Urteil vom Verwaltungsgericht Aachen - 1 K 1718/12
Tenor
Der Bescheid der Vorsteherin des Finanzamtes B.-Stadt vom 24. Mai 2012 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des zu vollstreckenden Betrages leistet.
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T a t b e s t a n d :
2Die Beteiligten streiten um die Abberufung des Klägers als Sozialer Ansprechpartner (SAP) bei dem Finanzamt B. -Stadt. Er steht dort als Steuerinspektor im Dienst des Beklagten und wurde mit Verfügung vom 22. September 2008 zum SAP bestellt.
3Erstmals am 17. Februar 2012 äußerte die Vorsteherin des Finanzamtes gegenüber der P. (P1. ) Bedenken hinsichtlich der SAP-Tätigkeit des Klägers. Er sei mit einem Klienten befreundet, habe diesen in einem ersten Strafprozess begleitet. Des Weiteren habe er eine Veranstaltung besucht, in dessen Verlauf es zu einer Schlägerei gekommen sei, die zu einem zweiten Strafverfahren gegen seinen Klienten geführt habe, in dem er als Zeuge benannt gewesen sei. Später habe er ihn nach einer zehnmonatigen Erkrankung bei der Wiedereingliederung in den Dienst begleitet und aktiv unterstützt, als es um eine Arbeitsplatzkontrolle und die Feststellung einer desolaten Arbeitslage sowie einer problematischen Zusammenarbeit mit dem Sachgebietsleiter gegangen sei.
4Zu diesem Vorgang fand am 12. März 2012 ohne Beteiligung des Klägers eine Besprechung in der P1. statt. Die Teilnehmer waren darin einig, dass die Ausübung des SAP-Amtes durch den Kläger insbesondere im Fall dieses Betreuungsverhältnisses defizitär und höchst problematisch sei, weil keine klare Rollentrennung zwischen Freund und SAP erkennbar gewesen, die SAP-Rolle vielmehr missbraucht worden sei. Der Kläger übernehme mehr eine Beschützerrolle als die eines SAP und wirke wie ein Kontrollorgan. Er lasse sich von seinem Klienten instrumentalisieren, was sich beispielsweise in Botengängen und der Übermittlung von dienstlichen Informationen zeige, selbst wenn der Klient im Hause sei und seine Belange selbst regeln könne. Seiner Aufgabe, eine "Hilfe zur Selbsthilfe" zu geben, werde er so nicht gerecht. Besonders problematisch sei der Umstand, dass er in Straf- und Disziplinarverfahren gegen seinen Klienten als Zeuge benannt worden sei, der kein Aussageverweigerungsrecht in Anspruch nehmen könne. Dies kollidiere mit seiner Verpflichtung, in dem Betreuungsverhältnis zu seinem Klienten die Verschwiegenheit zu wahren. Dieser Konflikt scheine ihm offenbar nicht klar zu sein. Das Vertrauensverhältnis zur Dienststellenleitung sei inzwischen derart stark beeinträchtigt, dass es keine weiteren Gespräche mit ihm gegeben habe. Allerdings seien solche Gespräche nicht zuletzt deshalb problematisch, weil der Kläger als SAP das Personalgeheimnis seines Klienten wahren müsse.
5In einem Gespräch mit der Vorsteherin am 27. März 2012 rechtfertigte der Kläger sein Verhalten und führte aus, er habe seine Rolle als SAP entsprechend der Erlasslage ausgeübt und sich an den Wünschen seines Klienten orientiert. Demgegenüber erläuterte die Vorsteherin, dass sie auch zum Schutz seiner Person die Weiterführung der SAP-Tätigkeit nicht für vertretbar halte und über eine Beendigung entscheiden werde.
6Am 23. März 2012 fand ein Gespräch mit dem Kläger im Finanzministerium NRW statt. Hierzu führte der Referatsleiter gegenüber der Vorsteherin des Finanzamtes in einem Schreiben vom 27. März 2012 aus:
7"Durch die Gespräche mit Ihnen und später mit Herrn B1. ist hier der Eindruck entstanden, dass
8- durch die dynamischen, ungünstigen Entwicklungen bei dem Beschäftigten alle weiteren Beteiligten in eine Konflikteskalation hineingezogen wurden, die vorher so nicht absehbar war. Anfängliche Versuche der Beteiligten, die Situation möglichst schadensarm zu lösen, haben in einer späteren Phase zu Irritationen und einem nachhaltigen Nicht-Verstehen geführt.
9- ein massives Fehlverhalten auf keiner Seite vorliegt, allenfalls haben wir es mit einer Unerfahrenheit eines SAP in einer ungewöhnlichen Situation zu tun.
10- der SAP dennoch ‑ mindestens im Sinne einer Beruhigung der Situation ‑ gut daran täte, den Fall an einen anderen SAP abzugeben, dazu aber nicht bereit ist. Er führt dazu aus, dass der Fall bereits ein hohes Maß an Komplexität erreicht habe und der Klient vermutlich zu den anderen verfügbaren SAP nicht kurzfristig ein Vertrauensverhältnis aufbauen würde.
11- diese mangelnde Bereitschaft beim SAP eine einfache Konfliktlösung zurzeit verunmöglicht."
12Als Lösung schlug der Referatsleiter entweder den Einsatz einer unabhängigen, geschulten und erfahrenen Person als Konfliktberater vor oder aber den Entzug des Nebenamtes als SAP durch die Vorsteherin.
13Mit Verfügung vom 2. April 2012 hörte die Vorsteherin des Finanzamtes B. -Stadt den Kläger zur beabsichtigten Beendigung des Nebenamtes als SAP an und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme.
14Mit Schreiben vom 12. April 2012 führte der Kläger aus, dass er mit seinem Klienten lediglich Einzelgespräche im Rahmen seiner SAP-Tätigkeit geführt habe. Die in verschiedenen Phasen erfolgten Kontaktaufnahmen durch den Klienten seien nach diesen Einzelgesprächen und der ggf. erfolgten Weitervermittlung abschlossen worden. Eine ihm vorgeworfene "Dauerbetreuung" über einen längeren Zeitraum sei nicht erforderlich gewesen. Die im Zeitraum der Dienstunfähigkeit des Klienten erfolgten Kontaktaufnahmen seien unter anderem zur Klärung einer beabsichtigten klinischen Behandlung und der Wiedereingliederung nach Beendigung der Behandlung unter Einbeziehung des Integrationsfachdienstes (IFD) erfolgt. Dem Einführungsgespräch im Rahmen der Wiedereingliederung habe er auf ausdrücklichen Wunsch des Klienten beigewohnt. Dabei sei die Möglichkeit der Einbeziehung einer Vertrauensperson ausdrücklich durch die Vorsteherin angeboten worden. Auch seine Beteiligung an den Gesprächen mit dem IFD sei auf Wunsch des Klienten erfolgt. Eine von der Dienststellenleitung vermutete engere persönliche Bindung über den üblichen kollegialen Rahmen hinaus bestehe zu dem Klienten nicht. Aus diesem Grund habe er keine Veranlassung gesehen, das inzwischen abgeschlossene Betreuungsverhältnis vorzeitig zu beenden. Es treffe zu, dass er ‑ neben weiteren Kollegen des Finanzamtes ‑ im Strafverfahren gegen seinen Klienten als Zeuge geladen gewesen sei, ohne allerdings aussagen zu müssen. Einen Rückschluss auf seine fachliche, persönliche und objektive Eignung als SAP lasse dieser Vorgang nicht zu. Gleiches gelte für gelegentliche kollegiale Hilfen. Auch im Verhältnis zu einem weiteren von der Vorsteherin angeführten Klienten habe er zu keinem Zeitpunkt eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Amtsleitung vermissen lassen und habe er ihr gegenüber nie ein tief greifendes Misstrauen geäußert oder sei er als "Kontrollorgan" aufgetreten.
15Mit Verfügung vom 24. Mai 2012 widerrief die Vorsteherin des Finanzamtes B. -Stadt, gestützt auf § 49 Abs. 1 VwVfG NRW, mit sofortiger Wirkung die Bestellung des Klägers zum SAP. Zur Begründung führte sie aus, dass er die Betreuung eines Klienten nicht beendet habe, obwohl er über die Auswirkungen der laufenden Straf- und Disziplinarverfahren auf dessen Betreuung und das besonders in diesem Fall massiv gestörte Vertrauensverhältnis zur Dienststellenleitung aufgeklärt worden sei. Er sei darauf hingewiesen worden, dass er die Vertraulichkeit von Gesprächsinhalten mit seinem Klienten, die Grundvoraussetzung für die Tätigkeit als SAP sei, wegen seiner Verpflichtung zur Zeugenaussage nicht gewährleisten könne. Diese Problematik sei ihm von der örtlichen Dienststellenleitung und in einem persönlichen Gespräch im Finanzministerium NRW verdeutlicht worden. Man habe ihm sein fehlerhaftes Rollenverständnis vor Augen geführt, mit dem er seine Aufgabe als SAP mit Blick auf den betreffenden Klienten interpretiere und wahrnehme. Trotz des eindeutigen Hinweises in diesem Gespräch sowie zweier Telefonate zwischen ihm und dem für die fachliche Ausbildung und Koordination der SAPs verantwortlichen Mitarbeiter habe er die Betreuung des Klienten nicht beendet und an einen anderen SAP abgegeben. Das Festhalten an diesem Betreuungsverhältnis zeige, dass er trotz Fehlens einer für die Wahrnehmung der Tätigkeit elementaren Grundvoraussetzung, der Sicherstellung der Vertraulichkeit der Beratung, keine Einsicht in die Problematik und in das Grundverständnis der Aufgabenwahrnehmung zeige. Hinzu komme, dass wegen dieser Tätigkeit ein massiv gestörtes Vertrauensverhältnis zur Dienststellenleitung entstanden sei, das gleichfalls Anlass dazu gebe, seinerseits eine Beendigung der Betreuung zumindest in Erwägung zu ziehen. Ihm sei deutlich gemacht worden, dass seine Weigerung zur Beendigung der Betreuung des Klienten die gesamte SAP-Tätigkeit und deren Akzeptanz erheblich gefährde. Sein diesbezügliches Verhalten zeige, dass sein Rollenverständnis nicht dem entspreche, was in dem Erlass des Finanzministeriums NRW vom 17.12.2008 zu den "Grundsätzen zur Tätigkeit der Sozialen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner (SAP) im Geschäftsbereich des Finanzministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen" (SAP-Erlass) sowie den ergänzenden Vorgaben der Fachabteilung beabsichtigt und im Interesse einer breiten Akzeptanz für diese wichtige Tätigkeit und die handelnden Personen sowie einer landesweit gleichmäßigen, qualitativ hochwerten Aufgabenwahrnehmung von einem SAP einzufordern sei. Bei dieser Sachlage komme eine weniger einschneidende Maßnahme als der Widerruf der Bestellung nicht in Betracht.
16Der Kläger hat am 21. Juni 2012 Klage erhoben.
17Er wiederholt und vertieft seine Ausführungen aus dem Anhörungsverfahren und führt aus, der Widerruf der Bestellung zum SAP habe nicht auf § 49 Abs. 1 VwVfG NRW gestützt werden dürfen, da die Bestellung eines Beamten zum SAP durch einen begünstigenden Verwaltungsakt erfolge, der seinen Rechtskreis im Hinblick auf die Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit erweitere. Ein Widerruf der Bestellung komme somit lediglich unter den Voraussetzungen der §§ 49 Abs. 2, 48 Abs. 2 und 4 VwVfG NRW in Betracht, die nicht vorlägen. Eine Gefährdung des öffentlichen Interesses oder ein Verstoß gegen die Grundsätze des SAP-Erlasses seien nicht gegeben. Insbesondere schreibe der Erlass die Beendigung eines Betreuungsverhältnisses nach Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen einen Klienten nicht vor. Ein über lange Zeit aufgebautes Vertrauensverhältnis könne auch nicht ohne Weiteres auf einen anderen SAP übertragen werden. Der Verweis auf ein fehlendes Aussageverweigerungsrecht bei einer Befragung im behördlichen Disziplinar- oder Strafverfahren vermöge den Widerruf der Bestellung gleichfalls nicht zu begründen. Vielmehr dürfe es allein ermessensgerecht sein, von einer Befragung im behördlichen Disziplinarverfahren abzusehen, um die gebotene Vertraulichkeit der Gesprächsinhalte zwischen Klient und SAP zu wahren. Insofern könne die Weigerung, die Betreuung eines Klienten aufzugeben, nicht zu einer Störung eines Vertrauensverhältnisses zur Dienststellenleitung führen.
18Der Kläger beantragt,
19den Bescheid der Vorsteherin des Finanzamtes B. -Stadt vom 24. Mai 2012 aufzuheben.
20Der Beklagte beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Er wiederholt und vertieft seine Ausführungen aus dem angefochtenen Bescheid und weist darauf hin, dass der SAP gemäß Textziffer II Nr. 2 des SAP-Erlasses ein Nebenamt im Sinne des § 2 Abs. 2 NtV NRW ausübe, das im dienstlichen Interesse liege. Er werde von dem Dienstvorgesetzten gemäß §§ 48, 52 LBG NRW schriftlich bestellt, was zeige, dass die Tätigkeit als SAP auf Verlangen des Dienstherrn gemäß § 48 Abs. 1 LBG NRW übernommen werde. Allein das Durchlaufen eines Auswahlverfahrens und die freiwillige Meldung für diese Tätigkeit ändere daran nichts. Die Bestellung als SAP sei belastend mit der Folge, dass sich der Widerruf der Bestellung nach § 48 Satz 3 LBG NRW und über die Verweisvorschrift des § 6 Abs. 4 Satz 2 NtV NRW nach § 49 Abs. 1 VwVfG NRW richte, soweit die Bestellung nicht bereits nach § 48 Satz 3 LBG NRW wegen Beeinträchtigung dienstlicher Belange zu widerrufen sei.
23Tragender Grund für die Entscheidung, die Bestellung des Klägers als SAP zu widerrufen, sei der Umstand, dass er die Betreuung eines Klienten nicht beendet habe, obwohl er nicht nur die Vertraulichkeit der mit ihm geführten Gespräche und von ihm erhaltenen Informationen nicht habe sicherstellen können, sondern auch wiederholt und von verschiedenen Seiten darauf hingewiesen worden sei, dass das Vertrauensverhältnis zur Dienststellenleitung angesichts seiner Verhaltensweise massiv und nachhaltig gestört sei. Die Art der Betreuung habe darauf schließen lassen, dass offenbar ein freundschaftliches, über den üblichen kollegialen Kontakt hinausgehendes Verhältnis zu seinem Klienten bestanden habe, was er erst im späteren Verlauf des Verfahrens abgestritten habe. Im Rahmen der Betreuung des Klienten habe sich zunehmend der Eindruck verstärkt, dass der Kläger sich von dem in Textziffer I Nr. 3 des SAP-Erlasses definierten Ziel, den Unterstützung suchenden Kollegen Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, immer weiter entfernt und sich darauf verlegt habe, als Fürsprecher, Bote und Interessenvertreter zu agieren und dabei die Rolle eines Beschützers bzw. Kontrollorgans einzunehmen. Ihm sei mehrfach geraten worden, wegen der unklaren Situation hinsichtlich der Sicherstellung der Vertraulichkeit der Gesprächsinhalte mit seinem Klienten das Betreuungsverhältnis zu beenden, und man habe ihm verdeutlicht, dass er mangels eines Zeugnisverweigerungsrechts Gefahr laufe, bei Zeugenvernehmungen in Disziplinar- oder Strafverfahren vertrauliche Gesprächsinhalte offenbaren zu müssen. Vor diesem Hintergrund sei er darauf hingewiesen worden, dass eine Verweigerung der Abgabe des Falles an einen anderen SAP einen Imageschaden für die Sache der SAP in der Gesamtheit bedeute. In Textziffer I Nrn. 4 und 5 des SAP-Erlasses würden die Vertraulichkeit und Verschwiegenheit sowie die Zusammenarbeit mit der Behördenleitung und Vorgesetzten als Leitgedanken für die Tätigkeit des SAP hervorgehoben. Sie würden vom Dienstherrn vorrangig vor den anderen Regelungen zu diesem Aufgabenbereich gleich zu Beginn des Erlasses aufgeführt und damit vor die Klammer gezogen, was die besondere Bedeutung dieser Aspekte verdeutliche und sie ganz bewusst zu zentralen Grundvoraussetzungen der SAP-Tätigkeit mache. Bei fehlender Gewährleistung dieser Voraussetzungen sei der Widerruf der SAP-Bestellung ermessensgerecht, weil das Interesse de Klägers an der Fortführung seiner SAP-Tätigkeit hinter dem Interesse des Dienstherrn an der Gewährleistung der im SAP-Erlass definierten Grundlagen zurückstehen müsse. Ein milderes Mittel als den Widerruf der Bestellung sei nicht gesehen worden und scheitere insbesondere an der fehlenden Mitwirkungsbereitschaft und Einsicht des Klägers.
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach‑ und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und Personalakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
25Entscheidungsgründe:
26Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Vorsteherin des Finanzamtes B. -Stadt vom 24. Mai 2012 über den Widerruf der Bestellung des Klägers zum SAP im Finanzamt B. -Stadt ist rechtswidrig und verletzt ihn in seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
27Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. VwGO statthaft. Denn bei dem Widerruf der Bestellung des Klägers zum SAP handelt es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG NRW. Der SAP übt seine Tätigkeit in einem Nebenamt im Sinne des § 48 Satz 1 LBG NRW iVm § 2 Abs. 2 NtV NRW aus. Er beschäftigt sich mit einem nicht zu seinem Hauptamt gehörenden Kreis von Aufgaben, die aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses wahrgenommen und ihm von der Vorsteherin des Finanzamtes übertragen werden, vgl. Ziffer II Nr. 2 Abs. 1 des SAP-Erlasses. Als actus contrarius ist auch der Widerruf der Bestellung zum SAP als Verwaltungsakt anzusehen,
28vgl. Oberverwaltungsgericht (OVG) Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 12. April 1994 ‑ 2 M 12/94 ‑, juris Rn. 10.
29Dieser Widerruf hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
30Als belastende Maßnahme bedarf er einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Diese ist zunächst nicht in Ziffer II Nr. 2 Abs. 6 des SAP-Erlasses zu sehen. Zwar können danach Behördenleitungen im Einvernehmen mit der vorgesetzten Dienststelle aus wichtigen dienstlichen Gründen zu der Entscheidung gelangen, die Tätigkeit als SAP einer bzw. eines Beschäftigten zu beenden. Bei den Grundsätzen handelt es sich jedoch nicht um ein Gesetz, sondern um schlichte behördeninterne Richtlinien, die den Widerruf eines Verwaltungsakts nicht tragen.
31Als Ermächtigungsgrundlage kommt die Vorschrift des § 48 Satz 3 in Verbindung mit Satz 2 LBG NRW in Betracht. Zwar hat der Beklagte den Widerruf ausdrücklich auf § 49 Abs. 1 VwVfG NRW gestützt. Welche Rechtsgrundlage für eine Entscheidung heranzuziehen ist, ist aber unabhängig von den Rechtsansichten der Beteiligten vom Gericht zu entscheiden. Die Verwaltungsgerichte haben im Rahmen des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO von Amts wegen zu prüfen, ob das materielle Recht die durch einen Verwaltungsakt getroffene Regelung trägt oder nicht. Hierzu gehört – in rechtlicher Hinsicht – die Prüfung, ob ein angegriffener Verwaltungsakt kraft einer anderen als der angegebenen Rechtsgrundlage rechtmäßig ist,
32vgl. BVerwG, Urteil vom 19. August 1988 – 8 C 29.87 ‑, BVerwGE 82, 185, juris Rn. 13; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26. Mai 2009 – 1 LB 38/08 ‑, juris Rn. 34.
33Ob dies auch dann gilt, wenn als Ermächtigungsgrundlage eine gebundene Entscheidung einerseits (§ 48 Satz 3 LBG NRW) und eine Ermessensentscheidung andererseits (§ 49 Abs. 1 VwVfG NRW) andererseits in Betracht kommt, lässt die Kammer offen, denn der Widerruf der Bestellung des Klägers zum SAP findet hier in beiden Vorschriften keine Stütze.
34Für eine Anwendung des § 48 LBG NRW liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht vor. Nach dessen Satz 2 dürfen durch die Nebentätigkeit dienstliche Interessen nicht beeinträchtigt werden. Ergibt sich eine solche Beeinträchtigung während der Ausübung der Nebentätigkeit, so ist das Verlangen nach Satz 3 zu widerrufen. Dienstliche Interessen in diesem Sinne sind insbesondere solche, wie sie in § 49 Abs. 2 LBG NRW beispielhaft definiert sind,
35vgl. zu der Vorgängerregelung: Nr. 3 der VV zu § 67 LBG NRW a.F. mit Verweis auf die in § 68 Abs. 2 Satz 2 LBG NRW a.F. definierten Beispiele.
36Nach § 49 Abs. 2 Satz 1 LBG NRW ist die Genehmigung zu versagen, wenn die Nebentätigkeit dienstliche Interessen beeinträchtigen kann. Nach Satz 2 dieser Vorschrift liegt ein Versagungsgrund insbesondere dann vor, wenn die Nebentätigkeit – soweit hier von Bedeutung ‑ u.a.
371. nach Art und Umfang die Arbeitskraft des Beamten so stark in Anspruch nimmt, dass die ordnungsgemäße Erfüllung seiner dienstlichen Pflichten behindert werden kann,
382. den Beamten in einen Widerstreit mit seinen dienstlichen Pflichten bringen kann,
393. ...
404. die Unparteilichkeit oder die Unbefangenheit des Beamten beeinflussen kann,
415. ...
426. dem Ansehen der öffentlichen Verwaltung abträglich sein kann.
43Keiner dieser Versagungsgründe liegt vor. Eine von der Vorsteherin angeführte – von ihm bestrittene ‑ enge Freundschaft des Klägers zu einem seiner Klienten vermag ihn ‑ unabhängig vom tatsächlichen Bestehen einer solchen Freundschaft – weder in einen Widerstreit mit seinen Pflichten zu bringen noch seine Unparteilichkeit oder Unbefangenheit zu beeinflussen, und sie schadet auch nicht dem Ansehen der öffentlichen Verwaltung. Ein SAP kann grundsätzlich von allen Kolleginnen und Kollegen seiner Dienststelle in Anspruch genommen werden. Insofern ist er nicht nur berechtigt, sondern wohl auch verpflichtet, seine Aufgaben auch gegenüber einem befreundeten Kollegen wahrzunehmen. Weder der SAP-Erlass noch sonstige Überlegungen stehen dieser Einschätzung entgegen. Die von der Vorsteherin in den Vordergrund der Tätigkeit des Klägers gestellte Hilfe zur Selbsthilfe kann und muss er einem Freund in gleicher Weise leisten wie anderen Kollegen. Der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses und daran anschließend die Gewährung einer "Hilfe zur Selbsthilfe" dürfte einem Freund gegenüber sogar noch leichter und intensiver gelingen. Die von der Vorsteherin in diesem Zusammenhang angeführte Instrumentalisierung des Klägers durch seinen Freund ist nicht ersichtlich. Sofern diese darin liegen soll, dass der Kläger beispielsweise Krankmeldungen abgegeben habe, lässt sich hieraus der Schluss auf eine Instrumentalisierung nicht ziehen. Solche Gefälligkeiten sind auch unter "normalen" Kollegen üblich und deuten nicht auf ein Abhängigkeitsverhältnis hin.
44Auch in dem Umstand, dass der Kläger in einem Strafverfahren gegen seinen Klienten vom Gericht als Zeuge geladen worden war, liegt keine Beeinträchtigung dienstlicher Belange. Zum einen handelt es sich um eine gesetzliche Pflicht, als Zeuge vor Gericht zu erscheinen. Zum anderen ist es kaum vorstellbar und erschließt sich auch nicht aus den entsprechenden Vermerken in den Verwaltungsvorgängen und Personalakten, in welcher Weise eine Zeugenaussage zu einem nicht dienstlichen, außerhalb der Behörde geschehenen Vorfall vor einem Amtsgericht das Verhältnis des Klägers zu seinem Klienten berühren könnte. Es erscheint bereits unwahrscheinlich, dass das behördeninterne Verhältnis Gegenstand der zeugenschaftlichen Vernehmung in einem solchen Strafverfahren sein könnte. Noch ferner liegt die Annahme, dass der Kläger anlässlich einer solchen Zeugenaussage vertrauliche Dinge aus dem behördeninternen Klientenverhältnis offenbaren müsste. Das fehlende Zeugnisverweigerungsrecht des SAP (Ziffer II. Nr. 4.2 Abs. 2 des SAP-Erlasses) ändert daran nichts. Eine Gefährdung des Ansehens der SAP-Tätigkeit als solcher – und damit möglicherweise des Ansehens (eines Teils) der öffentlichen Verwaltung – ist aus objektiver Sicht nicht zu befürchten.
45Schließlich lässt sich der Widerruf der Bestellung zum SAP auch nicht mit einem gestörten Vertrauen der Behördenleitung zum Kläger begründen. Insbesondere ist insoweit kein Konflikt mit seinen dienstlichen Pflichten zu befürchten. Zunächst ist festzustellen, dass die Aufgabe des SAP nach Ziffer II. Nr. 5.2 des SAP-Erlasses vor allem darin besteht, für Kolleginnen und Kollegen mit unterschiedlichen Problemen als Vertrauensperson zur Verfügung zu stehen. Zwar ist es nicht von der Hand zu weisen, dass im Hinblick auf eine effektive Betreuung und Unterstützung von Betroffenen im Einzelfall auch einmal die Behördenleitung oder sonstige Vorgesetzte mit dem SAP zusammenarbeiten müssen, vgl. Ziffer I. Nr. 5 und II. Nr. 4.1 des SAP-Erlasses, und hierfür eine hinreichende Vertrauensbasis bestehen muss. Für die Annahme des Verlustes einer solchen Basis bedarf es allerdings objektiver, nachvollziehbarer Gründe, um darin die Beeinträchtigung dienstlicher Belange zu erblicken. Allein das subjektive, möglicherweise aus einer enttäuschten Erwartung heraus entstandene Empfinden der Vorsteherin reicht hierfür nicht aus. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, das der SAP nicht verpflichtet, in der Regel nicht einmal berechtigt ist, gegenüber der Behördenleitung zu offenbaren, dass und welche Klienten er betreut, vgl. Ziffer I. Nr. 4 und II. Nr. 4.1 des SAP-Erlasses. Deshalb war der Kläger auch nicht gehalten, gegenüber der Vorsteherin das Klientenverhältnis zu offenbaren, als diese im Jahr 2011 mit ihm über Defizite in der Arbeitsweise seines angeblichen Freundes gesprochen hat. Zur Aufdeckung dieses Klientenverhältnisses war der Kläger erst berechtigt, als sein Klient ihn darum bat, bei Gesprächen zur Wiedereingliederung nach einer längeren Erkrankung anwesend zu sein. Diese Gesprächsteilnahme ist von Ziffer I. Nr. 2 des SAP-Erlasses gedeckt, wonach der SAP als Teil des innerbehördlichen Dienstes betroffenen Kolleginnen und Kollegen als Betreuungsperson zur Verfügung stehen soll, um bestehende Hemmungen der Betroffenen, sich mit sensiblen Fragen an Dritte zu wenden, abzubauen. Die Teilnahme an einem Wiedereingliederungsgespräch kann auch im Sinne von Ziffer I. Nr. 3 Satz 2 des SAP-Erlasses zulässig bzw. geboten sein, wonach der SAP anbieten soll, gemeinsam mit den Betroffenen eine Problemlage zu klären und Lösungsmöglichkeiten im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe zu suchen.
46Vor diesem Hintergrund lag in der Weiterführung der Betreuungstätigkeit gegenüber dem Klienten auch unter Berücksichtigung der von der Vorsteherin und aus dem Finanzministerium geäußerten Bedenken keine Beeinträchtigung dienstlicher Belange.
47Eine Beeinträchtigung anderer – neben den beispielhaft in § 49 Abs. 2 LBG NRW aufgeführter – dienstlicher Interessen durch die Ausübung der SAP-Tätigkeit ist nicht feststellbar.
48Als Ermächtigungsgrundlage für den Widerruf der SAP-Bestellung des Klägers kommt weiter § 49 Abs. 1 VwVfG NRW in Betracht. Danach kann ein rechtmäßiger, nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist.
49Mit der angegriffenen Verfügung wird ein belastenden Verwaltungsakt widerrufen. Wie bereits dargelegt, übt der SAP ein Nebenamt iSv § 2 Abs. 2 NtV NRW aus, das ihm vom Dienstherrn gemäß §§ 48, 49 LBG NRW übertragen wird. Unmittelbare Folge der Bestellung ist nicht eine Erweiterung seines Rechtskreises, sondern seines Pflichtenkreises. Denn er ist gemäß § 48 Satz 1 LBG NRW auf Verlangen des Dienstherrn verpflichtet, das Amt zusätzlich zu seinen sonstigen öffentlichen Dienstpflichten auszuüben, womit ihm keine Begünstigung zuteil, vielmehr eine Belastung auferlegt wird. Die Übernahme des Nebenamtes bedeutet für den jeweiligen Beamten eine Konkretisierung seiner dienstrechtlichen Pflichten. Eigene Interessen oder Vorteile, die – nach Art eines Rechtsreflexes – für ihn mit der Übernahme der Tätigkeit im Einzelfall verbunden sein mögen, sind für das Ziel der Maßnahme regelmäßig nicht bestimmend und damit für die – generalisierend vorzunehmende – Auslegung der Maßnahme ohne Belang,
50vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. Februar 2002 – 1 A 149/00.PVL ‑, PersV 2003, 111; juris Rn. 12.
51Die Bestellung zum SAP war ursprünglich rechtmäßig, und der Widerruf erfolgte mit Wirkung für die Zukunft. Allerdings hat der Beklagte das ihm in § 49 Abs. 1 VwVfG NRW eingeräumte Ermessen nicht rechtmäßig iSv. § 40 VwVfG NRW ausgeübt. Diese Ermessensausübung kann das Gericht nach § 114 Satz 1 VwGO daraufhin überprüfen, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind, oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Ein ermessensgerechter Widerruf der SAP-Bestellung setzt voraus, dass der Beklagte seiner Entscheidung einen zutreffenden und umfassenden Sachverhalt zugrunde gelegt, allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe beachtet und nicht willkürlich zu Lasten des Klägers entschieden hat. Eine Ermessensentscheidung ist danach fehlerhaft, wenn sie den Betroffenen unverhältnismäßig belastet.
52So liegt der Fall hier. Der Beklagte hat bei seiner Entscheidung, die SAP-Bestellung zu widerrufen, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht hinreichend beachtet. Der Zweck der Möglichkeit, eine SAP-Bestellung zu widerrufen, ist darin begründet, die Tätigkeit beenden zu können, wenn sie nicht ordnungsgemäß, insbesondere unter Beachtung des SAP-Erlasses, ausgeübt wird. Der Widerruf ist deshalb grundsätzlich geeignet, eine ordnungswidrige Ausübung zu beenden. Er ist hier aber nicht erforderlich, denn es gab andere Möglichkeiten, die vom Beklagten gesehenen Defizite in der Wahrnehmung der SAP-Tätigkeit durch den Kläger zu beheben. So hat der zuständige Referatsleiter im Finanzministerium in einem an die Vorsteherin gerichteten Schreiben vom 27. März 2012 aufgezeigt, wie die von ihr beklagte mangelhafte Ausübung des SAP-Amtes durch den Kläger von der Dienststellenleitung in Kooperation mit der P1. im Sinne des SAP-Grundsatzerlasses gelöst werden könnte. Wörtlich stellt er zunächst fest, dass "ein massives Fehlverhalten auf keiner Seite vorliegt, allenfalls haben wir es mit einer Unerfahrenheit eines SAP in einer ungewöhnlichen Situation zu tun", um sodann aufzuzeigen, dass neben der Möglichkeit, dem Kläger das Amt des SAP zu entziehen, bei Bereitschaft aller Beteiligten eine unabhängige, geschulte und erfahrene Person als Konfliktberater eingesetzt werden könnte. Dies solle kein SAP-Trainer und auch kein SAP sein, da sonst Rollenprobleme bzw. Probleme in der Außenwirkung entstehen könnten. Er schlägt insoweit Personen aus dem Geschäftsbereich vor, hält aber auch einen externen Berater für denkbar.
53Von diesen aufgezeigten Maßnahmen hat die Vorsteherin des Finanzamtes keinen Gebrauch gemacht. Sie hat sie ausweisliche der Verwaltungsvorgänge und Personalakten nicht einmal ansatzweise erörtert, geschweige denn ernsthaft in Betracht gezogen. Vielmehr hat sie noch am Tag des per Email aus dem Finanzministerium übermittelten Schreibens am 27. März 2012 ein persönliches Gespräch mit dem Kläger geführt, ihm eine Entscheidung über die Beendigung der SAP-Tätigkeit angekündigt und ihn mit Verfügung vom 2. April 2012 zum beabsichtigten Widerruf der Bestellung angehört. Damit ist die Erforderlichkeit der Maßnahme nicht dargelegt.
54Sie erweist sich im Übrigen auch als unangemessen. Denn die Bestellung zum SAP darf nur aus sachgerechten Gründen widerrufen werden. Solche Gründe können vorliegen, wenn ohne die Beendigung der SAP-Tätigkeit dienstliche Interessen des Beklagten in nicht hinnehmbarer Weise beeinträchtigt würden. Dies ist aber – wie oben dargelegt – nicht der Fall.
55Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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