Beschluss vom Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz - B 25/20

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft Regelungen einer infektionsschutzrechtlichen Rechtsverordnung des Landes Rheinland-Pfalz. Die Beschwerdeführerin, fraktionsloses Mitglied des Landtags Rheinland-Pfalz, wendet sich gegen die seit dem 27. April 2020 in bestimmten Fällen geltende Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (sog. Maskenpflicht).

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Die auf § 32 Satz 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl I S. 1045), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587), in Verbindung mit § 1 Nr. 1 der Landesverordnung zur Durchführung des Infektionsschutzgesetzes vom 10. März 2010 (GVBl. S. 55), zuletzt geändert durch § 7 des Gesetzes vom 15. Oktober 2012 (GVBl. S. 341), gestützte Vierte Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz – 4. CoBeVO – vom 17. April 2020 (GVBl. S. 127) enthält verschiedene Verbote und Verhaltenseinschränkungen. Nach der am 27. April 2020 in Kraft getretenen Zweiten Landesverordnung zur Änderung der Vierten Corona-Bekämpfungsverordnung vom 24. April 2020 (GVBl. S. 139) besteht für Kunden und Besucher bestimmter Einrichtungen, unter anderem von Einzelhandelsbetrieben (Art. 1 Nr. 1 Buchst. a), sowie für Nutzer von Verkehrsmitteln des öffentlichen Personennahverkehrs (und der hierzu gehörenden Einrichtungen) (Art. 1 Nr. 2 Buchst. b) die Pflicht, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Von dieser Verpflichtung sind bestimme Personengruppen ausgenommen. Wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen die vorgenannten Pflichten verstößt, handelt ordnungswidrig (Art. 1 Nr. 4 Buchst. b und d). Die 4. CoBeVO tritt mit Ablauf des 6. Mai 2020 außer Kraft (§ 16).

3

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde vom 27. April 2020 macht die Beschwerdeführerin geltend, durch die „willkürliche Verordnung“ seien die Rechte des Landtags „komplett ausgehebelt worden“. Zudem verstoße die 4. CoBeVO gegen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 3 Abs. 3 der Verfassung für Rheinland-Pfalz – LV –). Der Nutzen einer Maskenpflicht sei nicht belegt; nach Ansicht der Experten komme es für weite Teile der Bevölkerung zu einem Überwiegen der gesundheitlichen Nachteile. Eine Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen, insbesondere in Relation zum Infektionsverlauf, sei nicht erkennbar.

II.

4

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Sie kann deshalb durch einstimmigen Beschluss des gemäß § 15a Abs. 1 Satz 2 des Landesgesetzes über den Verfassungsgerichtshof – VerfGHG – gebildeten Ausschusses zurückgewiesen werden.

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1. Die Verfassungsbeschwerde genügt schon nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 45 VerfGHG. Das Erfordernis substantiierter Begründung verlangt unter anderem, dass ein Beschwerdeführer sowohl den seiner Verfassungsbeschwerde zugrundeliegenden Sachverhalt als auch seine eigene Beschwerdebefugnis verständlich und nachvollziehbar darlegt (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 9. Juli 2012 – VGH B 12/12 –; Beschluss vom 30. Juli 2012 – VGH B 13/12 –). Dies bedeutet, dass die Grundrechtsverletzung durch eine wenigstens sinngemäße Bezeichnung des angeblich beeinträchtigten Verfassungsrechts und die schlüssige Darlegung des die Verletzung enthaltenden Tatsachenvorgangs vorzutragen ist (VerfGH RP, Beschluss vom 24. September 2019 – VGH B 23/19 –, juris Rn. 3; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 – 2 BvR 2500/09 –, BVerfGE 130, 1 [21], zu § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes – BVerfGG –). Erst durch die Erfüllung dieser Mindestanforderungen wird eine verantwortbare verfassungsrechtliche Überprüfung des Geschehens durch den Verfassungsgerichtshof überhaupt möglich.

6

Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdeschrift ersichtlich nicht. Soweit eine Verletzung von Kompetenzen des Landtags gerügt wird, ist eine korrespondierende hinreichend individualisierbare Rechtsposition der Beschwerdeführerin nicht dargelegt. Was den behaupteten Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit anbelangt, fehlt es auch insoweit schon im Ansatz an einer ordnungsgemäßen Begründung der Verfassungsbeschwerde. Die Beschwerdeschrift erschöpft sich im Wesentlichen in der Nennung von Internetfundstellen, die die Beschwerdeführerin als Beleg für die Unverhältnismäßigkeit der Maskenpflicht wertet. Weder benennt die Beschwerdeschrift die konkret angegriffenen Bestimmungen der 4. CoBeVO, noch erfolgt eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Verordnung auf der Ebene des Verfassungsrechts. Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, vorgebrachte Sachverhaltsfragmente auf verfassungsrechtlich relevanten Vortrag hin zu untersuchen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 1989 – 1 BvR 32/87 –, BVerfGE 80, 257; Kammerbeschluss vom 8. Dezember 2017 – 2 BvR 2019/17 –, juris Rn. 10, jeweils zu § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG).

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2. Ungeachtet dessen wird die Verfassungsbeschwerde den Anforderungen des Subsidiaritätsgrundsatzes nicht gerecht.

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a) Nach diesem in § 44 Abs. 3 Satz 1 VerfGHG zum Ausdruck kommenden Grundsatz ist ein Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus zur Ergreifung der ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten verpflichtet, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverstöße schon im fachgerichtlichen Verfahren zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (st. Rspr., vgl. VerfGH RP, Beschlüsse vom 13. Oktober 1995 – VGH N 4/93 –, AS 25, 194 [197]; vom 27. Juli 2017 – VGH B 18/16 – juris Rn. 11; vom 23. Januar 2018 – VGH B 18/17 –, juris Rn. 19; vom 19. November 2019 – VGH B 24/19 –, juris Rn. 22; s.a. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 1988 – 1 BvR 1561/82 –, BVerfGE 77, 381 [401]). Regelmäßig ist dies bei einer Verfassungsbeschwerde gegen vollzugsbedürftige Normen der Fall. Bedarf ein Gesetz rechtsnotwendig oder nach der tatsächlichen Verwaltungspraxis der Umsetzung durch einen besonderen Vollzugsakt, muss der Beschwerdeführer zunächst den Vollzugsakt angreifen und den gegen ihn eröffneten Rechtsweg erschöpfen, bevor er die Verfassungsbeschwerde erhebt (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom Beschluss vom 4. August 2016 – VGH B 14/16 –, juris Rn. 63, m.w.N.). Nach dem verfassungsprozessualen Gebot materieller Subsidiarität muss sich der Beschwerdeführer aber auch bei ihn unmittelbar – ohne weiteren Vollzugsakt – betreffenden Normen vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde grundsätzlich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bemühen, zunächst die Fachgerichte mit der von ihm beanstandeten Norm zu befassen (vgl. entspr. BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. August 2010 – 1 BvR 2393/08 –, juris Rn. 32; Lenz/Hansel, BVerfGG, 2. Aufl. 2015, § 90 Rn. 306, 505). Der Vorbehalt der Priorität fachgerichtlicher Kontrolle gilt selbst dann, wenn zweifelhaft ist, ob ein entsprechender Rechtsbehelf statthaft ist und im konkreten Fall in zulässiger Weise eingelegt werden kann (vgl. entspr. BVerfG, Beschlüsse vom 7. März 2017 – 1 BvR 1314/12 u.a. –, BVerfGE 145, 20 [54 Rn. 85]; vom 18. Dezember 2018 – 1 BvR 2795/09 u.a. –, BVerfGE 150, 309 [326 Rn. 43]; zuletzt BVerfG, Kammerbeschluss vom 31. März 2020 – 1 BvR 712/20 –, juris Rn. 12).

9

Eine Ausnahme vom Grundsatz der Subsidiarität besteht dann, wenn der mit ihm verfolgte Zweck nicht erreichbar ist (VerfGH RP, Beschluss vom 27. Oktober 2017 – VGH B 37/16 –, juris Rn. 33; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 1986 – 1 BvR 1384/85 –, BVerfGE 72, 39 [44]); dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn eine vorherige Klärung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht entbehrlich und eine Vorabentscheidung über die verfassungsrechtlichen Fragen sachgerecht ist (vgl. VerfGH RP, Urteile vom 22. Juni 2004 – VGH B 2/04 –, AS 31, 348 [351]; vom 28. Mai 2009 – VGH B 45/08 –, AS 37, 292 [303]; vom 29. November 2011 – VGH B 11/10 –, AS 39, 7 [11]; Beschluss vom 4. August 2016 – VGH B 14/16 –, juris Rn. 63).

10

Darüber hinaus ist es einem Betroffenen nicht zuzumuten, vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen eine straf- oder bußgeldbewehrte Rechtsnorm zu verstoßen und sich dem Risiko einer entsprechenden Ahndung aussetzen zu müssen, um dann im Straf- oder Bußgeldverfahren die Verfassungswidrigkeit der Norm geltend machen zu können (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. November 1989 – 1 BvR 1276/84 u.a. –, BVerfGE 81, 70 [82 f.]; und vom 14. Januar 1998 – 1 BvR 1995/94 u.a. –, BVerfGE 97, 157 [165]; Kammerbeschlüsse vom 25. Juni 2015 – 1 BvR 555/15 –, juris Rn. 8; vom 18. April 2020 – 1 BvR 829/20 –, juris Rn. 9).

11

b) Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben genügt die Verfassungsbeschwerde nicht dem Grundsatz der Subsidiarität. Zwar ist es der Beschwerdeführerin nicht zuzumuten, zunächst gegen die Verpflichtungen aus § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4, § 4 Abs. 3 Satz 3 der 4. CoBeVO zu verstoßen und eine sich hieraus möglicherweise ergebende Sanktion (vgl. § 15 Satz 1 Nrn. 9 und 29 der 4. CoBeVO) in Kauf zu nehmen, um diese sodann einer gerichtlichen Überprüfung zuzuführen. Der Beschwerdeführerin steht es allerdings offen, zunächst um (vorläufigen) Rechtsschutz bei den Verwaltungsgerichten nachzusuchen. Konkret sieht die Verwaltungsprozessordnung mit § 43 VwGO die Möglichkeit zur Erhebung einer negativen Feststellungsklage vor. Mit Erhebung der Klage, aber auch bereits zuvor, kann der Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO beantragt werden (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 31. März 2020, a.a.O., juris Rn. 15; hierzu auch VG Hamburg, Beschluss vom 27. April 2020 – 10 E 1784/20 –; VG Mainz, Beschluss vom 28. April 2020 – 1 L 276/20.MZ –). Vor diesem Hintergrund droht der Beschwerdeführerin durch den Verweis auf das vorgängige fachgerichtliche Verfahren kein schwerer und unzumutbarer Nachteil (vgl. § 44 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 VerfGHG), zumal entsprechender Rechtschutz bei besonderer Dringlichkeit regelmäßig sehr zeitnah zu erlangen ist (vgl. etwa den auf einen Antrag vom 24. April 2020 ergangenen Beschluss des VG Mainz vom 28. April 2020, a.a.O.).

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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht trotz ungenutzter Möglichkeit fachgerichtlichen Rechtsschutzes ausnahmsweise deshalb zulässig, weil sie allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufwürfe, die der Verfassungsgerichtshof auch ohne vorherige fachgerichtliche Aufbereitung der tatsächlichen und rechtlichen Entscheidungsgrundlagen beantworten könnte (vgl. dazu entspr. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2009 – 2 BvR 890/06 –, BVerfGE 123, 148 [173]; Urteil vom 6. Dezember 2016 – 1 BvR 2821/11 u.a. –, BVerfGE 143, 246 [322 Rn. 211]). Vielmehr hängt die verfassungsrechtliche Beurteilung der angegriffenen Bestimmungen vorliegend nicht allein von spezifisch verfassungsrechtlichen Fragen ab. Mit Blick auf die zur Verbreitung bzw. Eindämmung des sog. Coronavirus verfügbaren wissenschaftlichen Bewertungen und Risikoeinschätzungen besteht jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht Bedarf an einer fachgerichtlichen Aufbereitung der Entscheidungsgrundlagen vor einer Anrufung des Verfassungsgerichtshofs (ebenso BVerfG, Kammerbeschluss vom 31. März 2020, a.a.O., juris Rn. 17; anders VerfGH Saarland, Beschluss vom 28. April 2020 – Lv 7/20 –). Ungeachtet dessen ist durch die Beachtung des Subsidiaritätsgebots sicherzustellen, dass die in der Verfassung angelegte Kompetenzverteilung zwischen der Verfassungsgerichtsbarkeit und den Fachgerichten gewahrt wird (Jutzi, in: Brocker/Droege/Jutzi [Hrsg.], Verfassung für Rheinland-Pfalz, 2014, Art. 130a Rn. 54; vgl. auch VerfG Brandenburg, Beschluss vom 21. Februar 2020 – 72/18 –, juris Rn. 17).

13

Aus diesem Grund ist die Verfassungsbeschwerde auch nicht wegen allgemeiner Bedeutung (vgl. § 44 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 VerfGHG) bereits vor Ausschöpfung der Möglichkeit fachgerichtlichen Rechtsschutzes zulässig.

III.

14

Das Verfahren ist gemäß § 21 Abs. 1 VerfGHG kostenfrei. Eine Auslagenerstattung findet nicht statt (§ 21a Abs. 1 Satz 1 VerfGHG).

15

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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