Urteil vom Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz - VGH O 52/20

Tenor

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 25.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

A.

1

Die Antragstellerin wendet sich gegen den Ausschluss aus der Fraktion der Freien Demokratischen Partei (FDP) im Landtag Rheinland-Pfalz.

I.

2

Die Antragstellerin ist Mitglied der FDP und seit Beginn der 17. Legislaturperiode Abgeordnete im Landtag Rheinland-Pfalz. Sie gehörte der antragsgegnerischen Fraktion an, die ursprünglich – mit ihr – sieben Mitglieder hatte und die gemeinsam mit den Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Landesregierung trägt.

3

In der Satzung der Antragsgegnerin heißt es (u.a.) wie folgt:

§ 3 Mitgliedschaft

(1) […]

(2) […]

(3) […]

(4) Die Mitgliedschaft endet

1. […]

2. durch Ausschluss,

3. […]

4. […]

(5) Über den Ausschluss eines Fraktionsmitglieds entscheidet die Fraktionsversammlung. Der Ausschluss ist nur aus wichtigem Grund zulässig. Der Antrag auf Ausschluss muss mindestens von einem Viertel der Fraktionsmitglieder unterstützt werden. Die Fraktionsversammlung kann die Einleitung mit Mehrheit ablehnen. Über den Antrag auf Ausschluss eines Fraktionsmitglieds entscheidet die Fraktionsversammlung mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Fraktionsmitglieder in geheimer Abstimmung. Die Beschlussfassung ist nur zulässig, wenn Antrag, Anhörung und Abstimmung auf den jeweiligen Tagesordnungen stehen. Zwischen dem Antrag und dem Termin zur Anhörung sowie zwischen dem Termin zur Anhörung und der Abstimmung müssen jeweils mindestens sieben Tage liegen.

4

Am 23. Oktober 2019 äußerte sich die Antragstellerin als Rednerin der Fraktion in einer Plenardebatte zur Besprechung einer Großen Anfrage zum Thema „Regulierungsmethoden des Unterrichtsausfalls“ in Bezug auf Unterrichtsausfall bzw. Unterrichtsversorgung u.a. wie folgt: „Eine Lösung wäre […], den strukturellen Ausfall so gering wie möglich zu machen. 105 %, das wäre die Idealvorstellung; denn das wirkt sich auch auf den temporären Ausfall aus.“ In dem dem Parlamentarischen Geschäftsführer der Antragsgegnerin vorab übermittelten Redemanuskript fand sich diese Aussage nicht. Im Wahlprogramm der FDP zur Landtagswahl 2016 heißt es: „Die FDP setzt sich dafür ein, dass an allen Schularten eine 100%ige Lehrerversorgung sichergestellt wird: […] Deshalb ist bei der Besetzung von Stellen eine 100%ige Versorgung aller Schulen schon im Planungsansatz für kommende Schuljahre sicherzustellen. […] Da Ausfälle […] eintreten, wird es auch in Zukunft erst bei einer Stellenzuweisung von 105 % zu einer optimalen Versorgung kommen, was längerfristig angestrebt werden muss.“ Im Koalitionsvertrag 2016 - 2021 heißt es: „Wir wollen die Unterrichtsversorgung weiter verbessern und streben eine 100-prozentige Versorgung an.“ Im Anschluss an die Plenardebatte forderte die Vorsitzende der Antragsgegnerin die Antragstellerin auf, bei ihren parlamentarischen Redebeiträgen zukünftig zu beachten, dass sie für die Fraktion spreche und daher politische Forderungen zuvor in der Fraktionsversammlung zu beraten seien.

5

Für die Plenarsitzung am 13. November 2019 hatte die Antragsgegnerin festgelegt, dass ihre Vorsitzende und nicht die Antragstellerin in der auf Antrag der CDU-Fraktion angesetzten Aktuellen Debatte zum Thema „Eltern, Lehrer und Verbände bestätigen Kritik der CDU-Fraktion an der Bildungspolitik der Landesregierung“ sprechen sollte. Die Vorsitzende führte in ihrer Rede u.a. aus: „Wir haben zu Beginn der Legislaturperiode gesagt, dass wir eine 100 %ige Unterrichtsversorgung herstellen wollen. Heute […] kann ich sehr selbstbewusst sagen, wir sind kurz davor, unser selbstgestecktes Ziel zu erreichen. Der bildungspolitische Meilenstein 100 % ist in greifbarer Nähe […].“In einem Zeitungsbericht vom nächsten Tag heißt es: „Aufschlussreich war das Verhalten A.‘s bei den Wortbeiträgen der eigenen Leute. Sie klatschte weder bei der Rede der Bildungsministerin noch bei der eigenen Fraktionschefin.“ In demselben Zeitungsbericht heißt es zuvor: „Es wurde viel geredet über … A. in den vergangenen Wochen. Die streitbare FDP-Abgeordnete war bei einer Landtagsdebatte […] aus der Reihe getanzt und hatte es tatsächlich gewagt, 105 Prozent Unterrichtsversorgung […] zu fordern.“

6

In der Sitzung des Ausschusses für Gleichstellung und Frauenförderung am 23. Januar 2020 lenkte die Antragstellerin zum Tagesordnungspunkt „Schutz von Mädchen vor sexueller Gewalt“ den Blick auf die interne Situation in der Schule und auf sexuelle Gewalt, die von Lehrern ausgehe und Schüler betreffe. Wörtlich – so in einem Pressebericht am folgenden Tag wiedergegeben – sagte sie: „Wir haben an unseren Schulen selten, aber immer wieder Probleme mit Lehrern, in erster Linie sind es Männer, die ihre Finger nicht bei sich behalten können. Ich weiß, wovon ich spreche.“ Sie führte weiter aus, sie habe die Erfahrung gemacht, dass vonseiten der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD), die letztendlich als Dienstherr verantwortlich sei, lange gezögert werde, Kollegen aus dem Schuldienst zu entfernen. Das passiere in den allerseltensten Fällen. Oftmals fänden Versetzungen an andere Schulstandorte statt, die aber nach einer gewissen Zeit der „Bewährung“ wieder in die Region, in der der Betreffende wohne, zurückführten. Nach dem Beamtenrecht bestünde wenig Spielraum, entsprechende Kollegen aus dem Schuldienst zu entfernen. Wünschenswert wäre, dass dort wirklich genauer hingeschaut werde. Auf Nachfrage eines anderen Abgeordneten bestätigte die Antragstellerin, dass es um sexuelle Gewalt und nicht um das Verhältnis eines Lehrers mit einer Schülerin oder einem Schüler gehe. An das Ministerium für Bildung richtete sie die Bitte, sich noch einmal das Beamtenrecht genau anzuschauen. Weiter führte sie aus, im Ministerium bestünden sicherlich bezüglich der geschilderten Fälle auch interne Daten. Es stellten sich die Fragen, was aus diesen Kolleginnen und Kollegen geworden sei, wer von diesen Lehrern noch im Schuldienst und „was im Laufe der Biografie dieser Persönlichkeiten passiert“ sei. Über die Äußerungen der Antragstellerin wurde in der Presse berichtet. So heißt es in einem Zeitungsartikel vom folgenden Tag: „Lehrer, die minderjährige Schülerinnen sexuell belästigt haben, wurden in Rheinland-Pfalz nicht aus dem Schuldienst entfernt, sondern lediglich versetzt – diesen Vorwurf hat die bildungspolitische Sprecherin der FDP, … A., im Landtagsausschuss für Gleichstellung und Frauenförderung erhoben.“

7

Am Abend desselben Tages kontaktierte der Abgeordnete B., der Parlamentarischer Geschäftsführer der Antragsgegnerin ist, die Antragstellerin telefonisch und konfrontierte sie mit ihrem Verhalten in der Ausschusssitzung, das er missbilligte. Die Einzelheiten des Gesprächs sind zwischen den Beteiligten streitig. Die Antragstellerin führt diesbezüglich an, nach ihrer Erinnerung habe der Parlamentarische Geschäftsführer ihr vorgeworfen, sie wolle sich nur profilieren und es gehe ihr nur um sie, woraufhin sie entgegnet habe, er solle „vor seiner eigenen Haustür kehren“, da er doch wisse, dass seine Lebensgefährtin als Mitarbeiterin seines Abgeordnetenbüros unter Vertrag sei, und dass er auch wisse, dass dies nicht erlaubt sei. Die Antragsgegnerin macht demgegenüber geltend, die Antragstellerin habe gedroht, Aufzeichnungen über das Privatleben des Parlamentarischen Geschäftsführers angefertigt zu haben und öffentlich zu machen. Außerdem habe die Antragstellerin erklärt, dass ihr „die FDP-Fraktion und die Koalition egal seien“ und dass sie „uneingeschränkt für ihre Interessen eintreten werde“.

8

Am 29. Januar 2020 fand eine Fraktionssitzung statt. In dieser wurde (u.a.) die Äußerung der Antragstellerin in der Ausschusssitzung am 23. Januar 2020 thematisiert. In diesem Zusammenhang sprach die Fraktionsvorsitzende auch zwei Presseberichte dazu an. Die am gleichen Tage stattgefundene Plenarsitzung verließ die Antragstellerin vorzeitig, als noch mehrere Gesetze zur Abstimmung anstanden. Dabei meldete sie sich nicht bei der Fraktionsvorsitzenden oder dem Parlamentarischen Geschäftsführer ab.

9

Unter dem 30. Januar 2020 beantragten die übrigen sechs Fraktionsmitglieder unter Darlegung und Bewertung der Geschehnisse den Ausschluss der Antragstellerin aus der Fraktion und die unverzügliche Einberufung einer Fraktionsversammlung unter Aufnahme dieses Tagesordnungspunktes (vgl. Anlage 6 zum Schriftsatz der Antragstellerin vom 15. Juli 2020, Bl. 101 bis 108 d. GA). Das Vertrauensverhältnis zur Antragstellerin sei so nachhaltig gestört, dass die weitere Zusammenarbeit mit ihr nicht mehr zumutbar sei. Darüber hinaus habe sie das Ansehen der Fraktion in der Öffentlichkeit nachhaltig geschädigt und damit die Außenwirkung der Fraktion und deren Wirkungsmöglichkeiten beeinträchtigt. In Bezug auf die Sitzung des Ausschusses für Gleichstellung und Frauenförderung am 23. Januar 2020 seien die fraglichen Äußerungen ohne vorherige Erörterung in der Fraktionsversammlung am Vortag – in dieser Sitzung sei auch der Staatssekretär des Ministeriums für Bildung anwesend gewesen – erfolgt und dies obwohl die Antragstellerin zuvor mehrmals ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, dass sie sich als Mitglied der Fraktion in parlamentarischen Äußerungen für die Fraktion erkläre und entsprechende Äußerungen in der Fraktionsversammlung zu besprechen seien. Die Äußerungen und die erfolgte und aufgrund der Brisanz des Themas vorhersehbare Presseresonanz sei geeignet, Lehrer unter einen Generalverdacht zu stellen und zu erheblicher Verunsicherung bei Eltern und Schülern zu führen. Es werde der Verdacht zum Ausdruck gebracht, die von der Fraktion gestützte Landesregierung reagiere auf Fälle sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen nicht adäquat. Schon dieses Verhalten sorge für einen endgültigen Vertrauensverlust. Weiter ist in diesem Zusammenhang folgende Passage enthalten:

10

Besonders gravierend stellt sich auch ihr Verhalten gegenüber dem unterzeichnenden Abgeordneten B. am Tag der oben genannten Ausschusssitzung dar. Am Abend des 23.01.2020 kontaktierte der Abgeordnete B. die Abgeordnete A. telefonisch und brachte seine Missbilligung darüber zum Ausdruck, dass sie die von ihr getätigten Äußerungen zuvor nicht zum Gegenstand einer Fraktionsversammlung gemacht habe. Auf den entsprechenden Hinweis des Abgeordneten B., dass dieses Verhalten nicht ohne Konsequenzen innerhalb der FDP-Fraktion bleiben werde, erklärte die Abgeordnete A., dass sie Aufzeichnungen über das Privatleben des Abgeordneten B. gefertigt habe und diese öffentlich machen werde, wenn sie aufgrund ihrer Äußerungen durch die Fraktion in irgendeiner nachteiligen Weise behandelt werde. Auch erklärte sie in diesem Telefonat, dass ihr die FDP-Fraktion und die Koalition egal seien und sie uneingeschränkt für ihre Interessen eintreten werde.

11

Diese „persönlich motivierte Drohung“ gegenüber dem Abgeordneten B. sei „völlig infam“. In der Fraktionsversammlung am 29. Januar 2020 habe die Antragstellerin eine angemessene Vorbereitung der von der CDU-Fraktion beantragten Sondersitzung des Ausschusses für Bildung und eine gemeinsame Strategie für den Umgang mit den im Raum stehenden Vorwürfen nicht ermöglicht. Mit ihrer Äußerung zur Unterrichtsversorgung in der Plenarsitzung am 23. Oktober 2019 habe sie im Alleingang und ohne politische Abstimmung mit der Fraktion die erzielten Verhandlungs- und Umsetzungserfolge nicht konkret erwähnt und gleichzeitig öffentlich im Parlament eine politische Forderung von erheblicher finanzieller Tragweite erhoben. Durch die vorherige Übersendung des Redemanuskripts, das eine Würdigung der erzielten Erfolge enthalten und die im Parlament geäußerte weitreichende politische Forderung nicht beinhaltet habe, fühlten sich die Fraktionsmitglieder in einer Frage von erheblicher politischer Bedeutung getäuscht und hintergangen. Das Verhalten der Antragstellerin in der Plenarsitzung am 13. November 2019 habe unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie sich von der Fraktion distanziert habe. Die Plenarsitzung am 29. Januar 2020 habe die Antragstellerin unentschuldigt verlassen, als noch Abstimmungen zu Gesetzen stattgefunden hätten – u.a. zum Gesetzentwurf der regierungstragenden Fraktionen zum Landesverfassungsschutzgesetz, das für eine liberale Fraktion von besonderer politischer Bedeutung sei. Diese Sachverhalte seien teilweise Gegenstand umfangreicher Presseberichterstattung gewesen, die das legitime Interesse der Fraktion an einem einheitlichen Erscheinungsbild und damit an einem wirkungsmächtigen Auftreten der Fraktion in Parlament und Öffentlichkeit erheblich beeinträchtige. So habe eine Lehrkraft gegenüber der Fraktionsvorsitzenden und der Presse erklärt, die Äußerungen der Antragstellerin seien „ein Schlag ins Gesicht eines jeden aufrechten Pädagogen“ und die FDP sei nicht mehr wählbar. Die Antragstellerin habe in einem weiteren Pressebericht von „Grapschern“ gesprochen, was für den sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen eine nicht akzeptable Wortwahl sei. Die Verhaltensweisen der Antragstellerin zeigten eindeutig, dass sie sich von der Fraktion distanziert habe und zu einer konstruktiven und vertrauensvollen Zusammenarbeit nicht bereit sei. Trotz einer Vielzahl von Gesprächen bestehe auch keinerlei Aussicht, das über lange Zeit zerstörte Vertrauen wiederherzustellen.

12

Mit anwaltlichem Schreiben vom 3. Februar 2020 forderte die Antragstellerin den Abgeordneten B. im Hinblick auf die oben zitierte Passage zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Dieser gab eine solche Erklärung nicht ab, woraufhin die Antragstellerin beim Landgericht … unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellte (Az.: 4 O 25/20). In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 13. Februar 2020 reichte auch der Abgeordnete B. eine eidesstattliche Versicherung zur Akte. Das Landgericht wies den Antrag mit am 18. Februar 2020 verkündeten Urteil zurück. Es sah bereits den Rechtsweg zu den Zivilgerichten nicht eröffnet und wies darauf hin, dass die von der Antragstellerin beanstandete Tatsachenbehauptung nach ihren eigenen Angaben ausschließlich im Rahmen des Fraktionsausschlussverfahrens getätigt worden sei. Zudem hielt das Gericht den Antrag wegen der verfassungsrechtlich gewährleisteten Indemnität des Abgeordneten für unzulässig. In jedem Fall sei der Antrag im Hinblick auf die widersprüchlichen Angaben der Parteien und der fehlenden weiteren Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung unbegründet.

13

Am 3. Februar 2020 beschloss die Fraktionsversammlung, ein Verfahren zum Ausschluss der Antragstellerin einzuleiten. Mit Schreiben vom 4. Februar 2020 lud die Fraktionsvorsitzende daraufhin für den 11. Februar 2020 zu einer Fraktionsversammlung ein. In der Einladung waren als Tagesordnungspunkt 3 „Durchführung einer Anhörung der Fraktionsmitglieder zum beantragten Ausschluss der Abgeordneten …A. aus der FDP-Fraktion des Landtags Rheinland-Pfalz“ und als Tagesordnungspunkt 4 „Festsetzung eines Termins zur Abstimmung über den beantragten Ausschluss der Abgeordneten … A. aus der FDP-Fraktion des Landtags Rheinland-Pfalz“ aufgeführt.

14

In der Fraktionsversammlung am 11. Februar 2020 äußerte sich die Antragstellerin, nachdem ihr dort vorgebrachter Antrag, Medienvertreter zu der Sitzung zuzulassen, erfolglos geblieben war, unter Hinzuziehung eines Rechtsbeistands zu dem Antrag über ihren Ausschluss. In ihrer Stellungnahme, die sich aus dem Protokoll der Fraktionsversammlung (Anlage 12 zum Schriftsatz der Antragstellerin vom 15. Juli 2020, Bl. 122 bis 131 d. GA) und aus den von der Antragstellerin in ihrer Antragsschrift zitierten schriftlich niedergelegten Ausführungen (vgl. Schriftsatz der Antragstellerin vom 15. Juli 2020, S. 17 bis 20, Bl. 18 bis 21 d. GA) ergibt, äußerte sie sich im Wesentlichen wie folgt: Ihre Aussage zur Lehrerversorgung von 105 % sei keine von ihr erhobene Forderung gewesen, sondern lediglich – unter Verwendung des Konjunktivs „wäre“ – eine „Idealvorstellung“ bzw. „perspektivische Äußerung“. Im Wahlprogramm der FDP sei eine Versorgung mit 105 % als längerfristige Perspektive formuliert. Was ihre Äußerungen zum Thema „sexuelle Gewalt im schulischen Bereich“ im Ausschuss betreffe, so habe sie diese zuvor nicht thematisieren können, weil sie vorher nicht habe wissen können, was dort überhaupt angesprochen werden würde. In der Ausschusssitzung habe der anwesende Referent des Bildungsministeriums erklärt, ihre Schilderungen entsprächen sicher den Tatsachen. Die von ihr angesprochenen Fälle – sie wisse ganz konkret von zweien – seien der ADD bekannt und sie habe diese dem Staatssekretär später nochmals persönlich namentlich benannt. Sie habe eine bloße Bitte um Klärung der Rechtslage geäußert und ihre Frage an das Ministerium spontan gestellt. Wenn sie in der Plenarsitzung am 13. November 2019 die Reden der Bildungsministerin und der Fraktionsvorsitzenden nicht mit Applaus bedacht habe, so sei dies damit begründet, dass sie diesen Punkt kritischer sehe. Das Verhalten als Rechtfertigung für den Ausschluss heranzuziehen, sei nicht nachvollziehbar. Dass sie die Plenarsitzung am 29. Januar 2020 vorzeitig verlassen habe, ohne sich abzumelden – was ein Versäumnis darstelle – sei ihrer gesundheitlichen Verfassung geschuldet gewesen, aber nicht Ausdruck einer wie auch immer gearteten politischen Demonstration. Hinsichtlich des Telefonats mit dem Abgeordneten B. am 23. Januar 2020 verwies die Antragstellerin auf das anwaltliche Schreiben im Verfahren vor dem Landgericht. Im Folgenden schloss sich eine umfangreiche Diskussion der Fraktion an. Am Ende dieser äußerte die Antragstellerin, dass man sich nun ausgetauscht habe und ihrerseits keine weiteren Fragen bestünden. Abschließend erklärte sie, dass sie bereit sei, in der Fraktion weiterzuarbeiten, dies allerdings nur „mit anderen, neuen Regeln“ geschehen könne. Die Satzung der Fraktion als Regelwerk für die gemeinsame Arbeit habe in der Vergangenheit nicht funktioniert. Auf Nachfrage, ob die Zusammenarbeit weiterhin über Anwälte stattfinden solle, äußerte sie, ja, dies müsse so sein.

15

Mit Schreiben vom 13. Februar 2020 lud die Fraktionsvorsitzende für den 20. Februar 2020 zu einer Fraktionsversammlung ein. In der Einladung war als Tagesordnungspunkt 4 aufgeführt: „Geheime Abstimmung über den beantragten Ausschluss der Abgeordneten … A. aus der FDP-Fraktion des Landtags Rheinland-Pfalz.“

16

In der Fraktionsversammlung am 20. Februar 2020 waren sämtliche sieben Mitglieder der Fraktion anwesend. Die Antragstellerin nahm unter Begleitung ihres Rechtsbeistands teil. Zum Tagungsordnungspunkt 3 äußerte die Antragstellerin Anmerkungen zum Protokoll der Fraktionsversammlung vom 11. Februar 2020, die sodann besprochen wurden. Unter Tagungsordnungspunkt 4 erfolgte die geheim durchgeführte Abstimmung über den Antrag auf Ausschluss der Antragstellerin, an der sämtliche Mitglieder der Fraktion teilnahmen. Dabei stimmten sechs Mitglieder für und eines gegen den Antrag. Dieses Ergebnis wurde von der Fraktionsvorsitzenden in der Sitzung festgestellt und verkündet, verbunden mit der Aufforderung an die Antragstellerin, den Raum zu verlassen.

II.

17

Die Antragstellerin macht mit ihrer Organklage geltend, der Fraktionsausschluss verstoße gegen ihre organschaftlichen Rechte aus Art. 79 Abs. 2 und Art. 85a Abs. 1 Satz 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz – LV –.

18

Dem Fraktionsausschluss sei kein den rechtsstaatlichen Anforderungen genügendes Verfahren vorausgegangen. Es sei zumindest fraglich, ob ihr hinreichend rechtliches Gehör gewährt worden sei. Sie habe zwar ausreichend Gelegenheit gehabt, sich auf den Ausschlussantrag und dessen Begründung vorzubereiten und diesen zu diskutieren; im Rahmen der Anhörung am 11. Februar 2020 habe sie zu den im Ausschlussantrag genannten Gründen mündlich und schriftlich Stellung genommen. Allerdings sei der Antrag ausgehend von ihren Erwiderungen nicht weiter diskutiert worden und mit ihrem Vorbringen hätten sich die übrigen Fraktionsmitglieder nicht auseinandergesetzt. Die Erörterungen seien über die in dem Antrag angeführten Umstände hinaus gegangen, so dass sie dazu nicht mehr habe substantiiert Stellung nehmen können. Der Ablauf der Anhörung habe sich in keiner Weise an der Reihenfolge der Tatsachen, wie sie sich im Antrag ergäben, orientiert. Es seien zum Teil neuerliche Tatsachen vorgebracht worden. Die Diskussion sei teilweise von persönlichen Vorwürfen getragen gewesen und habe keine Bezüge mehr zu einem politischen Meinungsbildungsprozess aufgewiesen. Die Entscheidung über den Ausschluss am 20. Februar 2020 sei ihr nicht ordnungsgemäß bekannt gegeben worden. Ihr sei lediglich das Abstimmungsergebnis mitgeteilt worden. Am 20. Februar 2020 habe keine Debatte mehr stattgefunden. Insgesamt bleibe unklar, wie sich ihre Einlassung in der Sitzung am 11. Februar 2020 und ihr dortiger substantiierter Vortrag ausgewirkt hätten.

19

In der Sache halte der Beschluss über den Fraktionsausschluss einer Evidenz- und Willkürkontrolle nach der am Tage der Beschlussfassung maßgeblichen Sachlage nicht stand. Die Antragsgegnerin habe der Entscheidung über den Fraktionsausschluss evident unzutreffende tatsächliche Annahmen zu Grunde gelegt. Die von der Antragsgegnerin angeführten Ausschlussgründe fänden keinen Ausgangspunkt in einem feststehenden Tatsachenkern. Soweit die Antragsgegnerin meine, das Vertrauensverhältnis sei nachhaltig gestört aufgrund ihrer Äußerungen in der Sitzung des Ausschusses für Gleichstellung und Frauenförderung sowie ihres Verhaltens in diesem Zusammenhang, habe diese der Entscheidung einen unvollständigen bzw. unzutreffenden Sachverhalt zu Grunde gelegt. Insbesondere sei verkannt worden, dass sie vor der Ausschusssitzung noch gar nicht habe wissen können, was dort konkret thematisiert werden würde. Sie habe dort spontan von ihren Erfahrungen als Schulleiterin berichtet. Nicht angeführt werde seitens der Antragsgegnerin, dass der Referent des Bildungsministeriums angemerkt habe, ihre Schilderungen entsprächen „sicher den Tatsachen“. Sie habe mit ihrer Bitte um rechtliche Klärung eine Frage gestellt. Die Antragsgegnerin unterstelle ihr, dass sie aus ihrer Dienstzeit als Schulleiterin von Vorfällen wisse, diese aber nicht gemeldet habe. Dies treffe nicht zu. Die angesprochenen Sachverhalte habe sie seinerzeit der ADD gemeldet, was sie in der Fraktionsversammlung am 29. Januar 2020 auch klargestellt habe. Sie habe die Fälle dem Staatssekretär am Nachmittag des 29. Januar 2020 erneut namentlich genannt. Auch in ihrer Stellungnahme am 10. Februar 2020 habe sie dies unterstrichen. Hinsichtlich des Inhalts des Telefonats, das sie am 23. Januar 2020 mit dem Parlamentarischen Geschäftsführer der Antragsgegnerin geführt habe, lägen der Ausschlussentscheidung ebenfalls evident unzutreffende tatsächliche Annahmen zu Grunde. Dies ergebe sich aus ihrer vor dem Landgericht vorgelegten eidesstattlichen Versicherung. Außerdem seien die behaupteten Umstände betreffend das Telefonat zwischen ihr und dem Parlamentarischen Geschäftsführer nicht geeignet, die Funktionen der Fraktion zu unterlaufen; insbesondere sei nicht ersichtlich, inwieweit daraus ein Vertrauensverlust auch zu den übrigen Mitgliedern der Fraktion resultieren sollte. Sofern die Antragsgegnerin eine Störung des Vertrauensverhältnisses auf den Redebeitrag in der Plenarsitzung am 23. Oktober 2019 und ihr Verhalten in der Plenarsitzung am 13. November 2019 stütze, so liege auch hierin eine Verletzung des freien Mandats. Sie habe betreffend die Unterrichtsversorgung eine Idealvorstellung geäußert, aber keine politische Forderung erhoben. Im Wahlprogramm der FDP sei die Versorgung mit 105 % als längerfristige Perspektive formuliert; dies finde sich in der Sachverhaltsdarstellung im gesamten Verfahrensgang nicht, so dass der Sachverhalt insofern zumindest unvollständig und insoweit unzutreffend sei. Ihr den Inhalt ihrer Rede vorzuhalten, stelle eine unzulässige Ausübung von Fraktionszwang dar. Den Vorwurf, sie habe in der Plenarsitzung am 13. November 2019 nicht geklatscht, habe die Antragsgegnerin bereits tatsächlich nicht näher dargelegt. Zudem sei sie – die Antragstellerin – in der Anhörung am 10. Februar 2020 dem substantiiert entgegen getreten. Die Antragsgegnerin missbillige ein Verhalten, das vom freien Mandat gedeckt sei, was einer nachträglichen Bestrafung gleichkomme. Auch hinsichtlich des Vorwurfs, die Plenarsitzung am 29. Januar 2020 unentschuldigt – wie in der Anhörung dargelegt aus gesundheitlichen Gründen – vorzeitig verlassen zu haben, verletzte der Fraktionsausschluss das freie Mandat. Ein fraktionsschädigendes Verhalten – jedenfalls durch sie – ergebe sich aus der Presseberichterstattung nicht. Auch die Gesamtschau, dass sie sich von der Fraktion distanziert habe und zu einer konstruktiven und vertrauensvollen Zusammenarbeit nicht mehr bereit sei, treffe nicht zu. Das Gegenteil sei der Fall. Schließlich sei der Ausschluss jedenfalls unverhältnismäßig, da ein solcher nur als letztes Mittel in Betracht komme und hier als weniger einschneidende Maßnahmen eine Abmahnung bzw. Ermahnung oder ein Ausschussrückruf ausreichend gewesen wären.

20

Die Antragstellerin beantragt,

21

festzustellen, dass der Beschluss der Antragsgegnerin vom 20. Februar 2020 betreffend ihren Fraktionsausschluss wegen Verstoßes gegen Art. 79 Abs. 2 und Art. 85a Abs. 1 Satz 1 LV verfassungswidrig ist,

22

die Erstattung ihrer notwendigen Auslagen anzuordnen,

23

den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf 25.000,00 € festzusetzen.

III.

24

Die Antragsgegnerin beantragt,

25

den Antrag zurückzuweisen.

26

Sie macht geltend, der Fraktionsausschluss habe die verfassungsrechtlichen Anforderungen beachtet. In formeller Hinsicht sei der Antragstellerin insbesondere hinreichende Gelegenheit zur wirksamen Stellungnahme gegeben worden. Was ihre Einwendungen betreffe, so mache die Antragsschrift der Antragstellerin noch nicht einmal jetzt deutlich, in welchen konkreten Punkten sie sich überfordert gefühlt haben könnte, ihre Position angemessen zu vertreten. Gegebenenfalls hätte es ihr oblegen, dies bereits während der Anhörung geltend zu machen. Zudem könnten in der Diskussion auch andere Themen angesprochen werden, jedenfalls soweit ein Bezug zu dem Ausschlussverfahren erkennbar sei. Einer schriftlichen Bekanntgabe sowie einer gesonderten Begründung bedürfe der mündlich bekanntgegebene Beschluss der Fraktionsversammlung nicht. Darüber hinaus sei es auch nicht erforderlich gewesen, im Hinblick auf die Stellungnahme der Antragstellerin vor der Abstimmung eine weitere Debatte durchzuführen. Das Fraktionsausschlussverfahren könne nicht als „endloser Prozess“ begriffen werden. Auch in materieller Hinsicht sei der Ausschluss rechtmäßig. Dabei betont die Antragsgegnerin, sie habe ihre Entscheidung nicht auf das Fehlen eines erforderlichen Mindestmaßes an prinzipieller politischer Übereinstimmung gestützt. Die von der Antragstellerin ohne Absprache mit der Fraktion in die Öffentlichkeit getragenen Diskussionspunkte stünden nicht im Widerspruch zu den Grundüberzeugungen der Fraktion und der Partei. Die Störung des Vertrauensverhältnisses beziehe sich vielmehr auf das persönliche Verhalten der Antragstellerin und damit auf diese als Person. Hinsichtlich ihrer Äußerung in der Sitzung des Ausschusses für Gleichstellung und Frauenförderung und das anschließende Verhalten sei die Solidaritäts- und Loyalitätserwartung der Fraktion erheblich enttäuscht worden. Die Fraktion insgesamt habe erst aus den Medien erfahren, dass die Antragstellerin den Vorwurf erhoben habe, Fälle von sexuellem Missbrauch an Schulen würden nicht mit der nötigen Konsequenz verfolgt. Anschließend sei das Verhalten der Antragstellerin durch Hinhaltetaktik geprägt gewesen und habe kaum Ansätze, an einer zügigen Aufklärung angemessen mitzuwirken, erkennen lassen. Ohne Belang sei, ob die Antragstellerin am Tag vor der Ausschusssitzung habe wissen können, was dort thematisiert werden würde, oder dass der Referent des Bildungsministeriums ihre Schilderung bekräftigt habe. Bei der Beurteilung des Zustands eines Vertrauensverhältnisses komme es nicht auf ein vorwerfbares schuldhaftes Verhalten an. Auch spontane Reaktionen, ein Mangel an (politischer) Fantasie über die Auswirkungen bestimmter Äußerungen und sonstige Ungeschicklichkeiten könnten, zumal wenn sich solche Eindrücke häuften und verfestigten, geeignet sein, die politische Zusammenarbeit ernsthaft in Frage zu stellen. Trotz des heftigen medialen und politischen Echos habe die Antragstellerin weiterhin ohne fraktionsinterne Abstimmung zu dem sensiblen Thema die Öffentlichkeit gesucht – ausweislich eines Presseberichts habe sie in diesem Zusammenhang von „Grapschern“ gesprochen – und die Debatte angeheizt. Der Fraktionsantrag habe bereits dieses Verhalten isoliert gesehen als für den Vertrauensverlust ausreichend bewertet. Zusätzlich komme als besonders gravierendes Fehlverhalten das Verhalten der Antragstellerin gegenüber dem Fraktionskollegen B. hinzu. Insoweit existierten zwei sich widersprechende eidesstattliche Versicherungen; in nicht eindeutig aufklärbaren Fällen sei letztlich die Einschätzung der Fraktion entscheidend, wessen Version sie für glaubhafter halte bzw. mit wem sie ihre politische Arbeit fortsetzen zu können glaube. Der Einwand der Antragstellerin, ihr Verhalten sei nicht geeignet, zum Vertrauensverlust auch bei den übrigen Mitgliedern zu führen, sei eine selektive Sichtweise, die belege, dass sie Sinn und Funktionsweise parlamentarischer Fraktionen nicht zutreffend erfasst habe. Darüber hinaus sei das Vertrauen aus dem weiteren – isoliert gesehen den Ausschluss rechtfertigenden – Grund (zusätzlich) erheblich beschädigt, dass die Antragstellerin die strittige – zunächst nur fraktionsintern diskutierte – Angelegenheit öffentlich gemacht habe. Dadurch habe sie Fraktionsinterna und persönliche Umstände eines Fraktionsmitglieds ohne Not in die Öffentlichkeit getragen, ohne zuvor intern eine für beide Seiten verträgliche Lösung angestrebt zu haben. Dieses Vorgehen sei alleine hinreichend, das Vertrauensverhältnis innerhalb der Fraktion grundlegend und nicht mehr reparabel zu zerstören. Besonderes Gewicht habe auch die weithin fehlende Bereitschaft zu fraktionsinterner Abstimmung und das mangelnde Verständnis von der Rolle und Aufgabe als Vertreterin der Fraktion. Die Antragstellerin sei nicht gehindert, ihr Mandat ihrem Gewissen folgend auszuüben; als Fraktionsmitglied sei sie jedoch gehalten, die Auffassung der anderen Fraktionsmitglieder insbesondere bei der Außendarstellung zu berücksichtigten. Jedes Fraktionsmitglied könne mit Rücksicht auf das eigene Mandat eine vertrauensvolle und konstruktive Mit- und Zusammenarbeit erwarten. Dies gelte in besonderem Maße dann, wenn es – wie hier – nicht um als höchstpersönlich zu qualifizierende oder besonders sensible Gewissensentscheidungen gehe. Die Antragstellerin habe die eigene Sichtweise absichtlich – oft zunächst nicht einmal erkennbar bzw. ohne Vorankündigung – über die der Fraktion gestellt. Die Vorwürfe des fehlenden Beifalls und des unentschuldigten Entfernens aus einer Plenarsitzung seien für sich gesehen in der Tat noch nicht zwingend als so gravierende Illoyalität anzusehen, dass sie einen Fraktionsausschluss rechtfertigen könnten. In der Gesamtschau seien sie jedoch „nicht nur völlig unwesentliche Mosaiksteine“. In der Summe und unter Berücksichtigung der engen zeitlichen Abfolge seien die einzelnen Ereignisse für einen Vertrauensverlust als erdrückend zu bewerten. Des Weiteren habe die Antragstellerin in der Anhörung betont, sie sei bereit, in der Fraktion weiterzuarbeiten, „allerdings nur mit anderen, neuen Regeln“. Sie habe die weitere Zusammenarbeit lediglich konditioniert in Aussicht gestellt. Zudem habe sie die Frage, ob die Zusammenarbeit weiterhin über Anwälte stattfinden solle, bejaht. Eine Besserung für die Zukunft sei daher nicht mehr zu erwarten gewesen. Zahlreiche Berichterstattungen in den Medien und die öffentlichkeitswirksamen Äußerungen der Antragstellerin hätten die Fraktion als auch andere, die Regierung tragende Fraktionen und die Regierung selbst ohne Not und zum Teil völlig unberechtigt in die Defensive gebracht. Dabei sei letztlich auch zu berücksichtigen, dass im Frühjahr 2021 Landtagswahlen anstünden. Für ein milderes Mittel als den Fraktionsausschluss habe nach alledem kein Raum bestanden.

IV.

27

Der Verfassungsgerichtshof hat dem Landtag und der Landesregierung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Beide haben davon abgesehen.

B.

28

Der Antrag ist zulässig.

29

Der gegen eine Fraktion des Landtags gerichtete Antrag einer aus dieser ausgeschlossenen Abgeordneten kann Gegenstand eines Organstreitverfahrens nach Art. 130 Abs. 1 LV, § 2 Nr. 1 a), §§ 23 ff. des Landesgesetzes über den Verfassungsgerichtshof – VerfGHG – sein (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 5. November 2018 – VGH A 19/18 –, AS 46, 365 [368]; Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [432] m.w.N.). Die Antragstellerin ist als Abgeordnete des Landtags ein „anderer Beteiligter“ im Sinne von Art. 130 Abs. 1 Satz 2 LV; sie ist damit parteifähig und antragsberechtigt (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 5. November 2018 – VGH A 19/18 –, AS 46, 365 [368]; Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [432]; Jutzi, in: Brocker/Droege/Jutzi [Hrsg.], Verfassung für Rheinland-Pfalz, 2014, Art. 130 Rn. 16; ders., ZParl 50 [2019], 299 [304]; Bier, in: Grimm/Caesar [Hrsg.], Verfassung für Rheinland-Pfalz, 2001, Art. 130 Rn. 30). Soweit sie eine Verletzung ihrer in Art. 79 Abs. 2 und Art. 85a Abs. 1 Satz 1 LV gewährleisteten Rechte rügt, ist die Antragstellerin auch antragsbefugt.

C.

30

Der Antrag ist unbegründet. Der Ausschluss der Antragstellerin aus der Fraktion ist mit der Verfassung von Rheinland-Pfalz vereinbar. Die Fraktion der FDP hat durch den Ausschluss der Antragstellerin deren Anspruch aus Art. 79 Abs. 2, Art. 85a Abs. 1 Satz 1 LV auf willkürfreie Entscheidung nicht verletzt.

I.

31

1. Fraktionen sind für das Verfassungsleben notwendige und zugleich die das Parlament bestimmenden Einrichtungen, denen von Verfassungs wegen das Recht zur Mitwirkung an der Erfüllung der Aufgaben des Landtags garantiert ist (siehe Art. 85a Abs. 2 Satz 1 LV). Sie organisieren das parlamentarische Geschehen arbeitsteilig und sichern die parlamentarische Funktionsfähigkeit vor allem durch mehrheitsfähige Meinungsbündelung (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 19. August 2002 – VGH O 3/02 –, AS 29, 362 [372 f.]; Urteil vom 11. Oktober 2010 – VGH O 24/10 –, AS 38, 322 [326]; Urteil vom 23. Januar 2018 – VGH O 17/17 –, AS 46, 166 [173]; Beschluss vom 5. November 2018 – VGH A 19/18 –, AS 46, 365 [369]; Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [432] m.w.N.). Den Fraktionen kommt im parlamentarischen Willensbildungsprozess eine „Filterfunktion“ zu: Die unterschiedlichen Vorstellungen der Abgeordneten sollen durch die Sacharbeit in den Fraktionen gebündelt werden, so dass an das Parlament mehrheitsfähige bzw. vorabgestimmte Positionen herangetragen werden (vgl. VerfG Brandenburg, Urteil vom 20. Juni 1996 – 14/96 EA –, NVwZ-RR 1997, 577 [579]; Schneider, in: Grimm/Caesar [Hrsg.], Verfassung für Rheinland-Pfalz, 2001, Art. 85a Rn. 3). Zudem ist für die Bewältigung der komplexen Aufgaben eines modernen Parlaments die fraktionsinterne Arbeitsteilung unentbehrlich (vgl. Brocker, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 40 Rn. 215 [Sept. 2019]; Morlok, JZ 2019, 790 f.). Eine wirksame parlamentarische Aufgabenerfüllung wäre ohne die innerhalb der Fraktionen stattfindende Vorklärung von Sachfragen, Informationsverarbeitung und Abstimmung divergierender Meinungen nicht möglich, so dass die von den Fraktionen wahrgenommenen „Koordinierungsaufgaben“ für die parlamentarische Arbeit unabdingbar sind (vgl. H.H. Klein, ZParl 35 [2004], 627 [630]). In den Parlamentsfraktionen vollzieht sich damit ein erheblicher Teil der Meinungs- und Willensbildung der Abgeordneten und dadurch des Parlaments im Ganzen (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [432]; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 14. Dezember 1976 – 2 BvR 802/75 –, BVerfGE 43, 142 [149]).

32

2. Die Möglichkeit, eine Fraktion zu bilden und in ihr mitzuarbeiten, verändert die Wirkungsmöglichkeiten des einzelnen Abgeordneten daher nicht unerheblich. Die Fraktionsmitgliedschaft erweitert nämlich die Mitgestaltungsmöglichkeiten eines Abgeordneten in rechtlicher und in tatsächlicher Hinsicht. Über die jedem Abgeordneten zustehenden Rechte hinaus kann der fraktionsangehörige Abgeordnete vermittelt durch die Fraktion die in der Geschäftsordnung des Landtags den Fraktionen zugewiesenen Abgeordnetenrechte („Kollektivierung der Abgeordnetenrechte“, vgl. Perne, in: Brocker/Droege/Jutzi [Hrsg.], Verfassung für Rheinland-Pfalz, 2014, Art. 79 Rn. 83) sowie die dort normierten ausschließlichen Fraktionsrechte wahrnehmen. In tatsächlicher Hinsicht stehen dem fraktionsangehörigen Abgeordneten Hilfestellungen durch die von den Fraktionen unterhaltenen Fraktionsbüros, Archive, Pressestellen und wissenschaftlichen Hilfsdienste zur Verfügung. Die Bildung und Mitarbeit in einer Fraktion hat daher im parlamentarischen Alltag – nicht zuletzt wegen dieser erweiterten Informations- und Mitgestaltungsmöglichkeiten – eine gewichtige Bedeutung bei der Ausübung des Abgeordnetenmandats (VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [432]; VerfGH Berlin, Beschluss vom 26. Mai 2005 – 53 A/05 –, NVwZ-RR 2005, 753 [754]; Urteil vom 22. November 2005 – 53/05 –, NVwZ-RR 2006, 441 [433 f.]; Morlok, JZ 2019, 790 [791]).

33

3. Fraktionen sind freiwillige Zusammenschlüsse von Abgeordneten im Parlament. Die Bildung einer Fraktion beruht auf der in Art. 79 Abs. 2 Satz 2, Art. 85a Abs. 1 Satz 1 LV jedem einzelnen Abgeordneten gewährleisteten Ausübung des freien Mandats getroffenen freien Entscheidung, ein innerparlamentarisches Abgeordnetenbündnis zu bilden (VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [434] m.w.N.; Jutzi, ZParl 50 [2019], 299 [304]), d.h. sich mit anderen Abgeordneten zu einer Fraktion zusammenzuschließen und mit ihnen zusammen zu bleiben (vgl. H.H. Klein, ZParl 35 [2004], 627 [629]).

34

Die Abgeordneten sind dabei frei in der Entscheidung, mit wem und unter welchen Bedingungen sie sich zur gemeinsamen politischen Arbeit zusammenschließen (vgl. C. Arndt, in: Schneider/Zeh [Hrsg.], Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 21 Rn. 24; Morlok, ZParl 35 [2004], 633 [639]). Als freiwilliger Zusammenschluss von Abgeordneten genießt die Fraktion die Autonomie eines solchen Verbundes, die auch die „Personalhoheit“ als „gebündelte Wahrnehmung der Assoziationsfreiheit der einzelnen Abgeordneten“ umfasst (vgl. Morlok, ZParl 35 [2004], 633 [636, 639]). Diesen kommt daher auch die Entscheidung darüber zu, wer Mitglied der Fraktion werden oder bleiben darf (vgl. H.H. Klein, ZParl 35 [2004], 627 [631]). Die freie Mandatsausübung berechtigt ebenso grundsätzlich dazu, das Zusammenwirken mit einzelnen Abgeordneten abzulehnen, sie bereits nicht in die Fraktion aufzunehmen oder auch aus ihr wieder auszuschließen (vgl. LVerfG MV, Urteil vom 27. Mai 2003 – 10/02 –, DÖV 2003, 765 [767]; Lenz, NVwZ 2005, 364 [365]), d.h. die Fraktionsmitgliedschaft einseitig und insbesondere gegen den Willen des betroffenen Abgeordneten zu entziehen (vgl. Brocker/Perne, LKRZ 2011, 161 [165]). Nicht nur ein vom Fraktionsausschluss bedrohter Abgeordneter kann sich auf die Gewährleistung des freien Mandats berufen, sondern auch die übrigen der Fraktion angehörigen Abgeordneten. In Wahrnehmung ihrer Mandatsfreiheit können die übrigen Fraktionsmitglieder daher grundsätzlich einen einzelnen Abgeordneten aus ihren Reihen ausschließen. Die Freiheit der Mandatsausübung und Fraktionsbildung des einzelnen Abgeordneten findet damit ihre Grenze in den gleichen Rechten der übrigen Fraktionsmitglieder. Darüber hinaus ergibt sich aus den verfassungsrechtlich geschützten Belangen der Fraktion und ihrer Funktion für einen effektiven Parlamentsbetrieb eine verfassungsrechtliche Grenze für die Rechte der einzelnen Abgeordneten (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [434 f.] m.w.N.).

35

4. Bestehen daher an der grundsätzlichen Berechtigung einer Fraktion, eines ihrer Mitglieder gegen dessen Willen auszuschließen, keine Zweifel (vgl. Hölscheidt, Das Recht der Parlamentsfraktionen, 2001, S. 475; Lenz, NVwZ 2005, 364 [365], jeweils m.w.N.), steht die Entscheidung über den Verlust der Fraktionszugehörigkeit eines Abgeordneten angesichts der zentralen Bedeutung der Fraktionen für die Arbeit und politische Willensbildung des Parlaments sowie für die politischen Einfluss- und parlamentarischen Wirkungsmöglichkeiten des einzelnen Abgeordneten allerdings nicht im Belieben der Fraktion (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [435] m.w.N.). Die jedem Abgeordneten verfassungsrechtlich zustehende „Chance auf Fraktionszugehörigkeit“ (LVerfG MV, Urteil vom 27. Mai 2003 – 10/02 –, DÖV 2003, 765 [767]; Brocker/Perne, LKRZ 2011, 161 [165]; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 14. Dezember 1976 – 2 BvR 802/75 –, BVerfGE 43, 142 [149]) und der Status des Abgeordneten erfordern vielmehr Begrenzungen. Das Statusrecht des Abgeordneten und das daraus folgende Fraktionsbildungsrecht sind damit Grund und Grenze der Entscheidung der Fraktion über den Ausschluss eines ihrer Mitglieder. Der Fraktionsausschluss setzt daher ein rechtsstaatlichen Mindestanforderungen genügendes Verfahren sowie einen willkürfreien Entschluss der Fraktionsversammlung voraus (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [435 f.] m.w.N.).

36

a) Die verfahrensrechtlichen Anforderungen an den Fraktionsausschluss ergeben sich aus dem in Art. 85a Abs. 2 Satz 2 LV niedergelegten Rechtsstaatsprinzip, dem das Parlament und infolgedessen auch seine Fraktionen unterliegen. Zudem vermittelt auch das Statusrecht des Abgeordneten aus Art. 79 Abs. 2 Satz 2 LV selbst angesichts der mit der Fraktionszugehörigkeit verbundenen besonderen Mitwirkungs- und Teilhabemöglichkeiten einen Mindestbestand an prozeduralen Garantien (vgl. zu Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG Brocker, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 40 Rn. 230 [Sept. 2019]; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2001 – 2 BvE 2/00 –, BVerfGE 104, 310 [332 ff.] zum Immunitätsrecht). Hierzu gehören insbesondere die Zuständigkeit der Fraktionsversammlung für die Entscheidung über den Fraktionsausschluss (aa) und ein Ausschlussverfahren, das dem betroffenen Abgeordneten hinreichend Gelegenheit zur wirksamen Stellungnahme einräumt und den Fraktionsmitgliedern die Möglichkeit gibt, diese zu berücksichtigen und an der Entscheidung verantwortlich mitzuwirken. Insoweit unterliegt das Verfahren rechtsstaatlichen Mindestanforderungen betreffend die Mitteilung des Ausschlussantrags und der geltend gemachten Gründe, eine angemessene Vorbereitungszeit für die Beteiligten, die Einberufung der Fraktionsversammlung, die Abstimmung und die erforderliche Mehrheit bei der Beschlussfassung (bb) (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [436 f.] m.w.N.).

37

aa) Der Ausschluss eines Fraktionsmitglieds aus seiner Fraktion bedarf einer Entscheidung der Fraktionsversammlung (vgl. Hölscheidt, Das Recht der Parlamentsfraktionen, 2001, S. 475; Lenz, NVwZ 2005, 364 [366]). Aus der verfassungsrechtlichen Maßgabe, dass die innere Organisation und Arbeitsweise der Fraktionen nach Art. 85a Abs. 2 Satz 2 LV den Grundsätzen parlamentarischer Demokratie entsprechen müssen, ergibt sich die Notwendigkeit einer Fraktionsversammlung für die wesentlichen Entscheidungen. Eine solche stellt der Fraktionsausschluss als Entscheidung von erheblichem Gewicht für den parlamentarischen Wirkungskreis des Abgeordneten dar, die zudem sämtliche Fraktionsmitglieder in ihrer Kooperationskompetenz als Bestandteil des freien Mandats berührt (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [437] m.w.N.).

38

bb) Hinsichtlich der im Ausschlussverfahren einzuhaltenden prozeduralen Gewährleistungen ist insbesondere dem betroffenen Abgeordneten zum Schutz seiner parlamentarischen Rechte hinreichend Gelegenheit einzuräumen, zum beabsichtigten Ausschluss wirksam Stellung nehmen zu können (vgl. LVerfG MV, Urteil vom 27. Mai 2003 – 10/02 –, DÖV 2003, 765 [766]; VerfGH Berlin, Urteil vom 22. November 2005 – 53/05 –, NVwZ-RR 2006, 441 [443]; Lenz, NVwZ 2005, 364 [367]). Dem Betroffenen ist Gehör zu gewähren und die Möglichkeit einer Verteidigung gegen die ihm gegenüber namhaft zu machenden Vorwürfe einzuräumen (vgl. Morlok, ZParl 35 [2004], 633 [643]). In notwendiger Ergänzung dazu müssen die Fraktionsmitglieder die Möglichkeit haben, die Stellungnahme des Abgeordneten ihrer Entscheidung zu Grunde zu legen (vgl. LVerfG MV, Urteil vom 27. Mai 2003 – 10/02 –, DÖV 2003, 765 [766]; VerfGH Berlin, Urteil vom 22. November 2005 – 53/05 –, NVwZ-RR 2006, 441 [443]). Der Betroffene muss sich zu dem auf seinen Ausschluss gerichteten Antrag äußern können und seine Äußerung muss den Fraktionsmitgliedern vor ihrer Entscheidung so bekannt gemacht sein, dass sie diese berücksichtigen können (vgl. betreffend die Abwahl aus einem Ausschuss VerfGH BW, Urteil vom 27. Oktober 2017 – 1 GR 35/17 –, NVwZ-RR 2018, 129 [132]). Dies erfordert es, dass der betroffene Abgeordnete über den Antrag auf Ausschluss aus der Fraktion und die dafür geltend gemachten Gründe so rechtzeitig und hinreichend informiert wird, dass er seinen Standpunkt wirksam darlegen kann. Gleichermaßen sind die Fraktionsmitglieder durch entsprechende Information in die Lage zu versetzen, verantwortlich an der zu treffenden Entscheidung mitzuwirken. Für alle Beteiligten bedarf es daher insbesondere einer ausreichenden Kenntnis der Gründe, auf die sich der Antrag auf Fraktionsausschluss stützt (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [437 f.]). Eine schriftliche Fixierung des Antrags und der relevanten wesentlichen Gründe ist insoweit grundsätzlich unumgänglich (vgl. Lenz, NVwZ 2005, 364 [367]).

39

Eine wirksame Stellungnahme seitens des Betroffenen und eine verantwortliche Entscheidung der Fraktionsmitglieder setzen darüber hinaus eine angemessene Vorbereitungszeit voraus. Welche Frist in diesem Sinne angemessen ist, lässt sich nur im Einzelfall bestimmen, wobei insbesondere die Komplexität der Vorwürfe und der bereits erreichte Diskussionsstand in der Fraktion in den Blick genommen werden können. Für die Ankündigung und Vorbereitung der Fraktionsversammlung ist neben einer rechtzeitigen Ladung zu dieser auch die Ankündigung eines entsprechenden konkreten Tagesordnungspunktes erforderlich (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [438]; LVerfG SH, Urteil vom 29. August 2019 – 1/19 –, NordÖR 2019, 467 [472 f.]; T.I. Schmidt, DÖV 2003, 846 [848]; Lenz, NVwZ 2005, 364 [367]).

40

Hinsichtlich der für die Entscheidung erforderlichen Mehrheit erscheint das für wichtige Entscheidungen weit verbreitete Quorum einer Zweidrittelmehrheit der Mitglieder jedenfalls grundsätzlich als unbedenklich (vgl. Hölscheidt, Das Recht der Parlamentsfraktionen, 2001, S. 476 ff.; Morlok, ZParl 35 [2004], 633 [644]; Lenz, NVwZ 2005, 364 [367 f.]). Ob dieses Quorum auch verfassungsrechtlich geboten ist oder ob, wofür einiges spricht, auch eine einfache Mehrheit ausreichend sein kann (so auch Morlok, JZ 2019, 790 f.), ist vorliegend nicht entscheidungserheblich und kann daher offen bleiben (vgl. auch VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [438]).

41

Soweit eine geheime Abstimmung in Anwesenheit und unter Beteiligung des betroffenen Abgeordneten erfolgt, genügt ein solches Verfahren – ungeachtet der Frage der verfassungsrechtlichen Gebotenheit insbesondere einer geheimen Abstimmung – ebenfalls den prozeduralen Anforderungen (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [438]; T.I. Schmidt, DÖV 2003, 846 [848 f.]; Lenz, NVwZ 2005, 364 [367 f.]).

42

Ist der Ausschluss von der Fraktionsversammlung derart beschlossen worden, wird dieser mit der Beschlussfassung unmittelbar wirksam, ohne dass es noch – konstitutiv – einer schriftlichen Bekanntgabe an den Betroffenen bedarf (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [438]; Lenz, NVwZ 2005, 364 [368]).

43

cc) Die sich in diesem Sinne als rechtsstaatliche Mindestanforderungen ergebenden formellen Voraussetzungen eines Fraktionsausschlusses sind – mangels Wertungsbedürftigkeit – der uneingeschränkten verfassungsgerichtlichen Überprüfung zugänglich (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [439]; VerfG Brandenburg, Urteil vom 16. Oktober 2003 – 4/03 –, NVwZ-RR 2004, 161 [162]; LVerfG SH, Urteil vom 29. August 2019 – 1/19 –, NordÖR 2019, 467 [472]; Hölscheidt, Das Recht der Parlamentsfraktionen, 2001, S. 480; Lenz, NVwZ 2005, 364 [366, 370]; Morlok, JZ 2019, 790 [791]).

44

b) Ein Fraktionsausschluss ist darüber hinaus an materielle Voraussetzungen gebunden und nicht nach Belieben der Fraktion zulässig, stellt er auch im Ergebnis eine „politische Zweckmäßigkeitsentscheidung“ (Morlok, ZParl 35 [2004], 633 [636]) dar. Ganz überwiegend wird insoweit das Vorliegen eines qualifizierten – „(besonders) wichtigen“ – Grundes verlangt (vgl. LVerfG MV, Urteil vom 27. Mai 2003 – 10/02 –, DÖV 2003, 765 [768]; VerfGH Berlin, Urteil vom 22. November 2005 – 53/05 –, NVwZ-RR 2006, 441 [443] und Urteil vom 4. Juli 2018 – 130/17 –, DVBl. 2018, 1287 [1288 f.]; Badura, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 38 Rn. 92 [Okt. 2018]; Lenz, NVwZ 2005, 364 [368]). Als solcher kommt nur ein Verhalten in Betracht, das die wesentlichen Grundlagen und Ziele der Fraktion nachhaltig beeinträchtigt (vgl. Badura, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 38 Rn. 92 [Okt. 2018]). Maßgeblich für die verfassungsgerichtliche Überprüfung des Vorliegens eines den Fraktionsausschluss rechtfertigenden „wichtigen Grundes“ ist dabei die Sachlage, über welche die Fraktion bei der Beschlussfassung über den Ausschluss zu befinden hatte (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [439]; VerfGH Berlin, Urteil vom 4. Juli 2018 – 130/17 –, DVBl. 2018, 1287 [1289]).

45

aa) Bei der Entscheidung über den Ausschluss aus einer Fraktion stehen sich in der Sache zwei rechtlich geschützte Interessenpositionen gegenüber: auf der einen Seite das Interesse des Abgeordneten an der Mitarbeit in der Fraktion, auf der anderen Seite das Interesse der Fraktion an der Selbstbestimmung über ihren Mitgliederbestand (vgl. Morlok, ZParl 35 [2004], 633 [638]). Das sich aus der Zugehörigkeit zu einer Fraktion ergebende Mitgliedschaftsverhältnis ist dabei von wechselseitigen Loyalitätspflichten geprägt; sowohl das einzelne Mitglied als auch die Gesamtheit der Fraktionsmitglieder sind zur Rücksichtnahme auf die Interessen des anderen verpflichtet (vgl. Morlok, ZParl 35 [2004], 633 [640]; ders., JZ 2019, 790 [791]). Die Solidaritäts- und Loyalitätserwartung der Fraktion geht einher mit den dem Abgeordneten über die Fraktionszugehörigkeit vermittelten erweiterten Wirkungsmöglichkeiten in der parlamentarischen Arbeit (vgl. betreffend die Abwahl aus einem Ausschuss VerfGH BW, Urteil vom 27. Oktober 2017 – 1 GR 35/17 –, NVwZ-RR 2018, 129 [130]). Steht der Bestand dieses Mitgliedschaftsverhältnisses und damit ein Ausschluss eines Abgeordneten aus der Fraktion im Raum, können sich sowohl der vom Fraktionsausschluss bedrohte Abgeordnete als auch die übrigen Fraktionsmitglieder auf das ihnen verfassungsrechtlich in Art. 79 Abs. 2 Satz 2 LV gewährleistete freie Mandat i.V.m. Art. 85a Abs. 1 Satz 1 LV berufen. Dieses ist gleichermaßen Grund und Grenze des Fraktionsbildungsrechts. Die Kollision dieser verfassungsrechtlichen Positionen im Wege einer Auflösung im Einzelfall erfordert damit im Wesentlichen eine Abwägung innerhalb von Art. 79 Abs. 2 Satz 2, Art. 85a Abs. 1 Satz 1 LV selbst (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [439 f.]; LVerfG SH, Urteil vom 29. August 2019 – 1/19 –, NordÖR 2019, 467 [474]; Morlok, JZ 2019, 790 [791]; vgl. zu Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG Lenz, NVwZ 2005, 364 [365 f.]; Brocker, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 40 Rn. 229 [Sept. 2019]).

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bb) Ein in diesem Sinne „wichtiger Grund“ für einen Fraktionsausschluss kann insbesondere dann angenommen werden, wenn das für eine sinnvolle Meinungsbildung und Arbeit der Fraktion erforderliche Mindestmaß an prinzipieller politischer Übereinstimmung fehlt oder wenn das Fraktionsmitglied das Vertrauensverhältnis so nachhaltig gestört hat, dass den anderen Fraktionsmitgliedern die weitere Zusammenarbeit nicht mehr zugemutet werden kann (vgl. VerfGH Berlin, Urteil vom 22. November 2005 – 53/05 –, NVwZ-RR 2006, 441 [444]; Urteil vom 4. Juli 2018 – 130/17 –, DVBl. 2018, 1287 [1289]). Ist die parlamentarische Effizienz der Grund für den Zusammenschluss der Abgeordneten zu einer Fraktion, so entfällt die Grundlage dafür dann, wenn die politischen Handlungs- und Wirkmöglichkeiten der Fraktion durch das Verhalten eines ihrer Mitglieder nachhaltig beeinträchtigt werden (vgl. H.H. Klein, ZParl 35 [2004], 627 [631]; siehe auch T.I. Schmidt, DÖV 2003, 846 [850]). So setzt die in den Fraktionen erfolgende gewichtige Vorarbeit für die parlamentarische Willensbildung eine Zusammenarbeit in der Fraktion und die Verständigung auf eine einheitliche Fraktionslinie voraus, die ihrerseits eine offene, unbefangene und vertrauensvolle Diskussion erfordern. Geht die Bereitschaft zu vertrauensvoller Sachdiskussion jedoch verloren, besteht die Gefahr der Beeinträchtigung des innerfraktionellen Willensbildungsprozesses. Damit geht auch eine Gefährdung des parlamentarischen Willensbildungsprozesses und der parlamentarischen Funktionsfähigkeit insgesamt einher, weil eine Meinungsbündelung in der Fraktion nicht mehr gewährleistet ist (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 5. November 2018 – VGH A 19/18 –, AS 46, 365 [369 f.]; Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [440] m.w.N.; Morlok, JZ 2019, 790 [791 f.]).

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cc) Darüber hinaus kann ein „wichtiger Grund“ darin bestehen, dass ein Fraktionsmitglied durch sein Verhalten das Ansehen der Fraktion in der Öffentlichkeit nachhaltig schädigt und die Außenwirkung der Fraktion und deren Wirkungsmöglichkeiten damit beeinträchtigt (vgl. VerfGH Berlin, Beschluss vom 26. Mai 2005 – 53 A/05 –, NVwZ-RR 2005, 753 [754]; Urteil vom 22. November 2005 – 53/05 –, NVwZ-RR 2006, 441 [444]). Fraktionen stehen mit anderen politischen Gruppierungen sowohl im Parlament als auch vor den Bürgern im Wettbewerb. Das parlamentarische Geschehen weist stets auch einen Öffentlichkeitsbezug auf, indem die Vertreter des Volkes sichtbar und wahrnehmbar für das Volk handeln (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 19. August 2002 – VGH O 3/02 –, AS 29, 362 [374]; Morlok, ZParl 35 [2004], 633 [634]). Fraktionen sind insoweit „politisch-parlamentarisch auch nach außen agierende“ Einrichtungen (Grzeszick, NVwZ 2017, 985 [990]). Unter Wettbewerbsgesichtspunkten ist es daher ein legitimes Anliegen und Bedürfnis der Fraktion, in der öffentlichen Darstellung ein einheitliches Erscheinungsbild zu bieten und auf ein geschlossenes, glaubwürdiges und wirkungsmächtiges Auftreten der Fraktion in Parlament und Öffentlichkeit hinzuwirken (vgl. Morlok, ZParl 35 [2004], 633 [635]; H.H. Klein, ZParl 35 [2004], 627 [629]; siehe auch betreffend die Abwahl aus einem Ausschuss VerfGH BW, Urteil vom 27. Oktober 2017 – 1 GR 35/17 –, NVwZ-RR 2018, 129 [130]). In den Blick zu nehmen sind dabei die Wirkungen ihres eigenen Handelns und das ihrer Mitglieder auf die Öffentlichkeit sowohl hinsichtlich parlamentsinterner Vorgänge als auch parlamentsexterner Geschehnisse. Erhält das Erscheinungsbild der Fraktion damit den Rang eines schützenswerten Gutes (vgl. Morlok, ZParl 35 [2004], 633 [635]), kann auch die Öffentlichkeitswirkung der Fraktion einen erheblichen Gesichtspunkt für die Entscheidung über einen Fraktionsausschluss darstellen (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [441]).

48

dd) Die durch einen Fraktionsausschluss im Einzelfall konkret zu schützenden Belange der Fraktion sind ganz wesentlich von den Fraktionsmitgliedern selbst zu bestimmen. Die Festlegung ihrer programmatischen Grundlagen und der Anforderungen in personeller Hinsicht unterliegt weitgehend der Definitionsmacht der Fraktion; gleiches gilt, soweit es um die Beurteilung geht, wann ein schwerer politischer Schaden für die Fraktion vorliegt (vgl. Morlok, ZParl 35 [2004], 633 [644]). In diesem Sinne ist bei der Beurteilung der Frage, ob das Verhalten eines Fraktionsmitglieds einen seinen Ausschluss rechtfertigenden „wichtigen Grund“ darstellt, zu berücksichtigen, dass der Fraktion wegen der ihr durch Art. 79 Abs. 2 Satz 2, Art. 85a Abs. 1 Satz 1 LV vermittelten Befugnis zur selbständigen und alleinigen Regelung ihrer inneren Angelegenheiten (Fraktionsautonomie) in der Einschätzung der Wirkung und in der wertenden Beurteilung des Verhaltens der Abgeordneten ein weiter Spielraum zuzugestehen ist (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [441 f.] m.w.N.; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 2015 – 2 BvE 4/12 –, BVerfGE 140, 1 [31 Rn. 86]). Die Fraktionsautonomie beansprucht nicht nur gegenüber Dritten Geltung, sondern ist als „innere Fraktionsautonomie“ auch innerhalb des Parlaments und innerhalb der Fraktion selbst zu beachten (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [442]; Grzeszick, NVwZ 2017, 985 [990]; Brocker, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 40 Rn. 222 [Sept. 2019]). Bei der Einschätzung der Auswirkungen von Verhaltensweisen eines Abgeordneten auf die Gremienarbeit und der Beurteilung, ob ein Vertrauensverhältnis derart nachhaltig gestört ist, dass eine Zusammenarbeit in der Fraktion nicht mehr zumutbar erscheint, spielen zudem auch persönliche Erfahrungen und Eindrücke eine nicht unerhebliche Rolle (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [442]; VerfGH Berlin, Urteil vom 22. November 2005 – 53/05 –, NVwZ-RR 2006, 441 [444 f.] und vom 4. Juli 2018 – 130/17 –, DVBl. 2018, 1287 [1289]). Gleiches gilt für die Einschätzung, ob und inwiefern das Verhalten des Abgeordneten in der Öffentlichkeitswirkung einen schweren Schaden für das Erscheinungsbild der Fraktion hervorzurufen vermag, denn auch das von ihr intendierte „Idealbild“ wird maßgeblich durch die Fraktion selbst definiert. Für solche insgesamt stark wertungsgebundene Einschätzungen sind allein die Fraktionsmitglieder zuständig; eine gerichtliche Kontrolle der Ausschlussentscheidung der Fraktion hat daher die fraktionseigenen Wertungen zu achten und ihr einen erheblichen Entscheidungsspielraum zu belassen (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [442]; Morlok, ZParl 35 [2004], 633 [644 f.]; A. Bäcker, Der Ausschluss aus der Bundestagsfraktion, 2011, S. 185 m. Fn. 780; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2001 – 2 BvE 2/00 –, BVerfGE 104, 310 [332] zur Immunitätsaufhebung sowie allgemein Risse, JZ 2018, 71 [77]). Es ist nicht Sache des Verfassungsgerichtshofs, seine Beurteilung an die Stelle derjenigen politischen und sonstigen, an innerfraktionellen Maßstäben ausgerichteten, Wertungen der Fraktion zu setzen (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [442]; VerfGH Berlin, Urteil vom 22. November 2005 – 53/05 –, NVwZ-RR 2006, 441 [445] und vom 4. Juli 2018 – 130/17 –, DVBl. 2018, 1287 [1289]). Die politische Opportunität der getroffenen Maßnahme ist mit Blick auf die verfassungsrechtlich gewährleistete Autonomie der Fraktion daher nicht zu prüfen (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [442]; BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 2015 – 2 BvE 4/12 –, BVerfGE 140, 1 [31 Rn. 86] zur Mittelverwendung).

49

ee) Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass ein Fraktionsausschluss keine Strafmaßnahme, sondern letztlich ein Akt des Selbstschutzes zur Aufrechterhaltung der effektiven politischen Arbeit der Fraktion ist. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der vom Ausschluss betroffene Abgeordnete der Fraktion bewusst und gezielt geschadet hat; die Schuldfrage ist daher irrelevant (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [443]; H.H. Klein, ZParl 35 [2004], 627 [631 f.]; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Art. 38 Rn. 252 [August 2018]; Morlok, ZParl 35 [2004], 633 [642]; Lenz, NVwZ 2005, 364 [368]). Insbesondere was die Auswirkungen des Verhaltens des Abgeordneten auf die Öffentlichkeitsdarstellung der Fraktion betrifft, rückt der tatsächliche – sogar auch nur mögliche – Schaden für die Fraktion in den Vordergrund, ohne dass es dabei auf ein Verschulden des Fraktionsmitglieds ankommt. Dies mag das betroffene Fraktionsmitglied im Einzelfall zwar hart treffen; ein Abgeordneter steht mit seinem Handeln jedoch gleichsam unter „öffentlicher Dauerbeobachtung“, so dass es insoweit zumutbar ist, bereits für die rein objektive Wirkung seines Verhaltens einstehen zu müssen (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [443]; vgl. bereits Morlok, ZParl 35 [2004], 633 [635 f., 642 f.]: „reine Erfolgshaftung“ bzw. „Gefährdungshaftung“; vgl. auch Morlok, JZ 2019, 790 [792]; LVerfG SH, Urteil vom 29. August 2019 – 1/19 –, NordÖR 2019, 467 [474]).

50

ff) Während die Einhaltung der verfassungsrechtlich vorgegebenen Verfahrensanforderungen gerichtlich in vollem Umfang überprüfbar ist, hat sich die Prüfung eines „wichtigen Grundes“ nach alledem daher auf eine Willkürkontrolle zu beschränken (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [443] m.w.N.). Als letztlich politische Entscheidung ist der Fraktionsausschluss verfassungsgerichtlich nicht daraufhin zu überprüfen, ob er vertretbar ist, sondern im Rahmen der Willkürkontrolle allein darauf, ob das Statusrecht des betroffenen Abgeordneten in grundlegender Weise evident verkannt wurde (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [443]; BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2001 – 2 BvE 2/00 –, BVerfGE 104, 310 [332 f.] zur Immunitätsaufhebung sowie A. Bäcker, Der Ausschluss aus der Bundestagsfraktion, 2011, S. 185 m. Fn. 780).

51

Das Willkürverbot ist dabei dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst sachlich einleuchtender Grund für die Entscheidung nicht finden lässt, sondern vielmehr evident sachfremd entschieden wurde (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [443]; LVerfG SH, Urteil vom 29. August 2019 – 1/19 –, NordÖR 2019, 467 [474]; vgl. betreffend die Abwahl aus einem Ausschuss VerfGH BW, Urteil vom 27. Oktober 2017 – 1 GR 35/17 –, NVwZ-RR 2018, 129 [132]; vgl. auch Morlok, ZParl 35 [2004], 633 [645]: „Extremfälle offensichtlicher Willkür“; siehe allgemein zum Willkürverbot BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 1951 – 1 BvR 201/51 –, BVerfGE 1, 14 [52]; Beschluss vom 17. Oktober 1990 – 1 BvR 283/85 –, BVerfGE 83, 1 [23]; Beschluss vom 5. Oktober 1993 – 1 BvL 34/81 –, BVerfGE 89, 132 [141]).

52

gg) Zwar setzt eine willkürfreie Entscheidung der Fraktion in materieller Hinsicht grundsätzlich voraus, dass die Fraktionsmitglieder ihr die zutreffenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu Grunde gelegt haben und von einem möglichst vollständig aufgeklärten Sachverhalt ausgehen konnten (vgl. LVerfG MV, Urteil vom 27. Mai 2003 – 10/02 –, DÖV 2003, 765 [768]; VerfGH Berlin, Urteil vom 22. November 2005 – 53/05 –, NVwZ-RR 2006, 441 [445]; Lenz, NVwZ 2005, 364 [370]). Im Hinblick auf den der Fraktion zukommenden Entscheidungsspielraum unterliegt jedoch gerade auch die tatsächliche Entscheidungsgrundlage des Fraktionsausschlusses nur einer beschränkten gerichtlichen Kontrolle. Der der Fraktion zukommende Entscheidungsspielraum wirkt sich nicht erst auf die Bejahung oder Verneinung eines „wichtigen Grundes“ als solches aus, sondern auch bereits auf die dieser Entscheidung vorgelagerte Tatsachenebene. Ob nämlich eine ausreichend „sichere Feststellung eines Anknüpfungsverhaltens des Abgeordneten von gewisser Erheblichkeit“ (vgl. Lenz, NVwZ 2005, 364 [368]) bejaht und zur Grundlage einer willkürfreien Entscheidung der Fraktionsmitglieder gemacht werden kann, lässt sich im Ergebnis gleichermaßen nur unter (Mit-)Einbeziehung fraktionsinterner Wertungen beurteilen. Genauso wie die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten die Handlungs- und Wirkmöglichkeiten der Fraktion nachhaltig beeinträchtigt, entscheidend von diesen Wertungen abhängt, so ist auch die Frage, in welchem Maße ein solches Verhalten im Einzelnen „erwiesen“ sein muss, um unter Zugrundelegung der innerfraktionellen Maßstäbe aus Sicht der Fraktionsmitglieder ein Handeln zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Fraktion zu erfordern, einer verfassungsrechtlich exakten Grenzziehung nicht zugänglich, zumal die Annahme einer (noch) möglichen vertrauensvollen und effektiven Zusammenarbeit allein der Fraktion obliegt. Der den Fraktionen zukommende Entscheidungsspielraum weist insoweit über die rein rechtliche notwendigerweise auch eine tatsächliche Dimension auf. Auch insofern unterfällt es der von den innerfraktionellen Vorstellungen abhängigen wertenden Einschätzung der Fraktionsmitglieder, aufgrund welcher tatsächlicher Umstände ein Anknüpfungsverhalten (bereits) mit einer derart ausreichenden Gewissheit angenommen werden kann, um die für den betroffenen Abgeordneten schwerwiegende Entscheidung über den Fraktionsausschluss frei von Willkür zu treffen. Eine solche Bewertung bewegt sich außerhalb eines rechtlich exakt fassbaren Bereichs (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [444 f.]; vgl. auch zustimmend Jutzi, ZParl 50 [2019], 299 [305]; Morlok, JZ 2019, 790 [792]; offengelassen von LVerfG SH, Urteil vom 29. August 2019 – 1/19 –, NordÖR 2019, 467 [474]).

53

Dies bedeutet gleichwohl keinen „Freibrief“ für eine Fraktion oder eine völlige Zurückdrängung der verfassungsrechtlichen Kontrolle auf tatsächlicher Ebene. Solange und soweit jedoch der Entscheidung über den Ausschluss nicht evident unzutreffende tatsächliche Annahmen zu Grunde gelegt worden sind, ist es nicht Sache des Verfassungsgerichtshofs, die tatsächlichen (ihrerseits bereits wertungsbedürftigen) Annahmen der Fraktion im Einzelnen durch eigene gegenläufige Annahmen zu ersetzen. Dies wird jedenfalls insoweit zu gelten haben, als die angeführten Ausschlussgründe ihren Ausgangspunkt in einem feststehenden Tatsachenkern finden und die Frage des erforderlichen Grades des Erwiesenseins im Einzelnen bereits in den Bereich der fraktionsinternen Wertungen hineinreicht und damit lediglich einer Evidenzkontrolle zugänglich sein kann (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [445]; vgl. entspr. auch BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2001 – 2 BvE 2/00 –, BVerfGE 104, 310 [333] zur Immunitätsaufhebung). Insbesondere die Bewertung, ob und bei welcher Tatsachendichte bereits eine Störung des Vertrauensverhältnisses innerhalb der Fraktion oder ein Schaden für ihre Öffentlichkeitsdarstellung vorliegt, hängt bereits von fraktionsinternen Vorstellungen und Wertungen ab (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [445]).

54

Zudem ist zu berücksichtigen, dass für die verfassungsgerichtliche Überprüfung des Vorliegens eines „wichtigen Grundes“ die Sachlage maßgeblich ist, über welche die Fraktion bei ihrer Beschlussfassung über den Fraktionsausschluss zu befinden hatte (vgl. VerfGH Berlin, Urteil vom 4. Juli 2018 – 130/17 –, DVBl. 2018, 1287 [1289]). Damit geht einher, dass es nicht dem Verfassungsgerichtshof obliegt, die damalige tatsächliche Entscheidungsgrundlage nachträglich im gerichtlichen Verfahren mit – der Fraktion selbst nicht möglichen oder nicht zustehenden – Sachverhaltsermittlungsmaßnahmen (weiter bzw. „besser“) aufzuklären (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [445]; Morlok, JZ 2019, 790 [792]). Dies gilt zumindest in dem Maße, wie die Fraktion nicht von evident unzutreffenden Tatsachen ausgegangen ist, insbesondere etwa weil der betroffene Abgeordnete im Ausschlussverfahren ihren tatsächlichen Annahmen nicht in substantiierter Weise entgegen getreten ist (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [445] m.w.N.).

55

Grundsätzlich verbietet sich angesichts des dem Fraktionsausschluss zugrundeliegenden Spannungsfelds zwischen dem Interesse der Fraktion an der Sicherung der Handlungs- und Wirkfähigkeit und den Zugehörigkeits- und Mitwirkungsinteressen des betroffenen Abgeordneten eine darüber hinaus gehende gerichtliche (Voll-)Kontrolle (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [446]; a.A. – volle Überprüfung, ob die Fraktion von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist – Lenz, NVwZ 2005, 364 [370]). Eine solche würde im Gegenteil den verfassungsmäßigen Entscheidungsspielraum der Fraktion aushebeln und dasjenige, was in den Spielraum fällt, den Grundsätzen der Gewaltenteilung zuwider in den Entscheidungsbereich der rechtsprechenden Gewalt überführen (vgl. auch bereits entspr. BVerfG, Urteil vom 18. Dezember 1984 – 2 BvE 13/83 –, BVerfGE 68, 1 [111]). Zwar bedeutet der Fraktionsausschluss für den Abgeordneten eine nicht unerhebliche Beschränkung seiner parlamentarischen Wirkungsmöglichkeiten (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 5. November 2018 – VGH A 19/18 –, AS 46, 365 [371]; Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [445] jeweils m.w.N.); diese ist dem Ausschluss aus der Fraktion jedoch immanent und ihr ist im Rahmen der Auflösung des zwischen Fraktions- und Abgeordneteninteressen bestehenden Interessenkonflikts Rechnung zu tragen, ohne dass letzteren jedoch ein Vorrang gebührte. Der einzelne Abgeordnete hat insbesondere auch keinen Anspruch darauf, dass im Rahmen der Entscheidung über seinen Ausschluss eine Abwägung stattfindet, die seine Interessen gegenüber denjenigen der Fraktion in den Vordergrund rückt (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [446] m.w.N.).

II.

56

Gemessen an den vorstehenden Maßstäben ist der Ausschluss der Antragstellerin aus der Fraktion der FDP verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Er genügt sowohl den an die Entscheidung über den Ausschluss zu stellenden formellen (1.) als auch den materiellen Anforderungen (2.).

57

1. Der Fraktionsausschluss genügt den formellen Anforderungen. Er wurde von der dafür zuständigen Fraktionsversammlung in einem verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Ausschlussverfahren beschlossen.

58

a) Soweit das Binnenrecht der Antragsgegnerin in § 3 Abs. 5 Satz 1 und 5 ihrer Satzung eine geheime Abstimmung der Fraktionsversammlung unter Einbeziehung des betroffenen Fraktionsmitglieds und das Erfordernis einer Mehrheit von zwei Dritteln der Fraktionsmitglieder vorsieht und diese Maßgaben ausweislich des Sitzungsprotokolls auch eingehalten worden sind, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken am Ausschlussverfahren.

59

b) Ebenso waren alle Beteiligten rechtzeitig und hinreichend über den Ausschlussantrag und die maßgeblichen Gründe informiert. Was die Einleitung des Verfahrens und die Information der Betroffenen und der übrigen Fraktionsmitglieder über den Antrag auf Fraktionsausschluss betrifft, sieht § 3 Abs. 5 Satz 3 und 6 der Satzung der Antragsgegnerin (lediglich) vor, dass der Antrag von mindestens einem Viertel der Fraktionsmitglieder gestellt und die Behandlung des Antrags, die Anhörung des Betroffenen und die Abstimmung als Tagesordnungspunkte auf den jeweiligen Tagesordnungen stehen müssen. Dieses Verfahren wurde einschließlich der Fristen hinsichtlich des Termins zur Anhörung und des Termins zur Abstimmung nach § 3 Abs. 5 Satz 7 der Satzung eingehalten. Der Antrag mitsamt den maßgeblichen Gründen war, auch wenn die Satzung der Antragsgegnerin dazu keine ausdrückliche Regelung vorsieht, allen Fraktionsmitgliedern hinreichend bekannt, um Grundlage für das rechtliche Gehör der Antragstellerin und für die verantwortliche Mitwirkung der übrigen Fraktionsmitglieder an der Entscheidung zu sein. Dafür ist es erforderlich, dass die Ausschlussgründe so detailliert und substantiiert erkennbar sind, dass der Betroffene wirksam dazu Stellung nehmen kann und die übrigen Fraktionsmitglieder die Gründe und das Vorbringen des Betroffenen zur Grundlage einer verantwortlichen Entscheidung machen können (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [447]).

60

Daran bestehen vorliegend keine Zweifel. Der Antrag selbst ist von sämtlichen Fraktionsmitgliedern (mit Ausnahme der Antragstellerin) eigenhändig unterschrieben und umfangreich begründet worden. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragstellerin davon ausgehend keine wirksame Stellungnahme möglich gewesen sein sollte, ergeben sich weder aus den Sitzungsprotokollen noch aus ihrem Vorbringen. Vielmehr hat die Antragstellerin im Einzelnen zu den genannten Punkten umfangreiche Ausführungen gemacht. Dass im Rahmen einer solchen Diskussion von den Beteiligten auch weitere – über die im Ausschlussantrag konkret genannten hinausgehende, gleichwohl mit diesem im Zusammenhang stehende – Umstände angesprochen werden, ist nicht ausgeschlossen, jedenfalls wenn – was hier unzweifelhaft der Fall ist – der Betroffene (auch) dazu wirksam Stellung nehmen kann und die übrigen Beteiligten diese Stellungnahme verantwortungsvoll in ihre Entscheidung einbeziehen können. In der Sitzung am 11. Februar 2020 hat die Antragstellerin ausweislich der von ihr nicht in Frage gestellten Darlegungen im Sitzungsprotokoll (Anlage 12 zum Schriftsatz der Antragstellerin vom 15. Juli 2020, S. 9, Bl. 130 d. GA) im Anschluss an die umfangreiche Diskussion „die Auffassung vertreten, dass man sich nun ausgetauscht habe und ihrerseits keine weiteren Fragen bestünden“.

61

c) Soweit die Antragstellerin vorträgt, ihr sei nicht in ausreichendem Umfang rechtliches Gehör gewährt worden, weil im Anschluss an ihre Stellungnahme in der Sitzung am 11. Februar 2020 nicht (weiter) diskutiert worden sei, ist dies bereits in tatsächlicher Hinsicht ausweislich der Protokolle unzutreffend. Die Antragstellerin hat sich vielmehr in zwei Sitzungen – am 11. und am 20. Februar 2020 – unter Hinzuziehung ihres Rechtsbeistands geäußert. Soweit die Antragstellerin eine hinreichende Stellungnahme- bzw. Diskussionsmöglichkeit nunmehr negiert, ergibt sich bereits aus dem Protokoll nicht, dass in der Sitzung am 11. Februar 2020 eine (weitere) Stellungnahme oder Diskussion erforderlich, aber nicht möglich gewesen sein sollte. Im Gegenteil hat ausweislich des Protokolls eine umfangreiche Aussprache zwischen den Fraktionsmitgliedern stattgefunden, an deren Ende die Antragstellerin selbst feststellte, dass man sich ausgetauscht habe und keine weiteren Fragen mehr bestünden. Auch ein weiterer Diskussionsbedarf seitens der übrigen Fraktionsmitglieder ist nicht geäußert worden. In der Sitzung am 20. Februar 2020 bestand ausweislich des Protokolls ebenfalls die Möglichkeit der Diskussion. Die Antragstellerin hat insoweit zunächst Ausführungen zum Protokoll der vorherigen Sitzung gemacht, die sodann besprochen wurden. Zudem wurde erneut das Thema „sexueller Missbrauch an Schulen“ und der Fortgang der Entwicklungen angesprochen und zwar unter Wortmeldung der Antragstellerin. Dass für die Antragstellerin weiterer Äußerungsbedarf – und worauf konkret bezogen – bestanden hätte, trägt sie selbst nicht vor. Zudem hätte es ihr – hätte sie sich noch äußern wollen – oblegen, darauf in den Sitzungen hinzuweisen und dies notfalls einzufordern (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [450]; LVerfG SH, Urteil vom 29. August 2019 – 1/19 –, NordÖR 2019, 467 [473]). Auch der Einwand, die Diskussion habe sich nicht an der Reihenfolge der Darlegung im Ausschlussantrag orientiert und (auch) persönliche Vorwürfe enthalten, vermag nichts daran zu ändern, dass sie Stellung nehmen konnte und für die übrigen Fraktionsmitglieder die Möglichkeit der Kenntnisnahme von ihren Ausführungen und einer Auseinandersetzung mit diesen bestanden hat.

62

Soweit die Antragstellerin schließlich vorträgt, die übrigen Fraktionsmitglieder hätten sich mit ihren im Rahmen der Anhörung vorgebrachten konkreten Erwiderungen nicht auseinandergesetzt, so spricht auch hiergegen schon in tatsächlicher Hinsicht der Inhalt des vorgelegten Protokolls der Sitzung vom 11. Februar 2020, demzufolge mehrere Fraktionsmitglieder sich zu ihren Ausführungen geäußert haben sowie die Antragstellerin sich ihrerseits an der Diskussion beteiligt hat. Gleiches gilt für den Inhalt des ebenfalls vorgelegten Protokolls der Sitzung vom 20. Februar 2020, ausweislich dessen die Antragstellerin einzelne Punkte des Protokolls ihrer Anhörung moniert und sich daran eine Besprechung angeschlossen hat. In ihrer Antragsschrift führt sie zur Anhörung am 11. Februar 2020 zudem aus, die Diskussion, die sich entwickelt habe, sei „weit über einen Austausch der von der Antragstellerin vorgebrachten konkreten Argumente“ hinausgegangen (vgl. S. 24 der Antragsschrift vom 15. Juli 2020, Bl. 25 d. GA). Damit geht sie selbst davon aus, dass ihre Ausführungen in der Fraktionsversammlung zur Kenntnis genommen und diskutiert worden sind. Nach alledem verfängt ihr Einwand, es habe keine Diskussion bzw. Auseinandersetzung stattgefunden, bereits tatsächlich nicht.

63

Unabhängig davon folgt aus dem durch Art. 79 Abs. 2, Art. 85a Abs. 1 Satz 1 LV vermittelten Anspruch auf Anhörung kein weitergehendes Recht auf Diskussion im Sinne einer Pflicht der übrigen Abgeordneten, zu diskutieren, und ebenso kein Anspruch auf einen bestimmten Inhalt einer Diskussion. Das freie Mandat verlangt, dass den Abgeordneten die Möglichkeit zur Diskussion gegeben wird; eine Pflicht zur Diskussion würde dem freien Mandat demgegenüber widersprechen (vgl. dazu entspr. Brocker, in: Epping/Hillgruber [Hrsg.], GG, 3. Aufl. 2020, Art. 42 Rn. 5.2 m.w.N.). Es ist vielmehr ausreichend, aber auch allein erforderlich, dass die Fraktionsmitglieder die Möglichkeit haben, die Stellungnahme des Betroffenen ihrer Entscheidung zu Grunde zu legen (VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [437] m.w.N.). Ob die übrigen Fraktionsmitglieder sich nach der stattgefundenen Diskussion – in der die Antragstellerin ihren Standpunkt hinreichend vorbringen konnte – ausreichend informiert und in der Lage sehen, eine verantwortungsvolle Entscheidung zu treffen, obliegt ihrer Beurteilung und nicht derjenigen der Antragstellerin. In diesem Zusammenhang gibt es auch kein von der Antragstellerin letztlich in der Sache reklamiertes Recht auf Neufassung der angeführten Ausschlussgründe im Lichte ihrer Einwendungen. Durch die Beschlussfassung über den Antrag auf Ausschließung der Antragstellerin aus der Fraktion und den Inhalt der unter Beteiligung der Antragstellerin geführten – und protokollierten – Diskussion hierüber hat die Antragsgegnerin vielmehr hinlänglich zu verstehen gegeben, welche Begründung und damit welche Sachlage sie ihrem Beschluss zu Grunde legt, die damit im Sinne eines Gesamtbildes (vgl. Morlok, JZ 2019, 790 [792]) auch den maßgeblichen Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung darstellt (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [439 u. 447] m.w.N.).

64

d) Das Ausschlussverfahren ist auch insoweit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, als die Antragstellerin das Fehlen einer nachträglichen Begründung des ihr unmittelbar im Anschluss an die Abstimmung mündlich bekanntgegebenen Beschlusses über den Fraktionsausschluss rügt. Insoweit ist zunächst festzuhalten, dass der Ausschluss mit der Beschlussfassung unmittelbar wirksam wird, ohne dass es noch einer Bekanntgabe an den Betroffenen bedarf (VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [438]; Lenz, NVwZ 2005, 364 [368]). Die unabhängig davon verfahrensmäßig gebotene Bekanntgabe kann wie vorliegend in mündlicher Form erfolgen, zumal wenn der betroffene Abgeordnete – wie hier die Antragstellerin – in der Sitzung anwesend ist (VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [450]; T.I. Schmidt, DÖV 2003, 846 [849]).

65

Inhaltlich bedurfte der Beschluss keiner weitergehenden Begründung. Zum einen war die Antragstellerin in der Sitzung ebenso wie in der vorhergehenden Sitzung am 11. Februar 2020 anwesend und konnte der dortigen Diskussion beiwohnen und an ihr teilnehmen und hat dies ausweislich der Protokolle auch getan. Zum anderen hatte sie jedenfalls aus dem Ausschließungsantrag in Zusammenschau mit den begleitenden Umständen und der Diskussion in den Sitzungen am 11. und am 20. Februar 2020 hinreichende Kenntnis über die Entscheidung und ihre Gründe (vgl. auch VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [450]).

66

2. Die Antragsgegnerin hat nach den obigen Maßstäben in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die materielle Voraussetzung für einen Fraktionsausschluss, nämlich das Vorliegen eines „wichtigen Grundes“, bejaht.

67

Das Binnenrecht der Antragsgegnerin verlangt in § 3 Abs. 5 Satz 2 ihrer Satzung – worauf sich der Antrag der übrigen Fraktionsmitglieder vom 30. Januar 2020 ausdrücklich bezieht – das Vorliegen eines „wichtigen Grundes“ und nimmt damit die oben genannten verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechend auf. Einer weitergehenden Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs des „wichtigen Grundes“ in der Satzung bedarf es nicht (vgl. Morlok, JZ 2019, 790 [792]; vgl. im Ergebnis auch LVerfG SH, Urteil vom 29. August 2019 – 1/19 –, NordÖR 2019, 467 [474]).

68

Einen danach maßgeblichen „wichtigen Grund“ für den Fraktionsausschluss hat die Antragsgegnerin darin gesehen, dass das Vertrauensverhältnis der Fraktion zur Antragstellerin derart nachhaltig gestört sei, dass eine weitere Zusammenarbeit mit ihr unzumutbar sei, und sie durch ihr Verhalten das Ansehen der Fraktion in der Öffentlichkeit nachhaltig geschädigt und damit die Außenwirkung der Fraktion und deren Wirkungsmöglichkeiten beeinträchtigt habe. Nach den obigen Darlegungen können beide dieser Gründe einen Fraktionsausschluss grundsätzlich rechtfertigen.

69

Die Entscheidung der Antragsgegnerin ist in der auf eine Willkürkontrolle beschränkten verfassungsgerichtlichen Überprüfung inhaltlich nicht zu beanstanden. Sie hat ihrer Entscheidung nicht evident unzutreffende tatsächliche Annahmen zu Grunde gelegt und auf dieser Grundlage in willkürfreier Weise den Fraktionsausschluss beschlossen.

70

a) Die für den Fraktionsausschluss von der Antragsgegnerin herangezogene tatsächliche Entscheidungsgrundlage begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Als solche hat die Antragsgegnerin – aus dem gesamten Verfahren und insbesondere aus dem Protokoll der Fraktionssitzung vom 11. Februar 2020 erkennbar – auf das persönliche Verhalten der Antragstellerin in der Zusammenarbeit abgestellt. Die entsprechenden tatsächlichen Annahmen sind nicht evident unzutreffend.

71

Es steht zunächst fest, dass die Antragstellerin in der Plenardebatte am 23. Oktober 2019 die im Ausschlussantrag genannten und sich aus dem Protokoll ergebenden Äußerungen zu einer Unterrichtsversorgung in Höhe von 105 % getan hat, ohne dass diese – über die im Koalitionsvertrag angestrebte 100%ige Versorgung hinausgehende – Äußerung aus dem Redemanuskript erkennbar bzw. mit den Fraktionskollegen zuvor abgestimmt war. Gleichermaßen steht fest, dass diese Äußerung von den Fraktionsmitgliedern und von der Öffentlichkeit als eine politische Forderung aufgefasst worden war.

72

Weiter steht fest, dass die Antragstellerin ihre öffentlichen Stellungnahmen – in der Sitzung des Landtagsausschusses für Gleichstellung und Frauenförderung und anschließend gegenüber der Öffentlichkeit – zum Thema „sexuelle Gewalt an Schulen“ im Vorfeld der Sitzung sowie danach nicht mit der Fraktion abgestimmt hat und diese Äußerungen von den Fraktionsmitgliedern und von der Öffentlichkeit als Vorwurf an die Landesregierung, Fälle von sexuellen Missbrauchs würden nicht mit der notwendigen Konsequenz verfolgt, aufgefasst wurden.

73

Des Weiteren steht fest, dass die Antragstellerin den Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktion als Reaktion auf dessen telefonische Missbilligung ihres Verhaltens am Abend des 23. Januar 2020 auf sein angebliches Fehlverhalten in privaten Angelegenheiten hingewiesen sowie im weiteren Fortgang versucht hat, diesem seine dem Antrag auf Fraktionsausschluss u.a. zu Grunde gelegte Darstellung über das Telefonat gerichtlich verbieten zu lassen. Soweit die Antragsgegnerin ihrer Entscheidung (auch) die Aussage des Parlamentarischen Geschäftsführers der Fraktion über das Telefonat zu Grunde gelegt hat, ist der bloß behauptende Vortrag der Antragstellerin, seine Aussage sei unzutreffend, demgegenüber nicht geeignet, dieser Annahme substantiiert entgegenzutreten. Die Einschätzung, inwieweit die Entscheidung über den Fraktionsausschluss über den – feststehenden – Umstand, dass die Antragstellerin im Hinblick auf die Passage im Antrag auf Fraktionsausschluss ein zivilgerichtliches Verfahren angestrengt hat, hinaus (auch) davon abhängt, ob die Äußerungen der Antragstellerin in dem Telefonat wie von dem Parlamentarischen Geschäftsführer geschildert gefallen sind, unterfällt bereits der fraktionseigenen Bewertung. Sie hängt in der Sache nämlich von fraktionsspezifischen Maßstäben ab, ob und wodurch im Einzelnen die fraktionsinterne Vertrauensbasis gestört ist oder die Darstellung in der Öffentlichkeit das Ansehen der Fraktion schädigt. Wie die Antragsgegnerin ausgeführt hat, war für sie – isoliert gesehen – das Vertrauensverhältnis vor allem dadurch erheblich beschädigt, dass die Antragstellerin die strittige und zunächst fraktionsinterne Angelegenheit öffentlich gemacht und dadurch Fraktionsinterna und persönliche Umstände von Fraktionskollegen ohne Not in die Öffentlichkeit getragen habe, ohne zuvor intern eine für beide Seiten verträgliche Lösung angestrebt zu haben. Soweit die Antragsgegnerin darüber hinaus im Ausschlussantrag von einer „persönlich motivierten Drohung“ spricht, die „völlig infam“ sei und damit (auch) auf den Inhalt des Telefonats abstellt, reicht die Frage des erforderlichen Grades des Erwiesenseins in den Bereich der fraktionsinternen Wertungen hinein und ist lediglich einer Evidenzkontrolle zugänglich. Ob einer Aussage „geglaubt“ wird, ist ganz wesentlich von persönlichen Einschätzungen und Erfahrungen abhängig. Jedenfalls wenn sich zwei widersprechende Aussagen gegenüberstehen – hier im Zeitpunkt der Beschlussfassung die (jeweils durch eidesstattliche Versicherungen im Verfahren vor dem Landgericht untermauerten) Aussagen der Antragstellerin und des Parlamentarischen Geschäftsführers der Antragsgegnerin –, bewegt sich die fraktionseigene, ganz maßgeblich persönlichkeitsbezogene Bewertung, der einen oder der anderen Aussage zu glauben und diese der Entscheidung über den Fraktionsausschluss zu Grunde zu legen, innerhalb des der Fraktion zustehenden Entscheidungsspielraums auf der ihrer Ausschlussentscheidung vorgelagerten Tatsachenebene. Weitere „Beweise“ hatte die Antragstellerin der Fraktionsversammlung nicht angeboten. Eine nachträgliche Aufklärung – sollten für eine solche überhaupt Ansatzpunkte bestehen – durch den Verfassungsgerichtshof scheidet wie oben ausgeführt aus; gleichsam kann der Verfassungsgerichtshof keine „bessere“ Beweiswürdigung an Stelle der Fraktion vornehmen (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [453]).

74

Gleichermaßen steht fest, dass die „Aufarbeitung“ der Geschehnisse in der Ausschusssitzung in der Folge sich zumindest nicht komplikationslos gestaltete, was insbesondere eine konkretere Information über die von ihr dort angesprochenen Sachverhalte und die Ermöglichung der Vorbereitung der Sondersitzung des Ausschusses für Bildung betrifft, zumal – was die Antragstellerin nicht bestritten hat – die Fraktion insgesamt erst aus den Medien von ihren Äußerungen erfahren hat. Der Ausschlussantrag beschreibt in diesem Zusammenhang die Fraktionsversammlung am 29. Januar 2020 dahingehend, dass die Antragstellerin diese zunächst kurzzeitig und später endgültig verlassen hat, als für die übrigen Fraktionsmitglieder offenbar noch Erörterungsbedarf bestanden hat. Dem ist die Antragstellerin in tatsächlicher Hinsicht nicht entgegen getreten. Im Übrigen zeigen auch die Äußerungen der Antragstellerin selbst, dass die Aufarbeitung der Thematik jedenfalls auch von ihrer Seite als nicht vollkommen „reibungslos“ angesehen wurde: In der Anhörung am 11. Februar 2020 hat sie auf den Einwand, sie habe noch immer nicht für eine vollständige Aufklärung der Vorwürfe gesorgt, angeführt, sie werde unmittelbar im Anschluss an die Fraktionssitzung Kontakt mit dem Bildungsministerium aufnehmen und wolle „ihr Versprechen einlösen“; dies geschehe erst jetzt, weil „sie mit anderen Dingen beschäftigt gewesen sei“. Weiter hat sie sich dahingehend geäußert, es wäre „rückblickend vielleicht besser gewesen, alle Unterlagen zur Verfügung zu stellen, was sich aber so nicht ergeben habe“ (vgl. Protokoll zur Sitzung der Fraktionsversammlung am 11. Februar 2020, Anlage 12 zum Schriftsatz der Antragstellerin vom 15. Juli 2020, S. 7, Bl. 128 d. GA).

75

Ebenso steht der Umstand fest, dass die Antragstellerin die Plenarsitzung am 29. Januar 2020 vorzeitig verlassen hat, ohne sich abzumelden. Was die Plenarsitzung am 13. November 2019 betrifft, so ist die Antragsgegnerin im maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Ausschlussantrag ebenso von einer nicht evident unzutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen. Der Ausschlussantrag geht dabei erkennbar davon aus, dass das Verhalten der Antragstellerin in einem Presseartikel vom 14. November 2019 zutreffend dahingehend beschrieben wurde, dass sie den Reden der Bildungsministerin und der Fraktionsvorsitzenden keinen Beifall gespendet hat. In der Anhörung am 11. Februar 2020 hat die Antragstellerin dies ausweislich des Protokolls nicht ausdrücklich – tatsächlich – bestritten, sondern sie hat vielmehr eine Erklärung dafür angeführt, nämlich dass sie diesen Aspekt kritischer sehe (vgl. die Ausführungen im Schriftsatz der Antragstellerin vom 15. Juli 2020, S. 19, Bl. 20 d. GA zu ihrer Äußerung in der Anhörung: „Wenn ich […] eine Rede […] nicht mit dem vermeintlich gebührenden Applaus bedachte, dann lag das einzig und allein in der Tatsache begründet, dass ich die […] Zielerreichung […] kritischer sehe. […] Mein Verhalten in dieser Sitzung gar als Rechtfertigung für einen Ausschluss […] heranzuziehen, ist für mich nicht nachvollziehbar.“). Soweit sie in ihrer Antragsschrift geltend macht, der Sachverhalt stehe „nicht ohne Weiteres fest“, so liegt ein nunmehriges – bloßes – Bestreiten zum einen nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung der Fraktionsversammlung, zum anderen ist es aber auch ansonsten widersprüchlich. Die Angabe von Gründen, warum jemand ein bestimmtes Verhalten an den Tag gelegt hat, ergibt nämlich dann keinen Sinn, wenn der Betreffende behauptet, es habe dieses Verhalten überhaupt nicht gegeben. Im Übrigen wäre das Bestreiten aber auch unsubstantiiert, weil die Antragstellerin noch nicht einmal behauptet, die Beschreibung der Sitzung in der Presse sei falsch. Insoweit war ihr Vorbringen auch kein – erforderliches – substantiiertes Bestreiten der Tatsachengrundlage. Ihre Sichtweise, sie sei „in ihrer Anhörung am 10.02.2020 substantiiert entgegen getreten“ (vgl. Schriftsatz der Antragstellerin vom 15. Juli 2020, S. 35, Bl. 36 d. GA), trifft daher nicht zu.

76

Diese tatsächlichen Annahmen waren ausweislich des Antrags auf Ausschluss der Antragstellerin aus der Fraktion sowie des Sitzungsprotokolls Gegenstand der in der Fraktionssitzung erfolgten Aussprache und damit Grundlage der Beschlussfassung. Maßgeblich ist die Antragsgegnerin von einem Sachverhalt ausgegangen, der als solcher feststeht bzw. dessen Bestreiten seitens der Antragstellerin nicht tauglich ist. Dass die Antragstellerin diese Umstände in der Sache anders interpretiert und bewertet als die Antragsgegnerin – etwa hinsichtlich der Ausführungen zur Unterrichtsversorgung im Wahlprogramm der FDP zur Landtagswahl 2016 –, betrifft nicht die Frage nach einer hinreichenden Tatsachengrundlage für die Entscheidung über den Fraktionsausschluss. Insgesamt stellen nach alledem ihre Ausführungen keine hinreichend substantiierten Einwände dar, um die dem Fraktionsausschluss zu Grunde gelegte Entscheidungsgrundlage in Zweifel ziehen. Soweit sie behauptet, die Ausschlussgründe fänden keinen Ausgangspunkt in einem feststehenden Tatsachenkern, so trifft dies nach alledem nicht zu.

77

Damit hat die Antragsgegnerin dem Fraktionsausschluss keine evident unzutreffenden tatsächlichen Annahmen zu Grunde gelegt. In diesem Rahmen bedurfte es daher keiner tatsächlichen Aufklärung – insbesondere keiner Beweiserhebung – seitens des Verfassungsgerichtshofs (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [453] m.w.N.).

78

b) Auf dieser Entscheidungsgrundlage hat die Antragsgegnerin in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise einen „wichtigen Grund“ für den Fraktionsausschluss bejaht. Die inhaltliche Bewertung, ob das der Antragstellerin vorgeworfene Verhalten einen „wichtigen Grund“ für den Fraktionsausschluss darstellt, unterfällt dem Wertungsspielraum der Fraktion. Allein in ihrer Definitionsmacht liegt die Einschätzung, ob durch das der Antragstellerin vorgeworfene Verhalten das Vertrauensverhältnis zu den übrigen Fraktionsmitgliedern so nachhaltig gestört ist, dass den anderen Mitgliedern eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zugemutet werden kann. Denn inwieweit ein Verhalten in der Gesamtschau (vgl. VerfG Brandenburg, Beschluss vom 16. Oktober 2003 – 4/03 –, NVwZ-RR 2004, 161 [162]; Morlok, JZ 2019, 790 [792]) das für eine wirkungsvolle Fraktionsarbeit erforderliche Vertrauensverhältnis zerstört hat, kann genauso wie der Umstand, ob es der Fraktion in der Öffentlichkeit einen Schaden zugefügt hat, ausschließlich an politischen und sonstigen innerfraktionellen Maßstäben gemessen werden.

79

Die Einschätzung der Antragsgegnerin, das Verhalten der Antragstellerin beschädige die vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Fraktion nachhaltig, kann danach nicht als willkürlich beanstandet werden. Die Antragsgegnerin durfte vielmehr im Rahmen ihres Entscheidungsspielraums willkürfrei annehmen, dass ihr das geschilderte Verhalten der Antragstellerin jedenfalls in der Gesamtschau, aber auch bereits isoliert im Hinblick auf deren Äußerungen in der Ausschusssitzung am 23. Januar 2020 und ihr anschließendes Verhalten im Zusammenhang mit dem Telefonat mit dem Abgeordneten B., dem Parlamentarischen Geschäftsführer der Antragsgegnerin, eine weitere Zusammenarbeit unzumutbar gemacht hat.

80

aa) Die wirkungsvolle Zusammenarbeit in der Fraktion hängt nicht nur von wechselseitigen Loyalitäten in politischen Inhalten ab (sog. „Tendenztreue“, vgl. Morlok, JZ 2019, 2019, 790 [791]). Das arbeitsteilige Vorgehen und die „Überlassung politischer Felder an Fraktionskollegen“ (vgl. Morlok, ZParl 35 [2004], 633 [641]) erfordert nicht nur eine Verlässlichkeit in inhaltlicher, sondern auch in persönlicher Hinsicht. Die sinnvolle Arbeitsteilung in der Fraktion bedingt, dass jedes Fraktionsmitglied grundsätzlich auf den Sachverstand und die Empfehlungen jedes anderen vertraut (vgl. H.H. Klein, ZParl 35 [2004], 627 [628]; ders./Krings, in: Morlok/Schliesky/ Wiefelspütz [Hrsg.], Parlamentsrecht, 2016, § 17 Rn. 43). Vielmehr erfordert der Charakter der Fraktion als „Arbeitsgemeinschaft“ auch ein anhaltendes wechselseitiges Vertrauen der Fraktionsmitglieder zueinander, das die persönliche Zuverlässigkeit und Umgänglichkeit einschließt und einen Schwerpunkt in der persönlichen Verlässlichkeit hat (Morlok, ZParl 35 [2004], 633 [635, 641]; ders., JZ 2019, 790 [791]; vgl. auch OVG Saarl., Beschluss vom 20. April 2012 – 2 B 105/12 –, NVwZ-RR 2012, 613 [615]: „zumindest verträgliches Miteinander“). Das arbeitsteilige Zusammenwirken der Abgeordneten in einer Fraktion bedingt eine grundsätzliche Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit und damit ein wechselseitiges Grundvertrauen der Mitglieder untereinander (vgl. Butzer, in: Epping/Hillgruber [Hrsg.], GG, 3. Aufl. 2020, Art. 38 Rn. 184). Die einzelnen Fraktionsmitglieder dürfen eine wechselseitige Rücksichtnahme erwarten (vgl. P. Müller, in: v. Mangoldt/Klein/Starck [Hrsg.], GG, 7. Aufl. 2018, Art. 38 Rn. 98). Das danach erforderliche Vertrauensverhältnis bezieht sich auf den Abgeordneten als Person; Störungen können daher nicht nur aus der parlamentarischen Arbeit, sondern auch aus einem persönlichen Verhalten – auch außerhalb der Fraktion – folgen (vgl. VerfGH Berlin, Urteil vom 22. November 2005 – 53/05 –, NVwZ-RR 2006, 441 [445]; Lenz, NVwZ 2005, 364 [368]).

81

Nicht jedes Abweichen von der Fraktionslinie wird bereits zu einem Vertrauensverlust führen und die Fraktion muss bis zu einem gewissen Grade auch eine „innerfraktionelle Opposition“ und interne Meinungsverschiedenheiten aushalten können (vgl. H.H. Klein, ZParl 35 [2004], 627 [631]; VerfG Brandenburg, Beschluss vom 16. Oktober 2003 – 4/03 –, NVwZ-RR 2004, 161 [162]). Denn das freie Mandat (Art. 79 Abs. 2 LV) wird durch die Anforderungen der in Fraktionen organisierten parlamentarischen Arbeit zwar mit geprägt, dies jedoch ohne den Grundsatz der Freiheit des Mandats zu verdrängen. Im organisatorischen Zusammenschluss zu Fraktionen geht die Freiheit des Mandats und damit die notwendige Entscheidungsfreiheit und Selbstverantwortlichkeit des einzelnen Abgeordneten nicht verloren, sondern bleibt innerhalb der Fraktionen und bei einzelnen Abweichungen von der Fraktionsdisziplin erhalten (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1959 – 2 BvE 2/58 u.a. –, BVerfGE 10, 4 [14]; Urteil vom 8. Dezember 2004 – 2 BvE 3/02 –, BVerfGE 112, 118 [135]; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/ Wiefelspütz [Hrsg.], Parlamentsrecht, 2016, § 12 Rn. 20; Austermann/Waldhoff, Parlamentsrecht, 2020, Rn. 278).

82

Gerade dann aber erfordert eine effektive, vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Fraktion es jedoch, dass Meinungsverschiedenheiten miteinander sachlich besprochen werden und alle Beteiligten an einer für alle akzeptablen Lösung konstruktiv mitwirken. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit in einer Fraktion verlangt somit auch die grundsätzliche Bereitschaft zum gedeihlichen Zusammenwirken, dies auch und gerade in der Auseinandersetzung. Es bedarf insgesamt in der Person jedes Einzelnen einer entsprechenden Streitkultur, die nicht zuletzt die grundsätzliche Bereitschaft, die eigenen inhaltlichen Präferenzen gegebenenfalls zurückzustellen, einschließt (vgl. H.H. Klein/Krings, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz [Hrsg.], Parlamentsrecht, 2016, § 17 Rn. 43; P. Müller, in: v. Mangoldt/Klein/Starck [Hrsg.], GG, 7. Aufl. 2018, Art. 38 Rn. 56). Hinzu kommt, dass die vertrauensvolle Zusammenarbeit in einer Fraktion neben Loyalität auch ein Mindestmaß an Diskretion verlangt, das für eine abgestimmte politische Arbeit unerlässlich ist (vgl. OVG Saarl., Beschluss vom 20. April 2012 – 2 B 105/12 –, NVwZ-RR 2012, 613 [615]).

83

bb) Dem läuft es zuwider, wenn ein Fraktionsmitglied seinen – fraktionsinternen – Konflikt mit den übrigen Fraktionsmitgliedern unmittelbar in der Öffentlichkeit austrägt. Dass die Antragsgegnerin insoweit ein mit dem notwendigen Vertrauensverhältnis unvereinbares Verhalten der Antragstellerin angenommen hat, ist daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Führen einer rein fraktionsinternen Auseinandersetzung über die Reichweite innerfraktioneller politischer Abstimmungs- und Kooperationspflichten mit den Mitteln des fachgerichtlichen Rechtsschutzes kann danach willkürfrei als schwerer Loyalitätsverstoß gewertet werden. Zudem bleibt nach wie vor im Dunkeln, warum die Antragstellerin angesichts des von ihr behaupteten Einigungswillens den (von ihr nach wie vor bestrittenen bzw. anders dargestellten) Inhalt des Telefonats – der unbestritten auch persönliche Lebensumstände ihres Fraktionskollegen zum Gegenstand hatte – und Fraktionsinterna auf diesem Wege aus dem fraktionsinternen Raum in die Öffentlichkeit getragen hat, zumal sie selbst – vor der Beschlussfassung der Fraktion über ihren Ausschluss – vor dem von ihr angerufenen Landgericht angegeben hat, die beanstandete Tatsachenbehauptung sei ausschließlich im Rahmen des Fraktionsausschlussverfahrens getätigt worden. Ebenso unklar bleibt, welcher positive Effekt für eine einvernehmliche fraktionsinterne Lösung des Konflikts aus der von der Antragstellerin für die Fraktionssitzung am 11. Februar 2020 (erfolglos) beantragten Medienöffentlichkeit hätte resultieren können. Mediale Begleitung kann jedenfalls auch in Zusammenhang mit der Frage eines Fraktionsausschlusses durchaus geeignet sein, politische Handlungsspielräume zu verengen (vgl. H.H. Klein, ZParl 35 [2004], 627 [632]).

84

Bereits angesichts dessen war es frei von Willkür, (alleine) auf dieser Grundlage einen irreparablen Vertrauensverlust anzunehmen.

85

Darüber hinaus widerspricht es dem für eine effektive arbeitsteilige Aufgabenwahrnehmung erforderlichen Vertrauensverhältnis, wenn ein Abgeordneter – wie hier die Antragstellerin – zumindest auf wesentlichen Politikfeldern politische Vorstöße unternimmt, die er zuvor nicht mit der Fraktion abgestimmt hat. Mit dem Anschluss an eine Fraktion geht der Abgeordnete eine politische Kooperationsverpflichtung ein (vgl. H.H. Klein, ZParl 35 [2004], 627 [628]), die eine Bereitschaft der Fraktionsmitglieder zur politischen Abstimmung erfordert. Diese Pflicht schließt, wie dargelegt, auch die grundsätzliche Bereitschaft ein, gegebenenfalls persönliche inhaltliche Präferenzen zurückzustellen (H.H. Klein/Krings, in: Morlok/Schliesky/ Wiefelspütz [Hrsg.], Parlamentsrecht, 2016, § 17 Rn. 43; P. Müller, in: v. Mangoldt/Klein/Starck [Hrsg.], GG, 7. Aufl. 2018, Art. 38 Rn. 56). Eine solche Abstimmungspflicht setzt die Geschäftsordnung der Antragsgegnerin in § 4 Abs. 1 und § 7 im Übrigen auch voraus. Anders als die Antragstellerin meint, ist es der Fraktionsführung daher auch nicht verwehrt, sie – durchaus auch nachdrücklich – zur Einhaltung dieser Abstimmungs- und Kooperationsverpflichtung zu gemahnen (vgl. H.H. Klein, ZParl 35 [2004], 627 [628]). Durch ihre Fraktionsmitgliedschaft hat sich die Antragstellerin dieser Regelung, die als verbindliches Binnenrecht der Fraktion auch für sie gilt (vgl. Kürschner, DÖV 1995, 16 [18] m.w.N.), vielmehr freiwillig unterworfen (vgl. Hölscheidt, Das Recht der Parlamentsfraktionen, 2001, S. 479) und kann sich ihr als Mitglied der Fraktion nicht einseitig entziehen. Im Übrigen dient es der „Fraktionssolidarität“ bzw. „Fraktionsloyalität“, abweichendes Verhalten zumindest vorab mitzuteilen und dazu eine Begründung abzugeben (vgl. Butzer, in: Epping/Hillgruber [Hrsg.], GG, 3. Aufl. 2020, Art. 38 Rn. 131; Austermann/Waldhoff, Parlamentsrecht, 2020, Rn. 280).

86

Erst recht in der Zusammenschau bzw. in der Gesamtbetrachtung der Vorkommnisse durfte die Antragsgegnerin willkürfrei ihre Entscheidung zusätzlich auch auf die Äußerungen der Antragstellerin in der Plenarsitzung am 23. Oktober 2019 zur Unterrichtsversorgung stützen. Es ist frei von Willkür, dass die Antragsgegnerin die von ihren Mitgliedern und der Öffentlichkeit als eine solche verstandene politische Forderung der Antragstellerin nach einer höheren als der im Koalitionsvertrag als Ziel angegebenen Unterrichtsversorgung, die für die Fraktionskollegen im Vorfeld nicht erkennbar und nicht abgestimmt war, als dieser Kooperationsverpflichtung und der Loyalitätserwartung der Fraktionsmitglieder zuwiderlaufend und damit als das Vertrauensverhältnis störend angesehen hat. Aus den Ausführungen der Antragsgegnerin wird insoweit deutlich, dass sie der Antragstellerin nicht die „bloße“ Äußerung als solche vorhält, sondern vielmehr den Umstand, dass sie ohne Vorankündigung und Abstimmung im landespolitisch bedeutsamen Bereich der Unterrichtsversorgung eine politische Forderung von erheblicher Tragweite in den Raum gestellt hat. Dass die Fraktionskollegen sich mit Blick auf das anderslautende Redemanuskript „getäuscht und hintergangen“ gefühlt haben, ist als fraktionsspezifische Einschätzung jedenfalls nicht willkürlich. Soweit die Antragstellerin dem entsprechenden Vorwurf damit entgegen treten will, dass sie keine Forderung erhoben habe, sondern ihre (perspektivische) Äußerung eine Idealvorstellung gewesen sei, die sich auch im Wahlprogramm der FDP gefunden habe, so betrifft dies (lediglich) ihr subjektives Verständnis des Inhalts der Äußerung. Ungeachtet dessen, wie die Antragstellerin ihre Äußerung „gemeint haben“ oder „verstanden wissen“ will, hat sie damit eine Aussage in den Raum gestellt, die für die Fraktionskollegen vorher nicht absehbar war und die allseits als über die Koalitionsvereinbarung hinausgehende Forderung wahrgenommen und im politischen Kontext entsprechend bewertet wurde.

87

Auch die Bewertung der Antragsgegnerin, die Antragstellerin habe durch ihre Äußerungen im Ausschuss für Gleichstellung und Frauenförderung betreffend das Thema „sexueller Missbrauch an Schulen“ und ihr sich daran anschließendes Verhalten das Vertrauensverhältnis zerstört, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Antragsgegnerin stellt dabei nicht alleine auf die – vorher nicht in der Fraktion thematisierte – Äußerung in der Ausschusssitzung ab, die von den Fraktionsmitgliedern und der Öffentlichkeit als Vorwurf an die Landesregierung verstanden wurde. Der Einwand der Antragstellerin, sie habe diese vorher in der Fraktionsversammlung nicht besprechen können, weil sie nicht gewusst habe, was am folgenden Tag in der Sitzung thematisiert werden würde, ist daher ohne Belang. Gleiches gilt hinsichtlich ihres Hinweises auf die Äußerung eines Referenten des Bildungsministeriums in der Sitzung sowie darauf, dass sie die Äußerungen spontan gemacht habe. Offen bleiben kann daher, inwieweit der Antragstellerin als ehemaliger Schulleiterin ein hinreichendes Bewusstsein für die Sensibilität dieses Themas und für die (vorhersehbaren) politischen und medialen Auswirkungen ihrer Äußerungen unterstellt werden kann. Aus dem Vorbringen der Antragsgegnerin lässt sich vielmehr im Kern und in der Gesamtwürdigung als für die Fraktionsmitglieder entscheidend herauslesen, dass die Antragstellerin sich zu einer in der Fraktion zuvor nicht besprochenen Thematik in einem brisanten Bereich geäußert hat und dabei – so jedenfalls aus Außensicht – der von der Fraktion getragenen Landesregierung den Vorwurf gemacht hat, diese würde nicht adäquat reagieren, und im Anschluss daran – insbesondere in der Fraktionsversammlung am 29. Januar 2020 – eine für die Fraktion angemessene Aufarbeitung dieser Thematik nicht ermöglicht und sich zuvor bzw. parallel ohne Abstimmung mit der Fraktion in der Öffentlichkeit bzw. der Presse geäußert hat. Es ist offenkundig, dass die „Aufarbeitung“ unter Mitwirkung der Antragstellerin insgesamt jedenfalls nicht „reibungslos“ verlaufen ist – was auch die Antragstellerin selbst zumindest teilweise kritisch gesehen hat. Wie die übrigen Fraktionskollegen anknüpfend an diese Vorkommnisse die darin zum Ausdruck kommende Art und Weise der Zusammenarbeit und die Schwere der Auswirkungen auf das Vertrauensverhältnis innerhalb der Fraktion bewerten, unterfällt in erster Linie der fraktionsspezifischen Betrachtung. Willkür lässt sich in alldem jedenfalls nicht feststellen.

88

Ausgehend von diesen – wie ausgeführt zum Teil bereits isoliert die Annahme eines endgültigen Vertrauensverlusts rechtfertigenden – Gesichtspunkten unterliegt die Bewertung der „Gesamtschau“ des Verhaltens der Antragstellerin keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, ohne dass es für die hier zu treffende Prüfung noch im Einzelnen auf das Verhalten in der Plenarsitzung am 13. November 2019 (keine Beifallsbekundung) und der verfassungsrechtlichen Bewertung einer darauf bezogenen „Vorwerfbarkeit“ im Hinblick auf die Grenzziehung zwischen Fraktionsdisziplin und Fraktionszwang ankommt (vgl. zur Androhung des Fraktionsausschlusses bei einer nicht völlig mit der von der Fraktion vertretenen Auffassung übereinstimmenden Rede etwa BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1959 – 2 BvE 2/58, 2 BvE 3/58 –, BVerfGE 10, 4 [15]; siehe auch VerfGH BW, Urteil vom 27. Oktober 2017 – 1 GR 35/17 –, NVwZ-RR 2018, 129, [131]). Die von der Antragstellerin geäußerten – und jedenfalls nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisenden – verfassungsrechtlichen Bedenken, insoweit würde ein in Betätigung ihres freien Mandats erfolgtes Verhalten missbilligt und nachträglich bestraft, bedürfen hier keiner weiteren Auseinandersetzung, denn die Antragsgegnerin hat ausdrücklich klargestellt, dass auch nach ihrer Bewertung dieses Verhalten „noch nicht zwingend“ einen Fraktionsausschluss rechtfertigen könnte. Dies beansprucht gleichermaßen Geltung, soweit sie das Verhalten der Antragstellerin in der Plenarsitzung am 29. Januar 2020 – vorzeitiges Verlassen der Sitzung ohne Abmeldung – ebenfalls in diese Gesamtbetrachtung einbezogen hat.

89

Soweit die Antragsgegnerin aus dem Umstand, dass die Antragstellerin im Rahmen ihrer Anhörung am 11. Februar 2020 in der Fraktionsversammlung auf Nachfrage bejaht hat, dass die „Zusammenarbeit weiterhin über Anwälte stattfinden solle“, auf einen (anhaltenden) Mangel an Kooperationsbereitschaft und Vertrauen geschlossen hat, stellt sich dies gleichfalls nicht als willkürlich dar. Im Gegenteil unterstreicht diese Äußerung vielmehr, dass die Antragstellerin selbst die Vertrauensbasis für ein gedeihliches Zusammenarbeiten innerlich zu verneinen scheint, wenn sie ankündigt, ihren Fraktionskollegen weiterhin nur unter Zuhilfenahme rechtlichen Beistands begegnen zu wollen. Gleiches gilt insoweit, als sie ihre Bereitschaft zur vertrauensvollen Zusammenarbeit von „anderen“ Regeln abhängig macht als denen, die sich die Fraktionsmitglieder – sie eingeschlossen – bei ihrem Zusammenschluss gegeben haben und die die anderen Mitglieder als Grundlage ihrer Zusammenarbeit ansehen. Die selbst gegebene Fraktionsgeschäftsordnung ordnet als verbindliches Binnenrecht der Fraktion das Verfahren der zusammengeschlossenen Abgeordneten. Ihre Einhaltung ist nicht in das freie Belieben der einzelnen Fraktionsmitglieder gestellt (vgl. Kürschner, DÖV 1995, 16 [18]; Butzer, in: Epping/Hillgruber [Hsrg.], GG, 3. Aufl. 2020, Art. 38 Rn. 195; Brocker, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 40 Rn. 224 [Sep. 2019]). Im Hinblick darauf ist auch die Einschätzung der Antragsgegnerin frei von Willkür, dass mit einer Wiederherstellung eines für eine gedeihliche Zusammenarbeit erforderlichen Vertrauensverhältnisses nicht mehr gerechnet werden kann.

90

Ohne dass es nach dem vorstehend Ausgeführten hierauf noch ankäme, ist auch die Wertung der Antragsgegnerin, die Antragstellerin habe das Ansehen der Fraktion in der Öffentlichkeit durch ihr Verhalten nachhaltig geschädigt und damit die Außenwirkung der Fraktion und deren Wirkungsmöglichkeiten beeinträchtigt, nach den obigen Ausführungen frei von Willkür. Dabei ist es insbesondere nicht entscheidend, wie die Antragstellerin ihre in die Gesamtbewertung des Fraktionsausschlusses einbezogenen Äußerungen im Einzelnen „gemeint“ haben will. Vielmehr hat sie als Abgeordnete für „die rein objektive Wirkung des eigenen Verhaltens“ im Sinne einer „Gefährdungshaftung“ einzustehen (vgl. Morlok, ZParl 35 [2004], 633 [642 f.]). In diesem Zusammenhang ist zudem daran zu erinnern, dass es insbesondere auch in den Entscheidungsspielraum der Fraktion fällt, wie lange sie glaubt, einen Störer in ihren Reihen aushalten zu können bzw. umgekehrt ab wann erst die Trennung von dem Betroffenen aus ihrer Sicht „die Rückgewinnung ihres politischen Handlungsspielraums verheißt“ (H.H. Klein, ZParl 35 [2004], 627 [632]).

91

Darüber hinaus ist es nicht Sache des Verfassungsgerichtshofs, seine eigene Bewertung an die von politischen und sonstigen innerfraktionellen Maßstäben geprägte Wertung der Antragsgegnerin zu setzen (VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [442] m.w.N.). Dies gilt in Fällen wie dem vorliegenden, bei dem es neben rein politischen Implikationen ganz maßgeblich und vor allem auf persönliche Erfahrungen und Eindrücke der Beteiligten ankommt, in besonderem Maße (vgl. VerfG Brandenburg, Beschluss vom 16. Oktober 2003 – 4/03 –, NVwZ-RR 2004, 161 [162]).

92

c) Auch der Einwand der Antragstellerin, der Fraktionsausschluss sei unverhältnismäßig, weil er nur als „letztes Mittel“ in Betracht komme und vorliegend eine förmliche Abmahnung bzw. Ermahnung oder ein Ausschussrückruf seitens der Fraktion ausreichend gewesen wären, verfängt nicht. Soweit die Antragsgegnerin im Rahmen ihres Entscheidungsspielraums in willkürfreier Weise einen „wichtigen Grund“ für einen Fraktionsausschluss bejaht hat, ist die Frage nach einem milderen Mittel bereits dorthin vorverlagert (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [455]; LVerfG SH, Urteil vom 29. August 2019 – 1/19 –, NordÖR 2019, 467 [475]; Lenz, NVwZ 2005, 364 [369]). In diesem Sinne ist es jedenfalls angesichts der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Annahme, den Fraktionsmitgliedern könne die weitere Zusammenarbeit mit der Antragstellerin wegen des zerstörten Vertrauensverhältnisses nicht mehr zugemutet werden, nicht zu beanstanden, darüber hinaus für ein milderes Mittel kein Raum mehr zu sehen (vgl. auch VerfGH RP, Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [455]).

D.

93

Das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist kostenfrei (§ 21 Abs. 1 VerfGHG). Gründe für die Anordnung der vollen oder teilweisen Erstattung der Auslagen gemäß § 21a Abs. 3 VerfGHG, die im Organstreitverfahren nur ausnahmsweise in Betracht kommt, wenn besondere Billigkeitsgründe vorliegen (vgl. entspr. BVerfG, Urteil vom 2. März 1977 – 2 BvE 1/76 –, BVerfGE 44, 125 [166 f.]; Beschluss vom 20. Mai 1997 – 2 BvH 1/95 –, BVerfGE 96, 66 [67]; Beschluss vom 11. Dezember 2018 – 2 BvE 1/18 –, BVerfGE 150, 194 [203 Rn. 29]), liegen wechselseitig nicht vor.

E.

94

Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – RVG – (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 20. August 2014 – VGH B 16/14 –, AS 43, 45 f.; Beschluss vom 20. Oktober 2014 – VGH A 17/14 –, AS 43, 92 f.; Beschluss vom 25. November 2016 – VGH N 18/14 –, n.v.; Beschluss vom 27. Oktober 2017 – VGH N 2/15 –, juris Rn. 3; Urteil vom 29. Januar 2019 – VGH O 18/18 –, AS 46, 425 [456]).

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