Beschluss vom Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz - VGH W 4/21

Tenor

Die Nichtanerkennungsbeschwerde wird verworfen.

Gründe

A.

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Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Ablehnung der Anerkennung als Wählervereinigung für die Wahl zum 18. Landtag Rheinland-Pfalz.

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1. Am 6. Januar 2021 stellte der Kreiswahlausschuss für den Wahlkreis 4 (Neuwied) fest, dass die Beschwerdeführerin nicht als Wählervereinigung für die Wahl zum 18. Landtag Rheinland-Pfalz anzuerkennen ist, weil die Kriterien der Wählervereinigung für die Landtagswahl nicht erfüllt seien, und ließ deshalb ihren Wahlkreisvorschlag nicht zu. Angesichts von nur zwei Kreisverbänden und einer Mitgliederzahl von lediglich zwölf sei nicht ersichtlich, wie die Beschwerdeführerin auf Landesebene Einfluss auf die politische Willensbildung des Volkes nehmen und einen Wahlkampf mit dem Ziel parlamentarischer Vertretung bezogen auf das Land Rheinland-Pfalz führen wolle.

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2. Am 9. Januar 2021 hat die Beschwerdeführerin Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof gegen die Entscheidung des Kreiswahlausschusses erhoben. Der Kreiswahlausschuss habe fehlerhaft das für politische Parteien in § 2 Abs. 1 Satz 1 Parteiengesetz – ParteienG – normierte Kriterium, wonach „Parteien […] Vereinigungen von Bürgern [sind], die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des […] Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im […] Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit ihrer Ziele bieten“, unmittelbar auf sie übertragen und angewandt. Unabhängig davon habe sie aber auch in verschiedenen Teilen des Landes Informationsveranstaltungen und Demonstrationen durchgeführt, ein sechzehnseitiges Landtagswahlprogramm verabschiedet und halte Kontakt zu verschiedenen landesweit agierenden Organisationen und Verbänden und erfülle diese Voraussetzungen daher.

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3. Eine Beschwerde an den Landeswahlausschuss gegen die mit der Nichtanerkennungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof angegriffene Entscheidung des Kreiswahlausschusses nach § 42 Abs. 4 Landeswahlgesetz – LWahlG – hat die Beschwerdeführerin nicht eingelegt. Sie vertritt insoweit die Auffassung, die Beschwerdemöglichkeit nach § 42 Abs. 4 LWahlG sei gegenüber der Möglichkeit, unmittelbar Nichtanerkennungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof nach § 42 Abs. 5 LWahlG zu erheben, nachrangig. § 42 Abs. 5 LWahlG verdränge insoweit § 42 Abs. 4 als speziellere Norm.

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4. Der Verfassungsgerichtshof hat gemäß § 49a Abs. 2 des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof – VerfGHG – dem Kreiswahlausschuss für den Wahlkreis 4 (Neuwied) sowie dem Landtag, der Landesregierung und dem Landeswahlleiter Gelegenheit zur Äußerung gegeben.

B.

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Die als solche statthafte Nichtanerkennungsbeschwerde (Art. 82 Satz 5, Art. 135 Abs. 1 Nr. 7 der Verfassung für Rheinland-Pfalz – LV –, § 2 Nr. 3 Buchst. a VerfGHG, § 42 Abs. 5 Satz 1 LWahlG), ist unzulässig. Der Beschwerdeführerin fehlt das im Nichtanerkennungsbeschwerdeverfahren erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.

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1. Auch im Nichtanerkennungsbeschwerdeverfahren ist das Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers Voraussetzung für die Sachentscheidung (vgl. entspr. BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2013 – 2 BvC 2/13 –, BVerfGE 134, 121 [123]; Bechler/Neidhardt, NVwZ 2013, 1438 [1440]; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 96a Rn. 13; Müller-Terpitz, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer [Hrsg.], BVerfGG, § 96a Rn. 24 [Juli 2020]).

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Der erst im Jahr 2015 eingeführte spezielle Rechtsbehelf der Nichtanerkennungsbeschwerde (vgl. zur alten Rechtslage VerfGH RP, Beschluss vom 11. April 2014 – VGH B 19/14 –, NVwZ 2014, 1513 [1514]) stellt eine Durchbrechung des seinerseits in Art. 82 LV i.V.m. § 57 LWahlG verankerten Grundsatzes des Vorrangs der (nachgelagerten) Wahlprüfung (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 30. Oktober 2015 – VGH B 14/15 –, AS 44, 156 [160]) dar (vgl. entspr. Brocker, in: Epping/Hillgruber [Hrsg.], GG, 3. Aufl. 2020, Art. 41 Rn. 21.1; Drossel/Schemmel, NVwZ 2020, 1318 [1319]), der wiederum der Tatsache Rechnung trägt, dass bei einer Fülle von Einzelentscheidungen im Vorfeld eine Wahl wohl kaum termingerecht durchgeführt werden könnte (vgl. Strelen, in: Schreiber [Hrsg.], BWahlG, 10. Aufl. 2017, Einf. Rn. 31a; Glauben, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 41 Rn. 104 m.w.N. [März 2017]). Die Nichtanerkennungsbeschwerde ermöglicht lediglich in einem eng umschriebenen Anwendungsbereich, nämlich der Nichtanerkennung als Partei oder Wählervereinigung, eine partielle, vorgelagerte Wahlprüfung. In der Sache entfernt sich deren Prüfprogramm allerdings nicht von den allgemeinen Wahlprüfungsgrundsätzen (vgl. entspr. Brocker, in: Epping/Hillgruber [Hrsg.], GG, 3. Aufl. 2020, Art. 41 Rn. 21.1; Glauben, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 41 Rn. 110 [März 2017]).

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Zu diesen Grundsätzen gehört, dass der Beschwerdeführer die im Wahlvorbereitungs- und -prüfungsverfahren möglichen Rechtsbehelfe einlegen muss, um in einem (verfassungs-)gerichtlichen Verfahren nicht mit seinem Vorbringen präkludiert zu sein (vgl. Glauben, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 41 Rn. 164 u. 174 [März 2017]). Den Beschwerdeführer trifft daher die Obliegenheit, die von ihm beanspruchten Rechte mittels außergerichtlicher Rechtsbehelfe einzufordern (vgl. entspr. zur „Konfrontationsobliegenheit“ und zur „Einspruchsobliegenheit“ im politischen Prozess im Hinblick auf das Organstreitverfahren BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2017 – 2 BvE 6/16, BVerfGE 147, 31 [37 f.] und Beschluss vom 17. September 2019 – 2 BvE 2/18 –, BVerfGE 152, 8 [47 ff.]). Dies schließt die Obliegenheit ein, gesetzlich ausnahmsweise parallel statthafte Rechtsbehelfe parallel – bei Gericht und im Verwaltungsverfahren – einzulegen.

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2. Gemessen an diesem Maßstab ist von einem Beschwerdeführer zu verlangen, gegen die seinen Wahlkreisvorschlag zurückweisende Entscheidung des Kreiswahlausschusses nicht allein die Nichtanerkennungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof zu erheben (§ 42 Abs. 5 Satz 1 LWahlG), sondern parallel die allgemeine Beschwerde an den Landeswahlausschuss einzulegen (§ 42 Abs. 4 Satz 1 LWahlG). Ihn trifft eine entsprechende Beschwerdeobliegenheit.

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Anders als die Beschwerdeführerin geltend macht, wird die Beschwerde nach § 42 Abs. 4 LWahlG nicht durch § 42 Abs. 5 LWahlG in dessen Anwendungsbereich als speziellerer Norm verdrängt. Durch die Regelung in § 42 Abs. 5 Satz 3 LWahlG, wonach Absatz 4 dieser Bestimmung unberührt bleibt, wird im Gegenteil ausdrücklich klargestellt, dass das allgemeine und schon vor Einführung des Rechtsbehelfs der Nichtanerkennungsbeschwerde gesetzlich normierte Beschwerdeverfahren beim Landeswahlausschuss und das Beschwerdeverfahren beim Verfassungsgerichtshof nebeneinander erfolgen können. Die gesetzgeberische Entscheidung, beide Beschwerdemöglichkeiten parallel zuzulassen, hat ausweislich der Gesetzesbegründung ihren Grund allein darin, dass die Möglichkeit der Anrufung des Verfassungsgerichtshofs erst nach der Entscheidung des Landeswahlausschusses die Zeit für das gerichtliche Beschwerdeverfahren zu sehr verkürzen würde (vgl. LT-Drucks. 16/5027, S. 12 f.; Unglaub/Lehmler, Rheinland-Pfälzisches Landeswahlrecht, 17. Aufl. 2015, § 42 Erl. 42.4).

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Für eine Verkürzung des Anwendungsbereichs der allgemeinen Beschwerde zum Landeswahlausschuss nach § 42 Abs. 4 LWahlG durch die Einführung der Nichtanerkennungsbeschwerde ist auch sonst nichts ersichtlich. Der Gesetzgeber hat im Gegenteil deutlich gemacht, dass mit der Einführung der Nichtanerkennungsbeschwerde eine „erweiterte Rechtsschutzmöglichkeit“ (vgl. LT-Drucks. 16/5027, S. 7) eingeführt wird, die allerdings nicht den schon nach bisherigem Recht bestehenden Rechtsbehelf beim Landeswahlausschuss ersetzen soll. Prozessuale Folge dieser dem Zeitdruck bei der Wahlvorbereitung geschuldeten „doppelten“ Beschwerdemöglichkeit beim Landeswahlausschuss und zum Verfassungsgerichtshof ist lediglich, dass die Nichtanerkennungsbeschwerde schon vor der Entscheidung des Landeswahlausschusses statthaft ist, da Prüfungsgegenstand im Verfahren über die Nichtanerkennungsbeschwerde die Entscheidung des Kreiswahlausschusses auch dann bleibt, wenn der Landeswahlausschuss diese im Beschwerdeverfahren nach § 42 Abs. 4 LWahlG zwischenzeitlich bestätigt haben sollte. Umgekehrt geht der Gesetzgeber zu Recht davon aus, dass für eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs – mangels Rechtsschutzbedürfnisses – kein Raum mehr ist, wenn der Landeswahlausschuss der Beschwerde vor der Entscheidung über die Nichtanerkennungsbeschwerde abgeholfen haben sollte (LT-Drucks. 16/5027, S. 12). Im Ergebnis werden so die Rechtsschutzmöglichkeiten eines Beschwerdeführers zwar erweitert. Ihm wird jedoch nicht die Option eröffnet, auf die allgemeine Beschwerde zum Landeswahlausschuss zu verzichten.

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Im Übrigen bringt § 42 Abs. 5 Satz 3 LWahlG dergestalt die in der Gesetzesbegründung niedergelegte Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck, den Landeswahlausschuss im Rahmen der Überprüfung von Entscheidungen im Rechtsbehelfsverfahren gegen Entscheidungen der Kreiswahlausschüsse auch weiterhin miteinzubeziehen. Die Beschwerdeobliegenheit dient somit zugleich dazu, die gesetzlich intendierte Einbindung des Landeswahlausschusses zu gewährleisten und damit seinem „Charakter als Beschwerdeinstanz für Rechtsbehelfe nach § 42 Abs. 4 LWahlG“ und der „besonderen Bedeutung und Rechtswirkungen der Entscheidungen über die Zulassung von Wahlvorschlägen“ (LT-Drucks. 16/5027, S. 9) Rechnung zu tragen. Durch die in § 42 Abs. 4 Satz 5 LWahlG getroffene Regelung, wonach der Landeswahlausschuss die Entscheidung über die Beschwerde spätestens am 61. Tag vor der Wahl zu treffen hat – vorliegend also bis zum 12. Januar 2021 –, ist zugleich sichergestellt, dass der Verfassungsgerichtshof diese Entscheidung seinerseits berücksichtigen kann.

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Soweit der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 25. Januar 2021 schließlich geltend macht, er habe sowohl von dem stellvertretenden Wahlleiter des Wahlkreises 4 (Neuwied) als auch von einem Mitarbeiter des Landeswahlleiters die mündliche Auskunft erhalten, dass gegen die Entscheidung des Kreiswahlausschusses nur die Beschwerde zum Verfassungsgerichtshof zulässig sei, vermag er hieraus nichts für sich herzuleiten. Die Rechtsauskunft einer zumal unständigen Stelle kann nicht dazu führen, dass eine fehlende Sachentscheidungsvoraussetzung unbeachtlich wäre.

C.

15

Das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist gemäß § 21 Abs. 1 VerfGHG kostenfrei. Besondere Billigkeitsgründe, die die Anordnung einer Auslagenerstattung gemäß § 21a Abs. 3 VerfGHG ausnahmsweise angezeigt erscheinen lassen, liegen nicht vor.

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