr. 4 LWPG auch, ob ein Abgeordneter (hier: der Beteiligte zu 1)) nachträglich zu Recht berufen worden ist. Da der Wahlprüfungsausschuss des Landtags nicht innerhalb der Dreimonatsfrist des § 13 Abs. 3 Satz 1 LWPG über die erhobene Wahlbeanstandung entschieden hat und diese daher von Gesetzes wegen als zurückgewiesen gilt, konnte der Antragsteller den vorliegenden, auch im Übrigen form- und fristgerechten Antrag auf Entscheidung über die Wahlbeanstandung (unmittelbar) beim Verfassungsgerichtshof stellen (§ 13 Abs. 3 Satz 2 LWPG).
C.
- 15
Die Wahlbeanstandung ist unbegründet. Der Beteiligte zu 1) ist zu Recht nachträglich zum Abgeordneten des Landtags Rheinland-Pfalz berufen worden, weil die Berufung des Antragstellers als Ersatzperson nicht in Betracht kam, obwohl er als Nachfolger (§ 35 Abs. 2 Satz 2 Landeswahlgesetz – LWahlG –) gegenüber dem Beteiligten zu 1) als nächster noch nicht berufener Listenbewerber (§§ 35, 59 Abs. 1 Satz 2 LWahlG) grundsätzlich vorrangig zu berücksichtigen wäre (§ 59 Abs. 1 Satz 1 LWahlG). Denn der Antragsteller hatte durch die Aufgabe seiner Hauptwohnung in Rheinland-Pfalz am 13. Februar 2019 das aktive Wahlrecht zum Landtag Rheinland-Pfalz und damit zugleich die Wählbarkeitsvoraussetzung des § 32 Abs. 1 i.V.m. § 2 Nr. 2 LWahlG, also auch das passive Wahlrecht, verloren. Er war somit nicht nach § 59 Abs. 1 Satz 1 LWahlG als Ersatzperson zu berufen, da er i.S. des § 59 Abs. 1 Satz 2 LWahlG als Nachfolger „vorher ausgeschieden“ ist. Durch die Neubegründung seiner Hauptwohnung in Rheinland-Pfalz am 13. Juni 2019 und dem Ablauf von drei Monaten danach ist der Wegfall der Wählbarkeitsvoraussetzung auch nicht nachträglich geheilt worden.
I.
- 16
1. Nach Art. 80 Abs. 2 LV, § 32 Abs. 1 Landeswahlgesetz – LWahlG – ist wählbar zum Landtag Rheinland-Pfalz jeder volljährige Stimmberechtigte (passives Wahlrecht). Diese Bestimmungen sind, da sie für das passive Wahlrecht auf die Stimmberechtigung abstellen, zusammen mit den Regelungen über das aktive Wahlrecht – Art. 76 Abs. 2 und 3 LV, §§ 2 und 3 LWahlG – zu lesen. Danach besteht gemäß Art. 76 Abs. 3 LV, § 2 Abs. 1 Nr. 2 LWahlG in Rheinland-Pfalz u.a. das Erfordernis der Sesshaftigkeit (vgl. Unglaub/Lehmler, Rheinland-pfälzisches Landeswahlrecht, 17. Aufl. 2016, § 2 Anm. 2.4). Die Stimmberechtigung ist daran geknüpft, dass der volljährige Staatsbürger am Tage der Abstimmung seit mindestens drei Monaten im Lande Rheinland-Pfalz eine Wohnung, bei mehreren Wohnungen die Hauptwohnung innehat. Da die Wählbarkeit an das Innehaben des aktiven Wahlrechts anknüpft, zählt die Sesshaftigkeit damit automatisch zu den Wählbarkeitsvoraussetzungen (vgl. Wagner, in: Grimm/ Caesar [Hrsg.], Verfassung für Rheinland-Pfalz, 2001, Art. 80 Rn. 23; Hummrich, in: Brocker/Droege/Jutzi [Hrsg.], Verfassung für Rheinland-Pfalz, 2014, Art. 80 Rn. 25; vgl. auch entspr. BVerfG, Urteil vom 3. Mai 1956 – 1 BvC 1/55 –, BVerfGE 5, 2 [5 ff.]).
- 17
2. Im Falle eines gewählten Abgeordneten muss die Sesshaftigkeit als Wählbarkeitsvoraussetzung nicht nur am Wahltag selbst, sondern auch noch danach und ununterbrochen vorliegen. § 58 Abs. 1 Nr. 2 LWahlG bestimmt, dass ein Abgeordneter die Mitgliedschaft im Landtag durch Wegfall der Wählbarkeit verliert. Erfasst wird damit jeder Wegfall einer positiven und jeder Eintritt einer negativen Wählbarkeitsvoraussetzung (§§ 2, 3 LWahlG) und damit auch die positive Wählbarkeitsvoraussetzung der Sesshaftigkeit. Ist der Verlusttatbestand des § 58 Abs. 1 LWahlG einmal verwirklicht, so kann der Mangel der Wählbarkeit nicht mehr geheilt werden, auch nicht vor der Entscheidung über den Verlust des Mandats nach § 1 Satz 1 Nr. 3 LWPG. Der Verlust des Mandats ist dann unwiederbringlich von Gesetzes wegen eingetreten (vgl. entspr. BVerfG, Urteil vom 3. Mai 1956 – 1 BvC 1/55 –, BVerfGE 5, 2 [7]; Hahlen, in: Schreiber [Hrsg.], BWahlG, 10. Aufl. 2017, § 46 Rn. 22).
- 18
3. Nichts anderes gilt für Nachfolger (§ 35 Abs. 2 Satz 2 LWahlG) sowie für noch nicht zum Abgeordneten berufene Bewerber der Liste (§ 35 Abs. 2 Satz 1 LWahlG). Im Hinblick auf das Erfordernis des ununterbrochenen Vorliegens der Wählbarkeitsvoraussetzungen gibt es einen wahlrechtlichen Gleichlauf zwischen gewählten Abgeordneten und Ersatzpersonen. Verliert ein Nachfolger oder ein noch nicht zum Abgeordneten berufener Bewerber der Liste seine Wählbarkeit (§ 32 LWahlG), so verliert er unmittelbar und unwiederbringlich auch seine durch die Stimmabgabe des Wählers vermittelte anwartschaftsähnliche Rechtsposition auf Erwerb der Mitgliedschaft im Landtag, so wie der gewählte Abgeordnete gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 2 LWahlG durch Wegfall der Wählbarkeit (§ 32 LWahlG) automatisch und endgültig die Mitgliedschaft im Landtag verliert.
- 19
a) Am Wahltag werden nicht allein die Abgeordneten, sondern auch deren Ersatzpersonen – die Ersatzbewerber im Wahlkreis, die Nachfolger auf der Landesliste und sämtliche übrigen Bewerber der Liste – „gewählt“ (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Juli 1957 – 2 BvR 9/56 –, BVerfGE 7, 63 [72]; Beschluss vom 26. Februar 1998 – 2 BvC 28/96 –, BVerfGE 97, 317 [323]; VerfGH Saarland, Urteil vom 16. April 2013 – Lv 10/12 –, NVwZ-RR 2013, 825 [830]; Nass, Wahlorgane und Wahlverfahren bei Bundestags- und Landtagswahlen, 1959, S. 122; Schreiber, DÖV 1976, 734 [735]). Die in der Landesverfassung und im Landeswahlgesetz enthaltenen Bestimmungen über die Wahl von Abgeordneten und das Nachrücken von Ersatzpersonen bilden die Grundlage für die Stimmabgabe des Wählers und sind deshalb nach erfolgter Stimmabgabe strengstens einzuhalten, um den Wählerwillen nicht zu verfälschen. Entscheidende Grundlage auch für die nachträgliche Berufung zum Abgeordneten ist die Wahl (vgl. Wahlprüfungsgericht beim LT RP, Urteil vom 25. März 1954, AS 3, 399 [403 f.]; Urteil vom 25. April 1955, AS 3, 407 [416 f.]).
- 20
Nachfolger und Listenbewerber, die bei der Verteilung der Sitze nicht zum Zuge kommen, erwerben danach bei rechtmäßiger Wahl mit der Feststellung des endgültigen Wahlergebnisses eine (verfassungsrechtlich) geschützte Rechtsposition ähnlich einem Anwartschaftsrecht. Die lediglich als Ersatzleute gewählten Wahlbewerber haben zwar (zunächst) noch kein Vollrecht i.S. eines Abgeordnetenstatus inne (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Juli 1957 – 2 BvR 9/56 –, BVerfGE 7, 63 [73]). Die auf der Wahl beruhende anwartschaftsähnliche Rechtsposition auf Erwerb der Mitgliedschaft im Landtag vermittelt aber einen aufschiebend bedingten Anspruch auf Berufung bei Eintritt des Nachbesetzungsfalles (vgl. Wahlprüfungsgericht beim LT RP, Urteil vom 25. April 1955, AS 3, 407 [416 f.]; vgl. auch entspr. Nass, Wahlorgane und Wahlverfahren bei Bundestags- und Landtagswahlen, 1959, S. 122 f.; Hahlen, in: Schreiber [Hrsg.], BWahlG, 10. Aufl. 2017, § 48 Rn. 2; Seifert, Bundeswahlrecht, 3. Aufl. 1976, § 48 Rn. 3; Messing, Informationen des Hessischen Städtetages 1987, 128 [129]).
- 21
b) Bei Wegfall der „Vorderleute“ entsteht ein Anspruch auf Berufung (vgl. Schreiber, DÖV 1976, 734 [735]). Dieser aktualisiert sich in der Person des nächsten, noch nicht berufenen Bewerbers. Mit der Wahl werden die Ersatzbewerber und Listennachfolger nicht nur „mitgewählt“, sondern auch gereiht, d.h. es steht bereits abstrakt und in Verknüpfung mit der Stimmabgabe des Wählers fest, in welcher Reihenfolge im Falle des Ausscheidens eines Abgeordneten die Berechtigung der Ersatzpersonen zu überprüfen und die Berufung durch den Landeswahlleiter (§ 59 Abs. 3 LWahlG) vorzunehmen ist. Diese anwartschaftsähnlichen Rechtspositionen der „mitgewählten“ Ersatzpersonen stehen somit in einem Rangverhältnis (vgl. Messing, Informationen des Hessischen Städtetages 1987, 128 [129]). Die Einhaltung der festgelegten Reihenfolge für die Berufung der Ersatzpersonen ist daher zur Gewährleistung der Unmittelbarkeit der Wahl nach Art. 76 Abs. 1 LV verfassungsrechtlich zwingend geboten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. November 1953 – 1 BvL 67/52 –, BVerfGE 3, 45 [51]; Schreiber, DÖV 1976, 734 [735]; vgl. auch Schröder, in: Brocker/Droege/Jutzi [Hrsg.], Verfassung für Rheinland-Pfalz, 2014, Art. 76 Rn. 9). Jede Berufung einer Ersatzperson ist der Sache nach zugleich eine Entscheidung über die Nichtberufung aller anderen Ersatzpersonen (vgl. Seifert, Bundeswahlrecht, 3. Aufl. 1976, § 48 Rn. 12). Wie beim gewählten Abgeordneten auch muss daher gewährleistet sein, dass der einmal eingetretene Verlust der Wählbarkeit endgültig ist. Die „verbesserte“ Position des „aufgerückten“ Nachfolgers darf durch die bloße Entscheidung eines Dritten (hier: des „Listenvorgängers“), die formal zur Wiederherstellung dessen Wählbarkeitsvoraussetzung führt, nicht nachträglich wieder entwertet oder doch zumindest verschlechtert werden. Wie bei der Figur des Anwartschaftsrechts ist auch hier kennzeichnend, dass eine Rechtsposition derart gesichert ist, dass der endgültige (aufschiebend bedingte) Vollrechtserwerb nur noch von der Person des Erwerbers des Rechtes abhängt. Dies gilt zumal im Wahlrecht (vgl. Messing, Informationen des Hessischen Städtetages 1987, 128 [129]). Es würde den formalen und strengen Regeln des Wahlrechts widersprechen, den Bestand der einmal (durch den Wegfall einer Wählbarkeitsvoraussetzung der an sich „vorrangigen“ Ersatzperson) erlangten, verbesserten Rangfolge vom subjektiven Ermessen eines Dritten abhängig zu machen, der seine Wählbarkeit verloren und lediglich nachträglich die weggefallene Wählbarkeitsvoraussetzung wieder hergestellt hat (vgl. dazu auch Wahlprüfungsgericht beim LT RP, Urteil vom 25. März 1954, AS 3, 399 [403 f.]).
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Die anwartschaftsähnliche Rechtsposition ist nach dem vorstehend Ausgeführten daher logisch verknüpft mit dem Erfordernis des (ununterbrochenen) Vorliegens der Wählbarkeitsvoraussetzungen. Sie setzt schon ihrer Natur nach voraus, dass der Erwerb des Vollrechts jederzeit möglich sein muss. Ihr Verlust ist deshalb ebenso wie bei einem gewählten Abgeordneten nachträglich nicht mehr revidier- oder heilbar, sondern wirkt auf Dauer (vgl. Messing, Informationen des Hessischen Städtetages 1987, 128 [129]). Wie bei der Bestimmung der gewählten Bewerber unmittelbar nach der Wahl, so müssen auch bei einer späteren Nachfolge die Voraussetzungen einer Wahl „gewahrt bleiben“ (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 1998 – 2 BvC 28/96 –, BVerfGE 97, 317 [323]).
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Die Bestimmung über die Berufung von Ersatzpersonen in § 59 Abs. 1 Satz 2 LWahlG, wonach als Ersatzperson nicht zu berufen ist, wer als Nachfolger „vorher ausgeschieden“ ist, trägt diesem Erfordernis der ununterbrochenen Wählbarkeit Rechnung. Die Formulierung „ist der Nachfolger vorher ausgeschieden“ ist zu lesen als „hat der Nachfolger die Rechtsposition verloren, als Ersatzperson berufen zu werden“. Dies ist auch dann der Fall, wenn der Nachfolger oder noch nicht berufene Listenbewerber nachträglich seine Wählbarkeit verloren hat (vgl. Unglaub/Lehmler, Rheinland-pfälzisches Landeswahlrecht, 17. Aufl. 2016, § 59 Anm. 59.1).
II.
- 24
Nach diesen Grundsätzen haben die Beanstandungen des Antragstellers keinen Erfolg.
- 25
1. Mit der Aufgabe seiner Hauptwohnung in Rheinland-Pfalz (H) am 13. Februar 2019, und der Begründung der (alleinigen) Wohnung in Hessen (L) am selben Tag hat der Antragsteller die Wählbarkeitsvoraussetzung der Sesshaftigkeit im Lande Rheinland-Pfalz (§ 32 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 LWahlG) verloren. Damit ist seine durch die Wahl zum Landtag Rheinland-Pfalz am 13. März 2016 vermittelte anwartschaftsähnliche Rechtsposition auf Erwerb der Mitgliedschaft im Landtag erloschen. Er ist daher i.S. des § 59 Abs. 1 Satz 2 LWahlG in diesem Moment als „Nachfolger vorher ausgeschieden“ und konnte nicht gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 LWahlG als Ersatzperson berufen werden. Die freiwillige Aufgabe der (Haupt)Wohnung im Lande Rheinland-Pfalz und damit der Wegfall der Sesshaftigkeit als Wählbarkeitsvoraussetzung kommt einem Verzicht zumindest „sehr nahe“ (vgl. Messing, Informationen des Hessischen Städtetages 1987, 128 [129]). Der Beteiligte zu 1) wurde daher insoweit zu Recht nach § 59 Abs. 1 Satz 2 LWahlG berufen.
- 26
2. Diesem Ergebnis steht auch nicht, anders als der Antragsteller meint, die Regelung in § 1 Satz 1 Nr. 4 LWPG entgegen, wonach der Wahlprüfungsausschuss des Landtags auf eine Wahlbeanstandung prüft, ob ein nachträglich berufener Abgeordneter „im Zeitpunkt des Erwerbs der Mitgliedschaft im Landtag“ wählbar war und die Voraussetzungen seiner Berufung gegeben waren. Mit dieser Formulierung ist keine Reduktion der Prüfungskompetenz des Wahlprüfungsausschusses oder des Landeswahlleiters verbunden darauf, ob die Wählbarkeitsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Berufung als Ersatzperson (wieder) vorlagen, sondern es wird lediglich klargestellt, dass diese Mandatsprüfung erst dann erfolgt, nachdem ein Abgeordneter durch den Landeswahlleiter berufen wurde (§ 59 Abs. 3 Satz 1 LWahlG). Die (gebotene) Überprüfung des lückenlosen Vorliegens der Wählbarkeitsvoraussetzungen wird dadurch nicht gesperrt.
- 27
Dieses Regelungsverständnis bringt auch das in § 1 Satz 1 Nr. 4 LWPG festgelegte Prüfungsprogramm unmittelbar zum Ausdruck. Es benennt zum einen als Berufungsvoraussetzung die Wählbarkeit des nachträglich berufenen Abgeordneten im Zeitpunkt des Erwerbs der Mitgliedschaft im Landtag. Hierbei handelt es sich um eine Selbstverständlichkeit, da er als berufener Abgeordneter bei fehlender Wählbarkeit seine Mitgliedschaft im Landtag von Gesetzes wegen verlieren würde (§ 58 Abs. 1 Nr. 2 LWahlG). Zum anderen müssen nach § 1 Satz 1 Nr. 4 LWPG die Voraussetzungen seiner Berufung gegeben sein. Hierzu zählt nach dem zuvor Dargelegten u.a. auch das Erfordernis, dass der als Nachfolger zu Berufende nicht bereits vorher ausgeschieden ist (§ 59 Abs. 1 Satz 2 LWahlG). Aus § 1 Satz 1 Nr. 4 LWPG lässt sich demnach keine Einschränkung der Prüfungskompetenz des Landeswahlleiters gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 LWahlG ableiten.
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Eine andere, von dem Antragsteller favorisierte Lesart würde zudem nicht zuletzt in einen unauflösbaren Konflikt mit Art. 82 Satz 2 LV geraten. Denn Art. 82 Satz 1 LV legt ohne jede Einschränkung fest, dass der Wahlprüfungsausschuss des Landtags auch darüber zu entscheiden hat, ob ein Abgeordneter „nachträglich zu Recht berufen worden ist“. Damit ist nach der Landesverfassung auch die Mandatsprüfung als Wahlprüfung im weiteren Sinne als wesentlicher Ausdruck der Parlamentsautonomie in der Form eines Selbstprüfungsrechts des Parlaments ausgestaltet. Diese Prüfungsbefugnis besteht lückenlos und umfasst das gesamte Wahlverfahren. Grundsätzlich ist erst das Ergebnis dieser Überprüfung (in einem zweiten Schritt) der gerichtlichen Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof unterworfen (vgl. Glauben, in: Brocker/ Droege/Jutzi [Hrsg.], Verfassung für Rheinland-Pfalz, 2014, Art. 82 Rn. 2, 9 u. 16 m.w.N.).
- 29
Die Wahlbeanstandung war daher als unbegründet zurückzuweisen.
D.
- 30
Das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist gemäß § 21 Abs. 1 VerfGHG, § 14 Abs. 1 Satz 1 LWPG kostenfrei. Eine Auslagenerstattung findet nach § 21a Abs. 1 Satz 2 VerfGHG i.V.m. § 14 Abs. 2 LWPG nicht statt.
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